In diesem Kapitel…
…hofft Timo auf Regen…
…Ricky liest eine italienische Zeitung…
…und Judith ist runder geworden!
Anfang 2018
Das Jahr hatte in der Firma mit Alltag begonnen. Das Transportwesen kam nach der Weihnachtsruhe wieder in Fahrt, der auf dem politischen Parkett unbeholfen dahinstolpernde Brexit schien noch weit, die Wirtschaft profitierte vom schwachen Pfund und mit ihr die Auftragslage.
Das war natürlich sehr kurz gesprungen und das war mir klar. Im Oktober musste etwas vorliegen, sonst würde die Zeit zu knapp. Wenn man sich vor Augen hielt, dass Grönland 3 Jahre verhandelt hatte und es damals wirtschaftlich gesehen nur um ein Bisschen Fisch ging, war es eigentlich an dem Tag zu spät für Verhandlungen gewesen, als Teresa May den Austrittsantrag offiziell eingereicht hatte.
Innenpolitisch war das Land so zerrissen wie nie, aber wenigstens lernten sie seit der Bildung des Parteiensystems vor 200 Jahren mal wieder Kompromissbereitschaft, da es mit der Parteienbindung in dieser Legislaturperiode noch weniger weit her war als sonst schon und zusätzlich in der sehr knappen Koalitionsregierung aus der Zweckgemeinschaft von Tories und DUP Abweichler noch schneller Vorschläge zum Kippen bringen konnten als sonst.
Leider blieb die ehemalige Remainerin Teresa May bei ihrer harten Linie, keine weitere Abstimmung über das Verhandlungsergebnis zuzulassen und immer wenn sie mal einen konstruktiven Vorschlag brachte, flankte ihr wieder jemand aus dem rechten Flügel ihrer eigenen Partei in die Seite und brachte sie auf ihren lähmenden Kompromisskurs zurück. Das würde sich noch wirtschaftlich bitter rächen. Aber derzeit brummte das Geschäft und so lange es Brei regnete, sollte man einen Löffel nehmen und essen. Die mageren Jahre würden noch kommen.
Auch Timo schien seine Sorgen um den Brexit vergessen zu haben. Als wir mal bei der Übergabe der Papiere kurz über das Thema sprachen, verwies er nur auf sein glückliches Privatleben und zitierte dabei einen Satz, der die Beliebtheit der mächtigsten Frau Deutschlands auf Talfahrt gesendet hatte: „Da denke ich jetzt doch nicht drüber nach. Ich bin glücklich mit Iestyn und bei Dir arbeite ich sowieso am liebsten. Wenn Iestyn erfährt, an welcher Schule er ab September unterrichten wird, wollen wir zusammenziehen und ich bin mir sicher, dass sie selbst beim No-Deal Brexit nicht alle Ausländer raus schmeißen können und werden. Wir schaffen das!“
Apropos Iestyn, wir machten tatsächlich so was wie eine Firmenband und nahmen ihn ehrenhalber als einzigen nicht hier Angestellten mit auf. An Instrumenten bekamen wir einiges zusammen. Luke war Schlagzeuger, Timo spielte E-Bass, Ben und Iestyn hatten Keyboards, Lewis und ich spielten E-Gitarre. Alex zwar auch, aber der wollte nicht mitmachen, weil er lieber bei seiner Freundin sein wollte, was aber nur verständlich war in unserem Beruf. Mit dieser Besetzung waren wir vor allem mit Metal und klassischem Hardrock unterwegs, das war auch unsere bevorzugte Musik. Allenfalls Iestyn tendierte mehr in Richtung Pop und Softrock, was wir entsprechend auch mal spielten.
Und auch stimmlich bekamen wir einiges zusammen, sowohl an Stimmlagen als auch an Stimmfärbungen. Aus Mangel an Sängerinnen konnten wir über Iestyn immerhin ein Musikschulprogramm für den PC ergattern, bei dem man alle Spuren einzeln ein- und ausschalten konnte. So konnten wir die Instrumente und den Hintergrundgesang übernehmen, während der Gesang aus der Konserve kam, gerne benutzt für Nightwish, weil da alle Instrumente gut gefordert waren. Für einige andere Bands trieb er über einen Lehrbuchverlag zumindest konventionelle Noten auf.
Ben und ich lagen im Bariton, aber beide mit relativ klarer Stimme, er ein Bisschen mehr als ich. Daher hatte ich insbesondere die Ehre, bei Sabaton antreten zu dürfen. Ben fand sich meistens im Hintergrundgesang wieder. Soli konnte er bei seinem Männerchor aber noch genug singen.
Bei den Tenören waren wir breiter aufgestellt. Lewis hatte die klarste Stimme, was ihn als Rhapsody-Frontmann Luca Turilli, Kai Hansen von Helloween und Edguy-Sänger Tobias Sammet qualifizierte. Zu Iestyn gab es nicht viel zu sagen, er hatte ja schon mal in einer Coverband einen Star nachgemacht, wenn auch in einem anderen Genre, aber die Stimme von Niall Horan hatte er eben auch und da gab es auch genug Verwendung im Rockbereich für. Timo hatte sich während des Wachstumsschubs in der Pubertät in Lateinamerika seine Stimmbänder mit Zigaretten nachhaltig ruiniert, so dass er vor allem als Besetzung für Axl Rose und Steven Tyler taugte.
Meistens hingen wir unsere Sessions freitags für 2 Stunden plus gemeinsame Kalorien-Orgie von einem Lieferdienst an die Arbeitszeit dran oder trafen uns Samstagvormittag. Allerdings ohne festen Plan, es konnte auch mal sein, dass 3 Wochen zwischen Sessions lagen, dann mal wieder gab es eine Woche, wo wir Freitag so drin waren, dass wir beschlossen, uns Samstag gleich noch mal zu treffen.
Und dann war wieder Montag, es wurde allerhöchste Zeit für die Montagsfrage, die ging an Alex und sie lautete: „Was wünschst Du Dir denn als nächsten Truck?“ „Einen Scania oder auch einen Mercedes. Aber Scania bitte keinen Streamline. Da nehme ich mit meinen 6‘5“ dann doch lieber einen Mercedes.“ „Was mache ich, wenn die Lieferzeit bei Scania nicht akzeptabel ist?“
Dass es um die nicht sonderlich gut bestellt war, wusste ich aus der Fachpresse. Zwar war Scania nur dritter hinter DAF und Mercedes in den Verkäufen, aber die beiden größten Unternehmen Stobart und Malcolm bestritten jeweils knapp ihre halbe Flotte mit Scania und auch viele kleine Unternehmen stellten wohl auf den neuen um, weil der endlich mal wieder einiges richtig machte, nachdem man sich 25 Jahre in Södertälje auf seinen Lorbeeren ausgeruht hatte und drauf vertraute, dass es Leute doch in Kauf nahmen, ihre wie bei Alex 1,95 Meter in eine zu kleine Kabine zu falten, nur um einen Greif auf dem Kühler zu haben. Das war zuletzt nicht mehr aufgegangen, nachdem man über 1,90 Körpergröße sogar im bei jeder Überarbeitung gewachsenen Iveco, der bei der Vorstellung des EuroStar mit der Urform der aktuellen Kabine auch zu klein geraten war und sowieso im riesigen DAF, deren Kabinen ebenfalls noch auf um das Jahr 1990 zurückgingen, schon besser schlafen konnte, als im Scania Serie 6. Ich hatte es mit 1,92 Metern auch mehrfach ausprobiert. Die anderen Marken hatten sowieso mal in den letzten 20 bis 25 Jahren eine komplett neue und zeitgemäße Kabine rausgebraucht.
„Mercedes. Wenn man sich überlegt, dass wir hier überhaupt gefragt werden. Anderswo, einschließlich genau dieser Firma in Deutschland, darf man maximal die Marke aus zwei oder drei vorgegebenen aussuchen. Und bei den meisten wird einfach gefahren, was der Chef kauft.“
Die Gerüchte waren leider wahr, wie sich nach jeweils einem Anruf bei Deeside Truck Services als lokale Scania-Handelsvertretung und dem Mercedes-Gegenstück Roanza Truck and Van herausstellte. Also würde Alex sich dem guten Stern auf allen Straßen anvertrauen müssen. Jedenfalls bestellte ich einen New Actros für ihn. Auch der hatte noch stramme Lieferzeit, aber verglichen zum Scania war es erträglich.
Wenn Alex darüber enttäuscht war, dass es seine zweite Wahl getroffen hatte, ließ er es sich zumindest nicht anmerken. Aber er selbst hatte ja Mercedes ins Spiel gebracht. Ich hätte ihm, wenn er nur eine Marke genannt hätte, auch seinen Scania bestellt, dann hätte er sich nur was länger mit dem DAF rumschlagen müssen. Allerdings war auch mit dem nicht mehr so viel los. Daher war ich froh, ihn doch auf diese Weise einen Monat schneller los zu werden.
Nicht so erträglich war das Wetter. „The Beast from the East“, wie die stabile Wetterlage mit Kaltluft aus Sibirien mittlerweile genannt wurde, sorgte für Schnee bis weit in den März. Zu der Zeit kam auch Alex Truck und Luke bekam mal wieder eine kleine Sonderaufgabe mit der Lackierpistole, die er mit allen 3 Grundfarben, handgezogenen Zierlinien, Beschriftungen und persönlichem Motiv innerhalb einer Woche erledigte wie immer.
„Irgendwie tut es mir ja im Herzen weh, den Truck so zu verschandeln.“ „Ich glaube, wir müssen mal ein ernsthaftes Gespräch führen. Aber die Farben sollten Dir an sich nichts ausmachen.“ „Nein, aber die Anordnung ist eine Qual!“

