Kapitel 97 – Das Leben der Anderen

Freitag, 29.07.2016

Was war ich verwöhnt. Mit Anfang 20 hatte ich locker auf so einem Hartschaumstoffblock aus einem Guss, gelagert auf einer Sperrholzplatte geschlafen. Aber heute, im Zeitalter von Lattenrost und 5-Zonen-Kaltschaummatratze in Nahverkehrs-Sleepern musste man Ende 30 erst mal seine Knochen wieder sortieren. Und irgendwie hatte es doch was, morgens mal wieder mit Sonne im Streifenmuster durch die Plastikblende an den hinteren Seitenfenstern geweckt zu werden, während man mangels Standklimaanlage die Vögel durch die angestellte Dachluke zwitschern hörte. Die modernen Trucks waren bequemer geworden, aber auch steriler.

Ich döste noch ein Bisschen vor mich hin. An Einschlafen war nicht mehr zu denken, aber ich wollte auch nicht raus. Irgendwann schlugen Türen, dann war es erst einmal still. Schließlich wieder Türen und zwei Leute sprachen englisch mit sehr britischem Akzent. Es waren Alex und David. Also machte ich mich dann auch mal aus den Federn. Die Veranstalter hatten immerhin einen Sanitärwagen mit Duschen aufgestellt. Also ging ich erst einmal dorthin.
Als ich aus der Dusche kam, wollten unsere Zeltschläfer Maxi und Serkan gerade rein. Ich ging zurück zu unserem Platz. Shawn hatte KFL Bochum als eine Ladestelle gehabt, weil er mit einem der beiden Curtainsider aufs Festgelände fahren sollte. Und deshalb hatte er zwei Biergarnituren und den kombinierten Gasgrill-Kocher geladen.
David und ich klappten die Möbel auf, während Alex ein Full Traditional Frühstück kochte. Hier brauchten wir uns auch keine Sorgen um den Platz zu machen, wenn wir in unserer Sechzehner-Gruppe täglich 36 Eier, 16 Bratwürstchen, 1 Pfund Speck, 2 Toastbrote und 5 große Dosen Bohnen brauchten und das Ganze mit 7 bis 8 Litern Orangensaft runterspülten. Der Kühlschrank hing hinter Maxims Iveco und war mehr als groß genug.
Bei den leicht unverschämt anmutenden Preisen auf dem Gelände war der Plan, das Mittagessen ausfallen zu lassen und abends dann was zu kochen.

Über den Tag wurde es dann wie erwartet voll. Allerdings kamen bisher weder große Namen noch bekannte Gesichter. Das hatte Maxim genutzt, um mal ein Bisschen was zusammen zu schneiden und auf Youtube hoch zu laden.
Los ging es schon in Bochum. „Privjet. Russkij vons Berge hier. Heute gibt es die Anfahrt zum Chiemsee. Mit Konvoi und allem was dazu gehört. Und mit meinem Beifahrer sind wir die MAXImalbesetzung. Sag mal Hallo, Trucker_Maxi! Und Ihr könnt ja auch mal auf seinem Kanal reinklicken!“ Ein Link erschien in der Ecke des Videos. Maxi folgte der Bitte und grüßte dazu in die Kamera. Ich wusste gar nicht, dass der auch einen Youtube-Channel hatte. Konnte mir aber auch egal sein, das war die Sache von Steven als Firmeninhaber oder dem Niederlassungsleiter in Neuss als Maxis Ausbilder. „Einige Kollegen aus seiner Firma sind nach Assen, aber er fährt lieber mit den coolen Jungs an den Chiemsee.“
Es folgte die Fahrt zum Treffpunkt und das Eintreffen der ganzen LKW. „So, da kommt Ricky, der Chef, wobei er ja in der Niederlassung in Großbritannien sitzt und nicht mehr meiner ist. Mit dem Ur-Urgroßvater von meinem Stralis Hi-Way. Mal sehen, ob ich es schaffe, das Teil heute mal zu fahren.“ Danach kamen erst mal Fahraufnahmen. Er war als letzter losgefahren, auch wenn er eigentlich als erster fahren sollte und hatte uns gebeten, nur 60 bis 70 zu fahren, bis er vorne angekommen war. Dann hatte er den ganzen Konvoi überholt und jeden einzelnen Truck kommentiert.
Und schließlich kam nach einem Fahrerwechsel sein großer Moment. „So, jetzt wird es spannend. Ich bin ja nur in der Fahrschule Handschaltung gefahren. 8 Gänge, nicht beladen und mit automatisierter Kupplung. Hier drin ist aber ein nicht synchronisiertes Fuller mit 13 Gängen.“ Meine Einweisung hatte er wundervoll als sinnlos aus dem Zusammenhang gerissene Wortfetzen aus dem Off zusammen geschnitten: „Untere Gruppe, keine halben Gänge, nur zum Anfahren am Berg, ohne Kupplung ziehen, nur ein Bisschen Gas geben, sonst kannst Du es vergessen, sofort geschaltet, 6 und 7 sind über der 2, umschalten und sofort Gas wegnehmen, Gasstoß geben um die Drehzahl zu erhöhen.“ „Irgendwo bei der Hälfte war mein Spatzenhirn überfüllt. Kann doch nicht so schwer sein!“ *KRRRRRRR* „Okay, am Ende doch so schwer. Aber wenn man sich dran gewöhnt hat, ist es kein Problem.“ *KRRRRR* „Okay, fast kein Problem…“
Und den Abschluss machte ein Vorbeimarsch an unserer Parkreihe auf dem Treffen, einschließlich Felix 3 Actros und Petrs MAN.

Es war am Abend frisch geworden, aber da schmeckte die Gulaschsuppe gleich noch mal so gut. Ich fragte Maxi mal, was Patrick so genau machte, aber das konnte der mir auch nicht sagen. Sie hätten seit März nur noch zweimal telefoniert.
Einmal brauchte Maxi einen persönlichen Rat. Er verriet nicht welchen, aber es war mir ja auch egal. Und das andere Mal hatte Patrick versucht, Maxi zu einem Wochenende mit Grill und Männergespräch nach Hannover einzuladen. Allerdings hatte Maxi abgelehnt. Er hatte kein Problem, mit Patrick zu telefonieren. Aber ein dermaßen persönliches Wochenende musste er nicht haben. Ich dachte mir, dass Maxi spätestens nach diesem Wochenende Männergespräche auch eher mit dem nur ein paar Jahre älteren Maxim führen würde und nicht mit dem strack auf die 30 zugehenden Patrick. Jedenfalls kam die „Maximalbesetzung“ bestens miteinander aus.

