Kapitel 45 – Ernstes Gartengespräch

Montag 25.05.2020

Oben bekam ich von Brian die Papiere und durfte die Woche Kühler fahren. Also koppelte ich an und machte mich gemäß Einsatzbefehl auf den Weg zu Kraft Heinz.

PICKUP: ORMFR-KRH
DESTIN: WAABD-711
TRAILER: REF48
LOAD: MILK
WEIGHT: 37,651
REEFER: 41F
DISPATCH: ORMFR-PCT-BRW

Also einmal die I-5 ein ordentliches Stück rauf in die Geburtsstadt des Grunge und ihres berühmtesten Vertreters Kurt Cobain. Bei dem Gewicht durfte ich erst mal das Fahrgestell am Trailer nach hinten ziehen, dann ging es traditionell tanken an Isaac‘s Truck Stop. Die Waage hinter Myrtle Creek ließ mich ziehen. Die Straßen waren noch leer und für ein Bisschen Abwechslung im Alltag auf der I-5 beschloss ich, mal den Willamette River in Portland nicht über die Marquam Bridge zu überqueren sondern über die Fremont.

Direkt danach war es auch Zeit, für die Mittagspause den Jubitz Truck Stop anzusteuern. Nicht gerade einer meiner liebsten Plätze, aber man musste derzeit ja immerhin die Shops und Restaurants noch weniger nutzen als sonst.

Nach weiteren 3 und insgesamt 9 Stunden erreichte ich Aberdeen. Eine Brücke, die anstatt fester Fahrbahn einen Bodenbelag aus Riffelblech hatte, war mir auch noch nie begegnet. So ein kurzes Stück bei Durchfahrten durch Wildzäune oder so, aber nie eine ganze Flussbrücke.

Die Rückfracht kam auch schon kurz vorm Ziel, eigentlich ungewöhnlich für einen Reefer an einem Supermarkt. Denn das bedeutete im Normalfall, dass ich hier gleich wieder beladen werden sollte.

PICKUP: WAABD-711
DESTIN: CASCZ-WAL-NM
TRAILER: REF48
LOAD: YOGHURT
WEIGHT: 39,000
REEFER: 39F
PRIORITY: IMMEDIATE
DISPATCH: ORMFR-PCT-BRW

Ich war ja inzwischen schon einiges gewöhnt. Aber da musste ich doch mal morgen Brian fragen, was es mit dieser komischen Sache auf sich hatte. Heute hatte der bestimmt Feierabend, so lange keiner von uns mit Notfall anrufen sollte. Eine komplette Ladung mit 39,000 Pfund Joghurt von einem Supermarkt der einen Kette zum Supermarkt einer anderen fast 1,000 Meilen entfernt, das ganze am liebsten gestern?
Für mich hieß es noch mal anderthalb Stunden fahren, bevor für mich am Love’s Travel Stop in Napavine (WA) auch Schluss war.


