Kapitel 98 – Feierlaunen

Woche 29.08. bis 02.09.2016

Der Montag war sowieso Feiertag. In den beiden letzten Augusttagen kümmerte ich mich dann noch um neue Trailer und Planen. Zwei unserer derzeitigen Schätzchen waren 8 und 10 Jahre alt, hatten entsprechend 650.000 und 810.000 Meilen runter und bei einer Kontrolle des Rahmens hatte ich kürzlich entschieden, dass der ältere bitteschön schnellstmöglich das Land für immer verlassen sollte, um in Afrika oder sehr weit im Osten von Europa zu kollabieren. Die nächste MOT würde der so oder so nicht mehr schaffen.
Erst einmal wollte Luke aber das Farbkonzept im wahrsten Sinne des Wortes auf den Kopf stellen: „Ich finde, wir brauchen ein weißes Dach. Und weil das auf der cremefarbenen Kabine nicht gut aussieht, würde ich gerne creme nach unten und dunkelblau nach oben machen. Geht das oder müssen wir das mit Deutschland klären?“ „Hell unten? Das ist aber blöd sauber zu halten.“ „Ich glaube, die Jungs hier putzen die Trucks gerne mal zwischendurch.“ Den Eindruck hatte ich allerdings nach den Fotos von Truckspottern auch. Schmutzschleier waren bei trockenem Wetter quasi unbekannt.
„Machen können wir es theoretisch schon, in den Regeln zum Corporate Design haben wir nur dunkelblau und beige als Hauptfarben und mit britischen Verzierungen. Ein weißes Dach ist da in meinen Augen eine Verzierung, denn britischer geht nicht. Dann muss ich nur die Planen für die neuen Trailer auf dunkelblau als Grundfarbe ändern. Sonst sieht es komisch aus. Ich rufe mal Julian an.“ Julian war mir da als Ansprechpartner lieber. Fürs Ästhetische war er besser geeignet. Marlon war mehr der Kopfmensch.

Auch die Hochzeitsvorbereitungen waren längst angelaufen. Da Lukes anglikanische Church of Wales sich sowohl mit anderen, auch protestantischen Konfessionen als auch mit gleichgeschlechtlicher Ehe schwer tat, würden wir in meiner Gemeinde der United Reformed Church heiraten. Seit diesem Jahr führte auch die im Vereinigten Königreich gleichgeschlechtliche Trauungen durch. Und eine kirchliche Trauung war hier auch immer noch rechtsgültig. Den Umweg übers Standesamt konnte man sich auf der Insel sparen.
Für die Feier konnten wir ein uriges und sehr britisches Hotel hinter der Grenze, also im englischen Cheshire buchen. Die Details planten dann hier traditionell die Trauzeugen. Und da kam mir Luke zuvor und fragte Keith, ob er das machen würde. Ich wusste, dass er gerne seinen Cousin Ben genommen hätte, aber der wusste jetzt noch nicht einmal sicher, ob er an dem Termin überhaupt hier sein würde oder ob er gerade durch den Panamakanal schippern musste. Und die ganzen Aufgaben, die ein Trauzeuge hatte, hätte er auch sonst von einem Frachtschiff aus dem Pazifik nur schwer erledigen können.

Am 1. September begann der Ernst des Lebens für unseren Auszubildenden. Da ich ihm im Laufe des Chiemseewochenendes irgendwann angeboten hatte, mich wie alle anderen Ricky zu nennen, hatte er dann gemeint, bei David würde er immer denken, er hätte was ausgefressen und deshalb sollte ich ihn Davey nennen.
Als er vorfuhr, merkte ich, dass seine Eltern sich wohl nicht hatten lumpen lassen und ihrem 17 Jahre alten Sprössling zum Führerschein mal eben einen fabrikneuen Mini Paceman vor die Tür gestellt hatten.
Daveys Lieblingsfarbe war offensichtlich, aber mir sowieso bekannt: Schwarzes Auto mit schwarzem Innenraum, roten Zierstreifen außen und roten Sitzwangen innen, schwarze Klamotten, die Jeans dazu mit weiß abgesteppten Nähten und das Hemd im schwarz mit weiß-rotem Muster, immer noch schwarz gefärbte Haare und Augenbrauen.
Der Tag war mit Bürokratie gut genug versorgt. Nachdem wir hier alles erledigt hatten, schickte ich ihn erst mal los, die Dokumente zu beschaffen, die er für seine Führerscheinanmeldung einsenden musste. Ich ließ mir noch seine Kleider- und Schuhgröße geben und bestellte ein Bisschen Berufskleidung. So lange er noch nicht selber fahren konnte, sollte er auch was über Fahrzeugtechnik lernen.