Ein paar Biere später bekam ich mit, wie Timo und Maxi auch das Thema Transport Schütz hatten. Maxi war wohl inzwischen bei einem Pegel, wo die Zunge locker saß. Timo gab das Stichwort und kam dann gar nicht mehr zu Wort: „Oh Mann. Und ich wäre beinahe in den Laden gewechselt.“ „Ich weiß. Sei froh. Bei KFL bist Du schon damals besser dran gewesen. Als wir uns das erste Mal getroffen haben, war Patrick noch mein Held. Geile Trucks, geiler Privatwagen, Stimmungskanone bei diesen Grillpartys, die wir beinahe jedes Wochenende hatten.
Als ich bei Dir die zwei Wochen Praktikum mitgefahren bin, hatte Patrick schon mal alle DAF gegen Mercedes getauscht. Ich merkte aber, wie anders es bei Euch zuging. Viel ernsthafter. Damals fand ich das noch blöd und habe mir gedacht, Du wärst mal besser zu Schütz gekommen.
Als ich dann die richtige Ausbildung anfing, waren die Mercedes zu meiner Überraschung durch Schwedisch Halb und Halb ersetzt. Patrick hatte, wie ich merken musste, einen Schalter im Kopf, der sich zur Arbeit umlegte. Nix mehr mit chilligem Kumpelchef am Grill. Rumkommandieren, Dauerhektik, Angestellte anbrüllen, Gegenstände rumschmeißen. Wenn Du denkst, Patrick hatte viele verschiedene Trucks, dann willst Du nicht wissen, wie viele verschiedene Handys er in der Zeit hatte. Nach jedem schief gelaufenen Gespräch hat er es in die Ecke gefeuert, nicht immer hat er es danach auch als ein zusammenhängendes Teil wieder eingesammelt.“
Interessant.
„Da begann ich dann langsam zu denken, dass der Mix bei Euch viel besser war. Dass bei Euch das Lachen auch nicht zu kurz kam, hatte ich gemerkt. Aber hinter allem stand ein großes Ziel – Geld verdienen. Wer seine Arbeit für die Firma getan hatte, konnte auch Spaß haben. Und das galt auch für die Chefs. Nicht alle halbes Jahr die Flotte tauschen, weil man gerade Sterne, Greife, Löwen oder Marssymbole besonders cool findet. Der Truck muss bleiben, bis er abgeschrieben ist. Und die Chefs vielleicht in der Freizeit nicht so chillig, aber dafür auch nicht unter 30 schon mit Herzinfarkt bei Blaulicht und Blasmusik ins Krankenhaus eingeliefert worden wie Patrick vor Weihnachten.“


Ich hatte genug gehört und plauderte lieber ein Bisschen mit Alex über seine ersten Eindrücke bei uns. Es gefiel ihm gut, vor allem weil er auch nach Irland und auf den Kontinent kam. Seine Vorstellung von Fernverkehr, als er sich beworben hatte, war Schottland bis Kanal gewesen, jetzt ging es sogar darüber hinaus. Dass sein Truck schon etwas älter war, störte ihn auch nicht.

Samstag, 30.07.2016

Jetzt war es voll und um die Mittagszeit gingen wir übers Gelände, um uns die Neuankömmlinge der vergangenen Nacht und des Vormittags anzusehen. Es waren schon ein paar nette Fahrzeuge dabei. Vor allem einige Italiener konnten sich sehen lassen.
Danach blieben wir erst einmal bei unseren eigenen Fahrzeugen. Maxim unterhielt sich mit einem Follower, der sich am Ende als ein Ex-Mitarbeiter einer aus dem Privatfernsehen bekannten Spedition entpuppte. Er fuhr jetzt auch Kühler und die beiden fachsimpelten über Scania, DAF und Iveco, über Handschaltung und Automatik, über Geräuschdämmung, erzählten sich Storys von abgeschalteten Aggregaten, gemütlichen Briten und ausflippenden Italienern. Über die Gründe für seinen Wechsel hielt er sich bedeckt, was aber okay war. Ging ja keinen was an. Aber schon erstaunlich. Die ganzen Möchtegerns wollten wegen ein paar aufgemöbelten LKW in diese Firma rein und er zog nach ein paar Jahren freiwillig den Kreis.

Und dann reizte unser Besucher mit seinem lockeren Mundwerk wohl mit seinem Spruch auf Englisch Shawn über die Grenze: „Was seid Ihr eigentlich für komische Briten? Ich dachte, Ihr habt hier Tea Time, Gurkensandwiches, den Union Jack am Seitenspiegel und ein Portrait der Queen am Scheibenwischerarm aufgehängt.“ „Passt zwar nicht zur walisischen Adresse auf dem Truck, aber ich kann Dir zumindest schottische Kultur geben. Wird aber ein paar Minuten dauern, besonders die Gymnastik im Fahrerhaus.“
Er kletterte in die Kabine und zog die Vorhänge zu. Was hatte er denn nun vor? Sogar ich war dann erstaunt, als er die Tür wieder auf machte und im schottischen Kilt, komplett mit Ghillie Shirt, Weste, Ghillie Shoes, Kniestrümpfen, Gürtel mit Clanwappen auf der Schnalle und als Krönung einem Dudelsack raus kam. „Na bitte. Geht doch! Kannst Du das Ding auch spielen oder nur rum tragen?“ Das Grinsen zeigte, dass er das nicht so provokant meinte, wie es schien. Im Gegenteil, unser Gast schien mehr beeindruckt und überrascht zu sein. Er hatte provokante Sprüche in seinem Bayern-Englisch gerissen und bekam jetzt die überraschende Antwort.
Shawn spielte zum warm werden erst mal Scotland Brave und dann einen flotten Tanz. „Komm. Aller guten Dinge sind drei!“ Also hing Shawn noch Highland Cathedral dran.
„Coole Nummer. Ich bin Michael.“
„Shawn.“ „Shawn der Highlander?“ „Nein. Lowlander. Die Hannays sind aus dem Süden. Und ich bin in Wales aufgewachsen. Im Alltag scheine ich vielleicht als erstes ein Waliser zu sein. Die Sprache musste ich in der Schule lernen und alles. Aber im Herzen bin ich Schotte, spreche Gälisch noch besser als Walisisch und wie man sieht habe ich die passende Kleidung.“ „Ist das Dein Familienmuster?“ „Ja, wir haben einen Clan Tartan. In den Lowlands ist das nicht selbstverständlich.“ „Und die Frage muss kommen. Was trägt der Schotte unterm Rock?“ „Das kann der Schotte sich aussuchen. Weil ich mich nicht gleich schon wieder umziehen will und mir sicher bin, dass irgendwann nachher, wenn ich so über den Platz laufe, noch ein neugieriges Kind auf der Suche nach genau dieser Antwort den Kilt anheben wird, habe ich mal vorsichtshalber eine Unterhose drunter.“ „Ich wollte jetzt weiter. Kommst Du mit?“ „Gerne.“ Shawn legte den Dudelsack in die Kabine und zog dann mit diesem Michael los. Ich war mir sicher, dass Shawn im Kilt das eine oder andere Aufmacherfoto über dieses Treffen schmücken würde.

