Kapitel 24 – Coast to Coast

Montag, 03.09.2018

Ein einerseits sehr zufriedenstellendes Wochenende im Motorsport lag hinter mir. Andererseits war es sehr unbefriedigend festzustellen, dass ich mich in meiner Freizeit immer mehr verzettelte. Die Zeit, ein Video meiner Trucking-Woche zu schneiden hatte ich gar nicht gefunden. Mit Rennwagen und Motorrad hatte ich zwei Fahrzeuge, die in der knappen Freizeit bewegt werden wollten und dann waren da ja noch meine Freunde mit dem Fabrikhallendach-Fetisch. Irgendwie sollte ich mir mal drüber klar werden, was ich eigentlich machen wollte und konnte.

Nun ging es aber erst einmal los. Außergewöhnlichster Gegenstand im Fahrerhaus war auf dieser Tour ein Kleiderbügel mit Hemd, Anzug und Krawatte. Da ich selbst drum gebeten hatte, wusste ich schon, wo die Woche enden würde – denn dort würde ich auch diesen Anzug tragen. Jedenfalls so Plusminus 100 Meilen wusste ich das Ende. Und sehr überraschend begann sie vor der Haustür und nicht in New York, Baltimore oder Washington.

PICKUP: PAPHL-POR
DESTIN: TXCDS-CAT-DE
TRAILER: SLC-FISH
LOAD: SPARE PARTS
WEIGHT: 14,000
TERMINAL: PACKER AVENUE
REMARKS: TWO 15’ CONTAINERS, TOTAL TARE 8,544
DISPATCH: MABOS-CAT-SHB

Diese Auftragsmeldung enthielt viele Dinge, die ich noch nie gesehen hatte und erst mal erkunden musste. „POR“ stand für Hafen allgemein und konnte jeden Hafen der zuvor genannten Stadt bezeichnen. Das Ziel TXCDS war die Verkaufsnieserlassung in Childress, Texas. Der Trailer stammte von Star Leasing und war ein Containerchassis. Da die in der Mitte einen oder zwei Träger hatten, von denen wie Fischgräten die Tragarme für die Aufnahmen der Container abstanden, hießen sie auch so.
Packer Avenue Terminal war ein großer Containerhafen und die Ladung steckte in zwei 15‘ Containern, die mangels Normung im internationalen Seeverkehr keine Rolle spielten und auch national nicht überall funktionierten, die Bahn nahm sie zum Beispiel wegen der begrenzten Stapelmöglichkeit nur eingeschränkt mit. In der Binnenschifffahrt und nationalen Küstenschifffahrt waren sie beliebter. Teils gingen sie auch in die Luftfracht, weil man auch hier einen passenden Container beladen, mit den für beinahe alle Eventualitäten einstellbaren Chassis-Aufliegern fahren, ohne Umladen in ein größeres Frachtflugzeug stecken und am Zielort wieder per LKW transportieren konnte.
Es gab dafür Container bis runter zu 10‘ Länge, so dass man immer die passende Größe buchen konnte. Das Leergewicht der Container galt auch als Ladegewicht, damit wurden 22,544 lbs. als Nutzlast angenommen.

Die Sonne hatte es gerade erst über die Häuser geschafft, als ich von meinem Hof zum Hafen fuhr.

Wie die meisten Containerterminals war auch Packer Avenue eine hocheffiziente Angelegenheit. Von der Einfahrtschranke bis zur Ausfahrtschranke war ich knapp 30 Minuten auf dem Gelände. In dieser Zeit hatten sie meine Papiere gescannt, die Container identifiziert, angefordert und von den Transportfahrzeugen zum Kran bringen lassen. Ich hatte in der Zeit meinen Trailer bekommen, die Container waren dann auf den Trailer gesetzt worden und ich hatte die Papiere an der Ausfahrt bearbeiten lassen.
Direkt am Ufer verlief auch die I-95. Auf der Tour konnte ich die auf 5 endenden Interstates als Countdown benutzen. 9 more to go! Nun fuhr ich auf die I-76, die mich bis zur verbotenen Stadt im Westen des Staates bringen würde.