Dienstag, 26.05.2020

Die I-5 runter ging es weiter, heute würde ich keine andere Straße sehen. Es drohte generell ein ereignisloser Tag zu werden. Also beschloss ich, mal meinen Wissensdurst am frühen Vormittag zu stillen: „Hallo Brandon, was gibt’s?“ „Nichts wildes, nur die Neugier. Ich habe ja schon viel Dieselverschwendung und scheinbar sinnloses von A nach B gesehen. Aber was zur Hölle sollen 39,000 Pfund Joghurt von einem Supermarkt in Washington zu einem in Kalifornien für einen Sinn machen?“ „Keinen.“ „Danke. Gerne mit Details.“
„Fangen wir mit den 39,000 Pfund Joghurt an, die 39,000 Pfund Milchprodukte sind. Das ist so eine Macke bei den meisten Systemen. Die Fracht kann nur eine Bezeichnung haben. Das stellt uns bei Mischfrachten vor ein Dilemma. Ich übernehme das sowieso nur bei den Aufträgen, die ich annehme, also hier Walmart. Aber ich habe ja mal in Cleveland bei der internen Logistik von 7-Eleven Speditionskaufmann gelernt, bevor ich mich bei CAT mit einer Baumaschine je Trailer ausruhen durfte. Entweder kann man manuell das Feld mit einem Oberbegriff überschreiben. Das ist, wenn Du schon mal so Sachen wie „Konserven“, „Tiefkühlkost“ oder „Obst“ bekommst. Die meisten Disponenten ziehen bei Mischfrachten einfach die Paletten der Reihe nach in den Auftrag. Und dann trägt das System entweder die erste rein und lässt sie stehen, das macht zum Beispiel Walmarts ORBCOMM. Bei uns damals im Omnitracs wurde immer überschrieben. Das Ergebnis ist das gleiche, im System steht am Ende die Ladung der ersten oder letzten Palette für den ganzen Trailer.“ 
„Ah, okay. Bei Costco hatten wir ja auch Omnitracs, da habe ich mich aber als Neuling nie zu fragen gewagt.“
„Und diese Ladung speziell, ja. Da muss jemand bei Walmart einen etwas größeren Scheißhaufen gebaut haben. Das Zeug, das Du drauf hast, ist von der Walmart Hausmarke und sollte eigentlich nach Kalifornien in einen eigenen Markt. Am Ende hat das aber irgendwer nach Washington zu 7-Eleven verdisponiert. Nun hatten die eine komplette Trailerladung wegen des Aufdrucks für sie unverkäufliche Ware und in Kalifornien fehlt sie.“ 
„Oha, da weiß ich, wer ich gerade nicht sein will.“
„Das glaub mal! Mir ist so ein Knaller mal in der Ausbildung passiert. Da hat dann zum Glück mein Ausbilder einen fristlosen Rausschmiss bekommen, weil er es ja kontrollieren musste, aber als offenes Geheimnis lieber Onlinepoker gespielt hat, als auf uns aufzupassen. Geht so lange gut, wie alles gut geht. Solche Brüller kann man dann auf zwei Arten lösen. Entweder man setzt eine Kaskade in Gang. Diese Ladung nach Portland. Von Portland das gleiche Zeug zu uns hier nach Medford. Von dem Lager in Eugene oder wo auch immer, das uns sonst versorgt, nach Sacramento und von Sacramento eine nach Santa Cruz. Erfordert aber, dass der Kram in dieser Zusammenstellung an jeder Station im Lager sein muss und überall ein passender Trailer mit freier Zugmaschine steht oder rechtzeitig hinkommt. Bei manchen Sachen geht das aber sogar mal. Bei so einem Wildwuchs wie Milchprodukten gewinnst Du vorher im Lotto. Also Methode zwei – die ganze Ladung auf einen Trailer und den Truck mit der Peitsche die ganze Küste runter treiben.“


Und es wurden am Ende auch sonst nur drei Ereignisse an dem Tag. Myrtle Creek Southbound Weigh Station – 75,576 lb. danke schön und weiter.
Seven Feathers in Canyonville (OR) war so ein Kult-Stop, den wir nie sahen, weil er einfach zu dicht an der Heimatbasis lag. Aber heute konnte ich hier mal zum Tanken und auf ein immer noch nur Takeaway erhältliches Pulled-Pork bleiben. Und wieder mal war ich froh zu arbeiten, wo andere Urlaub machten.

Der California Point of Entry war natürlich fest gebucht mit Milchprodukten und ich hatte schon Angst, mit diesem kruden Auftrag komplett auseinandergenommen zu werden. Aber der Inspektor des DFA hatte wohl heute keinen Bock, blätterte durch die Unterlagen, prüfte die Temperatur und die hintere Reihe Paletten und ließ mich wieder ziehen.
Auf der Herbert S. Miles Rest Area machte ich Schluss und sättigte mich gezwungenermaßen mit Dosenfutter, da ich natürlich keine kalifornischen Frischwaren an Bord hatte.


Mittwoch, 27.05.2020

Meine Fracht eilte und so ging es um 6 AM schon weiter. Colusa County war auch alleine mit der Tatsache zufrieden, dass mein Truck nur 76,051 lb. wog und ließ mich direkt von der Brückenwaage zurück auf die Interstate ziehen. Ich begann diese Mietkarre zu lieben. Zumindest für ihren Status an Waagen. Insgesamt wurde ich mit Kenworth T680 in diesem Leben kein Freund mehr.