Ich beobachtete die Besucher. Es war schon interessant, wie sie sich verhielten. Der Scania und der Actros interessierten kaum jemanden. Davon standen hier hunderte rum, die meisten spektakulärer als unsere aufgemacht. Der britisch lackierte, in Bochum zugelassene Iveco zog ein paar Blicke an, aber war immer noch ein eher kurzer Hingucker. Der Volvo war dank seiner „Celtic Legend“ Lackierung einer unserer Stars. Auch bei den beiden echten Briten, den DAF XF, blieben viele Leute stehen. Sie hielten sich zwar nicht lange dran auf, da spielte wohl eher der Exotenstatus eine Rolle. Wann sah man schon mal britische Trucks auf einem Truckertreffen im südöstlichsten Eckchen Deutschlands? Und neben dem Volvo war der Iveco 190-T der zweite Star. Aus den Gesprächen der Zuschauer konnte man immer wieder die gleichen Tendenzen raus hören. Ältere Semester waren selber einen Iveco T gefahren, bei jüngeren war es ein älterer Verwandter oder Bekannter. Und mehr als einmal war der T der letzte Magirus-Deutz gewesen, da sie es als letzter noch im Grill stehen hatten und als letzte im Fernverkehr noch mit luftgekühlten Deutz-Motoren angeboten wurden.

Es waren generell recht wenige alte Trucks zu sehen, wenn doch dann eher Mercedes LP und NG, MAN F7 bis F9 oder richtig altes Eisen aus den 50ern. Die meisten waren aber aufgemotzte Fahrzeuge aus den letzten 10 Jahren und da viel Schwedenstahl und deutsche Marken. Der eine oder andere Iveco hatte es aus Italien rüber geschafft, DAF war in Deutschland gut vertreten, seit in den 90ern der 95 das XF dazubekommen hatte und auch in der Tuningszene angekommen. Renault musste man mit der Lupe suchen.

Ich telefonierte mal eine Zeit lang mit Luke. Dort auf dem Treffen hatten sie einige interessante Gespräche. Sowohl Truckspotter als auch Kollegen erkannten in seinem grünen XF105 und dem Union Jack XF106 alte Fahrzeuge von Duncan wieder. Vielleicht sollten wir auf alle verbleibenden Truckfest UK Veranstaltungen eine Delegation schicken. Die Meldegebühr war niedrig, aber so konnten wir relativ einfach im ganzen Land bekannt machen, dass wir jetzt Duncan besaßen. Dort waren nicht nur Truckfans, sondern auch das ganze Spektrum des Transportgewerbes auf den Festivals vertreten. Fahrzeughersteller, Tuner und Speditionen als Aussteller, Kunden als Besucher.

Nachdem wir den Grill den ganzen Tag schon mit Bräter-Aufsatz auf kleiner Flamme hatten schmurgeln lassen, gab es abends dann Pulled Pork. Wir saßen in geselliger Runde zusammen, als Felix Julian und mich ansprach: „Verzeiht mir, wenn ich um die Zeit noch dienstlich werden muss. Aber habe ich das richtig verstanden? Ihr seid jetzt auf britische Inseln spezialisiert und arbeitet mit einer Spedition zusammen, die Skandinavien macht? So richtig mit Umschlaglager und Durchgangsfrachten ohne Kabotage?“ „Ja. Wir haben die Limited in Großbritannien, Nähe Liverpool und Manchester, Durchreise von der Fähre je nach Route an Hull, York oder Sheffield und Leeds vorbei oder via London und Birmingham. Im Vereinigten Königreich haben wir deshalb keine Kabotagebegrenzungen zu beachten. Läuft halt alles über die Limited.“ „Braucht Ihr vielleicht eine Anbindung an Österreich und Norditalien?“ „Willst Du mitmachen?“ „Ja. Ich habe jetzt so einiges mitbekommen, wie die Branche läuft. Mit bis zu 3 Trucks ist es gemütlich, ab 15 wird es langsam so was wie ein Selbstläufer, dazwischen ist man als Einzelkämpfer ständig in der Zange. Zu klein um sich durchsetzen zu können, zu groß um beim Wettbewerb noch das Radar zu unterfliegen. Da wäre mir Hilfe von Partnern gerade recht. Ich kann halt Österreich und von da nach Italien und auf den Balkan bieten. Dazu hat Petr Kontakte in Tschechien, der Slowakei und Polen. Mit dem handhabe ich das schon jetzt so ein Bisschen wie Ihr.“ „Das müssten wir mit Steven klären, dem Inhaber von Scandinavia Express.“ „War ja nur ein Gedanke. Davon hängt nur ab, ob ich als nächstes einen Kühler oder eine Plane hole. Der vierte Zug kommt auf jeden Fall noch heuer.“