Um 11:51 wechselte ich auf die I-70, die nun durch mehrere Staaten bis St. Louis mein Weg sein sollte. Bei der kurze Zeit später folgenden Verzweigung mit der I-79 hatte sich ein kreativer Gärtner an einem Baum ausgetobt. Weil die I-85 die erste von zwei Haupt-Interstates mit 5er Nummer war, die die I-70 nicht kreuzten, nahm ich die I-79 als Ersatz her. 8 more to go!

Als nächstes ging es ein kurzes Stück durch West Virginia. Die Waage dort tat das, was die meisten Waagen im Osten am besten konnten – sie war geschlossen. 24 Stunden geöffnet war dafür der Flying J in Kirkersville (OH), wo ich um 2:10 PM zur dringend nötigen Pause rein rollte. Allerdings beschränkte ich die auf den Toilettengang und machte mir danach lieber im Truck ein Sandwich mit Hähnchenbrustaufschnitt, Pfirsichscheiben und einem Hauch Danish Style Remoulade.

Nach genau den erforderlichen 30 Minuten war ich wieder unterwegs. Nummer 75 wurde ein paar Minuten vor 4 PM überquert, 7 more to go. Eine halbe Stunde später fiel mit Indiana die nächste Staatengrenze.

5:16 PM gab es noch eine Unterbrechung. Auf dem Pilot Travel Center in der bequem klingenden Stadt Mount Comfort (IN) fütterte ich das Arbeitsgerät zu mittlerweile leider normal werdenden 3.24 $ je Gallone. Leider gab es hier nur Subway, Burger King und Pizza Hut Express. Da ich den ersten nicht für die Hauptmahlzeit des Tages mochte, den zweiten eigentlich gar nicht und den dritten nicht als Stehcafe, beschloss ich, aus der Dreiviertelstunde Fahrzeit noch was zu machen.

Crossing I-65 at 6 PM. 6 more to go. 

Ein „Changing Time Zone“ später stand ich dann noch schlechter versorgt auf der Illinois Transportation Rest Area in Marshall (IL). Das münzte ich aber so lange das Wetter mitspielte noch in eine sehr gute Versorgung um und warf den Grill an. Kurz danach lag eine würzige Note über dem Parkplatz.


Dienstag, 04.09.2018

Nur die Dusche fiel hier dann aus. Als Frühstück gab es eine Schüssel meiner geliebten Mini Wheats Geschmacksrichtung Maple Brown Sugar. Da war ich Kind geblieben. Die Vernunft ließ mich lediglich eine Handvoll Granatapfelkerne rein werfen.

Der vorherige Tag war voll ausgereizt, daher ging es auch heute erst gegen 6:30 AM wieder los, also nach eine Stunde weiter gerechneter Logtime und die halbe Stunde späte, die ich gestern noch im Hafen aufgeladen hatte.

Um 9 AM ging es im Raum St. Louis erst über die I-55, danach über die Grenze nach Missouri und schließlich auf die I-44 Richtung Oklahoma City. 5 more to go.

Der Mittagshalt fiel dann auf den Flying J in Springfield (MO). Hier kaufte ich mir ein Sandwich, beschloss aber dafür, die Dusche nachzuholen, die bei der Übernachtung mangels Verfügbarkeit ausgefallen war.Nach der Pause ging es über die Grenze nach Indiana. Die Interstate 45 verlief ausschließlich in Texas und ich würde auch sie nicht kreuzen. Als Ersatz nahm ich die kurz zuvor gequerte I-49 her. 4 more to go.
Kurz danach überholte ich einen außergewöhnlichen Peterbilt 357. Ich hatte ja schon von Rat Style bei Hot Rods gehört. Aber hier hatte jemand einen kompletten Truck so aussehen lassen. Und weil die Kabine aus Aluminium und GFK bestand, konnte man nicht mal echten Edelrost aufbauen, der musste auch noch in dieser scheußlichen Farbe lackiert sein.