Zwar war ich schon ein paarmal über die San Francisco-Oakland-Bay-Bridge gefahren, aber es war immer wieder ein beeindruckendes Bauwerk. Dennoch sollte ich mal sehen, ob sich auch zur Abwechslung irgendwie andere Strecken über die Bucht einschieben ließen. Nun ging es aber erst mal noch die Halbinsel runter und dann nach Santa Cruz und zum Walmart Neighborhood Market.
Der Marktleiter kam aus der Eingangstür gerannt, als ich noch dabei war, auf dem Parkplatz in Position zu fahren, wo ich keinen störte, aber gut stand, um gleich zu den Ladebuchten zurückstoßen zu können. „Hallo! Was bringst Du uns denn?“ „Milchprodukte aus Aberdeen, Washington State.“ „Ach, die fehlgeleitete Fuhre?“ „Ja.“ „Gut, wir mussten schon manche Produkte in der Anzahl je Haushalt einschränken. Setz an Rampe 1, bitte. Ist alles frei da hinten.“ Mit so viel Platz sparte ich es mir dann, den Radstand zu verkürzen. Mit dem sich zwangsweise ergebenden, längeren Bogen und einmal korrigieren war man schneller.

Den Folgeauftrag hatte Brian in der größeren Stadt gefunden, wo ich eben durch war. Und danach ging es die halbe I-5 wieder rauf. Scheinbar hatten sie bei Isotrak auch mal angefangen, die Codes wo möglich und noch nicht geschehen an die Flughäfen anzupassen. San Francisco war doch sonst immer SFR. Das dürfte vorübergehend mehr verwirren als nützen.

PICKUP: CASFO-POR
DESTIN: ORBND-711
TRAILER: REF48
LOAD: BUTTER
WEIGHT: 34,499
TERMINAL: PIER 80
REEFER: 36F
DISPATCH: ORMFR-PCT-BRW

Also machte ich mich auf den Weg zurück nach San Francisco und in den Hafen, nicht ohne während der Entladezeit am Supermarkt im Laden ein Bisschen Frischwaren einzukaufen. Die Mittagspause in Form eines kleinen Salats passte auch noch in die Zeit.

Bis ich in San Francisco und beladen war, zeigte die Uhr 4 PM, der Countdown noch 02:32 Restfahrzeit. Also ging es über die Brücke zurück aufs Ostufer und noch ein Stück die Interstate rauf. In Ermangelung von Truckstops fuhr ich von der Insterstate ab und auf einen Rastplatz am State Highway. Heute Abend war es höchste Zeit, mal die Unterwegs-Grillsaison 2020 zu eröffnen.


Donnerstag, 28.05.2020

Ich würde zwar ankommen, aber auch das war dann ein ziemlich einfach zu beschreibender Tag. I-5 nach Weed und weiter auf der US-97. Eigentlich hatte es Anfang des Jahres danach ausgesehen, als würde es nun nach Osten gehen. Dank Corona hatten die USA aber auch weiterhin gefühlt eine bevorzugte Nord-Süd-Ausdehnung.
Ich fuhr mal zur Abwechslung weiter über den Highway nach Stockton und dort auf die I-5, denn die Verbindung kannte ich noch nicht. Colusa County einmal wiegen, 71,060 lb. und weiter. Die Mittagspause machte ich auf einem Kiesplatz in Nordkalifornien an der US-97. Hier hatte ich einen weiteren Salat, den ich gestern gekauft hatte und wegen ein paar Campern auf dem Nachbarplatz verkniff ich mir eine Kletterübung auf dem alten Webeschild sondern ging etwas im Wald spazieren, was entspannend war, so lange ich alleine war. Von Freunden, denen dabei trotz der längeren Beine teilweise die Luft ausging, musste ich mir öfter anhören, dass ich einer der Beweise dafür wäre, dass Gehen zu Recht olympische Disziplin wäre.

Wieder aus Kalifornien raus waren die Tanks recht leer, also hielt ich nach weniger als zwei Stunden wieder an, um in Klamath Falls zu anständigen Preisen wieder zu tanken. Gestern und heute wurde wieder mehr gewogen, auch die Klamath Falls Weigh Station zog mich raus, ließ mich aber mit den 71,899 lb. wieder weiterfahren. Genau 5 PM stand ich vor dem 7-Eleven in Bend, ließ mir die Rampe zuteilen und wartete auf die einzige Meldung, die heute noch Sinn machte.

LOCATION: ORBND
ACTION: 12H BREAK
DISPATCH: ORMFR-PCT-BRW

Also durfte ich mir mal wieder einen Stellplatz suchen. Weil ich heute mehr Restfahrzeit hatte, wollte ich nicht wieder den Parkplatz hier um die Ecke mit all seinen sanitären Problemen auf mich nehmen. Stattdessen suchte ich in der Zeit, wo die Mitarbeiter des Supermarktes den Trailer entluden, auf Google Street View und fand in dem Gewerbegebiet direkt neben der US-97 an der Boyd Acres Road einen Kiesplatz, wo offenbar gerne Trucks und Trailer abgestellt wurden. Gewerbegebiet und ein Fluss mit Grünzeug am Ufer zwischen da und den nächsten Wohnhäusern sollten den Aufenthalt ohne Fliesenabteilung problemloser machen. Nebenan gab es eine Grill-Bar, die derzeit Takeaway anbot. Also fuhr ich das Stück dort hin und machte Schluss.