Sonntag, 31.07.2016

Am Abschlusstag kam dann mein Highlight, auch wenn es harmlos anfing wie so viele Gespräche hier. „Hallo, schöne Trucks habt Ihr.“ „Danke.“ „Ich bin Jan.“ Er hatte auf jeden Fall in Sachsen sprechen gelernt. „Erik. Hallo.“ „Erik oder Ricky?“ Ich war erstaunt, denn ich kannte ihn nicht. Andererseits war mein Schild „Ricky“ bei Truckspottern ausreichend bekannt. „Ricky nur für Freunde.“ „Okay. Welches ist denn Deiner?“ „Der 190-T direkt an der Seemauer.“ „Und was fährst Du im Alltag?“ „Inzwischen einen Schreibtischstuhl.“ „Ach so.“ „Von denen hier hatte ich aber mal einen quasi identischen Iveco zu dem Hi-Way. War aber nicht der hier. Und den Volvo bin ich danach gefahren.“ Er ging rüber und sah ihn sich genauer an.
„FH16? 550 PS?“
Er brach in schallendes Gelächter aus. „Was ist so komisch da dran?“ „Nichts. Komisch sind unsere Trucks. Ich fahre für Bogenhofer Spezialtransporte.“ „Habe ich mal gehört.“ Ich bekam den Laden gerade nicht in einen Zusammenhang. „Christian Langerczyk ist einer unserer Geschäftsführer.“ „Ach ja, da war was. Wie geht es dem Fähnchen im Wind?“ „Er ist Dein Ex, wenn ich die Gerüchte und Erkenntnisse aus Spotterforen zusammenrechne, oder? Hoffentlich bin ich nicht ins Fettnäpfchen gerauscht, ihn zu erwähnen.“ „Quatsch. Er ist mein Ex – und das kommt von „Ex und Hopp!“ Ich bin wieder glücklich mit jemandem zusammen. Christian ist Vergangenheit und mir eigentlich so was von egal, wenn Du mir nicht gerade mal was aus direkter Quelle erzählen kannst. Mir fällt auf, dass ich nicht mal Eure Firma im Spotterforum gestalkt habe.“
„Okay. Fähnchen im Wind trifft es. Was hat der über den Iveco geschimpft. Und dass Ihr nur so einen Schrott wie Iveco und Renault kauft. Und dann kommt die Hohlfrucht ausgerechnet zu uns.“
„Wieso? Was fahrt Ihr denn?“ „Mercedes, Scania und Volvo. Aber was für welche. Unsere 5 LKW sind wahrscheinlich so alt wie Eure ganze Reihe zusammen.“ „Das wird eng. Der Iveco ist 33 und der kleine DAF 8.“ „Na egal. Unser Juniorchef hat ihn jedenfalls ganz gut eingefangen. Von einer Spedition hat der nämlich keine Ahnung, seinen alten Herren, der versucht hat, aus dem Ruhestand im Hintergrund die Fäden zu ziehen, hat er abserviert und ihm Hausverbot erteilt. Dann ging es abwärts. Ich habe den Senior noch 1 Jahr erlebt, dann ein paar Monate als graue Eminenz und dann hat es gescheppert und wir bekamen eine Anweisung, mit dem alten Bogenhofer nicht mehr zu sprechen. Cheffe hat sich dann erst mal einen fabrikneuen Scania R730 gekauft. Leider ist die Firma zu klein für so was, also dürfen wir jetzt die Raten für Chefs LKW einfahren und es herrscht Investitionsstau.“
„Und da kam ein leichtgläubiger Investor gerade recht?“ „Bogenhofer Junior kann keine Spedition leiten. Aber der verkauft Kühlschränke an Eskimos. Der hat gemerkt, dass Christian für tolle LKW anfällig ist und ihm sonst was erzählt, was er alles für tolle Zugmaschinen kaufen wollte. Aber die Kohle, die Christian eingebracht hat, wurde für einen neuen Spezialtrailer gebraucht, nachdem der Vorgänger Baujahr 1990 unter den Jahren mit Betonplatten eigentlich von der Abschreibungsdauer mal langsam planmäßig die Grätsche gemacht hat. Christian hatte dann die Wahl zwischen einem reichlich ausgenudelten 2007er Volvo FH16 Globetrotter ohne XL und mit 540 PS oder dem nach dem Chef-Scania neusten Fahrzeug, einem 2011er MAN TGX 28.480 XLX.“ „480 PS ist doch ein Bisschen wenig in Eurem Gewerbe, oder?“ „Tja, der Senior hat sich erst gar nicht auf den Kampf um Hochseeyachten, Panzer und Bergbaumaschinen im Schwertransport eingelassen. Der hat Gittermasten, Rotorblätter und so gefahren. Dazu normale Baumaschinen und so was. Die Sachen sind nicht schwer, nur unhandlich. Er hatte den Volvo und einen Mercedes mit um die 550 bis 650 PS als zwei schwere Maschinen für solche Fälle in der Hinterhand, aber hat sich nicht aktiv darum gekümmert. Das war immer Beifang. Der Trafo fürs Umspannwerk neben der Windkraftanlage und so was.“
„Und wofür hat sich Christian entschieden?“ „Für den Volvo. Hat versucht, sich am Anfang mit uns gut Freund zu machen und über die alte Firma, also Euch hergezogen. Iveco, Renault, kleine Motoren.“ „Aha.“ „Als er gemerkt hat, worauf er sich eingelassen hat, gingen ihm ganz schnell die Mundwinkel runter. Wir haben ihn von Anfang an nicht für voll genommen. Und inzwischen ist er beim Bogenhofer auch unten durch. Er hat halt beizeiten vergessen zu erwähnen, dass er schwul ist. Und irgendwann kommt auch in einer so großen Stadt wie Nürnberg alles raus. Passt nur nicht ins Bogenhofersche Weltbild, in dem ein Mann gefälligst ein Haus baut, einen Baum pflanzt und einen Sohn zeugt. Und jetzt hängt Christian bei uns in der Firma mit drin und kommt nicht ohne dicken Verlust wieder raus. Der kotzt täglich.“ Tja, Pech gehabt.
„Unser im Sommer davor ausgelernter Azubi wurde betriebsbedingt gekündigt und fährt jetzt bei TNT Pakete durch die Nacht, weil Christian einen Truck brauchte. Ich wurde als dienstjüngster Angestellter auf die älteste Gurke durchgereicht und habe einen TGA 28.510. Baujahr 2001! Und dann sehe ich hier Eure Flotte. Scania R500, Volvo FH16, Actros 2558. Passt so gar nicht zu Christians Kommentaren.“
„Von den 4 Trucks, die wir hatten, als er gegangen ist, hatten zwei die 5 vorne bei den PS. Ein Stralis Hi-Way 500 und ein Renault Magnum 520, beides 13-Liter. Als das Echo von seinem Knall mit der Tür noch zu hören war, haben wir einen 480er MAN gekauft, der aber nicht hier ist. Dann kamen im Abstand von 3 bis 4 Monaten der Scania, der Volvo und der Mercedes. Dazwischen immer mal ein Renault oder Iveco.“ „Ich würde jeden dieser LKW lieber fahren als meinen, egal ob Mercedes, Scania, Renault oder Iveco! Ihr braucht nicht zufällig jemanden?“ „In Deeside brauche ich vielleicht jemanden, wenn Du Dir das nach dem Brexit noch vorstellen könntest.“ „Äh… Ehrlich gesagt nicht.“ „Was Julian in Bochum vorhat, weiß ich nicht. Allerdings fehlen da schon 2 LKW, wenn der Azubi anfängt. Für den gibt es nämlich noch keinen und einer der vorhandenen ist gemietet.“
Felix mischte sich ein: „Servus. Ich bin der Felix, mir gehören die drei rot-weiß-schwarzen Mercedes. Sucht da jemand Arbeit?“ „Ja.“ „Würdest Du nach Österreich ziehen? Von einem Öxit spricht niemand. Schnitzel, Gulasch und Kaiserschmarrn schmecken auch fei besser als Fish & Chips, Haggis und Plum Pudding. Großraum Wien. Ich bestelle demnächst einen neuen LKW, dann brauche ich einen Fahrer.“ „Müsste ich mir überlegen. Aber in Nürnberg hält mich nichts. Meine Freundin ist mir sowieso für jemanden laufen gegangen, der öfter zu Hause ist. Ich hatte überlegt, zurück nach Dresden zu gehen, aber Wien wäre auch was.“ „Schick mir einfach Deine Unterlagen, wenn Du Interesse hast.“

