33. Regendusche – Fehlende Nähe – Thanksgiving

Montag, den 23. November 2020, 3:30 am, PST, Sacramento, CA:

Mein Wecker klingelte, wie üblich zu Hause um halb Vier. Ich machte ihn schnell aus, damit Pam nicht wach wurde. Anschließend folgte der übliche Ablauf. Als ich das Haus verließ, bekam ich dann die zweite Dusche des Tages. Ein kräftiger Herbstschauer kam über Sacramento herunter. Wir hatten hier im Tal des Sacramento Rivers häufiger Schauer, damit sich die Wolken abregnen konnten, bevor sie die Sierra Nevada überqueren konnten. Ich fuhr mit dem Focus den kurzen Weg zum Zentrallager, wo ich dann erneut nass wurde, während ich vom Parkplatz zum Truck rannte. Im Truck verstaute ich schnell meine Sachen, dann begann ich mit der PTI. Bei den Kontrollen, die von außen durchgeführt wurden, bekam ich dann die nächste Dusche ab. Dann hatte ich die Kontrolle endlich erledigt. Jetzt rief ich meinen Auftrag für diesen Tag ab:

PICKUP: EST-CASAC
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FREIGHT: TABLEWARE
WEIGHT: 32,394 LB
DROP: THD-ORBND
PRIORITY: URGENT

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Nun musste ich noch an der betriebseigenen Tankstelle halten und 50 Gallonen nachtanken. Damit hatte ich dann genug Diesel an Bord, damit ich nach Oregon kam und vermutlich erst auf dem Rückweg wieder volltanken musste. Anschließend machte ich mich auf den Weg über die übliche Strecke zum Außenlager.

Als nächstes wählte ich Keela über das Diensthandy an. „Guten Morgen, Steve. Ist irgendwas unklar?“, fragte sie überrascht. „Nicht wirklich. Auch, wenn ich jetzt immer noch nicht weiß, ob ich Thanksgiving in Sacramento bin.“ „Ich sage es mal so. Wir versuchen, die Leute mit Familie irgendwie an Thanksgiving nach Hause zu holen. Meistens klappt das auch ganz gut. Zumindest so, dass die Fahrer spätestens am Mittag zu Hause sind. Den Truthahn solltest du also wohl nicht verpassen. Für Touren, die über den Feiertag gehen, werden dann die Fahrer mit Single Status genommen.“ „Okay. Fahrt ihr denn heute nach Minnesota? Es wurden ja wohl verschärfte Einschränkungen erlassen.“ „Wir fahren trotzdem. Zum Glück habe ich immer die Anmeldung eines zweiten Wohnsitzes in Saint Paul beibehalten. Einerseits wegen des günstigeren Unterhalts für Savana und Harley, andererseits für meine Positionen im Aufsichtsrat von Ryan Constructions und im Stiftungsrat. Marc hat den zwar nicht, aber als mein Ehemann zählt er auch zum engeren Familienkreis.“ „Verstehe. Habt ihr denn eine Tour nach Minneapolis bekommen?“ „Die konnte ich uns auch sichern. Sie hat nur einen Haken. Wir müssen heute früh noch nach Oakland und dort einen Container mit Asia Importen übernehmen, der dann zum Außenlager in Minneapolis geht. Natürlich fahren wir gleich mit einer Ladung für Hawaii nach Oakland.“ „Also erstmal zweieinhalb Stunden in die falsche Richtung.“ „Genau. Deshalb kommen wir wohl erst Donnerstagmorgen in Minneapolis an. Manchmal wünschte ich, ich hätte eine CDL für Trucks.“ „Wie kommt ihr denn um die Quarantäne herum?“ „Ich werde wohl oder übel zu Hause bleiben. Also bei meinen Eltern. Damit Marc dann von Black Friday bis nächste Woche Dienstag oder Mittwoch fahren kann, überlegen wir schon was besser ist, Ob er mit seiner Maschine fährt, oder mit einer von unseren aus Minnesota. Wenn er dann nicht kontrolliert wird, ist letzteres vielleicht besser.“ „Das müsst ihr wissen. Ich wünsche euch jedenfalls eine gute Reise. Grüß deine Familie von uns. Die kennen wir ja noch von eurer Hochzeit.“ „Werde ich ausrichten. So ich muss mich jetzt bei Jessy auskotzen, also die Schicht übergeben.“ Wir legten auf.