Beim Anblick der Nachrichten musste ich aber doch mal einen alten Freund anrufen, zu dem der Kontakt schon lange eingeschlafen war. Aber seine Handynummer war laut Whatsapp immer noch dieselbe. Immerhin hatten wir mal unter einem Dach gewohnt. „Hallo?“ „Hallo Kyle? Brandon Ridley hier.“ „Hallo Brandon. Lange nichts gehört. Wie geht es Dir? Tristan hat mal gesagt, Du wärst im Westen?” „Mir geht es gut. Ja, ich bin in Oregon. Und was ist mit Dir? Bist Du noch in Minneapolis und wenn ja gerade in Sicherheit?“ „Ja und ja. Ich bin noch hier, auch wenn mein Arbeitgeber es nicht mehr ist, weil sie Minneapolis geschlossen haben und insgesamt gerade Modell’s Sporting Goods den Bach runter geht. Lebe derzeit im wunderschönen Riverside Plaza Hochhauskomplex in einer zugewiesenen Wohnung von Sozialhilfe.“ „Oh, das tut mir leid.“ „Die Unruhen sind aber leider nur anderthalb Meilen von hier. Ich kann die gerade brennende Polizeiwache aus den Nachrichten direkt von meinem Balkon sehen.“ „Oha. Pass gut auf Dich auf.“ „Wenn die Lage zu schlimm wird, dann fliege ich nach Florida zu meinen Eltern oder notfalls fahre ich mit dem Auto, wenn keine Flüge gehen. Sie haben schon angeboten, mir das zu bezahlen. Sie würden mir auch eine andere Wohnung bezahlen und Taschengeld dazu, aber das will ich nicht, so lange ich anders über die Runden komme.“
Wir sprachen noch ein Bisschen über dies und das. Er hatte all die Jahre bei der Sportladenkette, bei der er in Philadelphia gelernt hatte, als Verkäufer gearbeitet und war zum Experten für Laufschuhe geworden, aber dann hatte die Krise den ohnehin schwächelnden Konzern erwischt. Ich erzählte ihm, dass ich ein eigenes Unternehmen in Philadelphia gehabt hatte, bei illegaler sportlicher Aktivität verunglückt war und danach nach Oregon gezogen war und als angestellter Fahrer neu angefangen hatte. Schließlich wollte Kyle in Anbetracht der zwei Stunden Zeitverschiebung ins Bett. Wir beschlossen aber, uns nicht wieder so lange aus den Augen zu verlieren.


Freitag, 29.05.2020

Ich machte mir mein Frühstück, nahm noch mal eine Kanisterwäsche und verkrümelte mich zwischen die Büsche am Flussufer. Dann aktivierte ich mein Tablet und machte die PTI, als ich wieder einstieg war der Auftrag da.

PICKUP: ORBND-KRH
DESTIN: ORONO-711
TRAILER: REF48
LOAD: CHEESE
WEIGHT: 29,489
REEFER: 45
DISPATCH: ORMFR-PCT-BRW

Prineville war eine kleine Stadt nordöstlich von Bend, wo man leider einen ziemlich fiesen Berg runter musste. Und dort lag diese Farm nun mal. Bei dem Gewicht musste der Achsschlitten sowieso weiter nach vorne, also rechnete ich über den Daumen aus wohin und war wenigstens wendiger. Die Anfahrt dauerte 1:20, dann noch aufladen und um 08:19 AM war ich abfahrbereit.
Ereignislos ging es durch den Tag, nicht mal die Waage hinter Burns machte ein Ereignis draus. Die Mittagspause verbrachte ich am Buchannan Springs Parking Lot, einem Wanderparkplatz, dessen größtes Manko für die meisten Besucher laut Google Maps war, dass er Hocktoiletten und eine Sickergrube hatte. Mitten in der Steppe konnte man Wasser besser gebrauchen, als für eine Wasserspülung. Nachher dürfte ich bis hier kommen und dann den Luxus genießen, dass heute Nacht im Gegensatz zur letzten eine Mauer um meine Hocktoilette war. Erst einmal musste ich aber noch nach Ontario (OR).