In Oklahoma City kreuzte dann auch schon die I-35 meinen Weg. 3 more to go, aber jetzt wurden dafür die Abstände größer. Da ich Ortszeit durch die Zeitverschiebung immer früher los fuhr, machte ich auch immer früher Schluss. Ich hätte noch 40 Minuten gehabt, aber da kam kein Rastplatz mehr. Für deutlich angenehmere 2.96 $ tankte ich voll und fuhr dann auf den Parkplatz des Flying J Oklahoma City. 5:27 PM, Arbeitsende.
Das war mal wieder so eine verrückte Autobahnabfahrt mit 4 Ecken und 4 Truckstops. Meine Favoriten waren mit beiden Marken vertreten, denn schräg gegenüber war noch ein Pilot Travel Center. Hier direkt gegenüber war ein sehr kleiner Love’s Travel Stop und gerade über die Interstate vervollständigte ein Travelcenters of America die Kollektion. 
Auf dem übernächsten Stellplatz parkte ein recht exotischer Sterling A-Line, der auch einem Caterpillar-Sub gehörte, aber das „gelb“ so großzügig von Baumaschinengelb in Richtung Orange zog wie ich in Richtung Zitrone. Direkt dahinter parkte gerade ein Kenworth W900 mit Reefer ein, soweit ich das gesehen hatte, in Ontario zugelassen.

Ich erledigte erst noch meine Buchungen im Isotrak, suchte mein Handy und meinen Geldbeutel zusammen und zog mir eine Jeans an. Inzwischen hatte ich mir angewöhnt, zumindest die langen Etappen in Trainingshose zu fahren, weil es bequemer war.
Aus dem kanadischen Kenworth war scheinbar ein Ehepaar ausgestiegen. Das war erst mal nicht ungewöhnlich in Nordamerika. Weil hier auch im fahrenden Fahrzeug Bunk Time als Ruhezeit galt, konnte eine Zweimannbesatzung quasi pausenlos fahren und Ehepaare waren dafür besser geeignet als zwei im Personalbüro zusammengewürfelte Leute.
Sie gingen vor mir und sprachen zu meiner Überraschung Deutsch miteinander. Die Verpflegung übernahm hier ein Huddle House. Der Deutsche brauchte eine gefühlte Ewigkeit, sich zwischen einem Bacon Burger, einem Rindersteak und einer gegrillten Hähnchenbrust zu entscheiden.

Ich setzte mich an den Nachbartisch. Während er begann, seiner final ausgewählten Hähnchenbrust mit dem Messer zu Leibe zu rücken, biss ich herzhaft in meinen Mushroom Swiss Big Bold Burger. Ein Burger mit Zwiebeln, Pilzen und Knoblauchsoße war etwas, was man nicht überall bekam. Deshalb hatte ich mich dafür entschieden. Rindersteak oder Bacon-Cheeseburger gab es überall.

„Ob dieser Marc Murdock wohl schon expandiert ist oder noch mit nur einem Truck fährt?“ Die deutsche Frau schien diesem spontanen Gedanken ihres Mannes nicht folgen zu können. „Was?“ „Der junge Owner Operator aus Kalifornien, den wir vor einem Jahr getroffen haben. Dem wir erzählt haben, wie MM Transporte damals in Duisburg den Bach runter ist.“
Sie schien sich jetzt zu erinnern. „Der war so voller Tatendrang. Nicht dass der sich am Ende auch mit einer Expansion übernimmt.“ „Wir haben ihm ja nun erzählt, was passieren kann. Er muss selbst wissen, was er kann und für sich verantwortlich sein.“ „Wir kennen ja die Verlockungen. Erst ein Truck, dann ein fester Subunternehmervertrag. Kredit hier, Leasing da, Hauptsache die Flotte wächst. Gierig einen zweiten Vertrag und den nicht genau gelesen und Peng! Alles weg.“
Der Frau schien das etwas peinlich zu sein, wahrscheinlich entspannte sie sich nur deshalb wieder, weil sie sich überlegte, dass die Unterhaltung auf Deutsch war und das hier keiner verstand. Wenn die wüssten. Ich kam mir gerade mit meinen fließenden Sprachkenntnissen ziemlich schäbig vor, dass ich hier so mit lauschte.
Sie schaffte es dann aber doch, das Thema in eine andere Richtung zu lenken. Ich machte meinen Burger mit Pommes wieder zum Thema. Zurück im Truck wurde ich dann aber doch neugierig und gab MM Transporte Duisburg bei Google ein.