Der Verkehr war heute die Hölle. Berufsverkehr am Montagmorgen in Verbindung mit Regen ging gar nicht. Irgendwie verlernten die Leute dann das Autofahren. So erreichte ich dann erst um halb Sieben das Außenlager. Dort sattelte ich auf und erledigte ich die PTI des Trailers. Anschließend wechselte ich noch schnell die durchnässten Klamotten. Danach fühlte ich mich besser und konnte den Weg nach Bend in Angriff nehmen. Als ich dann auf der Interstate 5 in Richtung Redding unterwegs war, hörte der Regen endlich auf. Durch die feuchte Luft kam dann aber Nebel auf. Wir hatten an diesem morgen offensichtlich die Klischees mit den britischen Inseln getauscht. Statt kalifornischer Sonne gab es Regen und Nebel.

Die Kalifornische Sonne zeigte aber im weiteren Verlauf des Morgens was sie konnte und kämpfte gegen den Nebel an. Als ich Redding erreicht hatte, fuhr ich schon wieder unter blauem Himmel. Während ich ruhig mit Tempomat 56 dahinrollte, hatten es dann andere Trucker offensichtlich eiliger. Ein Benzinkutscher versuchte wohl die Zeit wieder rauszuholen, die er am Morgen im Berufsverkehr verloren hatte. Er hatte mindestens 60 Sachen drauf, als er mich dann überholte. Vielleicht hatte er aber auch den Slogan auf dem Tank falsch verstanden, der für seine Ladung als offiziellen Kraftstoff der NASCAR warb. Vielleicht hielt er sich selbst für einen Rennfahrer. In Kalifornien wäre es mir persönlich viel zu Teuer das Speed Limit zu überschreiten.

Als es dann in die Berge ging, war es mit seinem schnellen Vortrieb vorbei. Offensichtlich hatte sein Kenworth weniger Pferde unter der Haube, als meiner. Bei Weed trennten sich unsere Wege dann. Er fuhr weiter auf der Interstate 5, ich nahm ab hier die US-97 N in Richtung Klamath Falls. Ich durchquerte die vermeintliche Lieblingsstadt der Kiffer und durfte dann auch weiter die Berge erklimmen. Also nichts für meinen Truck. Mit der relativ leichten Ladung ging es aber. Schließlich erreichte ich Oregon und etwas später dann auch Klamath Falls. Ich blieb auf der US-97, bis ich das Pilot Travel Center, Klamath Falls erreichte. Es war viertel vor eins, als ich hier den Motor abstellte und meine Mittagspause machte.

Ich hatte mal wieder meine militärische Disziplin wahrgenommen und mir den Toilettengang verkniffen. Dort ging ich nun aber auch zuerst hin. Der Kommandeur hatte nun den Befehl zum Pinkeln gegeben. Nachdem dieser Befehl ausgeführt war, kam der Befehl zum Geländelauf. Dieser führte mich heute zum Ufer des Upper Klamath Lake, ein Stück daran entlang bis zum River Trail Head und wieder zurück zum Truck. Danach folgte die nächste, jetzt aber freiwillige Dusche. Mein Mittagessen kam dann heute mal vom Subway. Gegen viertel nach Zwei setzte ich meinen Weg fort. Dieser führte aber erstmal nur bis zur Weigh Station, keine Meile später. Mit 65,562 lb war ich aber sehr leicht unterwegs. Das reichte den Beamten schon und ich durfte sofort weiter. Zwei Stunden und 15 Minuten später hatte ich Bend erreicht und konnte dort die US-97 an der Ausfahrt 135 B verlassen. Ich bog rechts in die Empire Avenue und an der nächsten Ampel rechts in die Boyd Acres Road. Kurz darauf lag das Lager der Baumarkt Kette The Home Depot auf der rechten Seite. ORBCOMM hatte mir inzwischen Tor 14 auf der Rückseite der Halle zugewiesen. Bei den Lägern funktionierte es inzwischen so gut, wie an den eigenen Lägern oder bei Costco. Ich setzte den Trailer ans Dock und sattelte ihn ab. Dann rief ich die nächste Ladung ab:

PICKUP: THD-ORBND
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Falls das der Versuch eines Heimatschusses war, hatte man aber deutlich am Ziel vorbeigeschossen. Santa Maria war ein bisschen weiter südlich, als ich erwartet hatte. Okay, eine Tagestour am Mittwoch blieb mir so erspart, ich vermutete nun aber, dass ich, genau wie Marc erst am Donnerstagmorgen mein Ziel in Sacramento erreichen würde. Vielleicht klappte es aber auch noch. Ich musste aber versuchen, heute noch so weit, wie möglich zu fahren, um noch eine Chance zu haben, am Mittwoch zu Hause zu sein.
Wenigstens fuhr ich keine Fremdwerbung. Man hatte wohl einen unserer Trailer, mit dem hier angeliefert worden war, wieder für uns beladen. Dieser stand an Tor 7. Ich fuhr dorthin und sattelte diesen auf. Dann folgte die PTI des Trailers. Anschließend ging es wieder in Richtung Kalifornien zurück. Mein Navi sagte mir, dass ich rechts auf die Boyd Acres Road fahren sollte. Ich war zwar aus der anderen Richtung gekommen, trotzdem folgte ich der Anweisung. Nach einer halben Meile ging es dann rechts in die NE Butler Market Road. Es ging unter der US-97 hindurch und an der nächsten Ampel nach links auf die US-97 Business Lane. Kurz darauf erreichte ich die auffahrt auf die US-97 S in Richtung Klamath Falls.

Mit meiner restlichen Fahrzeit kam ich noch bis zur Beaver Marsh Rest Area. Dort machte ich dann für heute Feierabend. Beim abendlichen Telefonat mit Pam berichtete ich ihr dann, dass ich spätestens am Donnerstagmorgen zu Hause sein würde. Sie hoffte, genau wie ich, dass ich es noch bis Mittwoch schaffen würde, Donnerstagmorgen war aber auch noch okay. Hauptsache, sie müsste nicht alleine mit Tim zu meiner Familie. Das Abendessen kam aus meinen Vorräten und das abendliche Entertainment von YouTube.

Dienstag, den 24. November 2020, 4:00 am, PST, Chemult, OR (Beaver Marsh Rest Area):

