Kapitel 64 – So machen es die Engländer

Juli 2021

Nach einem dann doch recht normal und eben ohne Einweisung eines Kollegen verlaufenen Juni stand schon wieder ein kurzer Urlaub für Anfang Juli auf dem Plan. Da es vorher nicht geklappt hatte, uns in San Diego zu treffen, fuhr ich nun mit Alex nach San Leandro zu Randy. Um Spritkosten zu sparen, hatten wir den Cruze genommen, aber wechselten uns am Steuer natürlich ab.

Am Sonntag, dem eigentlichen Independence Day, waren wir bei Pacifica – aber nicht wie die meisten Besucher da zum Surfen. Dabei trafen wir auch Randys Kumpel Andrew. Die beiden hatten sich im Studium kennen gelernt und er teilte unser aller Hobbys Urban Exploration und Freerunning. Andrew arbeitete inzwischen als Grafikdesigner in San José für einen bekannten Hersteller von Mobiltelefonen, Tablets, Computern und allerlei anderen technischen Gimmicks. Nun wusste ich also, wem ich meinen aktuellen Sperrbildschirm verdankte.
Ein paar Meilen südlich von Pacifica gab es Bunker aus dem zweiten Weltkrieg, um die Japaner abzuwehren, sollten sie eine Invasion des amerikanischen Festlands wagen. Während man den einst im Fels gelegenen Devil’s Slide Bunker, der heute eher wie eine Aussichtsplattform mit schon teils überhängendem Fundament auf einem erodierten Felsen stand, einfach erreichen konnte, mussten wir für die anderen Bunker auf einer Felsnase weiter nördlich einen Zaun umgehen und dann auf dem Präsentierteller eine 200 ft. lange Treppe rauf rennen, ohne dabei gesehen oder zumindest der Polizei oder den Park Rangers gemeldet zu werden.

Wir waren anschließend durch San Francisco nach Norden, über die Golden Gate Bridge und ans Ostufer über die Richmond Bridge gefahren. Unser Abendessen war ein Picknick-BBQ im Miller-Knox Park von Richmond. Die Zeit bis Mitternacht verbrachten wir mit der Exploration einer leerstehenden Lagerhalle direkt neben dem Parkplatz, nachdem es sich als unmöglich erwiesen hatte, trockenen Fußes auf den alten Fähranleger zu kommen. Und für nassen Fußes war es uns zu kalt, denn es waren für Kalifornien im Juli geradezu winterliche 17 Grad und es sollte kälter werden in der Nacht. Beim Doppelten wären wir wohl hingeschwommen. Auch vom Dach der Lagerhalle war der Ausblick auf San Francisco und Oakland gleichzeitig für das Feuerwerk aber unschlagbar.

Am Montag, wo nun alle sich auf die Sehenswürdigkeiten stürzten, nutzten wir die relativ ausgestorbenen Gewerbegebiete. Auch Andrew war wieder gekommen und so machten wir zum Beispiel die alten Silos und die Zementverladeanlage an Pier 92 unsicher – wobei die eher uns unsicher machte, denn da musste man schon sehr genau aufpassen, wo man hin trat, wenn man nicht abstürzen wollte. Der Zustand war wirklich schlecht. Ganze Betonplatten waren schon durchgebrochen und aus dem Anleger ins Hafenbecken gefallen.
Anschließend ging es nach Santa Clara, von wo man mit einer kleinen Wanderung auf der Union-Pacific-Nebenstrecke nach Drawbridge kam, eine Geisterstadt im Sumpfland der südlichen San Francisco Bay. Das Abendessen kochte uns Andrew bei sich in der Wohnung, der als zu einem Viertel Filipino wohl von seiner Oma einige regionale Kochkünste übernommen hatte.

Den Dienstag vertrieben wir uns noch mit Randy beim Sightseeing, nachdem nun viele Leute wieder arbeiteten, die Besucher somit abgereist waren und sich der Andrang auf für einen Sommertag in San Francisco übliches Maß eingepegelt hatte. Alex war noch nie in San Francisco gewesen.
Mittwoch musste dann auch Randy wieder arbeiten, Alex und ich verbrachten ihn auf der Straße, denn selbst mit dem PKW musste man knapp 6 Stunden plus Pausen bis Medford rechnen.

Das kommende Wochenende hatte ich dann natürlich außen gewonnen. Brian ließ mich bis einschließlich Sonntag fahren, dann den Montag resetten und Dienstag bis Samstag stand die Rückreise an, so dass ich am Sonntag wieder Reset hatte.
Den konnten wir dann auch nicht allzu weit von der Waschmaschine entfernt verbringen. Daher stand bis auf eine kleine Runde für 2 Stunden mit den Motorrädern vor allem Garten auf dem Programm. Alex hatte an seinen einsamen Feierabenden angefangen, den mal umzugestalten und auf Vordermann zu bringen. Überwuchernde Sträucher hatte er zurückgeschnitten oder gleich raus gerissen. Dabei hatte auch mein Silverado mit der Anhängerkupplung gute Dienste getan. Wenn Amerikaner gärtnern… Nun war die Rasenfläche gefühlt deutlich größer und statt des Strauchdickichts gab es Beetstreifen mit Stauden an den Zäunen entlang.


Montag, 19.07.2021

Brian hatte es angekündigt und der Toyota 4Runner auf dem Parkplatz hätte es sowieso verraten. Brian war nicht alleine, als ich zur Arbeit kam. „Hallo. Brandon, das ist unser neuer Fahrer Raymond. Raymond, unser Senior Driver Brandon.“ „Sagt einfach Ray!“ Ich bekam mal wieder diesen taxierenden Blick zu spüren, wobei Ray maximal so alt sein sollte wie ich selbst. „Senior? Wie alt bist Du denn und wie lange fährst Du?“ „Ich bin 26 und fahre seit 7 Jahren. Warum?“ Okay, das „Warum“ konnte ich mir denken. Ray sah weniger überrascht sondern eher erleichtert aus. „Gott sei Dank, ich dachte schon…“ „Was dachtest Du?“ „Bei C.R. England haben sie mir zur Einarbeitung einen auf den Truck gesetzt, der jünger war als ich, die CDL 2 Monate vor mir bestanden hatte und mir nix beibringen konnte, weil er gar nicht wirklich mehr wusste als ich.“
Brian sah recht schockiert aus. „Nein, Brandon ist seit 2016 erst bei CAT in meiner Dispatch-Gruppe gefahren und dann, nachdem ich hier übernommen habe, zu mir gewechselt. Ich würde mich schämen, wenn ich Dir jemanden über die Schulter schauen lassen würde, der keine Erfahrung hat. Und wenn ich niemanden mit Erfahrung in der Firma hätte, würde ich niemanden einstellen, der angelernt werden muss.“
„Über die Schulter? Er fährt also auch nicht?“ „Nein, er beobachtet Dich nur, erklärt Dir Sachen und weist Dich ein. Du kennst weder die Isotrak-Software noch bist Du jemals RGN-Trailer gefahren und erst recht keine Baumaschinen. Fährt der Instructor, der eh nichts zu instruieren hat, bei England auch noch?“ „Ja. Wenn ich gefahren bin, hat er geschlafen und anders rum. Und das in einem Single Bunk Cab, damit nicht nur der Motor sondern auch das Bett immer warm bleibt. Eigentlich war das nur durch die Hintertür eine Doppelbesatzung, damit der Truck immer rollen kann.“ Brian schüttelte nur noch den Kopf.