Die Treffer ließen nicht lange auf sich warten. Die Firma hatte laut einem Truckspotter-Forum zuvor einem Manfred Menke gehört und der war als Einzelunternehmer Regionalverkehr gefahren, womit seine einfache Maschine nicht unbedingt Spotters Liebling war.
Direkt nach seinem Tod wurde die Firma von Marc Mertens weiter geführt. Allerdings mit einem straffe 510 PS starken, neuen DAF. Auf Nahaufnahmen des LKW konnte ich erkennen, dass der Mann von vorhin dieser Marc Mertens sein musste. Keine zwei Monate später waren es drei und so vermehrten sich seine Trucks wie die Karnickel – wie Riesenangoras wohlgemerkt, denn dank Christian wusste ich, dass 500 PS auch dort drüben eher Oberklasse waren, selbst wenn sie schwerer waren als unsere Trucks.
Weihnachten 2015, ein Jahr nach der Übernahme, hatte die Firma 9 Trucks, knapp die Hälfte war mit 500 PS und mehr unterwegs, einer hatte sogar einen V8-Motor. Ostern 2016 waren es dann schon 14, wovon 8 die 500 PS rissen. Eine kurze Rückfrage bei Christian bestätigte mir, dass davon auch ein MAN und ein Mercedes die für Straßentransport vollkommen überdimensionierten 16-Liter-Motoren hatten. Ich war ja manchmal schon erstaunt, was mein 455 PS Sechszylinder, der weitestgehend den europäischen Motoren in den DAF mit Anschrift 460 auf der Tür entsprach, sich manchmal durch die Düsen in die 13 Liter Hubraum zog. 
Im Juni 2016, also 3 Monate später, hatte MM Transporte dann gar keine Trucks mehr. Ich war erstaunt, wie viel Insiderwissen sich in dem öffentlichen Forum verbreitete. Und gerade uns Amerikanern hielten die Deutschen am lautesten von allen Vorträge über Datenschutz. Man konnte hier mit relativ wenig Aufwand und ohne sich für das Forum zu registrieren, problemlos herausfinden, dass MM Insolvenz angemeldet hatte, wo die Trucks geblieben waren, selbst wenn sie Duisburg verlassen hatten und andere Kennzeichen bekommen hatten und sogar von manchen Fahrerinnen und Fahrern ließ sich das ohne Probleme herausfinden, notfalls quer durch Deutschland bis Dresden. 

Noch härter hatte es wohl aber ein paar Monate früher, wie ich in der Diskussion rund um MM Transporte durch eine Anspielung in einem der Beiträge merkte, eine Firma Transport Schütz aus ungefähr der gleichen Gegend getroffen. Allerdings brachten mich deren Trucks noch mehr in Erstaunen. Dort schien die ganze Flotte mehrfach durchgetauscht worden zu sein und von den Beschriftungen nach lange Zeit immer nur aufs feinste – Scania R580 mit 100 PS und 2 Zylindern mehr als wirtschaftlich sinnvoll, ebenso übermotorisierte Volvo, MAN und Mercedes. Und wenn Paccar mehr als 510 PS hinbekäme, dann wären die DAF wohl auch stärker gewesen.
Auch die letzten Fahrzeuge, Marke MAN, hatten vielleicht mit 480 PS angemessenere Motoren, aber immer noch eine Menge Chrom und Licht. Und auch hier war es problemlos möglich, zu erkennen, dass ein Großteil der Fahrer samt Fahrzeugen und Speditionsgelände von einer Firma Scandinavia Express übernommen worden war, wer es nicht war, wo die jetzt steckten. Manche der Leute waren sogar dem erfolglosen Inhaber Patrick Schütz zu seiner neuen Firma in Hannover gefolgt, die eine deutsche Niederlassung einer österreichischen Spedition aus dem Großraum Wien war. Hier war scheitern egal. Aber im perfektionistischen Deutschland war ich mir nicht sicher, ob es ein Hindernis war, dass man so einfach nachlesen konnte, dass der Chef von Haider Deutschland schon mal eine Firma ungebremst vor die Wand gefahren hatte.

Ich legte mein Tablet bei Seite, mir schwirrte der Kopf. Das war irgendwie zu viel Information. Allerdings nahm ich mir vor, sollte ich jemals das Verlangen zu haben, mich zu vergrößern, das in angemessenem Tempo und mit sinnvoll motorisierten Fahrzeugen zu machen.
Und nachts warnte mich mein Unterbewusstsein noch mal eindringlich, es zu tun. Ich wälzte mich unruhig im Bett hin und her. Ein Alptraum folterte mich. Ich kaufte Truck um Truck, alles Classics mit 600 PS Cummins-Motoren. Meine Firma fuhr für CAT, für John Deere, für Costco, für Walmart. Und dann war ich pleite, musste nach Kalifornien und meinen Vater anbetteln, mich als Fahrer auf einen der Kenworth K270 Ausliefertrucks einzustellen und er ließ keine Chance aus, mich vor allen Leuten bloßzustellen als der ungezogene Sohn, der nicht auf seinen Vater hören wollte und nun sehen musste, was er davon hatte.