Ich hatte wunderbar geschlafen. Nun hieß es aber wieder aufstehen und weiterfahren. Heute hieß es Meilen fressen. Obwohl das in Kalifornien natürlich relativ war. Schließlich war ja bei 55 mph das Speed Limit erreicht. Ich stand auf und ging für die Morgentoilette in das Sanitärgebäude der Rest Area. Die Zahn- und Körperpflege erledigte ich mit Wasser aus meinem Kanister. Nachdem ich dann die Fahreruniform angezogen hatte und der Kaffee fertig war, war es dann auch langsam fünf Uhr. Da konnte ich dann auch mit der PTI beginnen. Nach der erledigten Kontrolle machte ich mich auf den Weg nach Kalifornien.
Ich fuhr zurück auf die US-97 S in Richtung Klamath Falls und beschleunigte den Truck. Knapp eine dreiviertel Stunde später wurde dann mein Vortrieb an der Weigh Station vor Klamath Falls wieder gestoppt. Mit den ziemlich leeren Tanks, die Tankleuchte war gestern auf dem Hinweg etwa an der gleichen Stelle angegangen, brachte ich nicht einmal 75,000 Pfund auf die Waage. Weitere Kontrollen wünschte man nicht. Der DOT war an sich auch bekannt, Das sich Walmart Transportation an die geltenden Vorschriften hielt. Der nächste Zwischenstopp war dann gerade mal eine Meile später an der Chevron, gegenüber des Pilot Travel Centers. Hier tankten wir ja immer auf dieser Route. Etwas später hatte ich dann wieder 290 Gallonen mehr in den Dieseltanks. Auch DEF war nun wieder aufgefüllt. Das hatte sich mal wieder gelohnt. Für den weiteren Weg folgte ich nach wie vor der US-97 S in Richtung Kalifornien.

Der nächste Zwischenstopp folgte dann eine weitere dreiviertel Stunde später an der DFA Kontrollstelle, Dorris. Mit Non Food Ware im Trailer und nur in Kalifornien erworbenen Lebensmitteln im Vorrat war ich dann aber schnell wieder unterwegs. Eine Stunde später hatte ich dann Weed passiert und fuhr auf die I-5 S in Richtung Redding. Auf der Interstate hieß es nun wirklich Strecke machen.

Bei Redding musste ich dann, trotz Tempolimit 55 auf die linke Spur. Der Fahrer eines alten Volkswagen Rabbit fuhr mir dann doch zu langsam. Viel traute er dem alten Teutonen nicht mehr zu.

Die weitere Fahrt durch den Vormittag verlief dann ohne nennenswerte Vorkommnisse. Da ich mir noch nicht sicher war, ob ich über San José, oder weiter über die Interstate 5 fahren wollte, legte ich meine Pause dann auf das Pilot Travel Center Dunnigan. Kurz dahinter musste ich mich ja zwischen I-5 und I-505 entscheiden. Damit verzichtete ich zwar auf eine Pause mit Pam und Tim, mir war es aber wichtiger, am Donnerstag so früh wie möglich bei den Beiden zu sein. Zuerst zog ich mir aber die Sportsachen an und lief dann eine Runde durch die umliegenden Felder. Als ich zurück war, ging ich duschen und holte mir im Anschluss bei PJ Fresh noch eine Pizza.

Zurück im Truck, schaute ich mir dann die weitere Strecke in Richtung Santa Maria an. Beide Möglichkeiten hatten jeweils einen Nachteil. Die Strecke über San José war kürzer, hatte aber den Nachteil, dass von Vallejo bis nach San José Stadt, auf Stadt, auf Stadt kam. Gerade gleich am Nachmittag war da natürlich viel los. Die Route über die Interstate 5 und die CA-158 bis Gilroy war zwar etwas länger, führte aber, mal abgesehen von Sacramento und Stockton über freies Land. Das sollte wesentlich entspannter laufen, als durch die Bay Area. Ich kam dann zu dem Schluss, dass ich dann doch lieber ein paar Meilen mehr, dafür aber entspannter fuhr. Dann hätte ich mich auch mit Pam und Tim treffen können, dachte ich etwas verärgert. Nun war es zu spät. Die Pause war vorbei und somit die Chance vertan. Die Uhr zeigte 1 PM, als ich weiterfuhr.