Wir bekamen unsere erste Anweisung wie immer persönlich, es sollte mit dem zweiachsigen RGN und einem Bulldozer von einem Sierra-Pacific Holzfällercamp mitten im Wald – wo auch sonst? – zwischen Takilma und Browntown abseits der US199 losgehen. Das gute Stück sollte nach Santa Cruz und Auftraggeber waren unsere alten Freunde bei Caterpillar.
Erst mal stellten wir E-Log und Isotrak für Ray ein, dann sollte er ankuppeln: „Wie komme ich unter den Trailer?“ „Leer einfach so. Der Rahmen ist hinten angeschrägt und drückt den hoch bis zur Sattelplatte. Beladen auch nicht anders, nur mit etwas – Betonung auf ‚etwas‘ – Anlauf.“ Ray setzte zurück und traf den Trailer gut mittig. Ich brauchte nicht wirklich einweisen.
Die Beifahrerperspektive in einem Truck hatte ich mit einer Ausnahme noch nie wirklich inne. Bei Costco waren die Fahrlehrer aus der Firma und hatten quasi alles was ich damals als Day Driver wissen musste, auf dem Hof und mit leerem Trailer im Stadtverkehr gemacht. Danach musste ich alleine klar kommen, was mit 19 auch keine viel bessere Methode war. Seitdem war ich immer alleine gefahren. Nur das eine Mal, als der erste LoneStar abgebrannt war, hatte ich mit Evan einen Shared Bunk Team Trip gemacht, mit dem Ziel schneller heim zu kommen, zumal wir Evans Umweg, um mich aufzusammeln, aufholen mussten. Und ich konnte auch schlafen, während er fuhr, weil ich ihm so weit vertraute. Auch wenn er zu der Zeit den Führerschein erst ein Jahr hatte, war ich mir zumindest sicher, dass er gut genug fahren konnte, um uns sicher ans Ziel zu bringen. Wenn da jemand gesessen hätte, bei dem man noch die Unterschrift auf dem Führerschein verwischen konnte, hätte ich vermutlich kein Auge zu bekommen.

Manuell schalten war für Ray eine kleine Herausforderung, an der er schon auf dem Hof scheiterte. „Oh Mann! Ich bin in meinem ganzen Leben noch nicht Schalter gefahren! Motorräder mal ausgenommen.“ „Und dann gleich ein unsynchronisiertes Fuller. Glückwunsch! Mit einem Kegelzuggetriebe hat das außer dem Namensteil ‚Getriebe‘ mal gar nichts gemeinsam. Lass mich mal kurz.“ Ich setzte mich auf den Fahrersitz und erklärte per Vorführung, wie man das Fuller schaltete, während ich auf die ruhige Straße vor der Firma zog, damit es für die obere Ebene reichte. „Und jetzt Du.“ Einmal vormachen und insbesondere die gute, alte Regel, dass es umso schwerer wurde, je hektischer man es versuchte, half immerhin schon mal, dass Ray die Fuhre schneller als Schritttempo in Gang bekam. Auch dass man leer beim 18er nur alle hohen Gänge und beladen immer noch ohne Splitter in der unteren Ebene schalten musste, war ein hilfreicher Hinweis gewesen. Sonst hätte er sich vermutlich einmal durch alle Stufen totgeschaltet.

Nach fast 3 Stunden Fahrt, die letzten Meilen auf unbefestigten Waldwegen, waren wir im Holzfällercamp. Der Vorarbeiter zeigte auf die Planierraupe: „Da steht sie. Schlüssel steckt!“ Ray wich die Farbe etwas aus dem Gesicht. „Was denn? Trailer zerlegen und drauf das Ding!“ Ich zeigte Ray, wie der Schwanenhals vom Trailer gelöst wurde. Dann wurde es spannend, nun musste Ray eine CAT D6N fahren. „Du musst in Truckrichtung rückwärts drauf. Mit Räumschild und Motorblock vorne reißt Du die 34,000 Pfund für die Antriebsachsen.“ Das hieß wenigstens aus Sicht der Raupe vorwärts. Zweipedal-Kettenlenkung musste man auch erst mal können und so musste Ray ein paar Anläufe nehmen, bis die Raupe ausgerichtet war und er auf den Trailer fahren konnte. Anschließend mussten wir das Gespann wieder zusammenbauen, die Kriegsbeflaggung anbringen und dann konnte es losgehen.

Die Rückfahrt führte uns bis Medford, wo wir zu Isaac fuhren. „Hallo die Herren, stimmt was mit dem 49X nicht?“ „Doch, aber mit unseren Mägen stimmt was nicht. Wir waren hinter Cave Junction eine Raupe aufladen und sind somit schon seit über 6 Stunden bei der Arbeit und trotzdem zur Mittagspause nur 2 Meilen von der Firma weg. Dazu kommt Bärenhunger. Eigentlich wolle ich Ray nur mal die legendären Sandwiches aus entweder Deiner Frischetheke oder dem Ofen zum Überbacken zeigen.“ Ich kannte die natürlich schon längst.
Nicht nur, dass die Qualität deutlich besser war als bei der für ihre Sandwich-Baguettes bekannten Fastfood-Kette. Hier war außerdem eine ganz besondere Gelegenheit, denn eins davon hatte Isaac seinem Personal eingetrichtert, wie es richtig gemacht werden musste. Wenn er nicht wie heute sowieso mal ausnahmsweise selber in der Tankstelle mit Bistro arbeitete und es dann auch selbst zubereitete: „Was darf es denn sein? Auch wenn ich es mir bei Dir schon denken kann, Brandon.“ „Was eine Frage. Philly Cheese Steak Spezial natürlich. Das solltest Du auch nehmen, Ray. Isaac ist in Philadelphia aufgewachsen und das ist vermutlich das beste Philly Cheese Steak westlich der Appalachen.“ Spezial enthielt angedünstete Paprikawürfel und gebratene Champignons, die im Originalrezept nicht vorkamen.

Anschließend ging es aus Medford weiter nach Süden. Ray musste sich noch sehr aufs Schalten konzentrieren. Und das musste er reichlich, weil natürlich erst die Waage am California Entry Point offen war. Mit diesem Leichtgewicht seiner Klasse als Ladung war das natürlich kein Problem, wir hatten 73,888 Pfund Gesamtgewicht und die Achsgruppen passten auch. Da würde Ray erst einmal eine Zeit und eine Menge kommerzielle Waagen brauchen, bis er auswendig wusste, welche Maschine wie gestellt werden musste. Während wir gewogen wurden, zog über die Empty Lane ein bemerkenswerter Truck. Der Kenworth K100 dürfte so annähernd keine einzige der Öko-Vorgaben von Walmart an seine Subunternehmer erfüllen.

Anschließend folgte noch die Lebensmittel-Kontrollstelle. Wir hatten keine frischen Lebensmittel dabei, also durften wir auch hier schnell und unkompliziert weiter. Die Pit River Bridge qualmte ordentlich, wobei die Ursache ein Museumszug mit Dampflok war, der auf der unter der Straße liegenden Eisenbahn-Ebene fuhr und zum Qualm auch noch lautstark pfiff.

Weil es so schön war, durfte Ray hinter Redding gleich wieder aus einer Waage beschleunigen. Natürlich waren wir noch leichter, weil gegenüber dem Entry Point Diesel fehlte und auch hier durften wir weiter.
Leider reichte die Lenkzeit nicht mehr bis Orland und zum Pilot Travel Center. Also mussten wir schon am Love’s in Corning übernachten. Auch so blieben Ray nur noch 5 Minuten auf der Uhr. Ich hatte nicht mit Brian abgesprochen, ob es in solchen Fällen nicht mehr Sinn machte, wenn ich zu einem „befreundeten“ Truck Stop weiterfuhr. Immerhin gab es hier ein Denny’s, so dass wir das Abendessen auf die Kundenkarten von Pilot-FlyingJ vergünstigt bekamen. Duschen waren leider voller Preis und inzwischen kosteten die auch schon fast 20 Dollar je Person. Wir sparten die uns aber noch auf, denn Ray wollte nach dem Essen noch eine Runde joggen. Ich schloss mich da mal an.

Nach dem Essen und Joggen gingen wir getrennte Wege, wobei die bis zum Ticketautomaten für die Dusche noch nicht wirklich getrennt waren. Ray wollte anschließend mit seiner Frau telefonieren und ging in den Truck. Früh verheiratet, wobei wir noch gar nicht viel über uns selbst gesprochen hatten und ich sein Alter schätzte, während ich selbst der lebende Beweis war, dass das gehörig daneben gehen konnte. Bei Brian im Büro hatte ich erwähnt, dass ich 26 war.
Ich nutzte also die Gelegenheit, mit Alex zu telefonieren, während ich auf allen drei um die Kreuzung versammelten Truckstops mal eine Runde über den Parkplatz drehte und die schönsten Trucks suchte. Die Highlights filmte ich auf dem Rückweg als Rohmaterial für ein Video.