Natürlich gefiel mir das Motiv auch. „Nur das Beste ist gut genug“ würde ich allerdings nur auf den Verein beziehen (wenn ich damals schon wüsste, was ich und vor allem das Strafgericht der Liga heute wissen…) und nicht auf den Truck. Auch wenn der MP4, auch technologisch auf die Konkurrenz zur jeweiligen Zeit bereinigt, der beste Mercedes LKW aller Zeiten war, blieb er nicht so ganz mein persönlicher Fall. Und auch Alex, der wie alle Fahrer mittlerweile vor der Übergabe aufgeregt war, weil er sein Truckmotto noch nicht kannte, war begeistert, als er sah, was Luke für ihn geschaffen hatte.
Nicht so richtig vorang ging es allerdings beim Thema Kühlhalle. Ich hatte mal bei der Stadt nach den Möglichkeiten, eine hier zu bauen angefragt, aber Bauamtsleiter Ian White ließ mich mit einer auch in der Lokalpolitik üblichen Antwort abtropfen, mit der ich hinterher genauso schlau war wie vor meiner Frage.
Durch die Blume konnte ich aber raus hören, dass man den Deeside Industrial Park durchaus mit Lebensmittellogistik für überversorgt hielt. Dafür ließ ich mal durch genau diese Blume anklingen, dass wir nicht mit Deeside verheiratet waren. Der gesamte A-55 Corridor bis Conwy oder notfalls auch Bangor, Wrexham oder auch die kompletten englischen West Midlands waren eine Alternative, die man durchaus in Betracht ziehen konnte, ohne die Bestandskunden zu verprellen. Und dort gab es einige Kommunen, die Gewerbesteuerzahler nötiger hatten als scheinbar Shotton, Connah’s Quay und Queensferry, die sich die Rechte und Pflichten am Deeside Industrial Park teilten.
Die nächste Übung, nachdem Alex nun mit dem guten Stern auf allen Straßen auf Tour ging, war einmal mehr das Abflaggen einer Zugmaschine, die in den Export ging, denn das beste Angebot für den mit über 380,000 Meilen oder fast 620.000 Kilometern ziemlich verbrauchten DAF XF105 hatte mal wieder Mahad gemacht.
Das Grün war wie immer zu dunkel, aber die weiße Dose war fast leer, nachdem sie beim Everton-Wappen noch reichlich zum Einsatz gekommen war. Ich suchte in der Kiste: „Wo ist denn der weiße Sprühlack?“ Ben antwortete aus den Tiefen der Werkstatt: „Weiß haben wir nicht mehr, muss ich wieder kaufen. Luke hat mir das auf die Liste für den Großhandel gesetzt.“ „Dann eben noch mal grün!“
„Wozu verballerst Du denn die Radmutterzeiger? Der Truck ist am Wochenende weg und so lange werden die Radmuttern schon halten.“ „Weil es bei jeder Bestellung vom Reifenservice einen Beutel gratis gibt und wir die eh nicht verwenden bei unseren Edelstahl- und Chrommuttern. Ich packe die immer bei den Fahrzeugen von Malone drauf und habe trotzdem eine Kiste mit über 400 von den Dingern im Schrank. Da tun diese 60 auch nicht weh.“

