Kapitel 52 – Stilles Wasser auf dem Sofa

Montag, 20.07.2020

Caleb brachte mich zu meinem Truck und musste dann noch eine Stunde totschlagen, bevor seine Schicht losging. Ich machte meine PTI und durfte auch gleich an meine alte Wirkungsstätte zurückkehren. Der Abladepunkt sollte dann den Staat Arkansas auf meiner persönlichen Liste von den Transitstaaten in die Zielstaaten befördern.

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Also machte ich mich auf den Weg zum Zentrallager von Costco. Immer der Flotte Kenworth T680 und T440 oder International LT und RH entgegen. Die Abläufe saßen noch, Anmeldung sowieso und das richtige Tor zu finden bekam ich auch schnell auf die Kette.
An der Rampe war aber noch keiner, der kam angerannt, als ich gerade ausstieg, um die Türen zu öffnen: „Hallo! F…k! Entschuldige! Wie kommst Du denn so schnell hier her? Bei einem Fremdunternehmen aus Oregon dachte ich, es würde noch für den Kaffee zu Ende reichen, bis Du das Tor gefunden hast.“ „Ich habe vor 7 Jahren mit Deinem Job hier angefangen und habe ein Jahr später die Seite gewechselt, bin dann noch 2 Jahre einen Eurer Trucks gefahren und danach meinen eigenen Weg gegangen. Im Westen bin ich noch keine zwei Jahre wieder. Tut mir Leid mit dem Kaffee.“ Er beeilte sich dann mit dem Laden und so war ich flott wieder draußen.

Um dem montagmorgens dicken Verkehr auf der I-95 rund um Baltimore und DC zu entgehen, fuhr ich stattdessen auf der I-76 gegen den Strom nach Harrisburg und dort auf die I-81. Das ging vermutlich schneller, auch wenn es ein paar Meilen weiter war. Die I-81 verlief recht unspektakulär durch ein eher weites Tal parallel zu den Kämmen der Berge. So kam man gut vorwärts, aber es gab Landschaft zu sehen.

Durch West Virginia ging es recht schnell nach Virginia und am Pilot Travel Center in Troutville gab es mittags eine Ladung Diesel für den Truck, ein Subway Sandwich für mich und weil ich getankt hatte einen Softdrink aufs Haus dazu. Das war einer der kleinsten Truck Stops, die ich kannte. Wohl dem, der hier nur tankte und kleine Pause machte. Abends dürfte man hier seine Probleme kriegen.

Am frühen Abend erreichte ich Tennessee und vor Knoxville wurde die I-81 zur I-40. Ich kam bis Cookeville (TN), wo der Arbeitstag auf dem Super Truck & Travel Plaza endete. Weil ich mich im Supermarkt gegenüber Calebs Wohnung versorgt hatte, konnte ich mir selbst was zu essen machen, denn hier gab es auch nur Subway. Danach schnitt ich das recht kurze Freerunning-Video vom letzten Freitagabend und lud es hoch.


Dienstag, 21.07.2020

Immerhin konnte ich mir für den Gutschein der gestrigen Dusche zum Frühstück einen Tee holen. Allerdings gab es das Frühstück selbst in meinem Truck aus der Müslischüssel. Schließlich ging es um kurz nach 7 AM in der hier geltenden CDT los. Ich passierte Nashville und den Tennessee River. Auch die Stanton (TN) Weigh Station durfte ich passieren. Der Staat endete hinter Memphis auf der Brücke über den Mississippi.

Und direkt danach gab es Ärger, denn die I-40 Richtung Little Rock war gesperrt. Ich konnte nur eine Solozugmaschine auf der Fahrbahn erkennen, aber keinen Trailer. Was also passiert war, konnte ich mir keinen Reim drauf machen. Weil ich ohnehin Pause machen musste, fuhr ich auf der I-55 erst mal auf die Marion (AR) Rest Area. Danach wollte mich mein Navi erst gar nicht auf die US-64 lassen. Die musste durch den Umleiterverkehr komplett überlastet sein.
Also nahm ich die I-555, aber in Payneway an der AR-14 stand ein Polizeipickup mit einer Anzeigetafel auf der Ladefläche, der anzeigte „Schwere LKW nach Litte Rock über Jonesboro!“ So wurde es ein ordentlicher Umweg. Ich passierte schließlich auch das durch den Code angezeigte Ziel Russellville (AR) und das Navi schickte mich erst in Clarksville fast 20 Meilen später runter. Hier war dann das Walmart Supercenter.

Während ich an der Laderampe stand und wartete, klingelte mein Telefon. Die Nummer war nicht in meinem Adressbuch. „Hallo. Brandon hier.“ „Susan von TTC. Hallo Brandon. Wir haben uns beraten und wollen einen neuen Fahrer einstellen. Wann könntest Du denn mal vorbei kommen, damit wir uns persönlich treffen können?“ „Cool. Ich weiß es leider noch nicht genau. Ich bin gerade in Arkansas, hoffe aber nach 3 Wochen am Stück, dass ich mal wieder nach Hause komme. Aber dazu muss schon alles passen.“
„Stört Dich das, 3 Wochen am Stück unterwegs zu sein?“ 
„Nein, an sich nicht. Zumal ich sowohl in North Carolina als auch in Pennsylvania meine Wochenenden mit Freunden verbringen konnte. Ich bin da als Kind der sozialen Medien landesweit gut vernetzt. Aber wenn ich es nicht schaffe, dann wird es schwierig, dass wir uns treffen könnten.“
„Na gut, wenn Du es weißt, dann melde Dich. Wir sind ab Samstag um die Mittagszeit zu Hause und werden uns auch den Montag freihalten.“
 „Okay. Ich melde mich. Morgen sollte es absehbar sein.“
Randy würde im Viereck springen, wenn er das wüsste. Er hatte mir schließlich geraten, zu bleiben. Aber ich wollte es nicht. Ich wollte Evan und Danny nicht ertragen. Und vielleicht wurde es auch einfach langsam Zeit, dass ich aus dem Schatten meines großen Bruders heraustrat?

Nachdem ich entladen war, fuhr ich zum Valero Tiger Mart, was aber nur eine Tankstelle mit großem Parkplatz war. Es gab eine eher dreckige Toilette, was scheinbar tagesformabhängig war, denn die Onlinebewertungen tendierten zum einen oder anderen Extrem. Und um die Hotbox mit Pizza machte ich auch einen Bogen, falls das auch Tagesform sein sollte. So blieb mir nur, im Truck was in die Mikrowelle zu schieben. Danach schnitt ich schon mal einen Teil des Truckervideos der Vorwoche.


Mittwoch, 22.07.2020

Auch das Frühstück fand natürlich im Truck statt. Nach der PTI war ich um 7:11 AM CDT abfahrbereit. Es ging zumindest weiter in die richtige Richtung. Mit bestimmt nicht nur Nüssen von einer Fabrik der General Mills ordentlich nördlich von Russellville sollte es nach Raton (NM) gehen. Allerdings blieb es spannend, von da in nicht ganz 3 Tagen nach Hause war ein straffes Programm.

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Es dauerte ungefähr 30 Minuten, bis ich die Fabrik erreichte. Über Torzuweisung, Warten, Beladung und Papierkram gingen weitere fast 50 Minuten ins Land und so war ich erst um 8:30 wirklich unterwegs für heute, anderthalb Stunden nachdem ich das E-Log auf Arbeit umgestellt und mit der PTI begonnen hatte.