Dienstag, 20.07.2021

Um kurz nach 6 morgens klingelte der Wecker von Rays Handy. „Willst Du Frühsport bei dem Wetter machen?“ knurrte ich ins untere Bett. Es regnete aus Eimern. „Nein. Aber die 24-Stunden-Periode ist um 20 nach 7 rum und ich habe wieder Lenkzeit.“ „Die hast Du in einer Stunde auch noch, sogar mehr davon.“ „Und was sagt Brian dazu?“ „Du wärest der erste, der hier was dafür zu hören kriegt. Wir sollen pünktlich abliefern und uns keinen faulen Tag machen. Aber eine Stunde morgens dreht sich die Erde auch weiter. Außerdem haben wir gestern geladen. Das heißt, Du kannst nicht weit fahren, bevor Du sowieso wieder über die 24 Stunden kommst und dann stehst Du halt anderhalb Stunden.“ „Okay. Wenn Du bei C.R. England nicht ein paar Minuten nach der Pausenzeit wieder unterwegs bist, gibt es einen Satz heiße Ohren am Telefon. Und Ladezeiten auch nicht. Das meiste war drop & hook, also kaum Zeitverlust bei der Ladestelle.“ „Wenn Brian was auf die Nerven geht, wirst Du als erstes eine sarkastische Bemerkung zu hören oder zu lesen kriegen. Da solltest Du dann aber auch drauf achten. Für Klartext übers Telefon oder im Büro muss man sich schon sehr anstrengen bei ihm.“ Zum Beispiel während eines Eifersuchtsdramas in einer Bar besaufen und anschließend Auto fahren wollen.

Schließlich waren wir frühstücken und hatten die PTI im immer noch strömenden Regen erledigt. Nun ging es los in eine weitere Runde „Gänge suchen mit Ray“ auf dem Weg vom Truck Stop auf die Interstate.
Einmal im 18. Gang angekommen wurde es für Ray auch einfacher und er fragte mich ein Bisschen zur Arbeit bei Brian aus. Ich war schockiert von dem, was er dann so erzählte, wie es vorher gewesen war. Die nicht für voll zu nehmende Ausbildung hatte er ja gestern schon zum Besten gegeben und die Überwachung heute Morgen hatte ich auch raus gehört. Aber es gab da noch mehr, zum Beispiel die elende Bezahlung. Ein Burger-Zusammenbauer im Fastfood-Restaurant verdiente mehr als ein Trucker bei C.R. England. Wir wurden bei Brian zwar auch nach Meilen bezahlt, aber konnten davon auch leben. Außerdem bekamen wir den vollen Satz auch für Leermeilen, die Brian uns auferlegte, um an einen anderen Ladeort zu kommen oder wenn wir das letzte Stück leer nach Hause kamen. Wenn sie Dich bei England ein paar hundert Meilen leer schickten, konntest Du Dich als Angestellter nicht dagegen wehren, aber bekamst auch nix dafür, weil es keine Erlösmeilen waren.
Unbezahlt fuhren wir nur nach einem Release. Zum Beispiel damals, als Brian mich in Washington in den Release geschickt hatte und ich noch bis Philadelphia gefahren war, um Caleb zu besuchen. Das war zumindest in Sachen Bezahlung ab dem ersten Truckstop hinter Washington DC mein Privatvergnügen gewesen. Aber den Diesel und den Stellplatz in Philly hatte dennoch die Firma bezahlt. Pauschalen für irgendwas gab es bei England auch keine. Bei uns gab es eine, wenn wir das Beladen oder die Ladungssicherung selbst übernehmen mussten. Wir bekamen auch eine Verpflegungspauschale, wenn wir beim Reset nicht zu Hause waren.
Und letztlich war ja auch die Pilot-FlyingJ myRewards pro eine Art Zusatzbezahlung. Hatten wir doch gestern Abend erst wieder davon das Essen bei Denny‘s mit Rabatt bezahlt. Zwar zog uns Brian die privaten Ausgaben wie eben Essen über die Karte vom Gehalt ab, aber er hätte uns auch die AXLE Fuel Card geben können, für die einfach nur er Geld sparte, wenn wir damit Diesel bezahlten. Mit der myRewards bekamen wir persönlich Rabatt bei Denny’s, kostenlose Duschen auf Pilot und FlyingJ-Truckstops oder konnten mit den gesammelten Punkten auch dort in den Shops und Restaurants der Eigenmarke PJ Fresh unsere Einkäufe, Snacks und Getränke bezahlen. Dass wir auch noch 12 Tage bezahlten Urlaub hatten, war in den USA eine Besonderheit ohne Gleichen.

Um die Mittagszeit, nach knapp 4 Stunden Fahrt, gab es einen kleinen Stau und alles drängelte sich auf die Ausfädelspur. Die Interstate war gesperrt.

„Halt mal an und wink den Officer herbei.“ „Warum?“ „Wir dürfen nicht einfach nur durch die Gegend fahren. Die Route ist vorgegeben.“ „Gut zu wissen. Was wäre, wenn ich irgendwo hätte abbiegen wollen oder das Navi wo anders lang wollte?“ „Das hätte ich dann schon rechtzeitig zu verhindern gewusst. War aber genug Stoff beim ersten Mal Laden und ich denke mit dem Trailer ist das nicht unsere letzte Oversize in dieser Woche, um noch drei Lektionen zu unterrichten.“
„Guten Tag.“ „Guten Tag, Sir! Wir haben ein Route Permit. Gibt es eine Umleitung?“ „Nein, nur über die Querstraße und drüben wieder drauf. Das geht klar. Gute Fahrt.“ „Danke, Sir!“

Scheinbar konnte Ray seinen Stoffwechsel auch abschalten. Denn wir rollten nach fast sechseinhalb Stunden Fahrzeit kurz vor Gilroy durch die Waage und wurden mit den Papieren rein gebeten. Hier nahmen wir dann nacheinander die Gelegenheit wahr, die Toilette aufzusuchen, während der Officer die Unterlagen prüfte.
Der kommentierte unsere Ausflüge in die Sanitärabteilung mit Sarkasmus: „Die Pause scheint ja ein Bisschen überfällig gewesen zu sein.“ „Wo genau zwischen Sacramento und hier, Sir?“ Ray wurde ob meiner forschen Antwort gegenüber dem Ordnungshüter blass. Die Route über I-80, I-580, I-880 und US-101 war notorisch bekannt dafür, dass die einzigen Rastmöglichkeiten an Tankstellen und Fastfood-Restaurants in Gewerbegebieten neben der Strecke lagen, wo wir aber eben mit einem Spezialtransport nicht einfach so hin konnten. Der Officer verzog daher nur das Gesicht, wusste er doch um diesen wunden Punkt der Strecke nur zu gut. Vielleicht hatte er auch nur mal die beiden Greenhorns, die wir optisch waren, testen wollen. Wobei er meinen schon 7 Jahre alten Führerschein inzwischen gesehen haben sollte.
Anschließend gab es eine Fahrzeugkontrolle. Dabei fragte er dann auch, wie wir zusammen gehörten: „Er ist neu in der Firma und ich lerne ihn an, Sir!“ „Wie lange fahren Sie denn schon Oversize, dass Sie ausbilden?“ „Seit 5 Jahren! Vorher bin ich aber im Osten schon ein Jahr Triples und Turnpikes im Stückgutverkehr gefahren, Sir!“ Nachdem er mit allen Antworten, dem Truck und der Ladungssicherung zufrieden war, durften wir weiter.