Am 2. September hatte ich eine Betriebsversammlung angesetzt. Es waren 3 Monate rum, seit wir den Betrieb hier übernommen hatten. Ich stellte Davey denen vor, die ihn noch nicht kannten. Dann informierte ich die Belegschaft, dass wir die Übernahme von Duncan gut abgeschlossen hatten.
Wir hatten eine deutliche Steigerung des Transportvolumens geschafft, was insbesondere auf die Zusammenarbeit mit Steven zurückzuführen war. Beim Geld sah die Steigerung kleiner aus, denn das gesamte Deutschlandgeschäft von Duncan hatten wir an die GmbH verloren. Der war dafür das komplette Großbritanniengeschäft weggefallen, was aber weniger war. Die Kunden bestellten nun einmal die Transportleistungen am liebsten in ihrem Heimatland, was wir aber auch forcierten, weil es die Buchhaltung einfacher machte. Dafür rannten uns die Firmen aus den anderen EU-Ländern, die wir über den Kanal bedienten, die Bude ein, dem eingebrochenen Pfundkurs sei Dank. Wir konnten derzeit Frachtraten in Pfund deutlich günstiger anbieten als Niederländer, Franzosen, Schweden oder Dänen, die in Euro oder entsprechend starken skandinavischen Kronen abrechneten.


Woche 03. bis 09.09.2016

Das Wochenende nutzten Luke und ich noch mal zu einer zweitägigen Motorradtour. Mit dem Wetter sollte es jetzt steil bergab gehen.

In der Woche vom 5. bis zum 9. September fuhr ich mit Davey erst einmal drei Tagestouren mit dem Iveco T. Die erste Fahrt am Montag ging mit einem ziemlich schäbigen, vom Kunden gestellten Kühler über A-Roads nach Swansea.

Am Dienstag fuhren wir mit einem geliehenen Curtainsider zuerst Stückgut im Verteilerverkehr nach Birmingham, weil unserem Subunternehmer Wyatt & Stack kurzfristig der vorgesehene LKW durch einen Unfall ausgefallen war und sie auf die Schnelle keinen Springer und kein Mietfahrzeug bekamen. Am Mittwoch ging es mit einem Tanktainer voll Glycerin für Talke nach Carlisle.

Inzwischen war der neue Iveco eingetroffen und auch Daveys Sicherheitsschuhe und Arbeitskleidung. Also gab es Donnerstag mit Ben Fahrzeugtechnik direkt am Fahrzeug zu sehen. Und mit einem 1983er 190-T und einem 2016er Stralis Hi-Way nebeneinander in der Garage gleich noch den technischen Fortschritt von etwas mehr als 30 Jahren im direkten Vergleich dazu.
Und das fing nur damit an, dass man zwei Zylinder und fast sechseinhalb Liter Hubraum weniger brauchte, um 80 PS mehr zu bekommen. Partikelfilter, Adblue-Einspritzung, elektronische Fahrwerkskontrolle, ABS und vieles mehr waren in der Zeit erfunden worden und fanden sich im neuen Modell.

Am Freitag musste Davey dann zum Arzt, denn auch in Großbritannien stand eine medizinische Untersuchung auf der Agenda, wenn man den LKW-Schein machen wollte. Was ihm, anders als Sebastian in Deutschland, erspart blieb, war eine Untersuchung beim Psychologen, um schon unter 21 Jahren LKW fahren zu dürfen. Hier durfte jeder über 18, der einen Ausbildungsvertrag hatte und körperlich gesund war, ohne weiteres 44 Tonnen spazieren fahren. Er kam mit dem Stempel auf dem Untersuchungsbericht wieder zurück. Die letzte Hürde vorm Führerschein war genommen.

Den Fernfahrer hatte ich immer noch im Abo und ich behielt Recht. Mit dem Kommentar „Das Chiemsee Country Festival war auch attraktiv für internationale Teilnehmer. Dieser junge britische Fahrer präsentierte sich sogar im Schottenrock“ war Shawn auf einem der Fotos über das Festival zu sehen.