Schon bald fuhr ich über die Grenze nach Oklahoma und mit einer Pause am Love’s in El Reno (OK) war ich am Nachmittag auch wieder nach Texas raus. In Shamrock an der Waage musste man die Interstate verlassen. Hier war ein Bypass-Transponder viel wert, wenn er denn auf grün sprang. Meiner leuchtete rot, also blieb mir die Stadtrundfahrt nicht erspart. Mit 69,521 Pfund war ich länger mit von der Interstate ab- und wieder auffahren beschäftigt als auf der Waage selbst.

Nebraska hatte zwar keine nennenswerte Landschaft, aber wenigstens Botanik zu bieten. Oklahoma und Texas waren aber einfach nur fast platt und dazu noch staubtrocken.

Um 7 PM CDT fuhr ich in Dalhart (TX) an die letztmögliche Tankstelle im billigsten Staat und füllte die Tanks. Dort stellte ich das Fahrzeug dann auch gleich ab und machte Schluss für heute. Heute wurde die vergangene Truckerwoche fertig und landete auf Youtube.


Donnerstag, 23.07.2020

Noch 2 Stunden war ich unterwegs, bis ich den Neighborhood Market in Raton erreichte. Wie immer musste ich zusehen, wie ich auf dem engen Platz an die Rampe kam, zumal ein Trailer an der äußeren Rampe stand und ich somit in die Lücke zwischen Trailer und Wand musste.

Die nächste Fracht lief nach Plan. Ich sollte vielleicht mal langsam Brian anrufen und um freie Tage bitten.

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“Hallo Brandon!” „Hi Brian. Klappt das zum Wochenende nach Hause?“ „Sollte es. Die beiden anderen wollen so langsam den Boxvan zurück und sagen, ich soll Dir endlich mal wieder den Flatbed mitgeben.“ „Boxvan können sie haben. Aber kannst Du mich bitte Montag und Dienstag aus der Dispo raus nehmen?“ „Wieso das denn?“ „Habe nur ein paar private Dinge zu regeln.“ „Wenn es denn sein muss. Okay. Ich plane ab Mittwoch für Dich.“

Danach fuhr ich zur Union Pacific und ließ mir in deren Lagerhalle den Dünger für Provo (UT) aufladen. Anschließend ging es auf den zumindest geographischen Höhepunkt meiner Karriere zu. Allerdings gab es erst mal in Colorado Springs, der Stadt, wo ich mal irgendwann den geographischen Höhepunkt meiner Rennfahrerkarriere in Angriff nehmen wollte, eine Mittagspause am Tomahawk Auto & Truck Plaza. Anschließend ging es mit einer kleinen Zwischenwiegung weiter nach Denver und in der Mile High City wechselte ich auf die I-70, die im Eisenhower Tunnel den höchsten Punkt des Interstate-Netzes enthielt.
Die anschließende Strecke war auch atemberaubend. Vielleicht sollte ich nicht nur den Zug der Woche bei in Kanada lebenden Deutschen abschauen sondern auch das Truck Taxi. Bei Dotsero überquerte ich den Colorado River.

Diese Strecke war ich noch nie mit einem Truck gefahren, wohl aber in die Gegenrichtung mit einem Oldsmobile Cutlass Ciera Cruiser Wagon. Der Canyon, den der Colorado hier geschnitten hatte, war wesentlich kleiner, aber ich fand ihn nicht minder spektakulär wie den Grand Canyon. Schmaler, aber vielleicht machte ihn das aus. Und dass man unten drin herum fuhr anstatt von oben rein zu schauen.

Auf der US-6 in Utah fand sich dann auch ein recht unspektakulärer Zug der Woche.

Heute gab es Wildcampen auf einem Parkplatz an der Einmündung der UT-123 in die US-191, die mit der US-6 zusammen verlief. Ich grillte mir ein Steak, das ich mir im Walmart gegönnt hatte und schnitt anschließend das Video aus der Turnhalle in Philadelphia. Hier gab es sowieso kein Netz, also konnte ich mich ganz darauf konzentrieren und hatte keine Ablenkung durch Videos anderer Youtuber.


Freitag, 24.07.2020

Heute musste ich erst mal warten. Damit ich nicht die 11 Stunden Lenkzeit in 24 Stunden überschritt, musste ich so viel länger stehen, wie ich heute länger zur Ladestelle brauchte als gestern. Ungefähr gingen sich die Ladestellen immer aus, notfalls ein Bisschen trödeln oder um die Ecke hinter der Ausfahrt beim Kunden noch mal parken.

Farmer’s Barn in Provo war ein Laden einer Kette, die nicht nur Landwirte ansprach sondern auch Gartenbesitzer. Sozusagen ein Landhandel mit Baumarktabteilung. Wobei man für einen der Säcke Dünger auf diesen Paletten schon ein Stück Garten haben sollte. Hier gab es auch gleich die nächste Ladung, nun war ich gespannt.

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Leerpalletten bis nach Redding, aber ich wollte mich nicht beschweren, denn das war der erhoffte Heimatschuss. Während beladen wurde, machte ich mit Susan einen Bürotermin zum Vorstellungsgespräch am Montag um 7:30 AM in Port Angeles aus. Am Samstag kam ich nachmittags an, dann konnte ich waschen und mal den Rasen vorm Haus mähen. Am späten Sonntagvormittag dann nach Port Angeles fahren, mit dem PKW musste man da 8 Stunden rechnen.
So konnte ich am Montag, wenn wir uns einig wurden, noch auf Wohnungssuche gehen und am Dienstag zurückfahren. Mittwoch dann gegebenenfalls Brian die unfrohe Botschaft überbringen und sehen, wie er reagierte, ob ich überhaupt noch raus musste. Und das allerbeste – wenn es so lief wie ich mir das vorstellte, dann würde mir der Anblick von Evan und Danny in der Hauptrolle des Films „Die zwei Turteltäubchen“ komplett erspart bleiben.

Um 11:17 MDT, nach über anderthalb Stunden, durfte ich weiterfahren. Leider ging es nicht ohne Pause, da ich keine achteinhalb Stunden am Stück fahren durfte und außerdem sogar ich das nur an guten Tagen konnte. Also los, nach Salt Lake City und dann auf die I-80 nach Westen.

Sowohl am Nevada Port of Entry als auch an der Osino Weigh Station bekam ich den Bypass. Die besagte Mittagspause folgte am mir inzwischen auch ganz gut bekannten Flying J in Battle Mountain. Anschließend ging es noch ohne Zwischenfälle weiter bis zur Tankstelle Golden Gate Petroleum in Sparks (NV). Das war das maximalmögliche für heute.
Das gestern geschnittene Video von unserem Hallentraining ging hoch auf Youtube. Darauf, die Truckerwoche zu schneiden hatte ich keine Lust. Auch Youtube gucken war nix. Kaum ein Video, das ich zu Ende schaffte. Meistens suchte ich mir nach 5 Minuten was neues.


Samstag, 25.07.2020

Zum Glück konnte der Computer das Rechnen übernehmen. Ich musste bis gegen 7:30 AM warten, wenn ich ohne Pause nach Redding durchfahren wollte. Als ich dann kurz nach 12 PM aufs Costco-Lager zurollte, kam das Signal von Isotrak. Nein, Brian – nicht Dein Ernst?