 Ich fuhr also auf die I-5 S in Richtung Sacramento und ließ die I-505 in Richtung San Francisco rechts liegen. Dann passierte ich meine Heimatstadt und eine Stunde später Stockton. Beide Städte passierte ich also um die Mittagszeit, wo ich noch super durchkam. Ich blieb dann noch bis Santa Nella auf der Interstate, wo ich an der Ausfahrt 407 auf die CA-33 S in Richtung Gilroy fuhr. Drei Meilen später wechselte ich auf die CA-152 W. Gilroy war auch weiterhin die Stadt, auf die es zuging. Nach 26 Meilen nahm ich dann nicht die Strecke, die ich sonst in Richtung Santa Cruz fuhr, sondern die CA-156 W in Richtung Hollister. Nach weiteren 18 Meilen hatte ich dann die US-101 S erreicht und die Bay Area weiträumig umfahren. Es ging nun in Richtung Salinas weiter. Auf der US-101 waren die Parkmöglichkeiten für Trucks sehr rar. Darum hielt ich vor Ende meiner Fahrzeit schon an der Camp Roberts Rest Area an und machte dort Feierabend. Wenn morgen alles klappt, würde ich von hier aus auch wieder nach Hause kommen. Bei einem Auftrag von Santa Maria nach Sacramento kein Problem. Mit einem Umweg würde es natürlich länger dauern. Mir blieb nichts anderes übrig, als abzuwarten. Nach der Pizza am Mittag gab es heute Abend nur Sandwiches, das sollte aber auch reichen. Am Abend folgte noch das tägliche Telefonat mit Pam. Ansonsten switchte ich noch etwas durch die Fernsehprogramme.

Mittwoch, den 25. November 2020, 4:15 am, PST, Bradley, CA (Camp Roberts Rest Area):

Auch heute stand ich wieder um viertel nach Vier auf. Zuerst setzte ich die Kaffeemaschine in Gang, anschließend suchte ich die Sanitäranlagen der Rest Area auf, die in einem historisch anmutenden Gebäude waren. Zahnpflege und Katzenwäsche erledigte ich aber am Truck mit Wasser aus dem Kanister. Um fünf Uhr war die Pause um und ich begann wieder mal mit der täglichen PTI. Nachdem diese erledigt war, machte ich mich auf die Schlussetappe nach Santa Maria. Ich fuhr wieder auf die US-101 S in Richtung Santa Barbara. Dort beschleunigte ich den Truck auf 56 mph und legte den Tempomat ein. Die nächsten knapp zwei Stunden ging es nun über den hügeligen Highway meinem Ziel entgegen. An der Ausfahrt 169 tauschte ich schließlich den Highway gegen die Betteravia Road, auf die ich rechts abbog. An der nächsten Kreuzung ging es links auf die S Bradley Road, an welcher der Discount Store in einem Shopping Park mit mehreren anderen Geschäften lag. Den Trailer sattelte ich dann an dem Dock ab, welches ich vorher von ORBCOMM genannt bekam. Auch der nächste Auftrag begann direkt hier am Discount Store:

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Jessy gab mir die erhoffte Ladung nach Hause. Aber auch für sie lag es sicher im eigenen Interesse, morgen nicht alleine mit Mom und Dad Thanksgiving zu feiern. Tor 8 war das Dock am Leergutplatz, an dem der Trailer wohl noch stand. Dort fuhr ich hin und stellte fest, dass ich wieder einen recht betagten Sliding Tarp Trailer bekam. Solange er aber technisch in Ordnung war, passte das für mich. Die PTI nach dem Aufsatteln bestätigte mir das dann. Der Trailer war bis auf ein paar Gebrauchsspuren einwandfrei. Also ab nach Hause.

Über die S Bradley Road und Betteravia Road ging es nun zur US-101 N in Richtung San Louis Obispo. Bei Pismo Beach konnte ich noch einen Blick auf den Pazifik werfen, bevor ich dann von der Küste weg ins Binnenland kam. Zwischen San Louis Obispo und Santa Margarita hatte ich überraschend plötzlich einen Stau. Grund war eine Tagesbaustelle mit einspuriger Verkehrsführung. Da hatte CALtrans mal wieder ganze Arbeit geleistet. Man richtet solche Baustellen ja unbedingt am letzten Tag vor dem langen Wochenende ein. Ich wollte nicht wissen, wie es hier am Nachmittag aussah.