„Schön geht anders.“ „Hauptsache unser Name ist weg. In Kenia geht es nicht um einen Schönheitspreis. Der zukünftige Besitzer ist da King of the Road mit diesem Truck. Einfach weil er ein Fernverkehrshaus und 460 PS bekommt. Da sind noch so viele Mercedes Hauber unterwegs, das glaubst Du nicht. Und die Handvoll Neufahrzeuge, die da verkauft werden, sind meistens Nahverkehrs-Wagen mit Schlafkoje von der europäischen Resterampe. Mercedes Axor, Scania G Streamline und solche Auslaufmodelle.“ Mahad hatte mir mal Bilder von den Fernstraßen Kenias gezeigt.
Mittwoch, 21.03.2018
In den letzten Tagen war endlich Warmluft reingezogen und hatte den Schnee schmelzen lassen. Timo zitterte, dass es jetzt viel regnen sollte, um das Salz von der Straße zu spülen und die Straßen für seinen Sierra Sapphire RS Cosworth geeignet machte. Seit Herbst fuhr er einen ziemlich angegammelten Mondeo Baujahr 1994, der im April MOT fällig war und keine reelle Chance hatte, mit diesen Rostlöchern noch mal eine Certificate zu kriegen.
Zumindest das Wetter entsprach seinem Wunsch, als ich meine Fracht für die letzte Tour unter unserer Regie bei einem Chemiebetrieb im nahen Ellesmere Port abholte. Das Ziel war in Malmedy, Belgien.

Es ging durch die Morgendämmerung und nachlassenden Regen in Richtung Südosten. Bei Coventry an der M6 musste ich schon meine Mittagspause machen. Eigentlich wäre ich gerne weiter gewesen, aber in den West Midlands hatte ich einige Zeit verloren. Immerhin das Wetter hatte sich gebessert.

Immerhin kam ich so um die Mittagszeit auf einen ziemlich leeren London Perimeter. Trotzdem waren fast 9 Stunden Lenkzeit rum, bis ich am Channel Tunnel war. Auch der LKW nach mir war ein DAF XF 105 gewesen. Er war aus Süddeutschland und der junge Fahrer stellte ihn neben mir ab.

Auf dem Weg in das Büro der Bahngesellschaft klingelte mein Handy, Bochum calling. „Ricky hier. Hallo André.“ „Hallo Ricky. Ich sehe, Du bist in Folkstone. Setzt Du noch über?“ „Nein, wollte ich eigentlich nicht. Ich habe noch 12 Minuten übrig und wollte im Terminal auf einen Parkplatz fahren. Würde dann den Zug um 1 Uhr nehmen, direkt nach einer 9er Pause.“
„Dann kommst Du bis nach Malmedy, denke ich?“ „Ja.“ „Darf ich Dich Freitag früh noch einplanen?“ „Wofür? Um 11 habe ich eine Besprechung mit Marlon und Julian, vorher muss ich bei den Lahrmanns den LKW abgeben, um 17 Uhr treffe ich mich mit Luke am Hauptbahnhof in Hagen und nehme den Zug zu meinen Eltern nach Marsberg.“ „Dann klappt das nicht. Wäre Lüttich-Frankfurt und dann Frankfurt-Gelsenkirchen gewesen.“ „Nee. Das ist zu viel.“ „Okay, dann muss Rolf das fahren.“
Ich füllte das Formular für den Zug aus, dass ich einen zulässigen Gefahrstoff auf dem Trailer hatte. Es war nicht so, dass man mit Gefahrstoffen gar nicht durch den Eurotunnel durfte. Die Regeln waren in den vergangenen 3 oder 4 Jahren aber auch im Vergleich zu früher gelockert worden. Das Imprägniermittel für Bauholz, das ich dabei hatte, durfte jedenfalls durch. Allerdings hatte ich ein extra langes, zweites Formular extra für das Gefahrgut auszufüllen.
Der junge DAF-Fahrer hatte mich wohl am Telefon Deutsch sprechen hören und kam nach mir dran. Weil an dem Halter auf dem Tresen mal wieder eine Kette ohne Schreibgerät baumelte und er selbst nicht darauf vorbereitet war, sprach er mich verlegen an: „Entschuldigung. Hast Du mal g’schwind ein Kuli für mich?“ Ich gab ihm den Kugelschreiber mit unserem Werbeaufdruck. „Hier. Kannst Du behalten, wir haben in der Firma genug von den Dingern.“ Auf dem Weg zu den Trucks fragte er mich noch zu dem komischen Zustand der Maschine aus. Als er hörte, wieviel der runter hatte und einen Teil davon mit Wartungsrückstand, wurde ihm aber auch klar, warum der in den Export ging.
Donnerstag, 22.03.2018
Es gab zwar rund um die Uhr jede Art von Essen im Terminal, aber um mich nicht komplett aus dem Tagesablauf zu ballern, verzichtete ich auf ein Full Traditional sondern ging nur duschen und holte mir einen Kaffee und ein Stück Gebäck.
Aus dem gleichen Grund hatte ich auch nur 4 Stunden geschlafen und nicht die ganze Pause durch. Abgesehen davon, dass ich vorher auch gar nicht müde genug dafür gewesen wäre.
Um 2:36 Ortszeit kam ich auf dem Festland an.