Noch mal eine gute Stunde später rollten wir vor das Gelände des Baumaschinenhändlers, wo Ray den Truck schon von sich aus am Straßenrand abstellte und mit mir zusammen rein ging zur Anmeldung. Wenn man direkt auf den Hof zog, konnte es passieren, dass man komplett falsch für die Abladestelle stand. Aber da er bei C.R. England auch mal Betriebe mit recht engen Höfen beliefert hatte, hatte er die Lektion schon mit viel Schweiß auf der Stirn gelernt. Anschließend durfte er den Truck auf den Hof fahren und konnte immerhin vorwärts rein und zurückstechen an die Seite. Er nahm unter meiner Aufsicht den Trailer auseinander und löste die Sicherung, die Raupe fuhr der Kunde selber runter.

„Müssten wir nicht erst mal rausfinden, ob wir hier auch wieder laden?“ „Man kann sich bei Isotrak allgemein drauf verlassen, dass es Dir in solchen Fällen noch vor der Ankunft eine Push-Nachricht schickt. Ist bei mir noch nie vorkommen, dass ich das erst hinterher erfahren habe und noch mal den Hals ziehen musste.“ Und wirklich, nachdem alle Sicherungsmittel verstaut waren und wir wieder im Truck saßen, gab es die neue Order.

PICKUP: CASCZ-JDE
DESTIN: NMGUP-XYZ
TRAILER: LB008
LOAD: HARVESTER
WEIGHT: 44,000
EXCEEDINGS: WIDTH-HEIGHT
REMARKS: ROUTE PERMITS CA-AZ-NM
DISPATCH: ORMFR-PCT-BRW

„Was ist das denn für eine Sprache?“ „Isotrakisch. Die Codes lernst Du mit der Zeit. Im Zweifel einmal drauf drücken und es kommt die Langversion. CASCZ ist Santa Cruz, Kalifornien und NMGUP ist Gallup, New Mexico. JDE ist ein John Deere Händler. XYZ irgendein kleiner Betrieb ohne eigene Kennung. Trailer LB008 haben wir eh dran, LB heißt Lowboy. Wir haben auch noch RF wie Reefer, FB wie Flatbed und BX wie Boxvan. Weil sie nach dem Wochenende alle brav nebeneinander auf dem Hof stehen, ist die Nummer auch von vorne sichtbar aufgeklebt. Wir transportieren einen Mähdrescher, der 44,000 Pfund wiegt, zu breit und zu hoch ist. Dazu bekommen wir mit den Unterlagen beim Verlader gleich Route Permits, die wir dann auch prüfen müssen. Die gelten in den aufgelisteten Staaten und schreiben eine Strecke vor. Das ganze schickt uns natürlich der in Medford, Oregon bei der Firma Pacific Coast Transport sitzende Brian Woods. Die letzte Zeile ist fast immer so. Wenn Brian mal eine Auszeit nimmt, kann am Ende stattdessen EVP stehen. Das ist dann Evan, der eigentlich auch fährt, aber mal Dispatcher bei CAT war, das Modul dafür auch kennt und deshalb den Account dafür hat.“ Jetzt drücken wir mal „Ziel übernehmen“ und dann weiß das Navi sofort, wo wir hin wollen.“ Beim Einstellen des Systems war der vorherige Auftrag irgendwann mal einfach dazwischen geplatzt, nachdem sich Ray angemeldet hatte und ich hatte es dann einfach kommentarlos ans Navi überspielt, weil es die eigentliche Erklärung störte.

Nun fuhren wir los und Ray wunderte sich über die Entfernung und Fahrtdauer zum Ziel. „Wieso denn fast anderthalb Stunden? So groß ist Santa Cruz ja auch nicht.“ „Es ist nicht jedes Dorf da drin, oft kriegst Du den Code der nächsten größeren Stadt angezeigt.“ Ich drückte auf den Abholer im Isotrak-Display und in der Tat war die Adresse im kleinen Dorf San Gregorio, ungefähr die halbe Strecke nach San Francisco.

Nach dem Aufladen ließ ich Ray das Monstrum erst einmal mit der Richtlatte vermessen. Dann folgte das Navi-Programmieren. Denn die schnellste Strecke wich vom Permit ab. Wir sollten laut Truck die I-5 bis Buttonwillow und von dort den kurzen Abschnitt über Land nach Bakersfield. Das Permit wollte aber, dass wir der CA-152 bis auf die CA-99 nach Fairmead folgten und dann die bis Bakersfield fuhren. „So, wie erwartet nun die Lektion zu Route Permits. Eigentlich einfach – das Permit ist Gesetz! Und wenn da steht, dass Du von der Interstate die Abfahrt runter, quer über die Kreuzung und hinten wieder drauf sollst, dann fährst Du das so. Vielleicht passt Du nicht unter der Brücke des State Highway durch oder die Interstate-Brücke über den State Highway trägt das Gewicht nicht. Oder der Typ, der das Permit geschrieben hat, hat vorher einen Clown verschluckt. Das kann Dir aber egal sein. Du fährst was hier steht und nichts anders. Und sollte das nicht gehen, weil plötzlich auf Deiner Strecke eine Baustelle oder ein anderes Hindernis ist, das nicht zu Deiner Fracht passt, bleibst Du stehen und rufst den Sheriff an.“
Vor der Abfahrt gab es noch einen Hinweis: „Ich finde es immer irritierend, wenn es mit Boardmarker auf der Scheibe steht, wie es viele Fahrer machen. Aber schreib Dir irgendwo, wo Du es mit einem Blick siehst, die eben genommenen Abmessungen Deines aktuellen Gespanns hin, wenn es so ein Brocken ist und Du es nicht kennst. Den CAT D6N hatte ich im Kopf und habe schon aufgepasst, das Teil hier kenne ich aber auch nicht. Ich klebe mir dann immer eine Haftnotiz an die Mittelkonsole., damit es nicht ganz so penetrant im ständigen Blickfeld ist.“

Wir kamen wieder bis ins Gewerbegebiet von Gilroy, eine Viertelstunde Fahrzeit hatte Ray noch. „Und jetzt brechen wir das Gesetz mal. Fahr nicht in die East 10th wie im Permit, sondern schon in die East 7th und hinterm Bahnhof gleich wieder in die Alexander, da parkst Du am Straßenrand und wir machen Schluss für heute.“ „Kriegen wir dann keinen Ärger?“ „Tendenziell für Pause machen nicht. Außer ein Polizist hat wirklich eine Scheißlaune. Auch bei der Interstate müsstest Du ja im Normalfall abfahren und auf einen Truckstop obwohl es nicht im Permit steht.“
Im Einkaufszentrum an der Hauptstraße fanden wir mit dem El Michoacano sogar noch ein vernünftiges Restaurant anstatt Fastfood. Ray hatte bisher immer eher letzteres genommen, weil es bei McDonald’s und Co nun mal die meisten Kalorien fürs Geld gab. Einen Ofen oder so durften sie bei C.R. England nicht betreiben, nachdem überlastete Steckdosen, falsch angeschlossene Stromwandler und außer Kontrolle geratene Kochkünste zu ein paar abgebrannten Zugmaschinen geführt hatten.
Daher war er auch gewöhnt, jeden Abend noch mal Sport zu treiben, um die schlechte Ernährung auszugleichen und ließ sich auch heute nicht vom Joggen abbringen. Ich nutzte die nicht eingezäunte Lagerfläche der Union Pacific direkt zwischen unserem Truck und dem Bahnhof für ein Bisschen Freerunning. So gut war die Idee dann aber auch nicht, denn ohne Duschmöglichkeit und auch ohne einen Wasserkanister roch es hinterher in der Schlafkabine ziemlich streng nach Mann. Neben einer Möglichkeit Essen warm zu machen, legte ich Ray daher auch den in Amerika eher unüblichen Wasserkanister ans Herz. Gerade weil er gerne nach der Fahrt noch Sport trieb.