Nach der Baustelle lief der Verkehr dann aber wieder problemlos. Ich zog dann erstmal bis Gilroy durch. Dort hielt ich für meine Pause am Gilroy Farms Diesel Truck Stop an. Hier nahm ich mir ein Duschbadezimmer. Bevor ich nach Hause kam, wollte ich auf jeden Fall duschen und mich rasieren. Anschließend aß ich noch was, bevor ich meinen Heimweg fortsetzte.

Auch heute entschied ich mich in weiser Voraussicht gegen eine Fahrt durch San José und die Bay Area. Daher nahm ich von Gilroy aus die CA-152 E in Richtung Merced / Los Banos. Bei Santa Nella kam ich dann zur Interstate 5, die ich in Richtung Norden nahm. Nun konnte ich entspannt nach Hause rollen.

Kurz nach Zwei, ich war kurz vor Stockton, klingelte mein Handy. Die Nummer von Dannys Diensthandy war im Display. „Hier, bei der Arbeit.“, meldete ich mich. „Hey Steve. Du klingst, als hättest du gute Laune.“, begrüßte mich Danny. „Hab ich auch. Es ist Mittwochmittag und ich bin kurz vor zu Hause. Besser geht es kaum.“ „Das beantwortet schon meine erste Frage.“, stellte Danny fest. „Ich darf euch jetzt nämlich alle der Reihe nach anrufen und die Planung für das kommende Wochenende absprechen.“ „Steht die noch nicht fest?“, wunderte ich mich. „Was den morgigen Feiertag und gegebenenfalls angemeldeten Urlaub angeht schon.“, sagte Danny. „Du möchtest also auch den morgigen Tag im Kreise deiner Familie verbringen.“ „Was denn sonst.“ „Bei den Fahrern mit Familie ist das an und für sich klar. Bei den Fahrern, die Single sind, kommt das darauf an, ob sie mit den Eltern feiern, oder lieber arbeiten möchten.“ „Das war doch klar, dass ich morgen frei haben wollte.“ „Das hatte ich ja auch schon abgehakt. Kannst du denn am Black Friday wieder arbeiten?“ „Natürlich.“ „Okay. Über die nächste Frage bitte ich, genau nachzudenken, weil die Antwort nicht nur das kommende Wochenende betrifft, sondern auch die Vorweihnachtszeit.“ „Okaaay?“, was kam denn jetzt? „Möchtest du in den nächsten vier Wochen deinen Reset unbedingt am Wochenende, also Samstag oder Sonntag machen, oder kann der Reset auch unter der Woche stattfinden?“ Ich überlegte kurz. „An sich ist das egal, da Pam nicht berufstätig ist. Solange ich zu Hause bin ist mir egal, an welchem Wochentag ich resette. Langfristig möchte ich aber schon am Wochenende meinen Reset machen. Wieso fragst du?“ „Weil du einer der Fahrer bist, die jetzt so zeitig hier sind, dass du bis Freitagmorgen einen kompletten Reset hinbekommst. Jetzt muss ich natürlich wissen, ob wir dich Freitag in der Region lassen müssen, oder dich auch weiter wegschicken können. Wenn du, wie sonst, am Wochenende resetten möchtest, ist deine Reichweite ja begrenzt.“ „Jetzt verstehe ich das. Wie gesagt, das ist an sich kein Problem. Langfristig sollte es aber schon am Wochenende sein.“ „Du hast ja um Weihnachten rum sowieso Urlaub angemeldet. Danach geht es auch wieder im normalen Rahmen weiter.“ „In Ordnung.“ „Okay. Dann stellst du deine Systeme gleich auf Reset und fängst dann Freitagmorgen um Fünf wieder an. Dann kann es auch weiter weg gehen.“ „Ist okay. Wir sprechen dann am Freitag.“ „Sicher nicht. Ich habe für mich ein langes Wochenende genommen.“ „Wie das? Keela hat doch schon Urlaub.“ „Für den Brückentag geht das schon. Ist ja auch von Charlie genehmigt. Wenn Gina nachher von ihrer Tour wieder da ist, wartet sie bis zu meinem Feierabend. Danach sind wir dann bis Sonntagabend in San Francisco bei ihr. Thanksgiving im Hause Lion. Das ist richtig klasse.“ „Wahrscheinlich alles vom Feinsten.“ „Mit Truthahn vom Sternekoch. Ginas Familie legt aber auch Wert darauf, dass an Thanksgiving alle aus der Familie zu Hause sind. Sogar ihre Schwester kommt von Hawaii rüber.“ „Okay. Zurück zum Dienstlichen. Meine Arbeitswochen gehen dann bis zum Urlaub von Freitag bis Mittwoch?“ „Ganz genau.“ „Okay. Die paar Wochen geht das.“ „In Ordnung. Dann morgen einen schönen Feiertag. Ab Montag bin ich dann wieder mit Frühschicht am Start.“ „Okay. Dir ein schönes verlängertes Wochenende.“ Wir legten auf.