Irgendwie war ich diese Woche mal gefühlt als 7-Eleven Subunternehmer unterwegs. Aber wenn Brian damals bei denen gelernt hatte, vielleicht hatte er ja dienstliches Heimweh oder so. Ich war mal gespannt, ob er noch einen Auftrag für den Heimweg fand. Während ich entladen wurde, piepte das Tablet.

PICKUP: ORONO-DOL
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LOAD: FRUIT
WEIGHT: 29,906
REEFER: 54F
DISPATCH: ORMFR-PCT-BRW

Langsam fand ich es wirklich witzig. Diese Woche hatte ich keinen einzigen Auftrag gehabt, bei dem nicht irgendwie 7-Eleven irgendwie darin verstrickt war. Ich fuhr zur Vertragsfarm von Dole, ließ das Obst und Gemüse aufladen und machte mich auf den Rückweg.

Wie vorausberechnet kam ich wieder nach Buchannan Springs.


Samstag, 30.05.2020

Also fuhr ich nach dem Frühstück weiter, wurde vor Bend einmal kurz gewogen und durfte wieder sofort weiter. Etwas über 3 Stunden waren es bis Bend, wo mir der Marktleiter heute schon eine Dose Cola während der Wartezeit spendierte. In den letzten Wochen war ich ja durchaus öfter hier gewesen und man kannte sich inzwischen. Anschließend sollte ich leer nach Hause kommen.

START: ORBND
DESTIN: ORMFR-PCT
TRAILER: REF48
LOAD: EMPTY
REEFER: OFF
DISPATCH: ORMFR-PCT-BRW

Also wieder mal leer von Bend zurück nach Hause. Auch das wurde inzwischen so eine Art Routine. Um 2 PM war ich da, räumte die frischen Lebensmittel aus dem Truck, die ich mit nach Hause nehmen wollte, um sie dort zu verbrauchen, die Dreckwäsche, meinen Kulturbeutel zur Prüfung und wenn erforderlich zum Auffüllen. Als nächstes fuhr erst mal zum Walmart einkaufen und anschließend noch zum Truckstop, meinen privaten Truck tanken. Benzin gab es hier schließlich auch.
Dabei drehte ich eine kleine Truckspotter-Runde über den Platz, wie immer, wenn ich den Pickup hier volltankte. Mein Blick blieb an einem schwarzen Peterbilt 579 von Johnson aus Colville (WA) hängen, der eine Baumaschine transportierte. Er erinnerte mich an meinen eigenen Truck damals.
Warum konnte ich nicht noch in Philadelphia sein und meine eigene Firma haben? Ich war hier nicht unzufrieden mit der Arbeit. Aber ich war gerade sehr unzufrieden mit meinem Privatleben. Und der Grund dafür arbeitete nun mal in der gleichen Firma wie ich und stand auf den gleichen Typen wie ich.

Sonntag, 31.05.2020

Ich konnte halt doch rechnen, dieses Wochenende durfte ich den Gastgeber spielen. Der Vorteil war, dass ich nicht viel vorbereiten musste, außer Getränke kaltstellen.
Wegen der aktuellen Ereignisse hatten wir überlegt, das Treffen abzusagen, aber uns dagegen entschieden. Der einzige, der zu einem Protest gehen wollte, war Casey, der ins benachbarte Ashland fahren wollte. Wenn wir übrigen nun zu Hause alleine hocken blieben und weder zu einer Kundgebung gingen noch uns im Freundeskreis trafen, dann hatten die Chaoten gewonnen.