10.09. bis 16.09.2016

Dieses Wochenende war es schon kälter, aber noch sonnig. Wir entschlossen uns spontan, noch mal wegzufahren und buchten ein Zimmer im Forest of Dean. Luke kam beim Wandern auf seine Kosten. Für mich gab es nach der Wanderung die Rückfahrt mit der Museumseisenbahn.

Luke wollte sich dann den neuen Iveco mit der Lackierpistole vorknöpfen. Das Schätzchen war von der Halde gekauft, trug die dezente Farbe Prague Yellow und war somit ohnehin ein Fall für eine Komplettlackierung. Davey hatte in der Woche Schule und so schob ich erst einmal Bürodienst. Luke fuhr kurze Touren und arbeitete danach noch mit Lackierpistole und auch noch klassisch mit dem Pinsel. Ganz wie der durch Top Gear bekannt gewordene Zierlinien- und Ornamentmaler bei Rolls Royce.
Ich organisierte noch eine Fahrschule für Davey. Und zwar eine mit einem vernünftigen LKW. Es war ein DAF CF, aber entscheidend war, dass der Motorwagen handgeschaltet war. Das einzige Fahrzeug, bei dem man nicht schalten musste, war in unserer Halle der Gabelstapler. Also lernte er am besten gleich richtig fahren.
Wobei es bald ohnehin nicht mehr anders gehen würde als mit Automatik. Manche Hersteller hatten Handschaltung schon ganz raus genommen, bei vielen wurde sie nicht mehr aktiv beworben oder in den Datenblättern aufgeführt, aber man bekam sie noch auf penetrante Nachfrage. Bis sie komplett vom Neufahrzeugmarkt verschwand, war nur noch eine Frage der Zeit.


17.09. bis 23.09.2016

Und in der ersten Woche verzichtete Luke, wo er gerade fertig war, auf den neuen Truck auch noch. Ich wollte, bevor eine Maschine weg ging, noch mit Lukes bisherigem DAF eine Wochentour mit Davey machen, aber er war anderer Meinung: „Zu zweit nehmt Ihr besser den Iveco. Der ist schon größer als ein kleiner DAF. Dann fahre ich den DAF noch eine Woche.“
Von mir aus gerne, mit DAF war ich immer noch nicht warm geworden. Und ich hatte das Gefühl, es in den verbleibenden knapp 2 Jahren, die der große 106 noch hier sein würde, auch nicht mehr zu werden. Klein war zwar relativ, weil es eigentlich die mittlere Kabine war, aber die Betten hingen in der Tat dichter aufeinander als im Stralis Hi-Way und seit Iveco beim Wechsel von den Active- auf die Hi-Modelle die Fächer überarbeitet hatte, musste man bei DAF auch schon zum ganz großen Haus greifen, um da ernsthaft mehr Platz zu bekommen als im Iveco.

Zwei Trailer hatten wir auch neu und mit beschrifteten Planen, aber nicht mehr von Schmitz wie noch in Bochum. Die war doch etwas zu leicht gebaut. Da hatten die Kollegen im Forum wohl doch Recht gehabt. Vor allem wenn man wie hier im Binnenverkehr 4 Tonnen mehr drauf packen durfte, wurde die ganze Angelegenheit doch wahrscheinlich ziemlich krumm. Eigentlich hatte ich dann den europäischen Marktführer Krone vorgesehen, aber der Preis trieb mir die Tränen in die Augen. Hier wurde der Pfundkurs zum Eigentor, denn Importe wurden natürlich teurer. So wurde es also ein Kauf im Inland – auch so konnte man „buy British!“ umsetzen.

„Der Kandidat hat 1000 Punkte.“ Ich steckte nach dem Aufsatteln noch die Gefahrguttafel an die Front und wir machten uns bei britischem Herbstwetter auf den Weg nach Norden. Schuld an der Blechtafel war einige Bauchemie, die auf eine Strabag-Baustelle in Edinburgh sollte.

