Zusammen mit Mahad machte ich die Abnahme meines LKW und dann ging es los. Ich musste als erste bei Linde in Bochum 20 Tonnen Chemikalien laden. Jetzt wo ich mit meinem LKW auch Gefahrgut ziehen durfte, war das Auftragsangebot größer. Der beheizte Trailer eines niederländischen Spezialunternehmens für Chemielogistik stand bereit und schnell waren die Papiere fertig. Langstrecke war verglichen damit, was manch anderer Fahrer so zurücklegte, wohl übertrieben. Aber immerhin beauftragten meine Kunden mich nun auch mit weiteren Touren als nach Norddeutschland.
Wie schon bisher hatte mein LKW keine Probleme, die in Deutschland und Belgien erlaubten 80 zu halten. Hinter Lüttich wollte ich meine Pause machen und tanken, weil auf der Tour hier die Preise am günstigsten waren. An der Zapfsäule hatte ich mir schon zu Talke-Zeiten angewöhnt, nachts das Standlicht an zu lassen. Zwar waren die Tankstellen gut beleuchtet, aber nachdem einmal ein etwas nassforscher Trucker meinte, mit 70 Sachen auf die Raststätte zu dübeln und mit seinem Scania fast in meine Ladung Salpetersäure gesemmelt wäre, konnte zusätzliches Licht nicht schaden.

843 Liter für 1.020 Euro fanden ihren Weg in den Tank. Dann zog ich vor auf die Parkplätze und machte eine kleine Pause mit verspätetem Abendessen. Die weitere Fahrt durch die Nacht hatte Vor- und Nachteile. An sich fuhr ich nicht gerne nachts, weil es anstrengend war und gerade mit Gefahrgut die Verantwortung hoch. Andererseits waren die Autobahnen leer und man kam gut und sicher vorwärts. So kam ich um viertel nach Eins in Calais an und stellte meinen Zug auf einen Parkplatz am Hafen. Die Lieferung wurde erst um 10 Uhr erwartet und so konnte ich ausschlafen.

In Calais waren immer illegale Einwanderer nach Großbritannien ein Problem. Zwar bevorzugten sie andere LKW, weil ein 60 Grad heißer Tank mit Chemikalien nicht gerade ein angenehmer Reisebegleiter war, aber auch hier kletterten sie gerne einmal ins Fahrwerk. An sich waren deshalb morgens Kontrollgänge um den LKW notwendig. Da ich in die Stadt wollte, ließ ich das mal bleiben. Wenn sie merkten, dass es nicht in Richtung Schiff ging, würden sie spätestens an der ersten Ampel von alleine abspringen. Und wenn man sie bemerkte, war es auch nicht immer ungefährlich, alleine als Fahrer meistens 3 oder 4 Personen zu konfrontieren. Nicht mal, wenn man „bewaffnet“ war, auch wenn das Ding offiziell dazu gedacht war, größere Schrauben festzuziehen, als es an diesem Sattelzug überhaupt gab. Baseballschläger waren in den Niederlanden waffenscheinpflichtig – oder Baseballmannschaft-mitgliedsausweispflichtig.
Aus dem Hafen raus brummte der Verkehr. Ich kam erst auf die Hauptstraße, als ich etwas optimistisch in eine Lücke zog. Der Mustang-Fahrer beschwerte sich mit der Lichthupe. Bei ENI konnte ich nach dem Absatteln gleich nebenan meine neue Ladung entgegen nehmen. Ein Tank mit 18 Tonnen Schwefelsäure für Bosch in Swansea. Also ging es wieder zum Hafen. Und dieses Mal passte ich in den Rückspiegeln auf, dass niemand unter den LKW klettern konnte. Die Kontrolle am Hafen fand natürlich trotzdem statt, aber schließlich durfte ich auf die Fähre.
Während der Überfahrt ging ich im Bordrestaurant Brunchen, da ich noch kein Frühstück hatte, es aber inzwischen Mittag war. Gegen halb zwei rollte ich im Schatten der berühmten Kreidefelsen von der Fähre auf britischen Boden.