Ich ließ Felix und Jan alleine weiter sprechen. Jetzt gab es aber so langsam einen Sinn. Chris war den Versuchungen einiger aufgemachter LKW auf unseren Touren verfallen, hatte dazu mitbekommen, dass über Iveco und Renault von vielen Kollegen, die meistens selbst nie drin gesessen hatten, gelästert wurde. Er wollte lieber ein Unternehmer mit einer Image-Flotte sein. So wie es im Fernsehen Schubert und Nottelmann vorlebten, das hatte er ja auch mal angedeutet. Marlon und ich wussten, dass das in der Phase, in der wir damals waren, nicht sinnvoll war. Julian hatte es zumindest eingesehen und seine Wünsche so lange zurückgestellt.
Chris begegnete nun durch Zufall diesem Heißluftballon namens Bogenhofer Junior, plauderte vielleicht ein Bisschen aus dem Nähkästchen und Bogenhofer erkannte, wessen Geistes Kind er vor sich hatte und wo er den Hebel ansetzen musste. Starke LKW der „guten“ Marken, schon zappelte der Fisch am Haken. Chris unterschrieb einen Vorvertrag, war doch egal, dass er in Bochum mit mir zusammen war und als Unternehmer Verantwortung übernommen hatte.
Natürlich hatte ich die Zeichen der Zeit inzwischen bemerkt und obendrein hatten wir die schlimmste Zeit hinter uns. Als ich dann mit einem Volvo FH16-600 als unserem möglichen nächsten über den Berg kam, versuchte er die Kehrtwende. Persönlich bei mir bleiben, wirtschaftlich zurück zu uns, wo es plötzlich besser war als gedacht. Nur bestand Bogenhofer auf seinem Vorvertrag.
Also ließ Chris sich auszahlen und investierte in die Firma, die ihm scheinbar bieten konnte, was er wollte. Schon widerwillig, denn wir konnten das plötzlich auch, ganz ohne Risiko, denn bei uns wusste er, wie die Firma aufgestellt war. Aber der Weg zurück war ihm versperrt.
Und auch, als er nach einem halben Jahr zurückkommen wollte, hatte er nicht etwa gesagt, er komme als einfacher Angestellter, weil er eingesehen hatte, dass er weder für uns noch für Geschäftspartner wieder als Miteigentümer und Geschäftsführer akzeptabel war. Er hatte schlicht und ergreifend sein Geld gebunden und kam nicht dran. Er hätte also bei uns gearbeitet und sein Geld bei Bogenhofer in der Firma stecken lassen müssen in der Hoffnung, dass der Laden irgendwann doch mal genug abwarf, um mit schwarzer Null wieder raus zu kommen. Und dass er zurück wollte, lag wahrscheinlich nur daran, dass Bogenhofer herausgefunden hatte, dass sein Investor nicht so ganz den Moralvorstellungen entsprach.
Na was ein Glück, dass ich mich für Luke entschieden hatte, als es drauf ankam. Wie hatte der Stricherjunge in Polen über Chris gemeint? „Er hatte Dich nicht verdient, wenn er wegen einem anderen Mann weg ist. Und noch viel weniger, wenn er wegen einer Maschine weg ist.“

Abends mussten wir uns dann benehmen, denn morgen galt es, wieder fahrtüchtig zu sein. Wir grillten die Reste weg, dazu gab es heute nur ein großes oder zwei kleine Biere oder Cider, danach war Cola angesagt. Die Veranstaltung hatte Spaß gemacht. Dazu hatte ich eine Menge erfahren. Wie Maxi über seinen ehemaligen Chef dachte, wie sehr Shawn der Heimat seiner Ahnen verbunden war und was aus Chris geworden war.


Montag, 01.08.2016

Heute gab es das letzte gemeinsame Frühstück. Die Reste aus dem Kühltrailer teilten wir unter uns auf. Auch die Kühlschränke in Felix drei Trucks und in Petrs MAN kamen nicht zu kurz. Die drei Transalpin-Maschinen und Subunternehmer Petr machten genau das, was man von ihrem Firmennamen erwartete, sie würden in Salzburg und Innsbruck laden und über die Alpen nach Italien, Kroatien und die Côte d’Azur fahren.
Aus Bochum gingen Lennart nach Griechenland und das Timo-Ilarion-Duo nach Algerien auf Maverick-Tour für Talke. Deren Kühlerschmuck leuchtete nicht mehr gelb sondern weiß. „Warum habt Ihr das denn umgebaut? Ich fand gelb schöner.“ „Wir auch. Aber das BAG nicht.“ Der Bochumer Großbritannien-Stralis mit Kühler fuhr mit der „Maximalbesetzung“ ins Rheinland, unterwegs mit Ladestellen. Dort wartete auf Maxi Schröder morgen wieder der Brückenzug von Scandinavia Express, auf Maxim Stanjaslov um 9 die Fähre in Hoek van Holland nach Harwich. Alex hatte Ladestellen in Mitteleuropa und setzte von Calais nach Folkstone mit dem Zug über. Dann würde er seinen Beifahrer David in Derbyshire abliefern und noch Entladestellen in Yorkshire und den Midlands bedienen. Shawn hatte im Süden von Deutschland nur eine Ladestelle, fuhr heute als Zweierteam mit Serkan ins Westfälische und sammelte dann seinen Trailer in Norddeutschland und den Niederlanden voll für die Insel.
Für Bochum blieb noch Julian, der ja auch Sebastian dorthin mitnehmen musste, wo Rolf als eigentlicher Ausbilder wartete. Und ich hatte eine Fuhre nach Berlin. Sebastian wollte aber wohl noch mal eine Runde mit Transportgeschichte: „Julian, wie fahren wir eigentlich?“ „Wir sammeln in Freising einen Trailer ein und fahren die A9, A3, A45 wie wir gekommen sind. Weil wir weder in 9 noch in 10 Stunden durch kommen werden, werden wir irgendwo bei Limburg übernachten. Warum?“ „Weil ich gerne noch mal auf dem alten Iveco mitgefahren wäre.“ „Hm…“ „Du bist sein Ausbilder, wenn Rolf nicht da ist. Ich bin raus aus der Nummer.“ „Vielen Dank auch! Brockst mir den Jungen ein und dann haust Du ab auf Deine Insel. Aber in einem Monat bist Du dafür in der Nummer wieder drin, mit einem Azubi namens David.“ Sebastian schaute ein Bisschen überfahren. „Ich nehme ihn gerne mit, dann machen wir zusammen Pause in Feucht würde ich sagen.“ „Klar, kein Ding. Sorry, Sebastian. Aber an unsere Art wirst Du Dich gewöhnen müssen. Es gibt eine Regel in der Firma. So lange so Sprüche wie eben kommen, ist alles in Ordnung. Wenn es ernst wird, reden wir auch ernst. Also, Du kannst gerne bis kurz vor Nürnberg bei Ricky mitfahren, da wechselst Du zu mir und kurz danach trennen sich unsere Wege.“ „Okay. Danke.“

Also machten auch wir uns auf den Weg und ich hatte erst einmal einen Beifahrer. Mein Talke-Trailer wartete wieder mal in München am Mittleren Ring. Bis wir dort waren, war der dickste Verkehr durch. Auf dem recht engen Hof kuppelte ich den Planentrailer mit Gemischtwaren an. Da der Iveco kein Gefahrgutpaket hatte, war es eine etwas anstrengende Nummer für André gewesen, für mich passende Aufträge bei Talke zu finden, die dann auch noch Umweltzonen als Ladestellen vermieden. Das meiste auf dem Trailer waren Kunststoffgranulat, Kalkpulver wie man es auf Sportplätzen benutzte und andere harmlose Pülverchen in Bigpacks.
Als ich versuchte, den Zubringer raus mit den 380 PS und 22 Tonnen Nutzlast auf dem Trailer auf Touren zu kommen, setzten natürlich modernere und stärkere LKW zum Überholen an. Ein besonders eiliger Markenkollege überholte die dann auch noch und zog auf Höhe Arroganzarena auf der dritten Spur vorbei.