Mittwoch, 21.07.2021

Das Frühstück stieg bei McDonald’s. Ernährungsphysiologisch war das eine der miserabelsten Wochen seit ich Costco verlassen hatte, wo dank straffer Dispo meistens die Zeit nicht reichte, um sich sinnvoll zu ernähren.
Nachdem wir den halben Tag und Bakersfield hinter uns gelassen hatten, lotste ich Ray auf den Flying-J in Thehachapi. „Und jetzt wird erst mal geduscht.“ „Ja, nötig haben wir es. Auch wenn da wieder 15 Dollar beim Teufel sind.“ „Nein!“ Ich zog einen Kassenbon mit einer Codenummer aus dem Automaten vor den Duschen und gab ihn Ray. „Ich habe meine MyRewards so voll, dass ich eigentlich immer unbegrenzt kostenlose Duschen habe. Wirst Du auch bald haben. Brian will zwar, dass wir so oft wie möglich bei BP oder Conoco-Philips tanken, aber davon gibt es so wenige, dass es meistens doch Pilot-FlyingJ wird.“ In der Zwischenzeit hatte ich mir selbst auch einen Zugangscode für eine Dusche gezogen. Nachdem wir wieder gesellschaftsfähigen Körpergeruch hatten, holten wir uns bei PJ Fresh von meinen Punkten auch noch jeder eine Salatschale.

Anschließend war dann fahrtechnisch nicht mehr viel los. Auch die Botanik betonte den relativ eintönigen Charakter der Strecke.

„Wenn Du sagst, dass Du jetzt 26 bist und Brian meinte, Du hast 7 Jahre Erfahrung, dann hättest Du ja mit 19 angefangen?“ Ich erzählte Ray meinen beruflichen Werdegang, auch wenn ich um die „Sportverletzung“ herumkreiste. „Hast Du bestimmt nicht zum ersten Mal gehört, aber ich hätte eher gedacht, dass Du 23 oder 24 bist.“
„Wie alt bist Du eigentlich?“ „Schätz doch mal.“ „Als Barkeeper würde ich Dich nach dem Ausweis fragen, aber dann kommt der Ehering ins Spiel. Ich würde mal sagen so wie ich, Mitte der 20er.“ „Jetzt kommt der Kracher. Ich bin 31.“ „Okay. Immerhin bin ich beim nächsten Firmen-Essen nicht mehr der einzige, der sich drüber ärgert, dass er sich ausweisen muss.“
„Und die nächste Frage, die gerne kommt, wird dann wahrscheinlich mein militant klingender Nachname.“
Den hatte ich beim Eingeben ins Isotrak gesehen. „Howitzer kommt nicht daher, dass meine Vorfahren mit Haubitzen um sich geschossen hätten, sondern die Kanone saß wohl eher in einem kanadischen Einwanderungsbüro. Mein Vater ist Kanadier und kommt aus British Columbia, die Familie aber ursprünglich aus Österreich. Und ich habe zwar keine Ahnung, was es heißt und hoffe ich spreche es richtig aus, weil ich kein Deutsch kann, aber sie hießen eigentlich Hochwieser und Howitzer war dann das, was der Beamte eingeenglischt daraus gemacht hat.“ „Dann hatten Deine Vorfahren vermutlich einen Bauernhof und der oder zumindest die Wiesen lagen weit oben auf dem Berg.“ „Du kannst Deutsch?“ Ich erklärte Ray, dass ich ein halbes Jahr in Bayern gelebt hatte und fließend Deutsch konnte, bevor ich genauer erklärter, wie sich sein Nachname sprachlich ableitete.
„Wie lange bist Du bei C.R. England gefahren?“ „Etwas über ein Jahr.“ „Okay, und dann lassen die Dich schon raus? Ich dachte man muss sich seinen Schein da zwei Jahre lang verdienen.“ „Den habe ich schon vorher gemacht. Meine Großeltern mütterlicherseits haben ein Sägewerk in Idaho und da war es kein Problem für mich, ein paar Monate lang da hoch zu ziehen, einen Truck und ein paar Straßen durch den Wald zu finden, um zu üben und dann auch direkt zur Prüfung anzutreten. Wir wollten nur nicht dauerhaft aus Oregon weg und ganz da hoch ziehen. Meine Frau ist Lehrerin an der Rogue River High School und müsste erst in einem anderen Staat eine neue Zulassung bekommen.“
„Was hast Du vorher gearbeitet?“ „Als Park Ranger im Oregon Caves National Monument and Preserve. Und die haben massiv Personal abgebaut, als die Pandemie kam. Kinderlos mit der Frau in einem krisensicherem Beruf war ich da vorne dabei.“ Zwar gab es in Amerika nicht solche Vorschriften und Sozialpläne wie in Europa, aber wenn man Personal abbauen musste, wurde schon bei gleichen Fähigkeiten drauf geachtet, dass es keine Härtefälle gab.

Bei einer Waage bekamen wir erstmals den bei Übergröße wertlosen Bypass und ich schickte Ray entsprechend durch die Leerspur der Waage, damit im Zweifel die Beamten uns dennoch raus ziehen konnten, wenn sie einen Grund dafür sahen. Wir wurden aber direkt weiter geschickt.

Der Tag endete auf der Essex Rest Area, wo es aus Mangel an Kochmöglichkeiten Sandwiches gab, die wir auch heute Mittag bei PJ Fresh erstanden hatten.


Donnerstag, 22.07.2022

Das Gebäude der Toilettenanlage, die Überdachung der Sitzecke, die Mauern um die Abfalltonnen und ein paar Findlinge ergaben ein zu schönes Arrangement um es zu ignorieren. Also betrieb ich meinen Frühsport beim Freerunning, während Ray wenig begeistert dabei aussah, ständig 300 yards vor und zurück an diesem Arrangement vorbei zu joggen. Anschließend gab es Frühstück aus unseren Vorräten.
Nach Abfahrt fragte Ray: „Was machst Du eigentlich, wenn Du beim Springen mal umknickst?“ „Was machst Du, wenn Du mal auf einem Stein umknickst?“ „Das kann man Brian sicherlich einfacher erklären.“ „Wenn ich das Video von meiner GoPro auf dem Zweitkanal hochgeladen habe, wird der eine Benachrichtigung über ein neues Video auf einem abonnierten Kanal bekommen. Der weiß das eh alles.“
„Und bei C.R. England musste ich mir die Frage gefallen lassen, ob ich es denn vor dem Hintergrund meine Arbeitskraft zu gefährden nicht sinnvoller finden würde, mein Motorrad zu verkaufen.“
„Cool, ein Motorradfahrer? Was fährst Du?“ „Eine Suzuki DL650 V-Strom.“ „Wäre mir glaub ich ein Bisschen zu hoch geschossen. Dann doch lieber meine Yamaha MT-03.“ „Die alte Einzylinder oder die aktuelle Twin?“ „Eintopf.“ „Auf der dürfte ich mit 6’2” dafür ein komisches Bild abgeben.“ „Na ja, ich komme noch mit der Versys 650 meines Lebensgefährten klar. Und die gilt nicht mal als ernsthafte Reiseenduro. Er ist aber auch genauso groß oder eher klein wie ich.“ „Wir sind eher ein ungleiches Paar. Meine Frau ist auch ziemlich klein. Sie fährt dafür dann eine BMW G310R, auf der ich ziemlich zusammengeknäult aussehe.“

Der weitere Vormittag war ziemlich ereignislos und zum Mittag zogen wir auf den FlyingJ in Winslow (AZ). Weil wir tanken mussten, konnte sich Ray nun auf seine eigene myRewards pro eine Dusche leisten. Anschließend gingen wir bei Denny’s essen, da wir noch nicht wussten, wo wir heute Abend sein würden. Theoretisch musste es die US-491 oder US-191 nach Norden gehen, wenn wir am Samstag in Medford sein wollten und das klang wieder nach Wildcampen. Während wir am Tisch saßen bekam ich aufs Handy eine Textnachricht von Brian: „Ruf mich mal an, wenn Du gleich außer Hörweite von Ray bist.“