Ich entschied mich, obwohl mein Navi erst östlich und dann westlich um Dover herum wollte, für den direkten Weg durch die Stadt. Die Leute hinter mir dürften sich gefreut haben, denn ein trainierter Rennradfahrer dürfte am Berg aus der Stadt hinaus keine Probleme gehabt haben, mich zu überholen.
Die Fahrt führte auf den Londoner Ring und dann die M4 entlang. Inzwischen lief im Radio Fußball. Irgendein Trottel hatte beim Disponieren nämlich vergessen darauf zu achten, was in der zweiten Liga an dem Wochenende passieren konnte. Und der Trottel durfte es, weil er sich in seiner Ein-Mann-Firma um alles kümmerte, nun auch gleich als Fahrer ausbaden, dass er arbeiten musste und es nicht im Fernsehen oder Stream gucken konnte.
Ich hatte schon in Calais meinen Fanschal, den ich seit BP-Zeiten noch hatte, ins Beifahrerfenster geklemmt und fuhr nun mit dieser Aushilfsflagge. Mein liebster Verein auf der Insel war zwar Everton, aber auch für Cardiff City hegte ich aus der Vergangenheit noch Sympathien. Die persönliche Liebesbeziehung zu der Person mochte vorbei sein, aber die zu seinem Verein war es nicht.
Der Reporter sprach vielleicht etwas lauter als sonst, war aber ansonsten britisch beherrscht: „Das ist der Schlusspfiff, es ist geschafft. Nach 51 Jahren ist der Cardiff City FC in die Premier League aufgestiegen und damit wieder in der höchsten Spielklasse.“ Ich war da euphorischer. Mit einem lauten Jubelschrei drückte ich auf den Hupknopf und ließ meinen LKW auch jubeln, dazu schaltete ich kurz die Rundumleuchte an. Ein überholender Lastzug aus der Nähe von Cardiff antwortete spontan mit den Warnblinkern darauf. Auf dem Rastplatz Membury feierte ich den Erfolg, wie es sich gehörte – mit einer Cola.
Dann nahm ich lieber mal den Schal ab, denn nun wollte ich durch fahren und damit nach Swansea rein, das war wie im Trikot von Borussia Dortmund nach Gelsenkirchen – und wer machte schon so was? Mein LKW meinte es gut mit mir. Abschnittsweise kam er sogar in den Tempobegrenzer. Schließlich überquerte ich die Severn-Mündung und ertappte mich dabei, wie ich dabei laut zu mir selbst sagte: „Croeso i Gymru.“ Willkommen in Wales…

Da ich noch was vorhatte, beeilte ich mich, nach Swansea zu kommen und fuhr in die Stadt zu Bosch. Vorm Tor ging ich erst einmal voll in die Eisen. Welcher Wi…tzbold hatte das denn gebaut? Vorsichtig zirkelte ich den LKW in den Hof, der genauso eng war wie das Tor. Wenn jetzt was schief ging, kam hier demnächst auch ein Spezialtransport durch – und zwar quer! Säuretank und Sandsteintor blieben aber unbeschädigt.

Sehr flott hatte ich meine Papiere und fuhr mit den letzten Minuten erlaubter Fahrzeit ins Hotel. Dort stellte ich nur den LKW ab, die Bleibe war bei Truckern sehr beliebt. Danach machte ich mich auf den Weg zum Bahnhof und fuhr mit dem Intercity nach Cardiff. Bis zum letzten Zug zurück nach Swansea blieben mir nun noch knapp zwei Stunden, die ich ausgelassen mit den anderen Fans in den Straßen der Altstadt feiern konnte, auch wenn ich natürlich nur zwei Bier trinken konnte, damit ich am nächsten Morgen wieder fahren durfte. Hierbei tauschte ich auch meinen blau-weißen, von der heutigen Tortour im Fahrtwind reichlich mitgenommenen Schal gegen einen aktuellen, blau-roten.
Die Ladung am nächsten Morgen holte ich wieder bei Bosch Swansea ab, es war ein Kühlcontainer mit Setzlingen nach Brüssel.
Nach der Überfahrt machte ich auf dem Kontinent meine große Pause auf einem Rasthof. Zwar konnte ich glücklicherweise einen Parkplatz ganz am Zaun erwischen, aber es wurde dennoch eine unruhige zweite Nacht. Nicht nur das Aggregat an meinem Container nagelte in die kaum gedämmte Fahrerkabine, auf der anderen Seite stand ein Kühlkoffer und das Aggregat daran ging mit meinem in einen kleinen Wettkampf, wer am lautesten konnte.