Bei schönem Wetter ging es die A9 rauf. Julian holte uns dank einiger Hügel und Berge irgendwann mit dem 550 PS starken Volvo wieder ein, auch wenn sein Umweg, die Ladung zu holen, größer gewesen war. Ich unterhielt mich mit Sebastian und wie er auf diesen Beruf gekommen war. In seiner Familie gab es keine Geschichte im Transportgewerbe. Sein Vater war Journalist und schrieb Artikel für den Lokalteil der WAZ, seine Mutter war Krankengymnastin.
Sein erstes großes Hobby, das beinahe sein Beruf geworden wäre, war die Fotografie. Mit 8 Jahren hatte er, nachdem der digital geworden war, die alte Kamera seines Vaters gefunden und erst einmal eine Zeit lang Papierbilder gemacht. Danach hatte er sich auch schnell eine Digitalkamera gewünscht. Die LKW kamen erst einmal mit 12 Jahren in sein Leben, als er die PC-Simulation German Trucksimulator entdeckte.
Und als er Informationen zu den Fahrzeugen im Spiel suchte, stieß er auf die Truckspotter. Seitdem hatte er seine freie Zeit auf Autobahnbrücken oder, wenn sich ein Spotterkollege mit Führerschein fand, auf Truckertreffen in Reichweite, insbesondere Verl-Kaunitz, Lohfelden, Nürburgring und Assen verbracht.
KFL war erst einmal nur eine Spedition von vielen, auch wenn sie für ihn quasi um die Ecke lag. Die Vision-Lackierung, von einem Kollegen mal als „Tattoo-Vorlage“ verspottet, die Julian für neue Talke-Maschinen auch wieder benutzen wollte, zusammen mit dem Hi-Way und dem Magnum machten uns dann aus Spottersicht interessant. Und am Ende stand nur noch die Frage, welchen Teil des Truckspotter-Hobbys er zum Beruf machen wollte – Fotografieren oder LKW. Die Antwort kannten wir inzwischen.

Am Rasthof Feucht musste ich die Tankinnenseite auch feucht machen. Der mickrige 400-Liter-Tank zusammen mit dem doch recht gesunden Durst eines V8 mit 17,2 Litern Hubraum aus den frühen 80ern machte sich schon bei der Reichweite bemerkbar. Julian und ich machten unsere 45er Pausen, Sebastian hatte seinen Kram sowieso in Julians Volvo und musste nichts umräumen. Wir fuhren noch hintereinander zum Kreuz Nürnberg, wo Julian und Sebastian auf die A3 wechselten und ich auf der A9 blieb.

Mit einem kleinen Stau in Franken ging es weiter in Richtung Berlin. Ich machte eine zweite 45er und kam dann in Berlin an, als alle raus wollten. Am unübersichtlichen Dreieck Funkturm hieß es besonders ohne Navi aufzupassen, die richtige Spur zu erwischen. Aber andererseits machte es Spaß, mal wieder ohne zu fahren. Ich hatte ein gutes Kartengedächtnis und so musste ich unterwegs an sich nicht groß nachdenken, wo ich hin musste. Und wenn es am Ziel wirklich nicht klappte, dann konnte ich immer noch Google Maps auf dem Handy oder Tablet starten. Nur in solchen verschachtelten Kreuzen und Anschlussstellen wie hier musste ich mal aufpassen.

Dienstag, 02.08.2016

Mit einem Tieflader voll Gabelstapler und zum Glück nur 11 Tonnen Nutzlast ging es in Richtung Ruhrgebiet. An Anstiegen wie bei Lauenau, Exter/Vlotho oder Bielefeld ging es aber trotzdem teils runter bis unter 45 km/h und in den 6. Gang. Die Stapler ließ ich in Dortmund und fuhr solo nach Duisburg, wo in dem Mini-Gewerbegebietchen am Bahnhof Entenfang wieder ein Planentrailer von Talke auf mich wartete.
Apropos Duisburg, von MM-Transporte hatte ich auch schon länger nichts mehr gehört. Also sündigte ich mich mal 500 Meter durch die Umweltzone und über die Rheinbrücke nach Rheinhausen. Als ich die Straße zwischen ENI und MM entlangfuhr, war dort nichts mehr von einer Spedition zu sehen. Die Halle war verrammelt, es hingen keine Schilder mehr, das Hoftor war zu. Auf den Hallentoren und Wänden hatten sich ein paar kreative Jugendliche verewigt und zwischen den Pflastersteinen meldete Mutter Natur ihre Rechte an dem Gelände an.

Danach drängten mich die Verkehrsmeldungen im Radio wegen einer Vollsperrung ab bis Aachen, bevor ich die Grenze passierte. Und an genau dieser Grenze war meine Lenkzeit um und ich musste 9 Stunden Pause machen. Ohne Freisprecheinrichtung konnte ich erst jetzt mal anrufen. Es ging schon auf den Abend, aber einen meiner Geschäftsführerkollegen sollte ich ja noch dran kriegen. Marlon war dem Fahrgeräusch nach mit dem PKW unterwegs. In der Tat war er mit Judith auf dem Heimweg.
„Sagt mal, was ist eigentlich mit MM-Transporte los? Ich musste vorhin in Duisburg laden und bin da aus Neugierde vorbei. Da rollen ja die Heuballen über den Hof.“ Okay, „Heuballen“ war nicht unbedingt das richtige deutsche Wort für das Western-Klischee namens „Tumbleweed“, aber ich wusste kein besseres. „Wir hatten den auch nicht mehr auf dem Schirm. Dadurch, dass er ENI fuhr und wir Talke, hatten wir ja trotz Chemieindustrie keine direkte Konkurrenzsituation. Im Mai, als wir mehr mit uns selbst und Eurem Umzug nach Wales beschäftigt waren, hat er dann wohl versucht, sich ein zweites Standbein aufzubauen und auch noch für BASF als Sub zu fahren. Und dabei ist er auf die Nase gefallen. Habe ich selber erst vor kurzem mitbekommen, als mir aufgefallen ist, dass André seit Juni rum Fremdaufträge immer öfter von ENI und der ganzen anderen Routex-Gruppe einbaut und ich mal Nachforschungen angestellt habe. MM ist vor den Sommerferien in den Konkurs gegangen. Um die LKW haben sich den Gerüchten nach Blüggel und Schumacher aus der direkten Nachbarschaft ein Wettbieten geliefert, teils mit den dazugehörigen Fahrern. Das Gelände steht immer noch zum Verkauf. Besonders bitter wäre, wenn das Gerücht stimmt, dass er seine Büroleiterin geheiratet hat – also die hat er definitiv geheiratet – und dann die beiden ohne Diensthandy in die Flitterwochen sind und dann der Angestellten, die sich alleingelassen um alles zu kümmern hatte, die Situation entglitten ist.“
Ich verabschiedete mich von den beiden. Das große Wachstum von MM war mir damals schon nicht geheuer gewesen. Wobei ich bei Marc Mertens nicht damit gerechnet hatte, dass der Laden platzt wie bei Patrick Schütz. Im Gegenteil, wenn der Umzug nicht dazwischen gekommen wäre, hätte ich ihn im Sommer mal kontaktieren wollen, um eine ähnliche Zusammenarbeit für die Chemie zu sondieren, wie wir sie im Stückgutbereich jetzt mit Steven und demnächst vielleicht auch Felix hatten.
Apropos unkontrolliertes Wachstum, das war aber auch was, wo sowohl Steven als auch Felix aufpassen mussten. Die waren auch beide so schnell gewachsen in den letzten Monaten, dass das mal nach hinten losgehen konnte.