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Okay, es blieb beim Heimatschuss. Bei einem Tidbit war es wohl eine Fuhre gesammelte Werke, enthaltend mindestens eine Palette Mehl. Also nicht nur entladen sondern auch wieder beladen lassen. So war es fast 2 PM, als ich die Achsen verstellt hatte und los durfte. Und fast 4 PM, als mich Oregon willkommen hieß. Nicht mehr lange, dann galt das wohl hoffentlich eins weiter nördlich.

Mal wieder wurde ich rausgezogen am Point of Entry. Aber wie so oft nur eine Gewichtskontrolle. Als ob man es sich erlauben konnte, aus Kalifornien überhaupt mit falschen Gewichten zu kommen.
Auf dem Weg zum Bioladen stoppte ich noch schnell bei Isaac und tankte voll. Der Sergeant der Reserve war nirgends zu sehen. Bis ich dann entladen war und es zum Hof geschafft hatte, war es 6 PM durch.
Ich sah mir die Statistik an. Die Woche war lang und ziemlich hart. Außerdem ging sie relativ weit. Und sie war sparsamer als die vorherigen trotz hohem Tempo. 

WEEK START: MO:04:02 AM ±3
WEEK END: SA:06:07 PM ±0
WEEK DRIVE: 61:17 HRS
WEEK WORK: 62:43 HRS
WEEK FRAME: 5D:14H:05M
WEEK MILES: 3,377
REVENUE MILES: 3,083
PERFORMANCE: 91.3%
WEEK PAYLOAD: 180,231
SH TON MILES: 36,729
WEEK FUEL ECO: 6.2
WEEK AVG SPEED: 55.1 MPH

Anschließend nahm ich meine Taschen. Vorräte waren keine mehr da, die Reste hatte ich in Nevada entsorgt, um es nicht an der Grenze nach Kalifornien tun zu müssen. Unser ach so grüner Nachbarstaat erzeugte einen riesigen Berg überflüssigerweise entsorgter, vollkommen genießbarer Lebensmittel.

Als ich die Zündung einschaltete, ging natürlich auch das Radio an und griff auf den USB-Stick zu. Nein, dieses Lied konnte ich mal gar nicht gebrauchen. Beim Klick auf weiter kam wieder das gleiche Lied. Track 1 von 1? Auf diesem Stick waren tausende drauf! Hatte Alex den kaputt gekriegt? Also noch den aus dem Truck zum Kopieren holen. Moment, denn die Zugriffs-LED war grün. An meinem war sie Orange und der lag im Becherhalter. Bis ich das herausgefunden und verarbeitet hatte, war eine Strophe um und die zweite fing an.

I long to see the sunlight in your hair
And tell you time and time again how much I care
Sometimes I feel my heart will overflow
Hello, I’ve just got to let you know
Cause I wonder where you are
And I wonder what you do
Are you somewhere feeling lonely?
Or is someone loving you?
Tell me how to win your heart
For I haven’t got a clue
But let me start by saying, I love you!

(“Hello”, Lionel Richie, Motown Records, 1984)

Auch das noch. Sollte ich Alex wirklich sagen, wie er mein Herz gewinnen konnte? Leider gar nicht! Dass er keine Idee hatte, wie er das anstellen sollte, war wohl richtig. Immerhin hatte er es nicht mal persönlich geschafft zu fragen und musste Lionel Richie vorschicken, um mir ein „Ich liebe Dich“ ins Ohr zu trällern.
Ich hatte genug unangenehme Dinge zu erledigen, wenn ich am Dienstag zurückkam. Da musste ich nicht noch dem langweiligsten meiner Freunde einen Korb geben. Wir konnten einfach nicht zusammen passen.
Als wir vor 3 Wochen zusammen unterwegs waren, hatte Isaac zwar was angedeutet, aber wenn Alex erst mal die Tragweite meines zweiten Ichs namens Streetclimber Malik erkannte, wäre das bestenfalls ein zweiter Javier. „Hör auf, so gefährliche Sachen zu machen!“ Was zum Scheitern verurteilt war, brauchte man erst gar nicht anzufangen.

Ich kam sowieso auf einem der möglichen Heimwege bei Alex zu Hause vorbei und in seiner Küche brannte Licht. Hatte ich mich nicht über Danny beschwert, dass er nicht den Mumm zu einem persönlichen Gespräch hatte? Also bringen wir es hinter uns. Ich parkte ein, stieg aus und ging zum Hauseingang, drückte den Knopf neben dem Namensschild „Yastreb“.
„Ja bitte?“ „Brandon hier. Hallo Alex!“ Der Türöffner summte und ich stand im Treppenhaus. Ob das wirklich eine so gute Idee gewesen war? Wenn ich wenigstens zurechtgelegte Worte hätte, die mir mit jeder Treppenstufe aus dem Kopf verschwinden könnten. Aber ich war hier in einer Laune hingefahren, vollkommen unvorbereitet. Und wo nichts war, konnte nichts verschwinden. Dazu kam, wenn ich mir am Montag in Port Angeles mit TTC einig wurde, dann hatte ich ein Totschlagargument. Jetzt konnte ich damit aber nicht hinterm Berg vor, so lange das nicht amtlich war. Ich hatte mich in eine ziemlich blöde Situation manövriert. Glückwunsch, Brandon. Das war mal so was von vermeidlich.
Freudestrahlend erwartete Alex mich in seiner Wohnungstür, er trug ein T-Shirt mit der Aufschrift „Virtual Pride 2020“ und das Wort Pride mit der Regenbogenflagge hinterlegt. Scheinbar hatte er zumindest die Hoffnung, gehabt, dass seine musikalische Saat so schnell aufgehen könnte, wenn ich so schnell vorbei kam und er das passende Shirt trug. „Komm rein und setz Dich.“ Er zeigte auf das Sofa. „Willst Du was trinken? Ich habe auch Mountain Dew da.“ Seine gute Laune zog mich runter. Ich war so ein Arsch. Musste ich unbedingt heute hier hin fahren und ihm aus dem Affekt reinen Wein einschenken? Das hätte auch alles noch Zeit gehabt. „Nein, danke.“ So wie ich mich gerade fühlte, würde ich das Kunststück schaffen, nicht mal Softdrink bei mir zu behalten.
Alex sah mich erwartungsvoll an. Ich zog den USB-Stick aus der Tasche, legte ihn auf den Tisch und sagte: „Du hast da scheinbar was in meinem Auto vergessen.“ Er wurde bleich. War es vielleicht wirklich ein Versehen gewesen? Es konnte aber genauso gut an meinem Tonfall gelegen haben, der mir selbst vermutlich in dem Moment ebenso eine blasse Farbe bescherte. Ich hatte mich gerade angehört wie mein Erzeuger, wenn ihn mal wieder eine meiner nicht seinen Vorstellungen entsprechenden Ausschweifungen gestört hatte.

„Du bist nicht gekommen, um…?“ Doch keine Absicht? „Aber warum…?“ Weil es nicht sein soll. „Niemand mag mich!“ Das war jetzt unfair. Den Spruch vom Topf und Deckel verkniff ich mir aber natürlich.
Er stützte den Kopf in seine Hände und fing an zu heulen. Irgendein Reflex wollte mich rübergehen lassen, um ihn zu trösten. Aber das würde wohl alles nur schlimmer machen. Hätte ich was zu trinken genommen, könnte ich jetzt wenigstens verlegen mit dem Glas oder der Flasche beschäftigen. So blieb mir nur schweigend zu warten, bis er wieder aufschaute.