Mittwoch, 05.09.2018

Beim Frühstück überkam mich jedenfalls schon mal die Unentschlossenheit von Marc Mertens. Das lag allerdings daran, dass die Auswahl hier noch reichhaltiger war als beim Abendessen und außerdem dass es viel mehr gab, was man eigentlich mal probieren müsste. Ich hätte natürlich ein MVP nehmen können.
Ich wusste nicht, was diese Abkürzung bedeutete, aber das entsprechende Gericht schreckte mich schon ab. Es musste 20 Millionen Kalorien haben und auch die Menge an Essen würde ich nicht in meinen Magen kriegen. Und er sollte auch nie so groß werden, es zu schaffen. Man bekam entweder 3 Streifen Speck oder 2 Frikadellen, dazu 2 Spiegeleier, wahlweise einen Kartoffelpuffer oder Obst, entweder eine Waffel oder eine Portion Pancakes und schließlich wahlweise Grits (ein Maisbrei aus der Südstaatenküche) oder Biscuits (ebenfalls aus dem Süden stammendes Gebäck, ziemlich gleich zu English Muffins, die man in Deutschland zum Aufbacken im Toaster als „Toastbrötchen“ kannte) mit Hackfleischsoße.
Um mir wenigstens die Entscheidung zwischen süß und herzhaft zu ersparen, nahm ich die Golden Waffle Platter. Da gab es eine Waffel mit Butter und Ahornsirup, Rührei und 3 Scheiben Speck. Statt Speck hätte ich auch zwei der „Sausage“ genannten Frikadellen haben können. Die hatten die Form von Hamburgerpatties und verdankten ihren Namen der Tatsache, dass sie aus grober Bratwurstmasse gemacht wurden.

Um 5:53 AM trat ich das letzte Stück Interstate für diesen Auftrag an. Die I-40 brachte mich in unter 2 Stunden nach Shamrock (TX), die erste Abfahrt hinter der Staatengrenze. Nun ging es die US-83 runter ans Ziel Childress. Im Konvoi mit zwei Kollegen erreichte ich um 8:48 AM den Stadtrand.

Nach ein paar Minuten war auch der Händler erreicht und ich bekam den neuen Auftrag.

PICKUP: TXCDS-CAT-DE
DESTIN: NMRTN-UPR
TRAILER: RELOAD
LOAD: EMPTY CONTAINERS
WEIGHT: 8,544
REMARKS: CONTAINERS FROM PREVIOUS ORDER
DISPATCH: MABOS-CAT-SHB


Die Container sollten also hier entladen werden. Für mich hieß das, dass ich nur die Papiere machen musste und dann eine Weile Pause hatte. Der Arbeiter holte inzwischen einen 914M Radlader mit Gabelzinken und hob die Container vom Trailer.
Ich sah mir ein paar Videos auf Youtube an. Um einen meiner liebsten Streetclimber und Explorer aus Litauen war es ziemlich ruhig geworden. Er selbst hatte seit Wochen nichts mehr hochgeladen. Weil er aber in Videos seiner Freunde auftauchte und auf Twitter aktiv war, schien er noch zu leben. In diesem unserem Sport leider keine Selbstverständlichkeit, aber das war uns klar.