Diese Gelegenheit richtete ich dann nach dem Essen noch ein. „Hallo Brian, was gibt’s?“ „Wie macht sich Ray?“ „Soweit ganz gut. Fährt ganz ordentlich und schein froh zu sein, dass bei uns der Wind nicht so hart weht wie bei C.R. England. Nur mit dem Schaltgetriebe hat er sich noch nicht so ganz angefreundet.“ „So lange er es nicht kaputt kriegt.“ „Ein Fuller kriegt man nicht kaputt. Vorher macht das den Fahrer kaputt. Aber so weit wird es nicht kommen.“ „Insgesamt würdest Du aber sagen, dass er dem Job gewachsen ist?“ „Ja.“
„Gut, denn dann hätte ich jetzt eine kleine Spezialfrage. Ihr könnt entweder als Zweimannteam die Woche fertig fahren und seid zu Hause oder Ihr verbringt Rays Reset in Wyoming und kommt zum Wochenanfang dann rein. Allerdings müsstest Du beim Zweier-Team dann den ‚Nobel-Freightliner‘ fahren. Solltest Du aber sowieso mal wenigstens genauer anschauen. Denn Dein LoneStar wird als der letzte nicht-Daimler in die Firmengeschichte eingehen.“
„Was?“ „Ja. Ich werde von jetzt an nur noch Freightliner und Western Star kaufen.“ „Wie lange habe ich den dann noch?“ „4 Jahre Fahrzeugalter oder 400,000 Meilen – was auch immer schneller eintritt.“ Okay, das war die übliche längste Garantie, die die Hersteller gaben. Und es war für viele Erstbesitzer normal, mit dem Ende der mitgekauften Garantieverlängerung die Fahrzeuge zu verkaufen. Bei unseren Laufleistungen war das also eher drei Jahre, sprich bis Mitte 2023. „Alternativ übernimmst Du ihn von mir als Owner Operator oder Lease Operator. Aber jetzt ist erst mal Eure Rückkehr gefragt. Sprich Dich mit bitte schnell mit Ray ab und ruf mich zurück. Ich habe eine Auftragskette an der Angel, der Euch zumindest mal mit Fracht sinnvoll in die Gegend hier bringt.“

Gesagt getan, Ray wollte lieber am Wochenende zu Hause bei seiner Frau sein. Auch wenn sich noch beim Rückruf mit Brian herausstellte, dass das betriebliche Wochenende tendenziell nicht am kalendarischen Wochenende sein dürfte. „Okay, der erste nur bis Utah, aber der Folgeauftrag wird nach Toledo gehen, also fast schon Newport.“ „Das wird dann aber auch zwischen knapp und nichts mit Samstag. Wenn einer im Bett liegt, steht der Truck. Da sind wir uns einig. Wir sparen an der Länge der Pausenzeiten und fahren vier eher kurze Stints. So 13 bis 15 Stunden Lenkzeit am Tag.“ „Okay, dann macht das. Und wenn es nicht reicht, geht es eben erst am Dienstag wieder auf die Straße für Euch. Sicherheit geht vor Tempo, wie immer in dieser Firma.“

Nachdem wir sowieso schon eine Stunde Pause zusammenbekommen hatten und ich erst nach der Abfahrt mit Ray gesprochen hatte, durfte er also auch den Rest bis Gallup fahren. Den Trailer auseinander nehmen mussten wir nicht. Diese Mähdrescher wurden per Kran angehoben und der Trailer einfach drunter raus gezogen. Die Reifen, die mit einem anderen Transport angekommen waren, wurden in der Luft montiert, bevor die Erntemaschine dann abgesetzt wurde. Wir mussten nur die Sicherungsmittel lösen und wegräumen.

Wir wussten ja schon zumindest in Sachen grobe Zielrichtung, was kommt. Genau gesagt war es ein Radlader von Namiq hier in Gallup zu ihrem Steinbruch bei Vernal in Utah.
Und hier musste ich mich nun ans Steuer des „Nobel-Freightliner“ setzen. Enttäuscht von Brians Ankündigung, sich auf die beiden Daimler-Marken festzulegen, funktionierte ich einfach. Während er gefahren war, hatte ich Ray seinen Stick mit hauptsächlich Country and Western stecken lassen. Nun musste er meinen Stick mit Hardrock und Metal dulden. Wer fährt, kriegt seine Musik. Derzeit forderte uns Michael Schenker auf, durch die Dunkelheit zu segeln. Es war schweigsam im Truck.

Ray war ziemlich fertig, nachdem er nicht nur den Radlader gesichert hatte, sondern erst mal hatte auf den Trailer fahren dürfen, wobei er mit einer Knicklenkung auch gleich die nächste Gemeinheit der Baumaschinenindustrie zu spüren bekommen hatte und die ihn an den Rand der Verzweiflung gebracht hatte. Machte die Kettenlenkung wenigstens sofort, was man wollte, kam bei der Knicklenkung auch noch die Trägheit der Hydraulikanlage dazu und er hatte sich fast 10 Minuten alleine mit dem Ausrichten des Radladers befassen müssen. Nicht mal für das schöne Abendrot hatte ich noch Augen.

Kurz nach halb 10 abends zog uns die Waage am Colorado Point of Entry raus. Wir mussten ja ohnehin die Schleife durch das Gelände fahren und da bekam meine Laune gleich den nächsten Dämpfer. Die alte Tankstelle war eingeebnet worden [nicht im Spiel natürlich, aber auf Google Street View]. Und dann kam auch noch die rote Ampel. Immerhin machten sie keine technische Inspektion sondern nur Ladungssicherung und Prüfung der Papiere, was bei einem Einzelfahrer, der heute Nachmittag spontan zum Teil einer Teambesatzung geworden war, schon genug fraglichen Unterhaltungswert hatte. Mein sonst im eigenen Truck auch immer für 2 bis 3 Minuten Zeitverlust gutes Messer lag wenigstens zu Hause im Schrank.

Etwas vor Mitternacht beendeten wir den Tag. Auf ein Abendessen hatte ich verzichtet, Ray hatte irgendwann mal auf dem Beifahrersitz ein Sandwich gegessen und war dort auch schon kurz nach der Waage weggenickt. Mehr schlafwandelnd als wach zog er sich nun um und legte sich ins untere Bett.
In meiner Koje sah ich mir mal an, was ein International LoneStar mit 400,000 Meilen wert war und was das für Raten bei einem Vertrag als Lease Operator zur Folge hatte. Lease Operator war an sich ein ziemlich bescheidenes Modell, aber ich ging davon aus, dass Brian mich nicht wie damals Costco ins finanzielle Messer laufen lassen wollte.


Freitag, 23.07.2021

Die Exxon in Monticello, wo wir gestanden hatten, war 24/7 geöffnet und man konnte dort 7-Eleven einkaufen, denn so einer war im gleichen Gebäude. Also war das Frühstück gesichert. Ray übernahm die erste Schicht. Wir hatten nun nur etwas über 5 Stunden hier gestanden und ich war mir inzwischen sicher, dass ich es riskieren konnte, nun selbst noch mal ein Bisschen auf dem Beifahrersitz vor mich hinzudösen, ohne dass Ray in der Zeit Unsinn machen würde. Ich wurde wach, als wir auf der I-70 East unterwegs waren und gerade die Staatsgrenze passierten.

Die Waage kurz vor der Abfahrt durften wir passieren und nun bekam Ray eine kleine Übung im Kurvenfahren, denn es ging die CO-139 auf den Douglas Pass hinauf.

Den Aussichtspunkt auf der Passhöhe nutzten wir für einen Fahrerwechsel. Ich fuhr uns den Pass wieder runter, wobei die Nordseite eher eine lange Rampe war und deutlich unspektakulärer. Ich war dennoch sehr konzentriert, damit ich nicht in meinen Gedanken über meine Zukunft mit meiner Lieblingsmarke noch den „Nobel-Freightliner“ in den Graben setzte.
Wieder zurück in Utah und mit Bypass an der Waage vorbei war es noch eine Stunde bis wir bei Namiq in Vernal angekommen waren. Während ich den Trailer teilte, die Ladung entsicherte und den Radlader runter fuhr, hielt Ray in der Kabine Mittagspause.