„Doch, ich mag Dich. Aber eben nur als Kumpel. Abgesehen davon überrennst Du mich sowieso ein Bisschen. Bis eben wusste ich nicht mal über Deine Sexualität Bescheid und dann hinterlässt Du mir ein Liebeslied im Autoradio und empfängst mich im Pride-Shirt.“ „Als ob Danny oder Evan das vorher an die große Glocke gehängt haben. Aber auf einmal hattet Ihr aus dem Nichts Eure Dreiecksgeschichte. Daran kann es also nicht gelegen haben. Sag es doch. Ich bin klein, hässlich, ein Langweiler, kriege mein Maul nicht auf und wenn doch, kann ich nicht mal vernünftig sprechen!“ Nun musste es doch mal gesagt werden: „Nein, das ist jetzt unfair. Klein bist Du schon mal nicht, wenigstens nicht aus meiner Sicht, denn auch zu Dir muss ich noch ein Inch nach oben gucken.“ Er versuchte gequält zu lächeln. „Das Wort hässlich ist vor allem hässlich. Ich verbinde mit dem Wort den Glöckner von Notre Dame oder so. Aber nicht Dich. Und nach Äußerlichkeiten gehe ich sowieso nicht.“
Die nächste Frage klang wütend: „Was hat dann Danny, was ich nicht habe?“ Der Name tat weh, Alex merkte seinen Fehler: „Vergiss es bitte! Ganz schnell!“ „Nein, vergesse ich nicht. Jedenfalls ist es nicht das Aussehen. Da ist er genauso ein – wie sagtest Du? Langweiler! Allenfalls ein langweiliger Italo, was bei mir eher dem bisherigen Beuteschema entspricht. Ich kann es Dir nicht sagen. Man kann es nicht erzwingen, dass sich jemand verliebt. Das passiert einfach so. Deshalb kann ich Dir nicht sagen, was Du nicht hast, aber dazu haben müsstest.“

Alex starrte vor sich auf den Tisch. „Eine Sache, die Danny als Hobbyrennfahrer hat, ist Risikobereitschaft. Klingt jetzt erst mal doof.“ Alex schaute auf. Nun musste ich wohl oder übel Farbe bekennen. „Ich führe in meiner Freizeit ein Doppelleben, über den Motorradfahrer, Skater und Rennfahrer hinaus. Du hast ja schon eine Andeutung von Isaac hören dürfen. Weißt Du, was Urban Exploration, Freerunning und Rooftopping sind?“ „Ja, klar.“ Er holte Luft, aber ich redete schon weiter. „Und ich hatte schon mal einen Freund in Philadelphia, der das wusste und dann hinterher ankam, ich sollte damit aufhören. Wir scheinen im offiziellen Leben zueinander zu passen. Skaten, Motorrad fahren, Ausgehen in Dart- und Billardclubs. Aber jetzt, wo Du das weißt, wirst Du wohl zugeben müssen, dass eine Beziehung mit so verschiedenen Lebensentwürfen scheitern wird, oder?“

Alex stand trotzig und mit so einem Schwung auf, dass er dabei den Sessel ein gutes Stück vom Tisch wegschob. Dann stapfte er aus dem Wohnzimmer in Richtung Schlafzimmer. So hatte ich mir das alles nicht vorgestellt. Hätte ich mir doch nur mal mehr Gedanken zu diesem Gespräch gemacht. Hier war keine Lenkung drin, wir hatten uns nur gegenseitig mit Vorwürfen und Verteidigungen in Richtung eines Abgrundes gestoßen.
Was machte Alex nun in seinem Schlafzimmer? Was sollte ich tun? Vorsichtshalber mal nachschauen? Er war ja richtig down. Nicht dass er sich seelisch so aufgewühlt was antat? Oder einfach feige ausweichen und rausschleichen? Bis wir uns wieder sahen, war meine Situation wohl sowieso eine andere.

Zu lange nachgedacht. Er kam wieder rein, ich musste erst mal aufschauen und konnte nur erkennen, dass er sich einen dunkelroten Pullover angezogen hatte. Dann ging alles zu schnell für mich. Es dauerte verglichen dazu, wie schnell es ablief, eine Ewigkeit, dass mein Gehirn es verarbeitete. Es konnte nicht sein, was ich sah! Das durfte nicht wahr sein! Es hatte einfach in meinem Schädel keinen Platz, dass genau das so vor meinen Augen passierte! Das da war nicht Alex! Ganz bestimmt nicht! Er konnte es einfach nicht sein!
Er hatte von der Tür Anlauf genommen und sprang nun im Sideflip über die Sessellehne, stand die Landung in dem Spalt zwischen Sessel und Tisch, den er eben bei seinem entschlossenen Aufstehen geschickt und unauffällig für dieses Kunststück verbreitert hatte und ließ sich noch aus dem Fluss der Bewegung in den Sessel fallen. So einen Sprung machte man nicht aus einer Laune heraus, ohne sich dabei die Gräten zu brechen. Und wenn man den gestanden hatte, musste man auch noch in der richtigen Position sein, dass man rücklings genau mittig im Sessel landete. Entweder man hatte genau diesen Sprung schon mehrfach trainiert oder einfach eine solche Körperbeherrschung und Erfahrung, dass man auch spontan alles genau richtig machen konnte. Den Anlauf, den Absprungwinkel, den Absprungpunkt, die Absprunghöhe.
Und die Körperbeherrschung hatte er – definitiv. Nicht nur dass er eine dunkelrote Sweatjacke angezogen hatte. Dazu trug er einen schwarzen Endlos-Strickschal, den er bis über die Nase gezogen hatte und auf dem Kopf ein ebenso dunkelrotes Baseballcap mit einem goldenen Greifvogelkopf drauf. Die Sachen sahen so aus, als hätten sie schon einiges mitgemacht und vieles davon hatte ich auf Youtube gesehen. Die zwar durch die Wolle vorm Mund gedämpfte, aber ohne die veraltete Kamera doch deutlich besser verständliche Stimme fragte ziemlich schnippisch: „Du wolltest mit mir über unterschiedliche Lebensentwürfe sprechen?“ Jetzt konnte man sogar seinen Akzent raushören.
„Du??? Du bist der Lonesome Hawk?“ „Ja, oder der Odinokiy Yastreb, wie man auf Russisch sagen würde. Mein Nachname bedeutet Habicht und einsam bin ich ja nun mal.“ Und gegen die Einsamkeit half es ihm jetzt auch nichts, dass er Explorer, Freerunner und Akteur manch anderer durchgeknallten Aktion war.