Wer die Aktivität wechselte, war „Mirco auf Achse“, ein Deutscher, der in Manitoba als Trucker fuhr. Er war bei einer Spedition nach CAT-Maßstäben von Level 1, also angestelltem Fahrer, auf Level 2 zum exklusiven Subunternehmer aufgestiegen. Allerdings gab es zuletzt Probleme mit schlecht geplanten Touren und vor ein paar Tagen hatte er sich im Video bei seiner Firma aus dem System ausgeloggt. Weil das seine Fans aus Deutschland missverstanden hatten, musste er nun erklären, was Sache war. Er wollte die Firma wechseln und wieder als Angestellter fahren.
Bei der Gelegenheit stellte er seinen bisherigen Truck, einen Peterbilt 386, zum Verkauf. Einen Moment lang dachte ich drüber nach, ihn nach dem Preis zu fragen. Aber dazu musste ich die Halle vergrößern, einen Fahrer finden, ihm den Truck bezahlen, dann den Ärger mit den „Pink Slips“ hinter mich bringen.
Das waren keine rosa Unterhosen, auch wenn man es manchmal glauben könnte, wenn bei entsprechenden Spielfilmen aus der Straßenrennszene Hohn und Spott gezeigt wurden, wenn einer sein Rennen verloren hatte. Rosa Unterhosen könnten kaum peinlicher sein. Ein Slip konnte neben knapp geschnittener Unterwäsche auch ein ebenso knapp geschnittener Papierstreifen sein. Und in der Hochzeit der Straßenrennen vom zweiten Weltkrieg bis zum Niedergang der Muscle Cars Mitte der 70er Jahre waren die Fahrzeugbriefe schmale und lange Dokumente auf rosa Papier, das schwer zu fälschen war. Wenn man also damals ein Rennen um „Pink Slips“ gefahren war, dann war der Einsatz nicht mehr und nicht weniger als der längliche, rosa Title of Ownership, der Fahrzeugbrief. Heutzutage hatten aber viele Staaten keine rosa Fahrzeugpapiere mehr und für die Benutzung von Standard-Druckern hatten sie das rechteckige Format von Normpapier bekommen, aber der Spitzname „Pink Slips“ war geblieben. Meine Fahrzeugpapiere in Pennsylvania waren zum Beispiel grau mit blauem Rand. Und weil auch mein Rennwagen mal als Straßenfahrzeug angefangen hatte, lag dort in den Unterlagen noch ein türkiser, entwerteter Title aus Florida bei.
Und weil Mircos Peterbilt eine kanadische Zulassung hatte, hätte es einiger zusätzlicher Bürokratie bedurft, den in die USA einzuführen und umzumelden. Außerdem dachte ich wieder an die Worte von Marc Mertens, das Schicksal seiner Firma und der von Patrick Schütz aus dem Forum und meinen Traum in der Nacht. Wenn ich meine Firma vergrößern wollte, dann nur mit entsprechender Vorsicht und Planung.

Ein Rumpeln am Trailer riss mich aus meinen Gedanken. Der Radlader stellte die Container wieder auf das Chassis. Also ging es für mich um 9:52 AM wieder auf die Reise, erst einmal die US-287 nach Amarillo, dann auf der I-87 weiter über die Grenze ans Ziel Raton (NM).
Inzwischen stand bei Texline wieder ein Grenzschild für New Mexico, ein ganz scharfes mit zwei Chilischoten sogar. Damit war nun Maine der einzige Staat, in dem ich gewesen war, der aber kein Schild an der Grenze hatte.

Nach knapp 5 Stunden erreichte ich Raton. Der Auftrag kam wie immer kurz vor der Ankunft am Ziel über Isotrak. Während ich bei Union Pacific auf den Stempel wartete, sah ich ihn mir mal an.

PICKUP: NMRTN-CAT-FA
DESTIN: CASRA-XYZ
TRAILER: RGN-493
LOAD: CB68B
WEIGHT: 34,789
DISPATCH: MABOS-CAT-SHB


Nun hatte ich lange genug Zeit gehabt, mich auf die Buchstaben „CA“ vorzubereiten. Aber als sie dann so da standen, war es doch unwirklich. Und die Gesellschaft, die mich dort erwartete, machte es kaum besser. Warum, Randy? Warum tust Du mir das an?

2 Kommentare zu „Kapitel 24 – Coast to Coast

    1. Danke. Bisher ja das einzige direkte Zusammentreffen von Personen unserer beiden Tagebücher. Sonst wird ja eher übereinander geredet.
      Auch wenn Du leider die Europäer wohl nicht mehr online stellst. Das Liebesdrama um Marc Mertens und die Französin war damals Klasse und hat mich durchaus für den hier noch folgendem Handlungsstrang linspiriert. Und das herzzerreißende Auftaktkapitel für Marc Mulder war glaube ich mein Allzeit-Allautoren-Lieblingskapitel.

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