PICKUP: UTVEL-JDE
DESTIN: ORNPO-SPA
TRAILER: LB008
LOAD: CAT D6N
WEIGHT: 39339
EXCEEDINGS: WIDTH
REMARKS: ROUTE PERMIT UT-ID
REMARKS: OR PERMANENT SIZE PERMIT
DISPATCH: ORMFR-PCT-BRW

„Oh, ein paar neue Vokabeln Isotrakisch?” „Nur eine. In Oregon und Washington treiben wir uns so oft mit Oversize rum und es ist wohl relativ unbürokratisch dranzukommen. Deshalb hat unsere Firma da permanente Ausnahmegenehmigungen für Übergröße und Übergewichte. Hat auch den charmanten Vorteil, dass man die meisten Strecken dann im Rahmen von entsprechenden Beschränkungen, die von Isotrak aber aus einer Datenbank bei Bedarf ans Navi überspielt werden, in den beiden Staaten recht freizügig wählen kann. Der größte Knackpunkt ist an sich, dass man in Portland mit Übermaß immer oben auf der Brücke fahren muss. Das kann schon mal dazu führen, dass man Eastbound über die I-5 und Westbound über die I-405 eine Stadtrundfahrt machen muss anstatt nur gerade schnell rüber zu fahren. Diesmal kommen wir aber sowieso nicht da lang.“

Anschließend fuhr ich noch quer durchs County bis zum Baumaschinenhändler und zog den Hals vom Trailer. Ab dann war Ray an der Reihe. Mit der Planierraupe wies ich ihn noch ein, dann ging ich in die Kabine und machte nun mir mein Mittags-Sandwich, während Ray die Ladung in Ketten legte. Anschließend fuhr Ray fast 4 Stunden, sein zweiter Stint brachte uns bis zum Ross Creek Valley Overlook. Dort machten wir nur einen schnellen Wechsel mit Umweg zu den Zaunpfählen, deren Bespannung uns am Zugang zu den dahinter gelegenen Büschen hinderte. Wer anderen einen Zaun aufstellt…

Nun fuhr ich noch und kam erst mal bis zur von mir inzwischen regelmäßig als „Point of Exit“ verspotteten Northbound Perry Weigh Station. Dort durften wir auch zur etwas genaueren Prüfung antreten. Der neue Truck interessierte nicht, aber der Prüfer sah sich Papiere, Ladungssicherung und den Trailer selbst genauer an.
Fast 20 Minuten dauerte der Spaß, bevor ich wieder raus durfte und uns für die Nacht auf den Flying J in Snowville, kurz vor der Grenze nach Idaho, brachte.
Und dort war zwar rund um die Uhr offen, aber die Frischetheke zu und würde auch erst um 7 wieder öffnen. Das gleiche galt wohl für den A&W nebenan in der Sinclair-Tankstelle, das Diner und das Café an der Kreuzung. „Oh Mann! Hier klappen sie abends noch die Bürgersteige weg und drei Mann ziehen den Mond rauf, oder was?“ Also gingen wir nur noch auf zwei Codes aus meinem unendlichen Vorrat duschen, kauften uns eingeschweißte Fabrik-Sandwiches im Tankstellenladen und packten uns in die Betten.


Samstag, 24.07.2021

Nach der letzten, schlechten Nacht hatten wir beschlossen auszuschlafen. Das Frühstück konnten wir aus den bescheidenen Vorräten bestreiten, denn PJ Fresh war ohnehin noch bis 7 Uhr geschlossen und noch mal Plastikbrot musste nicht sein. Fast 10 Stunden hatten wir nun gestanden und weil das für mich als gestern letzten Fahrer noch nicht reichte, musste natürlich erst mal Ray ans Steuer bis meine Pause komplett war.
Aber noch auf dem Weg von den Sanitäranlagen zum Truck brachte er mich aus dem Tritt: „Sag mal, was ist eigentlich seit Donnerstagmittag mit Dir los? Du sprichst ja kaum noch mit mir. Stattdessen fahren wir Zweimannbesatzung, obwohl das doch eigentlich gar nicht passieren sollte. Habe ich was falsch gemacht? Mit Dir? Bei der Arbeit? Muss ich mir Sorgen um den Job machen? Mein Gott, wir brauchen das Geld. Die Hypothek auf das Haus kann meine Frau alleine gar nicht bezahlen.“ Ich erschrak. So war das ja nun wirklich nicht gedacht, beim ihm rüberzukommen.
„Nein, mit Dir ist alles in Ordnung. Das ist alleine meine Sache.“ „Okay. Wir kennen uns noch nicht wirklich, aber wenn Du trotzdem mit mir drüber reden willst, nur zu. Bist echt ein netter Typ.“ Das war nett von ihm, ich fand ihn auch echt sympathisch, aber meine Probleme mit zukünftigem Arbeitsgerät gingen einen Neuling in der Firma nun wirklich nix an. „Danke. Nimm es mir nicht übel, aber da würde ich dann doch meinen Lebensgefährten bevorzugen.“ „Dem habe ich dann wohl nichts Besseres entgegen zu setzen, außer einen Tag früher verfügbar zu sein.“ Er lachte und begann mit der PTI.

Als er auf die Interstate einbog und von fast ganz unten rauf beschleunigte, merkte ich, wie gut das Schalten inzwischen bei Ray von der Hand ging. „Ich kann immer noch nicht glauben, was für eine tolle Firma das ist. Mit Brian als Dispatcher ist das ja echt entspannt gegenüber C.R. England.“ „Na ja, trödeln dürfen wir auch nicht. Aber wir sollen halt am Stück ankommen. Wenn bei England einer den Truck aufs Kreuz legt, dann ist unter einem Promille der Flotte außer Gefecht und der Anruf bei der Versicherung Routine. Wenn wir das machen, sind jetzt dann 25%, bisher 33% der Flotte schachmatt und die Prämie bei der Versicherung wird auch deutlich steigen.“
„Und dann die Trucks. Richtig gut ausgestattet. Die Flotten-Cascadias bei England können von so was nur träumen. Standklimaanlage, fest eingebauter Mikrowellenherd und Fernseher, belüftete Ledersitze. Ich kann gar nicht mehr aufhören, was hier alles drin ist und da jeden Tag gefehlt hat.“
Tat er aber dann doch, weil von mir nicht mehr viel kam. Denn da vorne war ein schwarzes W mit rotem Stern und keine orange Raute. Mein Truck konnte das alles auch und war auch noch von der richtigen Marke, aber in nicht mehr ganz zwei Jahren müsste ich je nach Finanzierungsmöglichkeiten Owner Operator oder Lease Operator werden, um den zu behalten. Also übernahm das Soundsystem mit Rays Mix vom USB-Stick.

„Should have told you straight away, everything I have to say. But I’m afraid…” Ich langte rüber und drückte die Rücksprungtaste. Dieses Lied, von dem ich gerade eine Zeile aufgeschnappt hatte, wollte ich noch mal ganz von vorne haben.

Am Flying J in Boise machten wir Tankstopp, Toilettenstopp und Fahrerwechsel. Seit dem Lied hatte ich immer noch nicht wirklich was gesagt und Ray hatte auch nicht weiter nachgefragt, was mit mir los war. Aber irgendwie stand er sinnbildlich auch da und wartete einfach, dass er mich auffangen konnte, wenn ich zu fallen anfing. Ich begann jetzt aber mal, mir sein und in diesem Moment auch mein Arbeitsgerät genauer anzuschauen und dabei die Markenbrille abzusetzen.
Das hier war verdammt noch mal eine Neukonstruktion eines der weltgrößten Konzerne für Nutzfahrzeuge, der LoneStar ein LT mit einer extravaganten Motorhaube, also letztlich ein Facelift des ProStar von 2006 – entwickelt von damals einem der weltweit kleinsten Hersteller von Nutzfahrzeugen, der obendrein mitten in einer Krise namens Abgasskandal steckte.
Das Navi war hier nicht nachträglich in einen Radioschacht eingepresst worden sondern den 2020er Jahren gerecht voll integriert und der Schirm deutlich größer. Dazu gab es die praktischen Blinkerpfeile in den Außenspiegeln. Die konnten sowohl Autofahrer beim Überholen sehen und sie konnten so auf sich aufmerksam machen, sollte mal der Trucker pennen, als auch zogen sie die nach Jahren als Fahrer manchmal etwas nachlässigen Blicke vorm Spurwechsel an und machten mich drauf aufmerksam, dass ich ziemlich lasch in dieser Hinsicht geworden war.
Die Haubenverriegelung war verdeckt angebracht. Das fand ich bei den PTI derzeit recht lästig, war mir aber sicher, dass man das anders sehen würde, wenn man mal nach einer Fahrt im Winter die Haube öffnen musste und nicht erst mal mit dem Gummihammer einen Eispanzer abschlagen musste wie ich jetzt beim LoneStar oder früher in Pennsylvania beim Peterbilt 579, wo sie wie bei den meisten Trucks offen auf dem Kotflügel saß.