Wir machten die Mittagspause bei Carlisle auf dem Rastplatz, bevor wir auf der A7 über Land durch die Lowlands nach Edinburgh fuhren. Hier wurden wir unsere Bauchemie und das Schild an der Stoßstange los und fuhren weiter nach Inverarnan, wo man in einem Steinbruch eigentlich schon sehnsüchtig auf einen neuen Antrieb für die Förderanlagen wartete. Allerdings war es unten im Loch um 19 Uhr schon recht dunkel und obendrein die meisten Arbeiter schon weg. Ich sprach mit dem Vorarbeiter, der uns nicht mehr entladen wollte.
„Und was nun? Ich habe auch kaum noch Lenkzeit.“ „Fahr den Berg das erste Stück runter. Nach der ersten Linkskurve kommen, wenn Du die erste Zwischenstufe erreichst, rechts zwei Baracken. Davor ist auch ein LKW-Stellplatz. Park da ein. Die Baracken könnt Ihr aber leider nicht nutzen, ist früher zu viel geklaut worden und die sind abgeschlossen. Für externe Fahrer steht da ein Dixiklo.“ Vielen Dank auch, liebe Kollegen. „Bleibt direkt beim Fahrzeug, es sind nachts nur der Sicherheitsdienst und der Sprengtrupp auf dem Gelände. Sollte man beiden besser nicht bei der Arbeit begegnen.“

Immerhin kannte Davey „wilde“ Außenübernachtung schon aus dem Praktikum. Im Sommer hatten wir nicht einmal überall ein Dixiklo. Ich machte mich bettfertig, klappte das obere Bett für Davey runter, packte meine Reisetasche mit allem, was nicht in die Fächer gepasst hatte, auf den Fahrersitz und legte mich dann unten in mein eigenes Bett.

Am nächsten Morgen gab es dann zwangsweise nur eine Ladung Wasser ins Gesicht und Fertig-Porridge aus der Mikrowelle mit frischem Apfel. Bis das Licht reichte, die Kiste abgeladen war und wir wieder auf dem Weg waren, zeigte die Uhr aber trotzdem schon 8:42 Uhr. Nächstes Ziel war Oban und das Wetter war heute auch besser.

Zu früh gefreut. Als wir auch dort ab- und auch die ersten Paletten für den Süden wieder aufgeladen hatten, ging es weiter Richtung Norden und noch bevor wir die enge, ampelgeregelte Connel Bridge überquerten, setzte wieder Regen ein, der bis um die Mittagszeit anhielt.

Die Mittagspause verbrachten wir an einer kleinen Tankstelle am Loch Ness. Auch hier gab es leider keine Dusche, also durften wir weiter unseren Schweiß vom Be- und Entladen mit Deo übernebeln. Und damit wir nicht aufhörten zu schwitzen, stand eine kleine Einlage mit Eimer und Schwamm auf dem Programm, um den Steinbruchstaub vom LKW zu kriegen.

In Inverness sollte noch ein kräftiger Schweißausbruch dazu kommen. Ich fuhr nichts Böses ahnend in einen Kreisverkehr ein. Ob der Fahrer des Volvos eines Arcese-Subunternehmers was Böses dachte oder an etwas, das ihn vom Verkehrsgeschehen ablenkte, würde ich wohl nie herausfinden. Jedenfalls preschte er knapp vor uns in den Kreisverkehr. Ich ging voll in die Eisen und hatte meine Mühe, die trotz ABS aus dem engen Bogen drückende Zugmaschine in der Spur zu halten. Die Kabine kippte nach vorne, auf dem zu allem Elend durch den Winkel direkt am potenziellen Einschlagpunkt liegenden Beifahrersitz schrie Davey in Panik.

Wenige Zoll vorm Einschlag knallte die Kabine aber mit einem heftigen Ruck zurück in die Federn, unsere Fuhre stand unbeschädigt mitten im Kreisverkehr. Da merkte man, dass Brembo Rennsportqualität auf die Straße brachte. Mit dem Magnum aus Bochum und seiner laschen Bremsanlage wären wir jetzt nicht zu knapp in dem Arcese-Trailer eingeschlagen.
Davey war ziemlich blass um die Sommersprossen, die schwarz gefärbten Haare betonten das auch noch. „Alles in Ordnung?“ Er antwortete nicht, sondern nickte nur. Ich griff in den Kühlschrank und holte eine Flasche Irn Bru raus. „Trink mal was davon.“ Eine Ladung Koffein schien mir angebracht. Dann legte ich den ersten Gang wieder ein und fuhr, zugegebenermaßen mit zitternden Beinen, weiter. Auch ich nahm mir eine Flasche Irn Bru aus dem Kühlschrank.
„Wie oft kommt so was vor?“ „Mit so einem schweren Gegner zum Glück selten. Meistens sind es PKW. Da ist dann zumindest für Dich selbst der Einschlag harmlos, schlimmstenfalls eine neue Lampe oder Frontschürze. Nur der Schreibkram ist lästig. Ich bin jetzt schon einige Jahre unfallfrei.“ „Hattest Du schon mal einen schlimmen Unfall?“ „Nein. Nur Blechschäden und alle Jahre wieder so eine knappe Nummer wie eben. Bei im Schnitt 80.000 Meilen im Jahr als Einzelfahrer bleibt das nicht aus. Und in Doppelbesatzung bin ich sogar 120.000 Meilen im Jahr gefahren und wir haben es für zwei Mann immer noch gemütlich angehen lassen. Der einzige LKW, den ich beim Fahren verloren habe, war ein Motorplatzer. Aber leider sieht man immer wieder schwere Unfälle. In Italien war ich vor fast 2 Jahren sogar mal Ersthelfer bei einem direkt vor mir umgekippten LKW.“ Was denn wohl Dario und Sebastiano inzwischen machten? Der Kontakt war eingeschlafen.

