Kapitel 2 – Jetzt in Farbe

Der Rest der Woche stand erst einmal im Zeichen des Haifischs. Ich schaffte es am Abend gerade noch rechtzeitig zur Arena nach Köln. Als ich aus dem Parkhaus kam, wartete Marco schon auf mich. Hin fuhr er immer mit der Bahn, so lange es um die Zeit noch hell war. Es gab am Ende eine viel zu deutliche 3:6 Klatsche, also ging es am Sonntag nicht für uns, sondern für Berlin um die Meisterschaft. Wir wollten trotzdem hin. Ich brachte Marco noch in die falsche Richtung nach Hause und fuhr dann wieder nach Bochum. Im Kölner Süden war das alles einfacher.

Am Sonntag musste ich mitten in der Nacht aufstehen, damit ich sicher um viertel nach 5 in Köln-Deutz sein konnte. Gut, dass LKW-Fahrer statt eines Biorhythmus nur einen Ein-Aus-Schalter haben. Alfred, der zwar durfte, aber schon lange keinen LKW mehr gefahren war, brachte reichlich unausgeschlafen Marco an den Bahnhof. Und auch der Junge sah so aus, als würde er gleich schlafend umkippen wollen. Bevor Alfred sich wieder auf den Weg machte, bat er mich: „Gib mir doch mal bitte Deine Visitenkarte. Die hinterlege ich in unserer Dispo. Wenn wir mal kurzfristig einen Fahrer brauchen, kannst Du ja mal eine oder zwei Touren für uns als Sub fahren.“ Gut, dass ich mir welche in einem Copyshop hatte machen lassen. Ich gab ihm die Karte und wir stiegen ein. Im Zug schlief ich erst einmal bis weit hinter dem Ruhrgebiet durch.
Das Spiel und damit die Meisterschaft ging 1:4 aus. Enttäuscht ging es mit dem Sonderzug zurück. Noch vor Hannover schaltete ich in den Schlafmodus. Der Zug sollte um 2 Uhr nachts in Köln sein, ich musste aber schon um 6 Uhr los fahren. Der LKW stand abfahrbereit in der Halle, vorbereitet für „Schlüssel rum und los“. Im Kühlfach war ein Sixpack blau-silberner Dosen. Eigentlich hielt ich nichts von der Brühe als Ersatz für Schlaf, aber als Rückfallebene konnte ein Bisschen flüssiges Hallo-Wach nicht schaden. Der Zug kam mit nur etwas über 10 Minuten Verspätung an, Alfred war schon da und so wurde ich mein Tageskind schnell los, um die Rückfahrt nach Bochum anzutreten. Richtig zu schlafen lohnte für die zwei Stunden nicht mehr, also döste ich nur etwas vor mich hin. Immerhin war ich ja aus dem Zug einigermaßen ausgeschlafen.

Es war für einen Neueinsteiger in das Geschäft nicht leicht, lange Touren zu bekommen. So erwartete mich Regionalverkehr. Dass ich keine Rundumleuchten, Seitenverkleidungen und außen angebrachte Feuerlöscher hatte, tat sein Übriges, denn so waren Gefahrguttransporte nicht möglich.

Erster Halt war in Essen bei Fercam. Ein Trailer mit Reis wollte den kurzen Hüpfer nach Osnabrück gebracht werden. Mein Navi wollte westlich um Gelsenkirchen und dann durch Recklinghausen. Ich überlegte kurz, in Gelsenkirchen über die Stadtautobahn zu fahren, folgte dann aber verhängnisvollerweise dem Navi. Ich hielt auf eine Ampel zu, als diese umsprang. Mein Fuß sprang auf die Bremse und die Haltelinie kam immer näher. Mit einem Ruck blieb die Fuhre stehen, aber ein hässlicher, roter Blitz zeigte mir, dass die Stoßstange schon den Bodenkontakt ausgelöst hatte. Das würde ein kleines Ticket geben, zum Glück unterschieden die Blitzer zwischen Rotlichtverstoß und Haltelinienverstoß, letzterer war billiger.