Er zog sich Schal, Cap und Jacke wieder aus und sah mich erwartungsvoll an. Ich hatte ja eben auch diesen Punkt als Hauptproblem dargestellt, eher weil es mir als Begründung am einfachsten erschienen war. Auf so ein „Gegenargument“ war ich nun wirklich nicht vorbereitet und hatte es immer noch nicht so richtig erfasst. Ich hätte bei Alex eher auf den sprichwörtlichen Briefmarkensammler gewettet.
„Ich bin beeindruckt. Aber so leid es mir tut, es bringt nichts. Du wirst nichts erzwingen können.“ „Eben hast Du aber…“ „Es erschien mir als das einfachste Argument. Hat nur bei so einer Antwort nicht wirklich funktioniert.“ „Also gib doch endlich zu, dass ich scheiße aussehe! Langweilig bin ich nun ja wohl nicht mehr!“ „Nein! Mach doch nicht alles an Äußerlichkeiten fest! Wenn es danach ginge, dann hätte ich mich nicht mit Evan um Danny streiten müssen sondern anders rum.“ Nun hatte ich selbst das Thema angeschnitten, aber auch das war wieder der Weg des einfachsten Arguments. „Wieso?“ „Weil ich finde, dass Evan wahnsinnig gut aussieht. Aber es nützt nichts. Da waren nie Gefühle über den guten Kumpel hinaus, bevor der Streit losging.“ „Ich verstehe das nicht.“
„Ich auch nicht. Warum verliebt man sich? Kannst Du mir sagen, wieso Du ausgerechnet in mich verknallt bist? Ich meine, ich bin ja optisch auch nicht der Bringer.“ Der Versuch, Marius mit einem Undercut-Overcomb nachzueifern war in dem halben Jahr zwischen unserem Kennenlernen und meinem Brückensturz an meinen splissigen Haaren gescheitert. Wo ich sie wachsen ließ, hatte ich bald doppelt so viele Haarspitzen wie Haarwurzeln und sah aus wie ein Wollpullover nach dem falschen Waschprogramm. Jetzt hatte ich einen durchgestuften 08/15-Haarschnitt.

„Ich glaube das ist an dem Abend gewesen, wo wir alle vor Corona das letzte Mal zusammen waren. Zumindest war ich da irgendwie auf Wolke sieben. Du saßest mir gegenüber. Und dann hat mich auch noch Danny bei meiner Träumerei ertappt und Ihr habt mich ausgelacht.“ Oh nein! „Hey, ich habe das schon längst vergeben und vergessen.“ „Hm?“ „Du guckst so traurig deshalb.“ Traurig? Peinlich berührt vielleicht.
„Aber wenn Du mich jetzt fragen würdest, warum. Ich könnte es Dir nicht sagen. Das kam einfach so. Und das meinst Du sicherlich anders rum. Das passiert Dir bei mir nicht.“ „Genau. Und da ändert sich auch nichts, wenn ich weiß, was Du noch alles machst. Wie kamst Du eigentlich genau zu der Zeit auf den Dreh, einen Youtubekanal damit aufzumachen?“ „Zu der Zeit kamen ja Deine Tschernobyl-Videos raus und ich sah Deine Abonnentenzahlen wieder hochgehen.“
„Jetzt sag bitte nicht, dass Du mich da zu der Zeit erkannt hast und in Malik verliebt bist! Malik gibt es nicht! Zumindest nicht, sobald ich seine Maske ablege.“ „Nein! Auch wenn man Dein Philadelphia Flyers Tattoo bis dahin nie im Video gesehen hatte, war mir das schon klar, als wir vor einem Jahr an den Strand gefahren sind. Der Asassin’s Creed Double Eagle auf der gleichen Stelle am anderen Arm war eindeutig genug, Malik musste sowieso vorher in Philadelphia gelebt haben und Du warst neu hier.“ „Ja, das Flyers-Logo habe ich mir auch erst hier stechen lassen.“

„Ich habe natürlich gemerkt, dass Malik für Dich nur eine Rolle ist. Du benimmst Dich schon deutlich anders in den Videos als im echten Leben. Ich habe mich als kleines Licht mit verstreuten Kontakten in die Szenen von Portland und Pudget Sound aber nie getraut, Dich da drauf anzusprechen.“
„Nicht Dein Ernst?“ „Doch. Du hattest vor einem Jahr, wie Du wahrscheinlich selbst weißt, 49,000 Abonnenten.“ „Ja und? Marius hat 1.2 Millionen! Und ich rede doch auch mit dem.“ „Wer?“ Na toll, jetzt hatte ich seinen bürgerlichen Vornamen verraten, musste es Alex aber dennoch erklären. „Du bist viel besser als ich, ganz ohne Abonnenten. Wenn ich die Nummer von eben unvorbereitet versucht hätte, würdest Du mir gerade entweder mit der Pinzette Deinen Glastisch in Splittern aus dem Unterarm ziehen oder mir sagen, dass ich morgen mit weißer Farbe wiederkommen soll, um den Schuhabdruck unter der Decke überzustreichen!“
Märchenonkel Brandon am Werk, was laberte ich denn? Da Freerunning mein üblicher Morgen- oder Abendsport auf Truckstops war und es in den seltensten Fällen geeignete Hindernisse außerhalb des Einflusses eines Sicherheitsdienstes gab, so dass ich meistens einfach Absprung- und Landemarken mit aus einem defekten Spanngurt geschnittenen Streifen auf einem leeren Parkplatz oder einer anderen Fläche auslegte und Zielsprünge machte, war ich gerade in dieser Disziplin extrem gut. Aber das filmte ich nicht, außer vielleicht mal wie vor einer Woche. Also konnte er das wenigstens kaum wissen und nachprüfen. Immerhin huschte daraufhin ein schüchternes Lächeln über Alex Gesicht, dann war der bescheuerte Satz ja doch zu was gut.

„Irgendwie waren ja am Wochenende immer Brian, Evan oder Casey um uns rum. Ich dachte, dann sollte ich es besser da nicht ansprechen, sonst verlierst Du Deinen Job.“ Ich musste erst mal lachen. „Was ist?“ „Brian hat den Malik-Kanal abonniert.“ „Echt? Da muss man auch erst mal drauf kommen. Ich befürchte, wenn der Alte bei uns wüsste, was ich so treibe, kann ich mir einen neuen Job suchen.“

„Als Dein Sperrbildschirm auf dem Handy Dich unfreiwillig geoutet hatte, war ich zumindest mal froh, in unserer Gruppe nicht alleine zu sein. Immer noch nicht verliebt in Dich, aber als Du so offen damit umgegangen bist und nichts passierte, war ich mir sicher, sollte der Tag kommen, dass ich nichts von Euch zu befürchten hätte.“ „Was sollte denn passieren? Wir schreiben 2020 und sind junge Leute!“
„Na und? Wir schrieben 2015 und als es rauskam, wurde das Leben auf der High School für mich zur Hölle. Durch die jungen Mitschüler, nicht die alten Lehrer! Das war ein Grund für mich, direkt nach dem Abschluss nach Portland zu gehen und dort oder dann durch die Umstände eben hier neu anzufangen. Und Brian war hier in der Stadt schon bei einer Podiumsdiskussion über Wirtschaftsfragen zu republikanischer Lokalprominenz im KTVL-Interview aufgestiegen, als in seinem Haus noch die Tapeten seines Großvaters an der Wand waren. Wusste ich, dass der gemäßigt ist?“