Der Weg führte logischerweise durch Frankreich weiter nach Belgien. In der Nacht kam ich gut voran und die Pause war auf dem bewährten Rastplatz Mons-Paris kurz hinter der belgischen Grenze fällig. Ich gönnte mir in diesem Land natürlich eine Doppelwaffel mit Schokoladensoße.
In der Morgendämmerung machte ich mich wieder auf den Weg. Mein Navi war der Meinung, ich sollte schon in Namur nach Süden abbiegen. Offenbar war Lüttich mal wieder komplett dicht. Kurz nach dem Autobahnkreuz überquerte ich die Maas.


Das Ziel erreichte ich dann um die Mittagszeit. Meine Fahrzeit war schon wieder ziemlich runter und ich war aufgrund der knappen Nachtruhe entsprechend müde. Also fuhr ich nur vom Hof des Betriebes runter und stellte mich für ein Mittagsschläfchen an den Wegrand.

Als ich wieder aufwachte, war es noch zu früh, um weiterzufahren. Also machte ich einen kleinen Spaziergang im Wald. Erst abends nach 20 Uhr gab mir der Fahrtenschreiber wieder Fahrtfreigabe. Solo ging es nach Bochum und kurz vor Mitternacht war ich in der Coloniastraße.
Ich stellte die Zugmaschine in die Halle auf den mir zugewiesenen Platz. Es stand ein Iveco Stralis XP 570 mit Kühlauflieger drin, aber nicht der von Maxim. Er war weiß und hatte ein tschechisches Kennzeichen, gehörte zu Petrs Firma Transvysocina. Der Motor war auch noch nicht allzu kalt. Zwar knackte der Krümmer nicht mehr, aber als ich die Zugmaschine näher betrachtete, fiel mir die Abwärme auf, die der Kühler noch abstrahlte.
Nachdem hier sowohl Julian als auch Timo ausgezogen waren, wir aber selbst die Niederlassung in Großbritannien und Partnerspeditionen in Österreich, Schweden und Tschechien hatten, hatten Marlon und Julian die Wohnung zu einem Fahrerquartier umgebaut. Dank der Systembauweise ging das relativ einfach. Die Küche und das Bad waren geblieben, aber die einst zwei größeren und ein kleineres Schlafzimmer waren zu insgesamt vier kleineren umgebaut worden.
Ich schloss die Tür zum Wohn- und Bürogebäude auf und ging in das, was mal meine Wohnung gewesen war. Michal, der Fahrer des Stralis, saß in der Küche und guckte einen Stream auf seinem PC während er seine Fertiglasagne futterte. Hatte er also den alten MAN, mit dem Petr angefangen hatte, nicht mehr.
Auch ich war hungrig und machte mir very British eine Dose Campbell’s Ham & Bean Soup warm. Weil Michal wie die meisten jungen Tschechen und alle Fahrer in unserer Gruppe sehr gut englisch sprach, unterhielten wir uns ein Bisschen über alles Mögliche. Die Sprache gehörte zum Anforderungsprofil. Jeder Fahrer musste fließend englisch sprechen, was insbesondere für Petr die Auswahl auf eher jüngere Fahrer eingrenzte. In Deutschland, Österreich und Schweden war das in den meisten Fällen und unabhängig vom Alter kein Problem mehr.
Ich war insbesondere dran interessiert, wie zufrieden er mit dem Stralis XP war. Maxim lobte ihn in höchsten Tönen, aber der hatte auch eine Markenbrille, die mindestens so groß war wie meine. Allerdings war die von Michal jetzt auch nicht unbedingt kleiner, wie sich herausstellte.
Am folgenden Tag verkaufte ich als erstes den DAF an Mahad und meldete ihn anschließend online ab. Am späten Vormittag sprach ich einige Dinge mit Julian und Marlon durch. Insbesondere ging es um den Umzug der Firma. Wir setzten uns deshalb in Julians Opel Insignia und fuhren rüber zum geplanten Baugrundstück. „Willst Du dann demnächst MAN und Scania kaufen?“ Beide Händler gab es hier im Gewerbegebiet, MAN war sogar direkt nebenan. „Nein, an sich nicht. Ich bin mit der Zusammenarbeit bei Mercedes-Lueg in Wattenscheid zufrieden. Und Renault-Volvo kaufen wir jetzt in Altenessen. Joachim ist da von Düsseldorf hin gewechselt und da sind wir natürlich mit ihm rüber.“
Nachmittags ging ich mit meinem Koffer zum Bahnhof, fuhr nach Hagen, wo ich Luke traf, der mit dem Zug aus Düsseldorf ankam und wir fuhren weiter nach Marsberg, wo wir meine Eltern über das Wochenende besuchten.
Am Montag brachte uns mein Vater nach Paderborn-Lippstadt, von wo wir in den Urlaub nach Süditalien flogen.Ostern 2018
Wir hatten von Montag bis einschließlich den Mittwoch nach Ostern Urlaub. Zu der Jahreszeit war Süditalien eine gute Location, hier war das Wetter schon einigermaßen warm und trocken. Apulien hatte sowohl Sehenswürdigkeiten zu bieten als auch eine gute Küche. Und über das Osterwochenende legte mit Luke eine Zeitschrift hin: „Ich kann das leider nicht lesen. Such Dir was aus.“
Bei dem Titel „Autocarro d’epoca“, auf Deutsch in Etwa „Der historische LKW“, ging es darin zweifelsfrei um altes Blech. Da war ja ein offenes Versprechen, also blätterte ich mal im Verkaufsteil zur Sparte Iveco. Leider gab es hier in der Gegend nichts Brauchbares, weder Turbostar noch T-Serie. Der 619 war mir trotz gleicher Grundkabine zu weit weg von meinen persönlichen Erinnerungen und der Eurostar zu modern. Erst 300 Kilometer nördlich in Pescara wurde ich in der gesuchten Kateogorie fündig:
Iveco Turbo, adc 1978, V8, 380 cv, 1.1 gr. mil. km, carrozzeria replica di 1983 “Cowboy Speciale”, vernice verde metallizato, imbottitura gialla, pannello legname di noce, condizionatore con batteria, navigatore incassato, condizione 2+ (esterno), 3- (interno), 2- (tecnica), 12.900 euro trattabili
Fast 13.000 Euro waren nicht wenig für einen verbastelten LKW mit 1,1 grande mille auf der Uhr. Die „große Tausend“ war eine Million. Und es war ein auf 83er Cowboy Special getrimmter 1978er, der aber in einer alles andere als für so eine Replika originalen Farbe umlackiert war, ein paar moderne Bequemlichkeiten nachgerüstet hatte und innen wohl auch nicht mehr ganz so gut beieinander war. Andererseits war er wohl technisch und von außen auch optisch gut. Ich beschloss mal anzurufen.
Typisch italienisch ging es vor allem um die Sache, auch wenn ich mit meinem unbekannten Gegenüber schnell auf Englisch wechselte. Und am Ende hatte ich zwar eine Adresse, wo wir am heiligen Ostermontag sein sollten, aber keine Namen ausgetauscht. Aber finden würde man sich schon, also fuhren wir mit dem Mietwagen rauf. Wenn der Truck was war, wollte ich dort ein Zimmer nehmen und am Dienstag damit losfahren, wenn nicht kehrten wir zurück nach Bari und traten die Rückreise beide mit dem Flieger an.
Und als wir dann vor der Halle standen, die sich an der Adresse befand, traute ich meinen Augen kaum, denn Herr „Pronto?“ war niemand anders als der Inhaber von „Trasporti Sebastiano Rivetti“ und richtig, mein flüchtiger Bekannter öffnete das Tor und sah mich auch erst mal ungläubig an: „Ricky?“
Nun war auch Luke überrascht: „Ihr kennt Euch?“ „Mehr oder weniger. Ich habe seinem Bruder nach einem Unfall erste Hilfe geleistet und wir sind mal zusammen ein Stück durch Mittelitalien gefahren. Apropos, am Tor steht nur Dein Name?”
„Dario und ich haben uns gestritten und eine Zeit lang sind wir komplett getrennte Wege gegangen. Ein LKW ist einfach zu klein für zwei. Inzwischen reden wir wieder miteinander und helfen uns mit Aufträgen aus, aber haben beschlossen, jeder seine eigene Firma zu behalten. Und so kommt auch der LKW hier her.“ „Du bist den gewerblich gefahren?“ „Ja. Ich wollte nicht alles Geld, das Dario mir ausbezahlt hatte, in einen abgerockten LKW stecken. Also habe ich mir dieses noch abgerocktere Schätzchen für weniger gegönnt und den Rest angelegt. Seit ein paar Wochen bin ich stolzer Besitzer eines wenigstens nur noch 7 Jahre alten Stralis und habe keine Zeit für Nostalgie. Und Du?“
„Glücklich verheiratet“, ich zeigte auf Luke. „Inzwischen nach Großbritannien ausgewandert und leite dort eine Niederlassung, meine Teilhaber weiter die deutsche. Wir haben mit Freunden ein Netzwerk nach Österreich, Tschechien und Schweden.“
Das kurze Angebot, ich könnte ihn mal versuchen, als Partner einzuführen, lehnte er ab. Er wollte unabhängig bleiben. Die Adresse von Felix für eine Rückleistung, sollte er mal leer in Österreich festhängen, nahm er aber an.
Ich untersuchte den 190 T und fand nur die offensichtlichen Mängel an den abgewetzten und teils eingerissenen Polstern im Innenraum. Das war nichts, was man nicht reparieren könnte, zumal ich dieses grausame Gelb sowieso weg haben wollte. Der Antriebsstrang und die Karosserie machten einen guten Eindruck. Ich fand, dass man den Truck kaufen könnte, zumal Sebastiano ohne zu Verhandeln aus Freundschaft auf 11.000 Euro runter ging. Ich verzichtete dafür auf weiteres Verhandeln, auch wenn ich bei einem anderen Verkäufer sicherlich versucht hätte, noch mal 500 bis 1000 Euro rauszubekommen.
„Willst Du noch mehr Geld mit ihm verdienen?“ „Wie das?“ „Ich kann entweder den LKW hier kaufen und leer auf Überführungskennzeichen nach Hause fahren. Oder Du behältst ihn auf Deine Firma, wir machen einen Mietvertrag zwischen unseren Firmen, ich fahre unter Fracht und wir wickeln den endgültigen Kauf ab, wenn ich zu Hause bin.“ „Und das ist legal?“ „Für Dich zu 100%, keiner kann Deiner Firma verbieten, ein Nutzfahrzeug an eine andere Firma innerhalb der EU zu vermieten. Ich nutze da ein Steuerschlupfloch aus. Es ist nicht explizit verboten, ein Fahrzeug im EU-Ausland zu mieten und damit gegen Bezahlung nach Hause zu fahren. Ebenso wenig ist es verboten, ein Fahrzeug aus dem EU-Ausland zu kaufen. Aber mein Steuerberater meinte, dass es auch nicht komplett astrein wäre. So lange es nicht so oft gemacht wird, dass es nach einem Geschäftsmodell aussieht, ist das aber egal.“
Ich nahm mir also ein Zimmer in Pescara und meldete mich mal in Isotrak als freier Fahrer an.
Dienstag, 03.04.2018
Sogar der Himmel musste weinen, dass ein Stück italienischer Transportgeschichte in den Export ging. Und mein Handy piepste. Über Whatsapp hatte ich eine Nachricht von André: „Ich sehe, dass Du in Italien für Transporte zur Verfügung stehst? Ist das ernst gemeint oder hast Du Dich in Isotrak vertippt?“ Ich leitete das Bild weiter, das Sebastiano gerade gemacht und mir gepostet hatte: „Ja. Aber bitte sei gnädig. Ich habe nur 380 PS!“