Es interessierte zwar sprichwörtlich keinen, wenn ein Sack Reis in China umfiel. Der Lademeister bei Norbert Dentressangle interessierte sich aber dafür, dass in meinem Trailer einer umgefallen war. Das fing ja toll an, immerhin konnte es nur besser werden…
Die Anschlussladung Speiseeis stand nebenan, aber ich musste erst einmal eine kleine Pause nehmen. In einer Ecke des Hofes stellte ich meine Maschine ab und klickte mich für den folgenden Tag durch die Frachtbörsen. Schließlich sattelte ich die zweite Ladung für heute auf, ein Thermokoffer Eis für Duisburg. Schon war ich wieder auf der Fahrt.

Nach dem Abladen in Duisburg fuhr ich leer nach Bochum zurück. Hier wollte ich noch schnell zu einer Werkstatt, die ich bei meinen Erkundungen der neuen Heimat entdeckt hatte. „Gebrüder Lahrmann – Nutzfahrzeugservice, Zusatzausrüstungen, Lackierungen, Folienbeschriftung“ stand auf dem Schild neben der Eingangstür. Ich ging rein und stand einem Afrikaner vom Format Kleiderschrank gegenüber. Er war wohl einer der Brüder, denn trotz seines für den sehr deutschen Nachnamen sehr undeutschen Aussehens stand „M. Lahrmann“ auf dem Aufnäher an seinem Blaumann. Ich stellte mich vor: „Hallo, ich bin Ricky.“ „Ich heiße Mahad. Was kann ich für Dich und Deinen kleinen tun?“ „Ein ADR-Paket bräuchte ich. Minimalanforderung, zu mehr reicht die Kohle leider noch nicht.“ „Also Latten-Unterfahrschutz, Feuerlöscher an der Kabinenrückwand, einfache Rundumleuchte mit Drehreflektor?“ „Genau so was.“ „Na das ist eine Kleinigkeit, haben wir an einem halben Tag dran.“ Er zeigte mir die in Frage kommenden Teile im Katalog und stellte ein Angebot zusammen. „Noch was?“ „Ob ich will oder nicht, ein Bisschen Farbe müsste noch sein. Wenn ich neu in das Geschäft starten will, muss ich schon ein Bisschen auffallen, damit sich Disponenten an mich erinnern. Und das ist mit dem grauen Ding nicht so ganz einfach.“ „Dazu muss ich Dich an meinen Bruder weiterreichen.“ Er drehte sich zu einer der beiden Türen um, die in die Halle führten, machte sie einen Spalt auf und rief rein: „Vinni, Kundschaft!“ Dann fragte er mich: „Neu? Bist Du der, der die verbeulte Blechhütte vom Talke gekauft hat?“ „Ja.“ „Na hoffentlich nicht so teuer gewesen.“ „Über Geld redet man nicht, aber ich würde sagen, es war ein gutes Angebot.“
Ich glotzte reichlich blöd, als sein Bruder rein kam. Schmal, sogar für einen Mitteleuropäer extrem helle Haut, hellblonde Haare, gekleidet in Jeans und einem schwarzen Hemd. Also genau so, wie man sich den Bruder eines Blaumann tragenden, afrikanischen Muskelberges nicht vorstellte. „Das ist Ricky, er will diesen grauen Stralis da draußen ein Bisschen farbenfroher haben.“ Damit übergab Mahad mich an seinen Bruder. „Vincent, aber sag ruhig Vinni. Und so wie Du guckst, muss ich Dir erst mal die Brüder erklären scheint mir.“ Ich nickte. „Mahad kam mit 11 Jahren als Waisenjunge durch Ärzte ohne Grenzen nach Deutschland. Sie suchten eine Pflegefamilie mit einem gleich alten Jungen und so kam er zu uns. Am Ende haben meine Eltern ihn adoptiert und so sind wir das ungleiche Brüderpaar geworden. Aber nun zu Deinem LKW.“ Er zeigte mir ein paar Standard-Folierungen, die am billigsten waren. Da gab es fertige Schnittmuster für die gängigsten Fahrerhäuser und ich brauchte nur die Farbkombination auszusuchen. Ich entschied mich für eine gelbe Kabine, dunkelblau ums Fahrwerk und einem heller blauen Streifen am Übergang. „Das Kleben wird knapp einen Tag dauern. Jetzt ist es zu spät zum Bestellen auf morgen früh, also kommen sie frühestens am Mittwoch an. Zusammen mit den Anbauteilen bei Mahad also anderthalb. Soll ich gleich Donnerstag planen, da ist der Folienstand noch frei. Dann wäre die Maschine Freitagmittag fertig.“ Ich dachte nach, das würde gehen. So konnte ich zwei volle Tage fahren, hatte dann Pause, während mein LKW in der Werkstatt war und musste dann mal mit Lenkzeiten und so sehen, wie ich weiter machen konnte.
Ich sah die Prägemaschine in der Ecke und ließ mir noch ein Namensschild für die Frontscheibe machen. Vor der Werkstatt reihten sich die echten Fernverkehrsmaschinen auf. Irgendwie fühlte ich mich daneben mit meinem platten Stralis klein. Ein DAF und ein Scania mit dem größten Fahrerhaus rahmten einen werksneuen Stralis Hi-Way ein. Ein schöner Truck, aber ich wusste auch, was er kostete. Den würde ich mir so schnell nicht leisten können.