„Und dann kommt wie gesagt endlich mal Deine nächste Videoserie. Aber Rumms! Tschernobyl! Da habe ich mich so klein gefühlt mit meinem Bisschen Kletterei in alten Fabriken und so. Sonst hätte ich vielleicht doch mal was gesagt und eine Coop vorgeschlagen“
„Mensch Alex. Ich habe doch immer noch keinen Shop und keinen Werbevertrag für Proteinshakes, Turnschuhe und Hochleistungstaschenlampen, bettele nicht mal um Abos und Likes. Ich habe erst vor 2 Wochen in Charlotte zu Jeffrey gesagt, dass ich ein Trucker bin, der sein Hobby filmt. Der fing nämlich auch an, als würde der Heiland persönlich gerade bei ihm einen Burger bestellen. Zumal mir bewusst ist, dass Prypjat zu erkunden den meisten Explorern vorenthalten bleiben wird. Ich putze doch niemanden runter, weil er weniger spektakuläre Sachen macht als ich. Und schon gar nicht Dich!“ Das klang jetzt komisch. Was laberte ich denn auf einmal für ein Zeug zusammen? „Oder irgendwen anders. Egal ob ich den auch noch persönlich kenne oder nicht!“

„Irgendwie habe ich das Gefühl, ich hätte an dem Abend in der Bar besser einmal den Mund aufgemacht, als Ihr Euch über mich lustig gemacht habt.“ Ich wollte widersprechen, dass wir dann dieses Gespräch einfach nur früher gehabt hätten, verkniff es mir aber. „Und als ich was sagen wollte, nachdem Du Dich ein paar Wochen später in der Bar abgeschossen hast, bist Du mir auf dem Sofa weggepennt. Ich konnte Dir nur noch die Füße hochlegen, eine Decke überlegen und mir Wodka ins Mors kippen.“ Oh Mann, war das peinlich.
„Und als ich wieder genug Mut gefasst hatte, Dich ansprechen zu wollen und dafür zu einer Motorradtour überredet hatte, nachdem ich extra um ein weiteres gemeinsames Hobby mit Dir ausüben zu können, eine Maschine gekauft hatte, schleppst Du Isaac mit an.“ Glückwunsch, Brandon! Immerhin konnte ich das nicht ahnen. Aber es erklärte schließlich mal, warum er bei der Abfahrt so aggressiv gegenüber Isaac gewesen war.

„Stattdessen habe ich dann nach dem Abend in der Bar, wo ich mich zu Eurem Gespött gemacht habe, einen Kanal mit Freerunning und Exploration aufgemacht und mein Archiv ausgemistet in der Hoffnung, Dich so beeindrucken zu können. Gefunden hast Du ihn ja auch, nur beeindruckt warst Du nicht.“ Okay, ich hatte zum Beispiel bei den 20 Meilen geradeaus nur „Kreative Idee“ geschrieben.
„Das ist nicht so ganz richtig. Ich bin nur vorsichtig, wie ich online als Malik auftrete. Du fühlst Dich klein wegen dem Kanal, ein Kellner auf einem Truckstop an der Ostküste fällt fast vor mir auf die Knie. Von 49,000 Abonnenten durch ein Tal von 25,000 während der inaktiven Phase jetzt ‚dank‘ Tschernobyl wieder bei 51,000. Nicht viel zu den Szenegrößen weltweit, aber scheinbar macht mich das trotzdem für manche zu Gott. Und wenn ich nicht weiß, wie der Besitzer des Channels drauf ist, erteile ich ihm lieber nicht Gottes Segen. Ich will nicht, dass irgendwer mit 2,500 Abonnenten sich zu Tode stürzt, weil er denkt, ein Lob von mir mit 50,000 macht unbesiegbar.“ Marius war noch krasser in der Hinsicht. Er kommentierte grundsätzlich keine fremden Videos. Auch die seiner besten Freunde nur in absoluten Ausnahmen, sogar die, wo er selbst drin vorkam nicht. Und auch mit Textantworten auf Kommentare zu seinen eigenen war er extrem sparsam.

„Und dann war der Lockdown zu Ende und die Gartenpartys gingen los. Seitdem hast Du wie ein Weltmeister mit Danny geflirtet. Prompt verliere ich die Kontrolle über mich und betrinke mich mehrmals. Mein dummes Zögern war gescheitert.“ Ich guckte beschämt auf den Boden. Warum eigentlich? Er hatte keinen Anspruch auf mich. Wenn ich mich anderweitig umsah und er nicht aus der Deckung kam, dann war das kein Grund, dass er die Kontrolle über sich verlor. Und wenn doch, war es keiner, der mir ein schlechtes Gewissen machen durfte. Besorgt um ihn durfte ich deshalb sein, aber das war was anderes. Ich war doch nicht für ihn verantwortlich. Wir waren nur befreundet, aber zwei erwachsene Männer.

„Das ging so weit, dass ich zu meinem eigenen Schutz dann nicht mehr hin bin sondern zu Mikhail… Mick und Nico gefahren bin. Ich glaube, ich ziehe wieder nach Portland. Mit uns wird das ja sowieso nichts. Und bei den beiden fühle ich mich besser aufgehoben.“ „Wieso das denn?“ „Weil ich da offen reden kann.“
„Nein! Du kannst doch nicht einfach wegziehen!“ Er sah mich genauso fragend an, wie ich selbst gerade in mich hinein schaute. Es konnte mir doch aus doppelter Hinsicht egal sein. Er interessierte mich nicht und ich zog doch wohl selber weg. „Das kannst Du doch bei uns auch. Nur warum machst Du es nicht?“ „Mick habe ich eben doch sowieso schon als Mikhail geoutet. Und Nico heißt auch eigentlich Nikolaj. Da schäme ich mich nicht für meinen Akzent.“
Mir begann was zu dämmern: „Als Dir bei dem Destruction Derby Nico in die Fahrertür geknallt ist, hast Du irgendwas gerufen. Klang wie „Go! Buy Dope!“ Alex fing an, lauthals zu lachen. „Go! Buy Dope!“ Du bist süß!“ Er lachte mich aus und ich war nicht mal wütend. Mir huschte der Gedanke „Selber süß!“ durch den Kopf. Warum? Morgen legte ich den Grundstein, hier wegzugehen. Der Mann, den ich liebte, war mir weggeschnappt worden. Punkt. Nein, Ausrufezeichen!
„Du guckst so fragend. Also will ich Dich nicht länger zappeln lassen.“ Ich fragte zwar gerade eher mich selbst etwas, aber des Rätsels Lösung nahm ich gerne mit. „Das hieß ‚Dolbajop‘, ein russisches Schimpfwort.“