Und kurz danach war dann das Tablet mit Piepsen an der Reihe. Das mit der Gnade war leider nicht angekommen, das dürfte knapp unter 39 Tonnen Zuggewicht ergeben:
PICKUP: ITPES-CGT
DESTIN: DENEU-SCE
TRAILER: TIP-FISH40
LOAD: LEMONADE
WEIGHT: 24,000
SUPPLY PORT / BAY: 4
REMARKS: LOADED IN 40’ CONTAINER
DISPATCH: DEBOC-KFL-ANM
Ich schrieb André zurück: „Was wäre, wenn ich jetzt sagen würde, dass ich nur 38 Tonnen maximales Gesamtgewicht habe?“ „Dann würde ich Dich fragen, was die Kabine von einem Iveco T auf einem knapp 10 Jahre älteren Rahmen vom Fiat 619N zu suchen hat! Der Iveco Turbo war der erste im Konzern mit 40 Tonnen bei 2 Achsen, Du hast einen V8 und über 17 Liter Hubraum, sollte reichen!“
Auch wenn Judith damals über die eine oder andere Note in der Berufsschule gemeckert hatte, schien Fahrzeugtechnik nicht dazu gehört zu haben. Und dass er Recht hatte, wusste ich auch. Denn insbesondere weil ich die eher flache Küstenstrecke durch Italien hatte, würde ich lediglich in den Alpen und im Westerwald mal merken, dass ich ein Leistungsdefizit hatte.
Und von dem roten vor 2 Jahren wusste ich durchaus, dass der 380 PS Iveco V8 zumindest aus den gar nicht so seltenen Sparversionen wie DAF XF 410 oder Scania R420 mit ihren schmalbrüstigen 11 Liter Reihensechsern dank riesigem Hubraum immer noch Hackfleisch machte. Leider spülte er den Hackbraten dann auch mit einer Menge Flüssigkeit runter.
Ich holte die Blechdose samt Trailer ab und als ich auf die Autobahn fuhr, hatte sich das Wetter auch beruhigt.
Es war schon 2 Uhr durch, als ich zur Mittagspause bei Ancona auf den Rastplatz Esino Est zog. Ich gönnte mir ein Panino bresaola e mozzarella, also ein Brötchen mit Bresaola, einem Rinderschinken ähnlich dem schweizerischen Bündnerfleisch, und mit Mozzarella. Dazu gab es ein Glas Apfelsaft.
Auf dem Weg ins Landesinnere verlor ich dann an langen, aber eher flachen Anstiegen doch einige Geschwindigkeit, aber mit 65 bis 70 war es besser als man von der blanken PS-Zahl denken könnte. Jedenfalls überholten mich eher die starken Trucks wie Renault Magnum 520. Der Kollege des Renault-Fahrers mit seinem scheinbar auch bergschwachen Actros blieb brav hinter mir.

Bei Bologna dann durfte ich im Feierabendverkehr die genialste Erfindung des italienischen Straßenbaus ausprobieren, die doppelte Tangenziale. Der Fernverkehr fuhr auf den mittleren Spuren ohne Abfahrten durch den Ballungsraum durch. Der Berufsverkehr musste die Außenspuren nutzen und konnte nur am Ende auf die Fernspuren wechseln. So blieb der Durchgangsverkehr von Staus weitestgehend verschont. Inzwischen hatten es die Niederländer um Eindhoven herum kopiert.

Der Tag endete kurz vor 19 Uhr auf der Raststätte San Martino Est bei Parma. Der Fahrer eines Scania V8 meinte zu mir: „Jeden Tag würde ich so was nicht fahren wollen, aber Stil hatten sie damals.“ „Jeden Tag würde ich das auch nicht wollen, bin als Anfänger 3 Jahre TurboStar gefahren. Aber ab und zu macht es Spaß.“
Zuerst nutzte ich die Duschen. Im Restaurant gönnte ich mir ein Zweigang-Menü aus Antipasto Misto und Lasagne al Forno. Danach zog ich mich in die Kabine zurück. Mal sehen, wie die Nacht wurde. Dass die Liege mal aufgepolstert werden dürfte, hatte ich schon gemerkt. Dank nachgerüsteter Standklimaanlage konnte ich immerhin die Fenster zu lassen, ohne im recht kleinen Fahrerhaus den ganzen Sauerstoff aufzubrauchen. Außerdem war es so trotz der zeitgenössischen Dämmung halbwegs leise im Fahrerhaus.
Mittwoch, 04.04.2018
Auch das Frühstück musste ich im Rasthof zu mir nehmen, da ich nicht auf eine Tour mit einem spartanisch eingerichteten LKW eingestellt war. Nun war das Frühstück definitiv der Tiefpunkt der italienischen Küche. Cornetto con Cappuccino war nicht wirklich gehaltvoll vom Nährwert, auch wenn es genug Kalorien hatte. Cornetti waren schon vorm Backen mit Marmelade gefüllte Croissants.
Kurz vor 6 fuhr ich zum Tanken und wollte so knapp vor dem Berufsverkehr Mailand umfahren haben. Der Plan ging auch auf, als die Sonne aufging, war ich schon westlich auf dem Ring und mit meiner halben Umdrehung größtenteils durch.

Die längere Unterbrechung der Fahrt kam quasi automatisch, als ich um 9:10 Uhr die Schweizer Grenze erreichte und ohne TIR natürlich den großen Papierkrieg gewonnen hatte. Nicht legal, aber verbreitet, stellte ich den Fahrtenschreiber auf Pause und ging ins Zollbüro.