Wir fuhren inzwischen weiter nach Norden. „19 Uhr und die Sonne geht unter, jetzt merkt man doch, dass es Herbst wird.“
„Wieso?“ „Früher war ich auch mal im Sommer hier oben. Da geht die Sonne erst gegen 23 Uhr unter und um 3 Uhr schon wieder auf. Richtig dunkel wird es dann auch nicht. Im Winter scheint dafür die Sonne natürlich auch nur 4 bis 5 Stunden und es ist mittags noch recht dämmrig. Die Nordküste Schottlands liegt fast so weit nördlich wie Stockholm.“

Nachdem wir auch in Wick einige Fracht ab- und andere wieder aufgeladen hatten, ging es noch nach Scrabster zur Fähre. Nach der letzten Nacht hatte ich noch ein Hotelzimmer gebucht. So kamen wir wenigstens in den Genuss einer Dusche.

Morgens setzten wir mit der Fähre über nach Stromness. Es ging nach Kirkwall, wo wir die letzten Paletten aus Deeside los wurden und dafür andere drauf bekamen. Und bei der ersten Ladestelle gab es auch ein Bisschen Ladung fürs Kabinenfach, denn wir waren in der Highland Park Distillery. Während wir auf die Ladung warteten, hieß es mal wieder putzen, weil es gestern auf dem Weg nach Scrabster noch mal geregnet hatte und heute Morgen keine Zeit mehr war.
Ein Bauernhof in Evie war die letzte Ladestelle auf den Orkneys. Auf dem Weg zurück nach Stromness ging es an gemütlichen Häusern vorbei, viele davon waren Ferienhäuser. Wenn man als Inselbewohner reif für eine ruhigere Insel war, dann war das hier definitiv ein Anlaufpunkt für einen kleinen Abschalt-Urlaub.

Weil es nach der Überfahrt mit der Abendfähre noch dreieinhalb Stunden Schichtzeit hatte, fuhr ich gleich ab Scrabster weiter Richtung Süden. Inverness sollten wir noch schaffen. Und wir schafften es auch. Bei DHL konnten wir noch aufladen und durften uns dann für die Nacht in eine Ecke vom Hof stellen.

Um 7 Uhr durfte ich am Donnerstag wieder fahren. Es ging wieder an Loch Ness vorbei. Mit einer Pause am Straßenrand war das Tagesziel heute Carlisle. Wir konnten nachmittags noch laden und dann suchte ich uns einen Stellplatz im Gewerbegebiet. Auf dem Hof von Hellmann war es zu eng, um mehr als die wartenden LKW unterzubekommen.

Der Freitag führte uns über Umwege ans Ziel. Erst einmal ging es quer über die Pennines nach Newcastle, wo die letzte Beladestelle der Tour war. Dann fuhren wir nach Manchester, wo die ersten Paletten entladen wurden. Den Rest nahmen wir mit nach Deeside, dort konnten sich dann Gary und Rafal damit beschäftigen und die Paletten auf die Touren der kommenden Woche und unsere Subunternehmer zu sortieren. Für uns hieß es noch einmal LKW putzen und dann kam er in die Halle, wo wir ihn ausräumten, damit Luke sich nach unserem Urlaub drin einrichten konnte.