Ich fuhr raus auf die Hauptstraße, nächste Ampel links, Querstraße rechts, die Straße runter und war wieder an meiner Halle mit dem bescheidenen Containerhaus dahinter.

Ich hatte mir eine Tour in den Norden zusammengestellt, die an einem Tag rauf und am nächsten runter zu schaffen war. Da ich noch nicht wusste, wie sich die kleine Maschine auf die Fahrzeit über lange Strecken auswirkte, ließ ich es lieber etwas ruhiger angehen. Es war mir lieber, nicht die lukrativsten Aufträge anzunehmen als zu knapp zu kalkulieren und am Ende Strafe bezahlen zu müssen.

Es ging wieder früh los, Ladeort war Shell in Gelsenkirchen. Die Ladung waren zwei Container mit Sammelgut.

Ich zirkelte die Fuhre auf dem etwas eingeengten Hinterhof zum Tor und fuhr durch Recklinghausen auf die Autobahn. Nachdem die steile Auffahrt noch eine Qual war, lief es eigentlich nicht schlecht. Klar, gegen den Actros 1850 von Talke war mein Stralis 310 trotz Chiptuning eine müde Socke, aber er erreichte und hielt seine 80 auf flachen Strecken und fiel auf leichten Steigungen nicht so sehr zurück wie ich befürchtet hatte. Nur stärkere Steigungen machten ihm zu schaffen. Hinter Bremen war meine Lenkzeit um und ich zog auf einen Rastplatz. Es war ziemlich voll dort, aber ich fand noch einen Platz für meinen Zug.

Auch hier fiel mir wieder auf, wie bescheiden mein Fahrzeug gegenüber dem Rest war. Sogar der einfache Scania vor mir hatte ein größeres Haus, weil bei Scania ein leicht erhöhtes Dach bei allen Fernverkehrskabinen Standard war. Nur die Kurzstreckenhäuser gab es mit Flachdach. Mit Blick auf die Uhr stellte ich fest, dass ich viel zu früh dran war. Also rief ich bei Hellmann an und fragte, ob ich früher kommen könnte. Das war kein Problem, so lange es nicht vor 15 Uhr wurde, also machte ich eine ausgedehnte Mittagspause daraus.
Schließlich fuhr ich los und kam fast genau um 15 Uhr in Kiel an und musste erst mal den Lademeister suchen. Schließlich fand ich ihn und bekam meine Anweisung zum abstellen. Auch der Papierkrieg ging schnell.