Schließlich war ich auf dem Weg durch die Eidgenossenschaft. Der war ereignislos und die Strecke Como – Basel von früher noch so was wie Routine. Von Bochum aus war ich das teilweise jede zweite Woche gefahren.
Auch mit dieser Motorisierung reichten die viereinhalb Stunden aus, um einmal durch die Schweiz zu kommen und so endete meine Lenkzeit an der Grenze. Ich wickelte die Formalitäten ab und bewunderte auf dem Weg aus dem Zollamt zum Truck die grüne Farbe. An sich hatte ich vor, den Truck umzulackieren.
Aber diese Lackierung war kein normaler Metalliclack, es war ein Metalflake-Lack, bei dem hochglänzende grüne Miniflakes verwendet worden waren, die viel größer waren als die winzigen Metallspäne in einer normalen Metalliclackierung. Durch den etwas dunkleren Grundlack war der Farbeffekt beeindruckend. Das hatte den Besitzer, der das hatte machen lassen, eine Menge Geld gekostet, soviel hatte Luke als Experte für gesprühten Farbauftrag auf alles und jedes mir schon verraten. Denn diese Lacke zu verarbeiten war eine elende Arbeit und verlangte viel Erfahrung.

Ich zog vor auf den Rastplatz Weil am Rhein, der direkt hinter der Grenzanlage war. Hier gab es wieder Duschen, allerdings nur das Systemrestaurant mit G, das man inzwischen auf quasi jeder zweiten deutschen Rastanlage vorfand.
Donnerstag, 05.04.2018
Wer am frühen Nachmittag Feierabend macht, kann Mitternacht los fahren. Und in Deutschland war das auch eine Wohltat. So konnte man die Staus umgehen. Wenn ich Glück hatte, konnte ich vor dem Berufsverkehr Köln passieren. Dann blieb mir allenfalls noch das große Dorf im Norden als Verkehrshindernis.
Rechts von mir krochen die kaum erkennbaren Schatten des Schwarzwaldes vorbei. Wie geplant kam ich so gut vorwärts. Das war der Vorteil, wenn man mit so einem Truck nachts fuhr. Im weniger dichten Verkehr konnte man ein besseres Geschwindigkeitsprofil einhalten, denn mit viel Hubraum und wenig PS musste man ganz anders fahren als mit den heutigen Motoren. Der Nachteil war das zu kurz geratene Abblendlicht der Cibie-Scheinwerfer mit H4-Zweifadenbirnen und einer matten Streuscheibe. Wenn sich die H1-Zusatzfernlichter in der Stoßstange mit zu Wort melden konnten, ging es. Aber das klappte kaum auf der Autobahn.
Für die 45 Minuten Pause erreichte ich gegen 20 vor 4 den Rastplatz Büttelborn an der A67. Besser konnte es kaum laufen. Kurz nach halb 5 war ich wieder unterwegs. Trotz einiger etwas zäher Anstiege auf der A3 konnte man die Morgendämmerung gerade mal erahnen, als ich die Wiedtalbrücke überquerte.

So ging der Plan auf und ich erreichte den Kölner Ring um 6:32 Uhr. Wie geplant schlug der Berufsverkehr erst um Düsseldorf zu. Um 7:40 Uhr erreichte ich Scandinavia Express in Neuss. Ob Patrick Schütz sich jemals hätte träumen lassen, dass ich hier mit einem 40 Jahre alten Iveco eine Lieferung abstellen könnte, als ihm das Gelände noch gehörte und er mir hochnäsig seinen Scania R580 verschacherte?
André hatte nichts mehr mit mir vor und auch kein anderer aus der Truppe. Wir hatten es inzwischen so geregelt, dass jeder Disponent in unserer Gruppe auf jeden Fahrer zugreifen konnte. Allerdings gab es dabei Regeln, die Isotrak automatisch verwaltete, insbesondere was entweder mit Fahrern, die Familie hatten, vereinbarte oder für die Mavericks die gesetzlich vorgeschriebenen Wochenenden zu Hause betraf.
LOCATION: DENEU-SCE
ACTION: 22H BREAK
REMARKS: UNCOUPLE TRAILER
DISPATCH: DEBOC-KFL ANM
Also erst morgen Vormittag weiter. Mal sehen, was André mit mir vorhatte. Denn wenn er mir so eine lange Pause bescherte, dann weil er einen entsprechenden Auftrag in der Hinterhand hatte.
Zuerst nahm ich mir eins der Fahrerzimmer und legte mich für 4 Stunden aufs Ohr. Danach beschloss ich, noch mal nach Bochum zu fahren, auch wenn ich erst vor anderthalb Wochen dort war. Zu Fuß war es nicht weit zur S-Bahn Am Kaiser.
Als ich in die Firma kam, stellte ich mal wieder fest, dass Judith fülliger geworden war. Das war mir schon vor Ostern aufgefallen. Aber es gab Dinge, auf die man eine Frau nicht ansprechen durfte. Außerdem war der größere Umfang nun eindeutiger im Unterleib erkennbar. Und die Frau sprach dann auch von alleine, denn es waren in der Küche belegte Brötchen aufgefahren: „Hallo Ricky! Greif zu!“
Mein Magen knurrte schon, also kam mir das gelegen. „Was verschafft mir die Ehre?“ „Marlon und ich erwarten Nachwuchs.“ Sie strich sich über den Bauch. „Gratuliere. Für wann?“ “Mitte September.”
Julian kam nachmittags auch noch rein. Er fuhr wieder einen Renault, was ich beim letzten Besuch gar nicht so wirklich registriert hatte. Genauer gesagt hatte er einen Renault T480 Sleeper. Er hatte es bereits letztes Jahr angekündigt, dass er mehr in den Nahverkehr kommen wollte. Meistens war er jetzt in jeder Woche entweder einmal 2 und einmal 3 Tage draußen oder auch mal 2-2-1.
Den FH16 „Celtic Legend“ fuhr jetzt Lennart und das war inzwischen der älteste Fernverkehrstruck, nur Marlons Premium Route war älter, weil er im Nahverkehr eben nicht auf Strecke kam. Das Pfefferminzbonbon Scania R500, auf dem Lennart vorher saß, war im gleichen Aufwasch verkauft worden wie Serkans MAN. Serkan hatte jetzt einen Renault T520 High Sleeper bekommen.
Und die nächste Bestellung war auch schon draußen, Sebastian war der glückliche. Im April bekam er einen Volvo FH13-500 Globetrotter XL, der ihn durchs letzte Ausbildungsjahr und dann als ausgebildeter Fahrer begleiten sollte.
Ebenfalls neu war ein Schwarzmüller Kühler. Mit dem zweiten Chereau hatte es einigen Ärger gegeben, deshalb hatte Julian, nachdem sich die Sache nicht in den Griff kriegen ließ, den Kauf rückabgewickelt. Bei uns machte das gleiche Modell aber komischerweise keine Probleme.
Am Nachmittag fuhr ich zurück nach Neuss.
Freitag, 06.04.2018
Isotrak piepte nach dem Einschalten gleich zweimal. André und unser britischer Azubi Lewis hatten sich zusammengetan, um mich mit Heimatschuss zu versorgen. Der Haken war, dass ich erst in Oberhausen bei Siemens einen Turbinenrotor recht mittig laden musste und dann in Köln davor und dahinter Glasscheiben bekam. Also ein Bisschen umständliches Hin und Her durchs Rheinland.
PICKUP: DEOBH-SIE
DESTIN: UKCOQ-EON
TRAILER: KFL-UK103
LOAD: STEAM TURBINE ROTOR
WEIGHT: 10,000
REMARKS: PARTIAL LOAD, CENTER POSITION
DISPATCH: UKDES-KFL-LET
PICKUP: DECOL-PFG
DESTIN: UKDOV-DBS
TRAILER: RELOAD
LOAD: GLASS
WEIGHT: 4,000
REMARKS: PARTIAL LOAD, FRAGILE
DISPATCH: DEBOC-KFL-ANM
Außerdem bekam ich einen von unseren Trailern dafür. Das war aber nicht weiter besonders, denn wir mussten sowieso eine Tour mit fremdem Trailer fahren. Wer den Trailer hier hatte stehen lassen, hatte ich allerdings nicht gesehen. Von uns war jedenfalls keine Zugmaschine zu sehen. Aus Neugierde sah ich mal über die Dispatcher-Funktion von Isotrak nach. Es war Shawn gewesen, der jetzt schon wieder mit einem Talke-Tanker unterwegs in Richtung Niederlande war.
Zuerst fuhr ich also nach Oberhausen, danach nach Köln. Bei der Glaserei stand der Truck eines bekannten Youtubers drin. Irgendwie schien ich die derzeit geballt zu treffen. Erst der dauernd Stifte verlierende Kollege auf der Hinreise an der Fähre und jetzt wieder. Er war im Büro, als ich auch rein kam. Wir sprachen miteinander und er ließ es sich, als er die kantige Kabine sah, nicht nehmen, meine Zugmaschine mal näher anzuschauen.
„Respekt. Mit so einem Ding würde ich nicht mal aus Spaß am Hobby von Italien über Deutschland nach Großbritannien fahren wollen.“ „Mit fast so einem Ding, nur 100 PS mehr und „modernerem“ Cockpit, aber dafür ohne nachgerüstete Standklima bin ich als Anfänger fast 3 Jahre rumgefahren und habe dabei den Polarkreis von Norden gesehen.“
„Hattest Du einen TurboStar oder was?“ „Ja.“ „Du liebe Zeit, Du bist doch nicht älter als ich. So was kenne ich ja nicht mehr.“ „Augen auf bei der Arbeitgeberwahl. Aber ich war jung und brauchte das Geld.“ Gegen 11 Uhr schließlich hatte ich alles drauf, erledigte die Papiere und kam zurück zu meinem Lastzug.