24.09. bis 02.10.2016

Am 28.09. wurde mein Vater 70. Es standen außerdem Judiths und Marlons Hochzeit und der 95. Geburtstag meines Großvaters auf dem Programm. Wir waren also 2 Wochen nicht da. Luke stand vorm Kühlschrank: „Da können wir aber heute Abend reinhauen. Käse, ein Rest Braten, die Erbsen von Sonntagmittag, der Rest Brot muss auch noch weg und ich habe gestern die letzte Paprika nicht gegessen.“
„Versenken wir alles in einer braunen Soße und machen daraus eine Fridge-Bottom-Pie.“ „Du bist auch Kühlschrank-Bodensatz. Du hattest schon mehr Respekt vor der britischen Küche.“ „Respekt hin oder her. So sind wir’s los. Außerdem sind die meisten Nationalgerichte, auf die sich jeder Tourist stürzt, von Smörrebröd über Pizza und Paella bis Nasi Goreng eigentlich mal nichts anderes als Resteentsorgung gewesen.“
Ein Forumskollege aus Ostdeutschland hatte mir auch die Tage sein Soljanka-Rezept geschickt, das er mal mit „ausgefegtem Kühlschrank und Letscho“ zusammengefasst hatte. Die größte Herausforderung beim Nachkochen würde es wohl werden, hier in Nordwales an Letscho zu kommen. Immerhin gab es drüben in Cheshire ein paar polnische Läden, wo es einen Versuch wert war. Trotzdem war Letscho schon in Nordrhein-Westfalen eine Herausforderung gewesen.

Schließlich fuhren wir am Dienstag mit dem Range Rover über Hull mit der Fähre auf den Kontinent und am Mittwoch weiter nach Marsberg. Der Geburtstag meines Vaters war ein typisches, großes Familienfest, man traf die nähere und entferntere Verwandtschaft mal wieder und es gab leckeres Essen.

Danach stand schon die nächste Feier auf dem Programm. Am 29. fuhren wir also gleich weiter nach Bochum. Abends war Judiths und Marlons Polterabend. Die Nummer war bei Spediteurshochzeiten schon klar. Irgendwann fiel dem Brautpaar auf, dass Maxim und Tomas fehlten. Bei dem Quatschkopf Maxim war das nicht wirklich beruhigend. Und es wurde noch beunruhigender, als man einen Iveco Cursor 13 durch das Wohngebiet in Herne grummeln hörte, wo Judith und Marlon lebten. Schließlich tauchte die Zugmaschine auf, dahinter hing ein Muldenkipper. Es war Tomas Zugmaschine, mit beiden Jungs drin.
Tomas hielt vor dem Haus an und öffnete die hydraulische Mulde. Deshalb auch sein LKW, denn der hatte einen Nebenantrieb und Maxims Kühlermaschine nicht. Direkt hinter der Klappe versperrte ein altes Küchenregal voll mit Geschirr die Sicht auf den Rest der Mulde.
Der Motor brüllte auf, als die Hydraulikpumpe ansprang und die Mulde anhob. Die ersten Tellerstapel kippten aus dem Regal und fielen auf die Straße. Dann rutschte das ganze Regal und mit einem lauten Krachen ging das Geschirr zusammen mit dem Holz zu Bruch. Es war mehr als das übliche, einzelne Kaffeegedeck, das sonst auf den Mulden stand, aber sie kamen glimpflicher davon als die Paare, bei denen die ganze Mulde mehr oder weniger voll war. Trotzdem war ich froh, dass das britische Hochzeitsprogramm keinen Polterabend kannte.