Nach dieser unruhigen Nacht wurde es eine ruhige Fahrt nach Brüssel. Ich lieferte bei Monsanto ab. Zwar gab es um die gerade einige öffentliche Diskussion in den Medien, aber ich konnte mir in meiner wirtschaftlichen Lage die Kunden nicht aussuchen. Laden musste ich in der Stadt bei ND, die 21 Tonnen chemisch reines Benzin hatten wenigstens kein nagelndes Kühlaggregat, aber das würde auch egal sein für die Nachtruhe.

Auf dem Weg nach Stettin reichte meine Fahrzeit nämlich bis ins Ruhrgebiet. So konnte ich zu Hause in meinem Bett schlafen.
Am nächsten Tag ging es weiter, über Hannover und mit einer Mittagspause bei Braunschweig in Richtung Osten. In dem ziemlich ausladend in den Wald gebauten Autobahndreieck Werder wechselte ich auf den Berliner Ring.

Problemlos und mit nur noch ein Bisschen Restfahrzeit kam ich in Szczecin an und stellte meinen Trailer neben einigen mit Rohren und Kesseln beladenen ab. Danach fuhr ich noch zu dem Motel, das ich eben am Ortseingang gesehen hatte.
Mit Traktoren ging es am nächsten Tag von ND auf dem gleichen Weg zurück ins Ruhrgebiet. Auch die Mittagspause legte ich wieder in der Nähe von Braunschweig ein. Am frühen Abend erreichte ich das Sägewerk Rettenmeier bei Dortmund und stellte meine Fuhre ab.

Auf den letzten Kilometern Heimweg setzte strömender Regen ein und so wurde ich beim Öffnen des alten Schiebetors patschnass. Nachdem der LKW in der Halle stand, beeilte ich mich, in meinen Wohncontainer zu kommen.


So fuhr ich den Sommer über und im Herbst fiel eine Entscheidung. Mit diesem LKW wollte ich nicht fahren, bis ich mir einen richtig guten leisten konnte. Der Weg dorthin verlangte einen Zwischenschritt mit mehr PS und einer besser ausgestatteten Kabine. Zu oft suchte ich mir ein Zimmer in Motels. Die Kabine war die kleinste, mit der ich je Fernverkehr gefahren war. Sogar das Haus beim Iveco TurboStar war größer, weil der immerhin ein für die 80er gängiges, heutigen Ansprüchen aber auch nicht mehr wirklich genügendes Hochdach hatte. Zwar war dort der Motortunnel höher, aber man konnte vorm Beifahrersitz halbwegs stehen. Das ging hier gar nicht.

Und noch ein schönes, altes Kapitel. Da das schon ewig her ist, dass ich die mal gelesen habe, ist es fast so spannend, als wäre es ein ganz Neues.
Deswegen bin ich auch auf die Fortsetzung gespannt.
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Sogar ich bin ab und zu überrascht, was damals alles passiert ist. Es macht auf jeden Fall Spaß, die Texte wieder aufzubereiten und teilweise auch umzuschreiben, weil ich damals keine Ahnung hatte, wie wichtig mancher Nebensatz in der Zukunft noch werden sollte und das jetzt durchaus schon mal etwas herausarbeite.
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Das geht mir sogar teilweise so. Und die alten Kapitel von mir sind erst drei Jahre her und nicht, wie bei dir, sieben, acht Jahre.
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