„Mit den beiden ist es irgendwie anders als hier. Da bin ich nicht so gehemmt mit sprechen. Und die erste Liebe kühlt ja nie ganz ab. Vielleicht komme ich sogar wieder mit Mick zusammen. Die erste Liebe ist immer was Besonderes.“ „Ach ja???“ Alex zuckte zusammen vor meinem bedrohlichen Tonfall, und ich selbst auch. „Bei uns traut der Herr sich nicht, den Mund aufzumachen? Und da oben fährt er hin, flucht zumindest und redet auch sonst wahrscheinlich komplett Russisch!? Und dann beschwerst Du Dich über Deinen Akzent? Geh doch gleich nach Russland!“
Wenn Worte wie eine Keule wirken konnten, dann hatten sie es gerade getan. Alex Kopf wurde von meiner Schimpftirade gegen die Rückenlehne des Sessels geschleudert. Dann brach er weinend vornüber zusammen und stützte den Oberkörper mit den Armen auf die Knie. Aber auch ich spürte ihren Rückschlag. Was zur Hölle…? Hatte ich da gerade gesprochen? Mit einem Hass auf irgendwen in der Stimme, von dem ich gerade nicht mal einordnen konnte, gegen wen er gerichtet war?
Ja! Aber warum? Ich hatte doch nie ein Problem damit gehabt, dass Alex mit seinem Akzent sprach. Und auch wenn es natürlich für ein geregeltes Zusammenleben schon wichtig war, dass Einwanderer sich integrierten, widerstrebten mir Forderungen irgendwelcher zumeist rechten Individuen, dass die ihre Sprache, Religion oder was auch immer aufgeben oder zumindest komplett vor der Öffentlichkeit verstecken sollten.
Und schon gar nicht war ich ein Befürworter von Forderungen, Leute rauszuschmeißen. Dieses Land war durch Einwanderer zu dem geworden, was es heute war. Nicht immer mit ganz astreinen Mitteln, aber auch wegen dieser nicht astreinen Methoden waren nur noch 1% der Bevölkerung amerikanische Ureinwohner. Also waren nach einfachsten Berechnungen 99% hier Einwanderer. Meine Familie war in beiden Linien erst seit etwas über 150 Jahren in Amerika, meine Großeltern sprachen alle vier noch fließend Gälisch und hätten als die ersten sesshaft gewordenen wohl auch noch alle die Paveesprache Shelta aus ihrer Kindheit gekonnt, wenn sie gewollt hätten. Was auch immer gerade in mich gefahren war, ich konnte es mir nicht erklären.

Irgendwas lief hier aber gerade mächtig schief. Ich verriet meine eigene Einstellung und wusste nicht mal warum. Ich sagte ihm, er sollte nicht von hier nach Portland ziehen und 5 Minuten später schickte ich ihn gleich ohne Halt weiter nach Russland.
War ich etwa gerade…? Nein, das ging doch nicht! Wenn das nicht bald aufhörte, drohte hier die Sache vollkommen zu entgleisen und meine Pläne in Gefahr zu bringen: „Entschuldige, Alex. Ich weiß nicht, was mit mir heute los ist. Wahrscheinlich hätte ich besser nicht mehr direkt heute Abend vorbeikommen sollen. Ich glaube, es ist besser, wenn ich jetzt gehe. Ich bin irgendwie durcheinander.“
„Nein! Bitte geh nicht! Ich brauche Dich jetzt!“ Ich wollte schon Luft holen, um aus dem Reflex zu Widersprechen. „Nein, nicht so. Ich sehe ja ein, dass das mit uns nichts wird. Aber ich will jetzt nicht alleine sein. Und Du bleibst auch so mein bester Freund hier. Darf ich zu Dir aufs Sofa kommen?“ Nein, dufte er nicht. Ich wusste nicht so richtig, was gerade mit mir selbst los war und vermutete etwas, das mir nicht passte und wofür er mir auf keinen Fall so nahe kommen durfte. „Ja, komm her.“
Ey! Brandon, Du Idiot! Was redest Du? Ich musste doch nach Hause und Wäsche waschen! Morgen Vormittag musste ich nach Port Angeles fahren. Ich versuchte, mir meine Panik nicht anmerken zu lassen, dass hier gerade für mich eine Menge auf dem Spiel stand. Vielleicht konnte ich mich raus schleichen, wenn er eingeschlafen war? Ich schämte mich für diesen schäbigen Gedanken im gleichen Moment, in dem er mir gekommen war.
Ich fühlte mich auch schäbig dafür, dass ich ihm keinen reinen Wein einschenken konnte, so lange ich halbgare Sachen im Hinterkopf hatte. Und nun saß er neben mir, auf Abstand bedacht, weil er scheinbar mir nicht zu nahe kommen wollte. Und Randy meldete sich auch wieder im Hinterkopf. Was hatte ich hier? Was verlor ich hier? Was erwartete mich in Port Angeles? Hatte mein „großer Zwillingsbruder“ – mal wieder – Recht?

Ich bekam von Alex auch mal Recht gegeben. Und das war mir dann scheinbar im Unterbewusstsein auch nicht recht, was er da in jämmerlicher Flüsterstimme von sich gab: „Ach, Brandon. Irgendwie stimmt das schon. Vielleicht hätte ich mich in Everett und Portland weniger zwischen Russen und Ukrainern rumtreiben sollen. Ich bin wohl dadurch doch nicht amerikanisch genug geworden und jetzt bin ich heimatlos. Und wenn ich mit Euch zusammen bin, dann werde ich untergebuttert.“ Was redete er da? „Wer buttert Dich unter?“
„Du nicht, wofür ich Dir sehr dankbar bin. So kommt es mir bei den anderen aber jedenfalls manchmal vor. Vielleicht sehe ich das aber auch falsch und traue mich nur einfach nicht öfter zu sprechen und komme mir deshalb so vor. Ich beneide Casey. Der kann seine Familiensprache Spanisch, aber wenn er mit uns Englisch spricht, hört man keinen Akzent. Der stellt sich bestimmt nicht die Frage, ob er Amerikaner oder Panamaer ist.“ Schon alleine nicht, weil seine Großeltern als junge Erwachsene ausgewandert waren und er die zweite in den USA geborene Generation war. Viel hatte der mit Panama nun wirklich nicht am Hut. Aber das konnte keiner von beiden ändern. „Wenn ich das könnte, würde ich mich auch weniger für meine Sprache schämen. Mit 4 Jahren hier her gekommen, hätte ich die Chance gehabt, es zu lernen.“ Er fing wieder an, zu weinen. Ich konnte den Reflex nicht unterdrücken, ihn in den Arm zu nehmen.
Das war ja unerträglich, seine Selbstverleugnung. Er war nun mal der, der hier neben mir saß! Da konnte und musste er was draus machen. „Mensch, Alex! Da hast Du doch gar keinen Grund zu! Dein Akzent ist doch so n… natürlich.“ Ich hatte jetzt nicht ernsthaft beinahe „niedlich“ gesagt? Kurve gerade noch so mit quietschenden Reifen gemeistert. „Den Akzent wirst Du aber jetzt nicht mehr los. Steh einfach dazu, wer Du bist. Du bist Alex, geboren in Moskau, aufgewachsen in den USA. Du hast Dich mit der Volljährigkeit freiwillig für die USA entschieden. Hast Du überhaupt noch einen russischen Pass?“ „Nein. Russland erlaubt doppelte Staatsbürgerschaft nur mit einer Handvoll Staaten der ehemaligen Sowjetunion. Der wurde mir danach entzogen.“
„Du hast einen guten Arbeitsplatz. Du hast Deine Freunde, hier und in Portland. Dein Cousin hat den gleichen Weg eingeschlagen wie Du und lebt im Mittleren Westen, 4 Stunden mit dem Flugzeug. Du bist hier verwurzelt und in Russland ein Besucher, der erst mal ein Visum braucht, um hinzufahren. Geh Deinen Weg! Du sprichst fließend englisch. Ja, mit Akzent. Na und? Jeder spricht Akzent. Hör Dir doch einfach mal genauer an, wie wir alle sprechen! Brian ist die ersten 15 Jahre in Florida aufgewachsen und spricht Südstaaten-Englisch. Ganz anders als Evan aus Neuengland oder Isaac aus Pennsylvania. Dannys Wildwest-Texanisch klingt anders als Caseys und mein Kalifornisch. Und ich höre bei Casey sehr wohl am Englisch, dass der zweisprachig mit Spanisch aufgewachsen ist.“ Es hatte mir nichts ausgemacht, gerade Danny und Evan zu erwähnen. Zu Anfang unserer Unterhaltung hatte mich der Gedanke an die zwei noch richtig runtergezogen.