Eine Frage, auf die ich auch so langsam eine Antwort brauchte, war die nach meinem Trauzeugen im November. In den vergangenen Tagen hatte ich meine Schwester noch nicht gefragt, selbst wenn ich zuerst an sie gedacht hatte. Auch auf Steven war ich schnell gekommen. Keith war mir ja von Luke „weggeschnappt“ worden. Und am Ende stellte ich die Frage, einem Bauchgefühl folgend, jemand ganz anderes: „Timo, würdest Du im November mein Trauzeuge sein?“ Er war von der Frage sichtlich überrascht, aber sagte schließlich zu.
Mit meiner Schwester verstand ich mich gut, aber durch meine inzwischen über 15 Jahre Abwesenheit, teilweise sehr weit weg von zu Hause, hatten wir uns verglichen zu früher voneinander entfernt. Außerdem war ich aus dem Grund auch nicht ihr Trauzeuge gewesen. Als sie heiratete, lebte ich auch in Wales. Steven war ein guter Freund und Geschäftspartner, aber dennoch kein enger Vertrauter mehr.
Ich hatte Timo das erste Mal damit geholfen, ihn einzustellen. Ich hatte ihm seine Fehltritte verziehen. Ich war für ihn, ohne es zu wissen, als Ratgeber da, als er seine Beziehungskrise mit Ilarion hatte. Und als sie Ilarions Familie die Wahrheit erzählen wollten, war ich es wieder.
Umgekehrt hatte Timo mir in unserer WG den meisten Trost gespendet und Kraft gegeben, als es mit Chris in die Brüche ging. Er hatte sich, als die ganze Firma auf der Kippe stand, bereiterklärt, mit mir den Neuanfang in Schottland zu machen, zu dem es am Ende nicht kam. Und auch er hatte mir mein blödes Verhalten in unserem Katz-und-Maus-Spiel sofort verziehen. Bei ihm gab es irgendwie dieses besondere Vertrauen, das es für diese wichtige Aufgabe brauchte. Auch wenn er 14 Jahre jünger war als ich.

Am Freitag konnten wir uns von der doch recht anstrengenden Feier erholen. Vor allem für die Leber war so ein Polterabend anstrengend. Samstags dann hatten sie zuerst die standesamtliche Hochzeit und danach die kirchliche angesetzt. Wir warteten mit der Gesellschaft vorm Standesamt. Die Kirche war nur ein Stück die Straße runter, also gingen wir zu Fuß. Als die Zeremonie zu Ende war und das Brautpaar raus kam, stand ein Audi A8L als Hochzeitskutsche bereit.
„Ach ja. In Deutschland gibt es eben erschwingliche Luxuslimousinen aus dem eigenen Land zu mieten.“ Luke hatte einen Mangel an Großbritannien entdeckt, die Luxuslimosuinen-Industrie. „Bei uns muss man entweder mit einem Importmodell aus Deutschland vorlieb nehmen, einen normal langen Jaguar nehmen oder gleich richtig für einen Rolls Royce mit Fahrer zahlen.“ „Gibt es Coleman-Milne eigentlich noch? Die gestreckten Granadas und Scorpios aus den 70ern und 80ern fand ich immer genial. Vor allem dieses schräge Ding auf Basis vom Granada Mark 1 Coupé.“ „Die verrücktesten von denen waren die Rover Montegos. Gestrecktes Handelsvertreter-Modell, auf so was muss man erst mal kommen. Die Firma gibt es noch, macht aber keine Luxuslimousinen mehr. Nur noch Leichenwagen und Shuttle-Limousinen mit drei Sitzreihen.“
Für den Moment stand aber Range Rover Sport auf der Agenda und vor dem stand ein Ford im Weg: „Timo, Handy weg und ausparken, wenn ich bitten darf! Deine Rennsemmel steht so ein Bisschen im Weg!“ Mit den anderen in der Kolonne fuhren wir hupend durch die Stadt zur Gaststätte, wo die Feierlichkeit stattfinden sollte.
Es war eine schöne Feier. Kalorien sollte ich in dieser und der nächsten Woche aber besser nicht zählen. Hoffentlich auch eine schöne Feier hatte Davey, der heute 18 geworden war. Ich konnte ihm nur einen Glückwunsch per WhatsApp schicken. Am Montag hatte er dann seine erste Fahrstunde.


03.10. bis 09.10.2016

Die Flitterwochen gingen für Judith und Marlon nach Wien und zumindest Julian und ich waren auf der Anreise auch dabei, denn es stand dabei auch ein dienstlicher Termin auf der Agenda. Luke fuhr schon mal zu meinen Eltern. Wir trafen in Wien noch Steven.

Am Montag musste Marlon sich dann mal von seiner Frau trennen. Er drückte ihr die Kreditkarte in die Hand und meinte: „Kauf Dir was Schönes.“ Steven trumpfte als erfahrener Ehemann auf: „Klassischer Anfängerfehler. Gib Deiner Frau niemals – ich wiederhole niemals – Deine Kreditkarte und sag „Kauf Dir was Schönes!“ Wir mussten lachen. Insbesondere weil Julian und ich wussten, dass Judith jeden Euro noch zweimal mehr umdrehte als es Marlon eh schon tat, bevor sie ihn ausgab.