Und dann kam die Firma dazu. Klar, ich würde für Brian weiter fahren. Aber ich musste auch an 2020 zurückdenken, als Evan, Casey und ich unsere Gehälter von Brian in einen gemeinsamen Topf hatten werfen lassen und durch drei geteilt, damit nicht jemand, der keine Fracht bekam, am Ende nichts zum Leben hatte. Als Owner Operator wäre ich, wenn es wieder so weit käme, der erste, der leer ausgeht. Brian war mir dann zu nichts mehr verpflichtet.

Auch das Risiko für den Truck war dann da. Ja, ein gebrauchter war billiger zu betreiben als ein neuer, wenn man denn als Owner Operator die Wahl hatte. Die Raten damals für den 579 waren nicht von schlechten Eltern, im Prinzip hatte ich vor allem für Paclease gearbeitet, da halfen die enthaltenen Reparaturen wenig, denn die Schadquote bei neuen Fahrzeugen war zwar nicht null aber recht gering. Und wenn er doch stand, verdiente er kein Geld, egal wie alt.
Die Raten für einen Bankkredit einer drei Jahre alten Maschine waren niedriger, aber jede Reparatur ging zu meinen Lasten. Noch billiger als diese beiden Möglichkeiten war aber ein Anruf in Medford, in dem ich sinngemäß sagte: ‚Hallo Brian, Dein Truck ist defekt.‘ Denn das kostete mich nichts außer dem Verdienstausfall. Und immerhin gab es dann bei uns sogar eine Tagespauschale und Übernahme der Hotelkosten. Als Owner Operator gab es genau nichts, außer der Rechnung am Ende, die vom zugegebenermaßen besser bezahlten Meilensatz bezahlt sein sollte, mit dem man bis dahin gefahren war. Das Leben als Angestellter hatte schon was für sich, egal mit welchem Logo auf dem Kühlergrill.

Am späten Mittag machten wir Halt am The Riley Store. „Willst Du eine Knarre oder Pfeil und Bogen kaufen?“ „Nein, Mittagessen.“ Zwar hatte das ältere Paar den Laden scheinbar kürzlich verkauft und sich zur Ruhe gesetzt, aber die neuen Besitzer hielten das Level und hatten ebenso leckere Snacks da. „Ich glaube, jetzt schulde ich Dir eine kleine Erklärung. Schon damit Du nicht vor lauter Nervosität durchdrehst, was meine Bewertung angeht. Die ist nämlich nicht etwa schlecht und die Zweimannfahrt auch kein verkappter Abbruch. Ohne Brian vorgreifen zu wollen und zu können, wäre es wohl nicht dazu gekommen, wenn ich nicht der Meinung gewesen wäre, genug Positives gesehen zu haben. Brian hat mir aber eröffnet, dass es nur noch Freightliner und Western Star geben soll. Das zerkratzt meine Markenbrille.“ „Du fährst jetzt den Kenworth oder den International?“ „Den International. Ist einfach meine Marke. Auch wenn der Western Star nicht so schlecht ist, wenn ich besagte Markenbrille mal abgesetzt habe. Und da habe ich einfach ein paar Varianten im Kopf durchgespielt, wie ich damit umgehen soll.“ „Das heißt, Du überlegst, Brian Deinen Truck abzukaufen oder hinzuschmeißen und Dich komplett selbstständig zu machen?“ Mehr als ertappt nicken blieb mir nicht übrig.
„Okay, ich bin nur Freightliner Cascadia und jetzt den 49X gefahren und das ist im Prinzip der gleiche Truck. Sogar das Cockpit ist identisch. Aber nach meinen Erfahrungen mit C.R. England ist eins klar – was für einen Truck man fährt, ist egal. Das wichtigste ist, für wen man den fährt. Und da haben wir hier echt den Himmel auf Erden. Du hast erzählt, Du bist als Owner Operator für CAT gefahren und angestellt für Costco. Dann hast Du doch an sich alles durch. Großer Flottenbetreiber, Owner Operator, Kleinunternehmen. Mach was draus. Die meisten, die vor so einer Frage stehen, haben nicht diesen Erfahrungsschatz. Aber echt cool, dass Du mir das, wenn auch etwas von mir erraten, anvertraust. Dann kann ich ja echt beruhigt sein, dass mit meiner Arbeit alles in Ordnung ist. Wie ich schon gesagt habe, brauchen wir das Geld, um das Haus abzubezahlen. Da wäre eine Katastrophe, wenn ich was falsch gemacht hätte und am Ende die Quittung kriege.“
Das war allerdings auch ein entsprechend großes Eingeständnis von seiner Seite gewesen. „Komm mal raus aus Deinem England-Modus. Dann hätte ich Dir schon was gesagt. So was kann ich gar nicht, einfach machen lassen und am Ende eine lange Nase drehen. Ich bin nicht nur mitgeschickt worden, um Dich zu beurteilen, sondern auch um Dir was beizubringen, wenn es erforderlich ist. Und ich bin bei meinen Überlegungen auch zu dem gleichen Schluss gekommen wie Du. Ist schon cool hier und relativ sorgenfrei.“

Dem Fahrer eines anderen Baumaschinentransports hätte mal besser jemand was beibringen müssen. „Was hat der falsch gemacht?“

„Keine Fahnen und Warnschilder dran?“ „Genau. Zwei Sachen gibt es nicht. Ein Bisschen schwanger und ein Bisschen Oversize. Entweder Deine Ladung bleibt in den Maßen oder nicht. Und wenn sie übersteht, dann ist auch egal ob ein Viertel Zoll oder zwei Fuß. Da ist immer das ganze Programm fällig. Steht bei uns zum Glück auch im System. Aber kann wichtig sein bei knappen Ladungen. Die müssen dann echt mittig drauf stehen, damit sie nicht überhängen. Und immer mit der Richtlatte und wenn nötig Wasserwaage nachmessen, dass bei so engen Dingern nix überragt.“

Es war schon 7 PM durch, als Ray von der US-20 abbog auf den geschotterten Zubringer zum Holzfällercamp.

Wir mussten entladen und eine Handbreit vor zu Hause war damit auch „wir” gemeint. Während Ray den Hals vom Trailer zog, fing ich schon an, die Ketten zu lösen und während er die Raupe runter fuhr, verstaute ich die Ladungssicherung. Schließlich packte ich den Hals wieder dran und fuhr uns nach Hause.

Die Waage bei Myrtle Creek zog uns raus, warum auch immer. Die Vorerfassung hätte uns eigentlich als leer erkennen müssen. Also rollte ich auch über die Leerspur und man ließ uns ziehen. Es war dann schon Sonntag, nämlich 1:15 AM, als wir auf dem Hof ankamen. Scheinbar hatte es hier heiß geregnet, denn nicht nur mein Chevy Silverado war eingelaufen und hatte die Form eines Cruze angenommen. Auch Rays Toyota 4Runner war auf Camry-Maße zusammengeschrumpelt. Also holten wir uns beim Papiere Ablegen im Büro auch noch die Autoschlüssel und machten uns auf den Heimweg, meiner deutlich kürzer als Rays.

Ich löffelte mir nur noch schnell eine kleingeschnittene Banane mit Joghurt rein und lief einmal unter der Dusche durch, dann kroch ich ins Bett, wo Alex schon längst in der Traumwelt war.

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