Mittwoch, 03.08.2016

Meine Nacht war schon mitten in der Nacht zu Ende. Gegen halb 5 warf ich nach einem Frühstück und dem Weg zur Dusche in den ehemaligen Zollgebäuden den Motor an – zum Leidwesen meines Nachbarn, denn auch von den Geräuschemissionen war der Fiat V8 nicht mehr auf der Höhe der Zeit und die Bremse brauchte doch ein Bisschen Luftnachschub.
Ich konzentrierte mich dermaßen darauf, Brüssel vor dem Berufsverkehr zu umrunden, dass ich etwas anderes dafür vergessen hatte, als ich gegen 7 Uhr noch so gerade eben vor dem Verkehrskollaps vom Ring runter fuhr.

Die Erkenntnis kam mir erst, als ich an der Grenze nach Frankreich feststellte, dass die Zeit nicht mehr reichte, um nach Calais zu kommen. Nun musste ich 45 Minuten hier stehen und den LKW bewachen, etwas über eine Stunde von Calais entfernt. Links-zwo-drei-vier…

Ich ließ, obwohl ich meinte, ihn im Auge gehabt zu haben, den LKW vor der Einfahrt in die britische Kontrolle von der französischen Grenzpolizei untersuchen und mir das quittieren. Er war wirklich sauber. Dann ging es vor zu den Briten. Auch die nahmen das Vehikel noch einmal genau unter die Lupe. Und damit nicht genug. Nach der Fahrt durch den Tunnel wurde ich in Folkstone noch mal rausgezogen und ein weiteres Mal von oben bis unten gefilzt, wahrscheinlich weil mein Fragebogen vom Check-In den Haken bei „kein Halt 200 Kilometer vor Calais“ nicht gesetzt hatte.

Endlich konnte ich weiter fahren – und wie. Das Tempolimit für LKW war in Großbritannien 60 mph, also 97 km/h, auf Autobahnen und seit einem Jahr auch allen anderen Straßen mit Mittelleitplanke. Das erreichten nur die LKW aus den letzten 14 Jahren nicht mehr, da das Limit 2002 durch die EU auf 90 km/h für alle festgesetzt worden war. In den 10 Jahren davor hatte es eine Pflicht für Begrenzer wenigstens direkt bei 60 mph gegeben, aber dieses Schätzchen war offen. Also ließ ich, nachdem die M27 erreicht war, den 380 Pferden mal bis Southampton legal die Zügel los. Der eine oder andere Kollege, der bei 90 km/h im Begrenzer steckte, war plötzlich auf einen 33 Jahre alten Iveco neidisch.

Trotz der ganzen Verzögerungen wurde ich noch einen Teil meiner Fracht los. Dann ging es mit dem Trailer und dem Rest der Ladung nach Croydon. Dort blieb dann der komplette Trailer und ich nahm noch einen Tank mit Reinstwasser auf die Platte. Dann suchte ich mir einen Parkplatz im Gewerbegebiet und telefonierte wie jeden Abend noch mal kurz mit Luke.


Donnerstag, 04.08.2016

Schon um 2 Uhr nachts konnte ich weiter fahren. So blieb mir der Horror von Londons Berufsverkehr zum Glück erspart.

Leider musste ich noch mal 70 Liter nachtanken, um nach Hause zu kommen. Das Wasser lieferte ich in Liverpool ab und fuhr dann solo nach Deeside. Als ich gegen 20 vor 9 auf den Hof rollte, war wie erwartet niemand da. Die Trucks waren alle unterwegs und Philip hielt sich an die traditionelle Bürozeit „9 to 5“. Entsprechend tauchte er auf, während ich den LKW voll tankte und putzte.

Danach ließ ich mich von ihm auf den neuesten Stand bringen. Viel war in der Woche nicht passiert. Nebenher bestellte ich ein paar Rechteckscheinwerfer mit Streuscheiben für Linksverkehr.
Nachmittags kam Luke rein.



05. bis 26.08.2016

Den Rest des Monats verbrachte ich im Büro. Philip fuhr zwei Wochen als Urlaubsvertretung für Merwyn, wobei Philip in Großbritannien blieb und stattdessen Shawn mit seinem alten XF105 zwei Wochen Kontinent fuhr. Ihm machte das wenig aus. Im Gegenteil, er freute sich, die Welt zu sehen.

Ich schrieb eine Vollzeitstelle und eine Teilzeitstelle für das Lager aus. Es meldeten sich einige Leute. Nachdem genug Bewerbungen zusammengekommen waren, lud ich einige Kandidaten zu Vorstellungsgesprächen ein.
Am Ende entschied ich mich für Gary Sheldon als Lagerleiter. Er war ein gestandener Lagerist, 42 Jahre alt und seit 14 Jahren erst als einfacher Lagerarbeiter und dann Schichtleiter im Lager diverser bekannter Logistikkonzerne tätig gewesen. Jetzt suchte er aber einen etwas ruhigeren Job und bei uns gingen in zwei Wochen ungefähr so viele Sendungen durch wie bei DPD in einer Nacht. Das kam also hin.
Die Teilzeitstelle bekam Rafal Mikolajczak, 19 Jahre alt. Er war trotz seines Nachnamens Brite und stammte aus der großen Gruppe, deren polnische Vorfahren im zweiten Weltkrieg für Großbritannien gekämpft hatten und sich, als dann nach dem Krieg eine Rückkehr nach Polen durch die Bildung der Ost- und Westblöcke unmöglich war, in Cheshire niedergelassen hatten. Er fing am 21. September sein Studium in Liverpool an und musste sich trotz Hotel Mama noch etwas dazuverdienen. Wie ich erwartet hatte, kam ihm dabei gelegen, dass er hier vor allem Freitagnachmittag und Samstag arbeiten musste.

Eine Stelle als Fahrer hatte ich nicht ausgeschrieben, obwohl Jeremy danach gefragt hatte, wann er wieder aus der Vollzeit aussteigen könnte. Er würde uns gerne als Springer aushelfen, wenn es nötig war, aber er wollte auch wieder mehr Zeit bei seiner Frau verbringen und auch nicht bei seinen anderen Springer-Kunden in Vergessenheit geraten.
Ich konnte mich aber mit ihm einigen, dass er noch blieb, bis David den LKW-Führerschein hatte. Damit sollte der sofort beginnen, wenn er am 1. Oktober 18 wurde. Klasse B hatte er schon und ein Auto auch. In Großbritannien konnte man inzwischen den PKW-Schein mit 17 machen. Dafür musste man auf dem Weg zum LKW-Fahrer C haben, bevor man Fahrstunden für CE nehmen konnte. Insofern bestand der einmonatige Schnellkurs eigentlich aus zwei 14-tägigen Schnellkursen hintereinander. In 3 Wochen sollte David dann aber, wenn bei den Prüfungen nichts in die Hose ging, den kompletten CE haben und nach weiteren 3 Wochen Bearbeitungszeit Führerschein und Fahrerkarte bekommen. Dann könnte ich Jeremy ab Mitte November aus der Vollzeit entlassen.
Sonst hätte ich jetzt entweder jemanden befristet einstellen müssen. Oder wenn ich jemanden unbefristet eingestellt hätte, würde ein neuer LKW für David benötigt, wenn er den Führerschein hatte. Da wir vorher einige überalterte LKW ersetzen mussten, was noch einige Zeit in Anspruch nehmen würde, war das aber keine echte Option gewesen.