Für uns ging es mit der S-Bahn raus nach Perchtoldsdorf und in Felix Firma. Dort traf ich erst mal ein für Felix Firma neues Gesicht, das mir aber schon mal begegnet war. Jan hatte sich also von seinem alten Brötchengeber losgesagt und bei Felix angefangen. Er hatte Frachtpapiere in der Hand und ging zu der Actros MP3-Solomaschine.

„Hallo Jan.“ „Nu guck mal einer da. Hallo Eric.“ „Wenn Du hier arbeitest, kannste auch Ricky sagen. Hast Du Dich also für Felix entschieden?“ „Ja. Ich hatte noch zwei Einladungen nach Sachsen. Der eine war mir aber verdächtig. Der Scania Streamline, den ich kriegen sollte, hatte einen Jahresschnitt jenseits von gut und böse. Da muss man eigentlich Lenk-, Ruhezeiten und Tempolimits für überschreiten, um das zu schaffen. Oder fremde Männer in seinem Bett ertragen und sich den Wagen teilen. Und beim anderen habe ich bei der Fahrzeugfrage ein Bisschen provoziert und bin so aus dem Bewerbungsverfahren rausgeflogen.“
„Wie das?“ „Ich sollte einen Scania Serie 4 bekommen. Weil ich seit Jahren auf direkte Fragen gesagt bekommen habe, dass es bald einen modernen Wagen gibt, um mich ruhig zu stellen und als ausgebildeten BKF ans Unternehmen zu binden, habe ich durch eine Bemerkung angedeutet, dass ich bei alten Fahrzeugen skeptisch bin. Wenn ich da direkt nach gefragt hätte und das so ein Altautoverschieber ist wie Bogenhofer, dann hätte er mir ja genauso direkt antworten müssen und mit dem gleichen Honig kommen können, wenn er seine Firma nicht schlecht da stehen lassen wollte oder um jeden Preis ausgebildete Fahrer brauchte. So hätte er mir dann erklären können, dass er eine Imageflotte mit älteren aber gepflegten Modellen aufbaut und mir so einen auch mal zeigen können. Hat mich aber stattdessen direkt ausgesondert. Unsere Absagen sind uns aber dann wohl bei der Post entgegen gekommen, denn als ich die von der Firma bekam, hatte ich selbst schon eine abgeschickt.“
„Und wie ist Dein Abgang in der Chefetage angekommen?“ Ich grinste breit bei der Frage. „Bogenhofer hat die Kündgung als persönliche Majestätsbeleidigung und Hochverrat aufgefasst. Nach allem, was er für mich getan hätte. Blabla. Und Chris hat erst mal mit den Schultern gezuckt nach dem Motto „Reisende soll man nicht aufhalten“ und wollte nur wissen, wo es hin geht. Dann ist er aber dafür komplett ausgerastet, als ich gesagt habe, dass ich zu Transalpin wechsele.“ Das war ja nun nicht weiter verwunderlich. „Na dann gute Fahrt. Wo geht es hin?“ „Danke. In die Toscana.“ „Schöne Gegend. Viel Spaß da unten.“ Er warf den Motor an und setzte die Maschine unter den Trailer zurück.

Für Marlon, Julian und mich ging es dann zu Felix in den Besprechungsraum. Wir wurden uns schnell einig. So bekamen wir in unserem Netzwerk eine Anbindung nach Österreich und in die Nachbarländer Tschechien, Slowakei, Ungarn, Slowenien und Italien. Dazu lagen Bayern, Hessen, Teile von Baden-Württemberg, Thüringen und Rheinland-Pfalz plötzlich am Weg von Pendelfahrten, anstatt extra Fahrten von Neuss, Bochum und Paderborn aus nach Süden zu verlangen.

Danach überließen wir Marlon seiner Frau und er durfte seine Hochzeitsreise genießen. Julian flog zurück nach Düsseldorf und ich stieg mit Steven in eine Maschine nach Paderborn, wo mich Luke abholte und nach Marsberg brachte. Die Woche über waren wir bei meinen Eltern und am Freitag hatte mein Großvater zum Ende der Reihe von Feierlichkeiten den 95. Geburtstag. Weil meine Schwester, mein Schwager und auch einige Verwandte mehr arbeiten mussten, feierte er aber am Wochenende. Weil er nicht mehr so viel Unruhe haben wollte, war es allerdings ein kleinerer Kreis aus der engsten Verwandtschaft.

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