Danny beherrschte weiterhin die Kunst des Parallelflirtens. Auf meinem eigenen Grundstück hatte ich allerdings Heimvorteil. Also passte ich ihn auf dem Weg vom Klo zurück abseits der Gruppe ab. „Danny, können wir mal reden?“ „Ja, klar.“ „Merkst Du nicht, dass es so nicht weiter gehen kann?“ „Was meinst Du?“ „Du spielst mit meinen Gefühlen. Und mit Evans auch.“ „Aber das ist doch alles ganz unverbindlich. Ich habe nie einen von Euch gefragt, ob wir zusammen sein wollen. Und von Euch hat mich das auch noch nie einer gefragt. Und wieso weißt Du, dass es Evan genauso geht?“ „Weil wir uns deshalb angiften wie Frauen in einer 80es-Fernsehserie, die um den gleichen Mann buhlen, sobald wir alleine sind.“
Sein Einwand war allerdings auch richtig, das eine wie leider das andere. Und ich hatte auch irgendwie Angst vor dieser Frage gehabt bisher, denn sie war nie gut ausgegangen. Zwei, denen ich sie gestellt hatte, waren tot, der dritte hatte sich hinterher als ein ganz anderer Mensch erwiesen, als der, der er zu sein schien. Außerdem hatte diese Frage immer ein Problem, sie erforderte eine Antwort. Auch das hatte ich durch, die Antwort damals war nein und ich hatte sie auch selbst schon mal gegeben, als ich gefragt worden war. Und doch war ich verzweifelt, ich brauchte diese Entscheidung. „Dann frage ich es Dich jetzt.“
Danny schien mit der Frage genauso überfordert zu sein, wie mit der Tatsache, dass das für mich, und der Szene von Montag nach auch für Evan, mehr war als nur ein Spiel. „Das… Das ist alles so unerwartet jetzt.“ Ach was, mein Sarkasmus brach durch: „Wer mit dem Schalter spielt, muss damit rechnen, dass auf einmal das Licht angeht!“ Irgendwie fanden, während wir uns gegenüber standen, unsere Hände zueinander. Mit Social Distance hatten wir es ja sowieso nicht gehabt zuletzt.
„Und was soll ich denn jetzt machen? So aus dem Stand? Sagen, dass ich mit Dir zusammen sein will, schon klar.“ 
„Das kann ich nicht erzwingen. Ich kann nur sagen, was in mir vorgeht und was um mich herum passiert.“
In dem Moment kam Evan um die Ecke. Er blieb einen Moment in Schockstarre stehen, dann drehte er sich um und ging. Ich konnte den Reflex bei Danny erkennen, ihm hinterher zu laufen, um ihn nicht aus seinem Spiel zu verlieren. Meine Hände hatte er schon eben losgelassen. Aber dann wurde ihm scheinbar doch klar, dass er dann nur wieder die Rollen von Evan und mir vertauschen würde.
„Ich weiß nicht, ob ich das kann. Ich will doch keinen von Euch vor den Kopf stoßen. Und jetzt mache ich es mit beiden.“ 
„Du musst. Nicht heute. Aber lange wird es nicht mehr gut gehen. Sieh Dich nur mal um. Zwischen Evan und mir herrscht schon Zickenkrieg. Zu allem Elend arbeiten wir auch noch für die gleiche Firma, die gehört Evans bestem Kumpel. Also hängt irgendwie auch noch vielleicht mein Arbeitsplatz an dem ganzen Spielchen.“ Er sah so aus, als würde er gleich heulen. „Werde Dir selbst über Deine Gefühle für jeden von uns beiden klar. Denn nur Du selbst kannst wissen, was Du willst. Und dann lege uns beiden die Karten auf dem Tisch.“
Wir gingen zurück zur Gruppe, wo Evan mir einen Blick zuwarf, der das Potenzial zum Töten hatte, bevor er sich eine neue Flasche Bier aufmachte.
Irgendwann hatte Brian scheinbar genug von dem Trinkspielchen: „Evan, ich bin am Wochenende und in Eurer Freizeit ungerne der Boss. Aber ich glaube, wir gehen jetzt besser. Sonst muss ich morgen Deine Tour absagen und Dir den Truckschlüssel wegnehmen!“ „Das issoch alles denen ihre Schuld.“ Er zeigte auf Danny und mich. „Ja, meinetwegen. Und jetzt komm!“ Ich sah den beiden hinterher. Wenn Brian in dieser Sache Partei ergriff, hatte ich wahrscheinlich richtig ein Problem.

Und noch jemand hatte zu tief in die Bierflasche geschaut: „Stört mein Auto da? Ich brauche ein Taxi.“ Mensch Alex, wegen so was wie Dir haben Russen einen schlechten Ruf. Das war mir letztes Jahr irgendwie gar nicht so aufgefallen. Hatte er während des Lockdown damit angefangen? Ich peilte in Richtung des uralten Oldsmobile, das auf der Einfahrt vor meinem Camper stand: „Nein, ich wollte morgen eigentlich nicht zum Campen. Mit dem Silverado komme ich schon vorbei, notfalls über den Rasen.“ Das Taxi blieb ihm erspart, denn Paul bot sich an, Alex auf dem Heimweg zu Hause abzusetzen, das war kein allzu großer Umweg.

Nachdem alle Gäste gegangen waren, räumte ich noch auf und ging auch ins Bett. Lange konnte das so auf keinen Fall mehr weitergehen.

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