Weil es erst morgen früh wieder zurückgehen sollte, fuhr ich in ein Motel und nahm mir ein billiges Zimmer. Notiz an mich selbst: Kanister mit Zapfhahn für Leitungswasser kaufen. Den Rest vom Tag schlenderte ich durch die Stadt und ließ den Tag mit einem Matjes-Teller an der Promenade entlang der Förde ausklingen.

Da auch die nächste Ladung erst gegen Abend erwartet wurde, konnte ich mir am Morgen Zeit lassen und mal so richtig ausschlafen. Nach langer Nacht und ausgiebigem Frühstück fuhr ich dann zu Dachser, wo mich ein Kühlcontainer voll argentinischem Rindfleisch erwartete. Auf dem gleichen Weg wie gestern fuhr ich zurück. Weil auf der A1 Rastplätze und Autohöfe Mangelware sind, musste ich auch schon wieder sehr früh hinter Hamburg meine Pause einlegen. Am frühen Abend kam ich in Recklinghausen bei UPS an. Hier allerdings durfte ich wie später mal die Rinderbraten im Ofen fast eine Stunde im Büro schmoren, bevor ich endlich meine Papiere los wurde.

„Nach einer Stunde Schmorzeit den Braten mit Regenwasser ablöschen“ hätte wohl in einem Kochbuch gestanden. Quer über den Hof vom Büro zu meinem LKW wurde ich klatschnass. Nun noch schnell mit der verbleibenden Fahrzeit durch Gelsenkirchen nach Bochum. Hoffentlich hörte das auf zu regnen, bevor ich da war.
Diesen Gefallen tat Petrus mir natürlich nicht, also stellte ich meine Zugmaschine bei den Lahrmanns auf den Hof, warf den Zündschlüssel in den Nachttresor und latschte durch den Regen nach Hause. Dort stellte ich mich erst einmal unter die heiße Dusche und brachte mich wieder auf Betriebstemperatur.

Ich hatte beschlossen, dass ich nun erst einmal meine Wochenruhe einlegen wollte. Freitagnachmittag um kurz nach 16 Uhr durfte ich dann wieder fahren. Dann wollte ich zusehen, dass ich bis Samstagabend aus dem Wochenendfahrverbot raus war. Entweder würde ich also ein paar Tage auf meiner Lieblingsinsel zubringen, nach Osteuropa fahren oder über Österreich versuchen, in den Balkan zu kommen. Spanien war in der Kürze der Zeit nicht zu schaffen, da würde ich in Frankreich stranden.

Der Anfang der Tour stand und so ging ich am Freitag bei besserem Wetter zur Werkstatt. Schon von der Straße konnte ich meinen LKW vor dem Hallentor in der Sonne strahlen sehen. Aus die graue Maus. Mahad und Vinni erwarteten mich schon grinsend.

4 Kommentare zu „Kapitel 2 – Jetzt in Farbe

    1. Ich werde versuchen, beides parallel zu machen. Wenn was in Amerika fertig ist, kommt es rein, zwischendrin aber arbeite ich an der Mammutaufgabe Europa, immerhin waren die US-Kapitel nur 25% meines Gesamtwerks. Wird noch was dauern, bis beide in der Gegenwart sind.

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  1. Auch wenn ich mir irgendwann auch damals im TSM-Forum die Geschichte durchgelesen habe, ist es schön, sie hier nochmal zu lesen. Auch interessant, wie die Schreibweise damals noch eher am ETS als an der Realität orientiert war, zeigt aber auch, was für eine Entwicklung das Spiel in den letzten Jahren durchgemacht hat.

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    1. Ja, ab und zu muss ich auch schlucken, was man damals so zusammengeschrieben hat. Aber ich wusste es teilweise nicht besser oder es war Kompromissen im Simulator und der Map geschuldet, die erst über die Jahre besser wurden.
      Aber man kann versuchen, so viel wie möglich auszubügeln, ein paar Sachen bleiben einfach drin, weil ich es sonst komplett neu schreiben müsste. Teilweise hätten auch Änderungen zur Folge, dass es sogar zu Logikfehlern mit späteren Kapiteln käme. Deshalb spare ich mir, auch einige Sachen zu ändern

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