Für eine reibungslosere Abwicklung am Terminal in Calais machte ich meine Pause vor Antwerpen. Danach ging es ohne Halt durch bis zur Fähre. Ich konnte noch mit meiner Fahrzeit übersetzen und in die Nähe des Kunden DB Schenker fahren. Die Sonne stand schon ziemlich tief, als ich auf das Schiff rollte.

Die Tage waren zwar nicht mehr kurz, aber hier, fast direkt am Zentrum der Weltzeit, stimmte eben die Zeit anders als in Deutschland mit dem Sonnenstand überein. Um 19:23 legte die Fähre schon bei ziemlicher Dunkelheit in Dover an. Ich hatte mir ein Abendessen an Bord gegönnt. So konnte ich einfach im Gewerbegebiet Pause machen.
Samstag, 07.04.2018
Da ich nicht mal einen Wasserkanister hatte, blieb nur die Dosendusche und Bart stehen lassen. Die Schenker-Niederlassung in Dover stellte sich ein neues Bürogebäude hin und das Glas war für ihre neue Fassade. Von meinem strategischen Standort war ich in ein paar Minuten da und konnte zur vereinbarten Zeit um 8 Uhr abgeladen worden.
Unterhalb der beeindruckenden Festungsanlage startete ich dann zur letzten Etappe der Überführungsfahrt.

Kroch ich den berüchtigten Berg aus Dover die Steilküste rauf noch mit 40, ging ich dann auf dem Motorway auf Scania-Jagd. Weil dieser Truck natürlich wieder keinen Begrenzer hatte, konnte ich schamlos drauf treten, bis die Tachonadel sich konstant zwischen 95 und 100 bewegte. Inzwischen war der Frühling auch auf der Insel angekommen.

Leider musste ich noch mal Diesel nachfassen, als ich auf dem Londoner Ring war. Ich beließ es aber dabei, denn von hier kam ich sowieso nicht in einem Rutsch nach Hause. Die Pause legte ich daher um die Mittagszeit weiter nördlich ein.
In den West Midlands wurde es dann noch mal anstrengend mit dem nicht so starken Motor. Das Gewicht war nicht so groß, aber mit einem unserer modernen Trucks und 100 PS mehr würde sich das souveräner machen lassen. 17:19 Uhr war ich bei der Connah’s Quay Power Station und wurde meine Rotorwelle los. Danach war es ein Katzensprung nach Hause.
April, Mai und Juni gingen dann ohne größere Ereignisse rum. Erst im Juli erreichte mich die Anfrage für eine Tour, ohne die mir inzwischen wohl was fehlen würde.