Alex beruhigte sich wieder und hatte scheinbar Mut gefasst: „Du hast Recht. Wie heißt es? Zu jedem Topf gibt es einen Deckel. Und hier in der Region werde ich meinen schon finden. Ich danke Dir so sehr. Du hast mir wirklich neuen Mut gegeben heute Abend. Auch wenn es mit uns nicht sein soll. Ich muss meinen Weg finden und meinen Freund finden. Und das werde ich tun! Metropolitan Medford ist groß genug!“ Alex stand mit so viel Energie auf wie eben, nur die Wand verhinderte, dass das Sofa genauso einen Ruck nach hinten machen konnte. „Magst Du jetzt was trinken?“

Seine Energie musste sich irgendwohin entladen und der Blitz schlug aus heiterem Himmel bei mir ein. Wie zuvor er, sackte ich nach vorne, die Arme auf den Beinen aufgestützt und brach in Tränen aus. Alex ließ sich aufs Sofa zurückfallen. „Brandon! Was ist denn los auf einmal?“ Ich war nicht in der Lage zu sprechen. Alex legte mir vorsichtig den Arm über die Schultern, rechnete vermutlich mit einer heftigen Reaktion meinerseits. Aber die blieb aus, ich hätte nicht mal die Kraft gehabt, wenn ich ihn hätte wegstoßen wollen. Aber ich wollte es nicht. Was wollte ich denn? Einen Freund! Und was für einen? Ich hatte mir da nie so richtig Gedanken drum gemacht, auch nicht während der kurzen und heftigen Beziehung zu Danny.
Ich hatte drei gute Drittelbeziehungen gehabt. Matthew war der vertraute Partner. Mit ihm konnte ich damals über alles sprechen. Wir hatten uns, wenn einer von uns Sorgen hatte, zugehört und wieder aufgebaut. An ihm konnte man sich anlehnen und ausheulen. Und das machte ich gerade bei Alex, hatte er vorher bei mir gemacht. Matthew und mich hatte das Schicksal getrennt und keine Differenzen in der Beziehung.
Javier war ehrlich betrachtet so was wie Freundschaft plus Sex gewesen. Wir waren oft zusammen in der Clique ausgegangen, hatten dabei Spaß. Mal auf die Kartbahn, mal in eine Bar, mal zum Bowling oder einfach nur eine Sehenswürdigkeit besuchen. Und was hatte ich jetzt ein Jahr lang mit Alex gemacht? Skaterbahn, Pub und Bar, Billard, Darts. Javier und ich hatten uns getrennt, weil wir einander unsere gefährlichen Hobbys nicht einschätzen konnten. Aus einem Streit um die Angst, den anderen dabei zu verlieren.
Die Beziehung zu Wesley war dann eher „Urbex und Freerunning plus Sex“ gewesen. Wir hatten uns auf einem Fabrikdach kennengelernt und ich war mir sicher, dass das mir bei Wesley eine Wiederholung der Trennung von Javier ersparen würde. Und genau das konnte mir Alex, wie ich vorhin erfahren hatte, auch bieten. Wesley war gestorben, weil er kein Verantwortungsbewusstsein für eine solche Beziehung hatte. Er hatte sein Risiko bei jeder Aktion, während wir uns kannten, immer mehr herausgefordert. Höher, schneller, weiter. Und irgendwann ging es zu weit nach oben und die Hochspannung einer Eisenbahnstrecke war übergesprungen. Ich hatte, nachdem ich jetzt seine Videos als „Lonesome Hawk“ kannte, den Eindruck, dass Alex in dieser Rolle vernünftig genug dazu war, es nicht so weit kommen zu lassen. Seine Persönlichkeit im Alltag und ohne Maske bestätigte das sowieso.
Danny war, wie mir in dem Moment klar wurde, keine eigenständige Beziehung gewesen. Er war so leidenschaftlich wie Wesley. Er teilte mit dem Motorsport eine andere Risikobereitschaft mit mir, die wir beide einschätzen konnten. Er war Wesley auch optisch ähnlich. Durch Zufall hatte es sich ergeben, dass ich bei ihm eine Beziehung Wesley 2.0 gefunden hatte und in diesem Moment war mir klar geworden, dass meine vermeintliche Liebe zu Danny nur das Festhalten an einem toten Exfreund und die Hoffnung auf eine identische Beziehung gewesen war.
Alex hatte dagegen alles, was ich eigentlich wollte. Er war der ideale Freund für mich. Sozusagen die Kombination der Dinge, für die ich Matthew, Javier und Wesley am Ende geliebt hatte. Bei den ersten zwei war ich allerdings auch noch eher wegen des Aussehens drauf gekommen und hatte ihre wahren Qualitäten in der Beziehung erst hinterher gefunden. Ich wusste nur bisher nicht, dass Alex dieser Mr. Right war. Und ich war mir nicht darüber klar geworden, dass ich das alles wollte und brauchte.

Alex hatte, seit er sich in mich verliebt hatte, nicht darüber geredet. Ich hatte nach Wesleys Tod nicht nachgedacht und war so von Danny auf dem falschen Fuß erwischt worden. Ich hatte keine Ahnung, wie lange es gedauert hatte, mich wieder zu beruhigen. Aber Alex hatte mich die ganze Zeit still und geduldig im Arm gehalten. Ich hatte mich in Alex Umarmung so gut gefühlt wie lange nicht mehr. Nur diese eine Gehirnzelle, in der der Plan abgelegt war, nach Port Angeles zu ziehen, um den nachgemachten Wesley namens Danny zu vergessen, hatte protestiert.
Alex sah mich an und konnte sich dann doch die neugierige Frage nicht mehr verkneifen: „Was war denn jetzt auf einmal los?“ „Es tut mir so leid. Kannst Du vergessen, was ich vorhin gesagt habe?“ „Was? Hä? Es war doch richtig, was Du gesagt hast.“ „Nicht alles. Ich habe eben gemerkt, dass eine Aussage ein ganz großer Irrtum war.“ Das Fragezeichen in Alex Gesicht war unübersehbar. Und seine blauen Augen, die so tief waren, dass man darin versinken konnte, waren so dicht vor mir.
Es überkam mich einfach. Ich fasste Alex hinter den Kopf. „Und zwar dieser!“ Ich zog ihn an mich heran und küsste ihn auf den Mund. Nachdem er seine Überraschung überwunden hatte, ging er darauf ein. Als unsere Zungen schließlich miteinander spielten, kippten wir seitwärts um auf das Sofa.
Wieder hatte ich jegliches Zeitgefühl verloren, aber diesmal hätte es auch auf ewig verloren bleiben können. Zum Höhepunkt bringen ohne mir ein einziges Kleidungsstück zu entfernen oder zu öffnen hatte auch noch niemand geschafft. Nicht nur blaue Augen konnten tief sein. Auch für stille Wasser hatte sich das mal wieder bewiesen.

Ein Kommentar zu “Kapitel 52 – Stilles Wasser auf dem Sofa

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