Apropos Jeremy und LKW ersetzen. Sein DAF XF106 machte, wie ich mittlerweile festgestellt hatte, einigen Ärger und musste am meisten von allen Fahrzeugen in die Werkstatt. Zwar waren 3 Monate nicht unbedingt aussagekräftig, aber in dieser Zeit hatte er 3-mal durch die Werkstatt oder mich repariert werden müssen. An Shawns Maschine, die aber auch die zweieinhalbfache Laufleistung hatte, musste ich einmal Hand anlegen, Lukes Maschine war einmal in der Werkstatt, hatte aber fast die gleiche Laufleistung wie Shawns. Der XF105 und der XF106 mit den großen Kabinen hatten keine Probleme bereitet.
Ein Blick in die Bücher ergab, dass der kleine XF106 schon immer auffällig gewesen war. Philip meinte, dass der eine fahrende Kinderkrankheit war. Er war unmittelbar nach dem Modellwechsel gebaut worden. Shawn hatte das wohl mal im Internet recherchiert und der Truck war von der Fahrgestellnummer her so ungefähr der 200. der im Leyland-Werk produziert worden war. Ich entschied mich daher, den Truck früher auszutauschen.

Nachdem die Scheinwerfer da waren, ließ ich eine MOT-Prüfung für den Iveco Turbo machen. Danach musste ich erst einmal die Papiere und Nummernschilder nach Bochum schicken. Nachdem er dort abgemeldet war, kamen die entwerteten Papiere zurück und ich konnte nun zur britischen Zulassungsstelle. Bei Erstzulassungen von importierten Gebrauchtfahrzeugen bekam man hier die nächste freie Nummer aus dem Jahr der Erstzulassung. Also wurde mir ein Kennzeichen aus dem Jahrgang 1983/84 und der Zulassungsstelle Flintshire zugeteilt, noch schön nach dem alten System. Und weil das Euro-Feld keine Pflicht war, konnte man sogar ein authentisches Kennzeichen bekommen, ohne dass der blaue Klotz das historische Bild störte.

Ein anderes Thema, das mich beschäftigte, waren neue LKW. Die beiden aus 2008 mussten von der Laufleistung einfach weg. Der 105er aus 2013 hatte seine 3 Jahre und seine 250.000 Meilen auch erreicht. In der direkten Nachbarschaft gab es nur Händler für Volvo und Mercedes, die ich mal besuchte. Zu meiner Überraschung waren die Preise bei Mercedes hier deutlich ziviler als in Deutschland, auf Augenhöhe mit Volvo.
Alle anderen Hersteller boten einen Besuch durch den Außendienst an, also ließ ich auch alle 5 antraben. Renault durfte gleich wieder abdrehen, weil die ihre Lieferzeit im Vereinigten Königreich genauso wenig im Griff hatten wie in Deutschland. Scania gesellte sich preislich zu Mercedes und Volvo. Damit blieben noch DAF, Iveco und MAN. Auch die waren sich bei den Preisen überraschend einig und bildeten eine zweite Gruppe unterhalb der Edel-Marken. Aber das war mir auch bei PKW hier schon aufgefallen. Die Briten hatten wenig mit Markenkult am Hut. Also konnten sie sich auch nicht den Markennamen bezahlen lassen, wie in Deutschland. Hier gab es nur drei Preislevel für Autos. Premium, wo man dann aber auch für Lexus oder Infiniti das gleiche zahlte und nicht wie in Deutschland „Opelpreise und Mercedesluxus“ kombinieren konnte, indem man zu den verkannten Japanern griff. Dann gab es die Mitte, in der sich alle Alltagsmarken von Ford und VW über Renault und Honda bis Kia tummelten. Und unten waren die konsequenten Billigheimer, derzeit an sich nur Dacia und Proton. Scheinbar waren nur die Deutschen bereit, mehr für ein Auto zu bezahlen, das auch nichts besser kann als die Konkurrenz mit dem falschen Namen. Egal ob das „Auto“ nun mit Führerscheinklasse B oder CE gefahren wurde.
Und eine dafür schlechte Erkenntnis über die Insel war, dass „Flottenkunde“ hier größer geschrieben wurde. Mit 5 Fahrzeugen, auch der Aussicht später auf maximal 8 zu gehen, ließ sich keiner der Händler zu nennenswerten Rabatten oder Rahmenverträgen herab.

Schwieriger wurde es zu meiner Überraschung, einen Freiwilligen für den neuen Truck zu finden. Ich fing natürlich die Fragerunde mit Merwyn an, aber der war zufrieden mit seinem XF106. Alex hatte ich nicht gefragt, weil seine 3 Monate Probezeit erst Ende September rum waren. Der war dann in der nächsten Runde an der Reihe.
Shawn, der jetzt das Land verlassen durfte, machte ich zufriedener, indem ich ihm den kleineren XF106 gab und ins Ausland schickte. Auch wenn der Truck mit seinen permanenten Kinderkrankheiten keine Zukunft hatte, würde er den noch einige Monate fahren können. Den wollte ich zwischen den beiden kleinen und dem großen 105er abschießen.
Dafür bekam Jeremy erst mal die älteste Gurke und wurde auf die Touren von 2 bis 3 Tagen im Inland zurückgesetzt, die bisher Shawn gefahren war. Da er nur noch bis November Vollzeit hier war, brauchte ich auch ihn nicht nach seiner Meinung zu fragen.
Also war das dann ein Abendessen-Gespräch für Luke. „Merwyn wollte keinen neuen Truck, sondern den Union Jack 106 behalten. Shawn macht zwar Fernverkehr, aber soll erst mal ein Bisschen Erfahrung auf Langstrecke mit dem London 106 sammeln und mal auf Rastplätzen mit Kollegen über deren Marken sprechen, bevor ich ihn frage. Also darf sich doch der Nahverkehr was wünschen und sehen, ob er es kriegt. Was für einen Truck hättest Du denn gerne?“ Die Antwort war mir eigentlich klar, dachte ich. Volvo oder MAN. „Wie wäre es mit einem Iveco?“ „Oh.“ „Was ist?“ „Habe ich nicht mit gerechnet. Dachte es kommt Volvo oder MAN.“ „Hätten wir nicht einen Iveco gefahren, als wir zusammen gekommen sind, wäre das auch passiert. Aber ich fahre doch sowieso nur noch Zweitagestouren, irgendwann Tagestouren. Da ist das wichtigste der Motor und da hat der Iveco mir am besten gefallen.“ „Von mir aus gerne. Wird aber ein 460 für Trailer Exchange.“ „Bei Volvo oder MAN hätte ich doch auch nichts anderes bekommen.“ „Doch, bei MAN nur 440.“ „Ha, ha!“
Ich bestellte also einen Stralis Hi-Way 460 für Luke. Auslieferung sollte im September sein. Hierzulande war das als Dreiachser ein LKW von der Stange und entsprechend schnell verfügbar. Die Ablösung der Duncan-DAF hatte begonnen.

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