Ich hatte Stockton erreicht und wechselte auf die CA-4 E, um über diese auf die CA-99 N zu wechseln. Diese war nach drei Meilen erreicht.
Gegen halb Vier hatte ich das Zentrallager erreicht. Der Trailer musste an Tor 23. Nachdem ich ihn dort abgesattelt hatte, stand dann die erwartete Anweisung im ORBCOMM:

RESET UNTIL FR 5AM.

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Also stellte ich den Kenworth auf den Parkplatz und die Systeme auf Reset. Dann packte ich meine Sachen zusammen und fuhr im Anschluss nach Hause.

Dort angekommen, kam Tim in den Flur geflitzt. „Mamá, papá llegó a casa.“, rief er in Richtung Wohnzimmer. „Hallo mein Großer. Hast du schon wieder neue Worte auf Spanisch gelernt?“, Tim nickte eifrig. „Ja. Das macht Spaß, mit Mami spanisch zu lernen.“ Ich nahm ihn auf den Arm und wir gingen ins Wohnzimmer. „Hola cariña.“, sagte ich zu Pam. „Hola cariño.“, antwortete Pam und gab mir einen langen Kuss. „Du bist ja schon da.“ „Ist doch gut. Dann haben wir auch noch etwas Zeit für uns.“ Pam runzelte die Stirn. „Wieso nicht. Wann musst du denn wieder raus?“ „Freitagmorgen. Wie üblich muss ich um Fünf mit der PTI beginnen.“ „Dann ist doch alles okay.“ „Dafür bin ich dann wahrscheinlich am Wochenende unterwegs. Bis zu meinem Urlaub werde ich jetzt wohl am Donnerstag meinen Reset machen.“ „Warum das denn?“ „Danny hat gefragt, ob das geht.“ „Ich dachte, du wärst morgen und am Sonntag zu Hause.“ „Wenn das alle Fahrer machen würden, würden ja keine weiten Touren mehr in dieser Woche rausgehen.“ „Können das nicht die Fahrer ohne Familie machen?“ „Das sind die Kollegen, die morgen arbeiten.“ „Schade. Ich hatte gehofft, ich würde dich wegen dem Feiertag mal häufiger sehen.“ „Dann muss ich für das nächste Jahr mal Urlaub für das Wochenende beantragen. Das haben nämlich einige Fahrer mit Familie gemacht, die dann erst am Montag wieder losfahren. Und am Black Friday haben wir kaum genug Fahrer, um alles wegzubekommen. Kannst ja morgen Jessy fragen.“ „Schon gut. Bis zu deinem Urlaub sind es ja auch nur noch vier Wochen.“ „Eben.“Willst du erst duschen, oder sollen wir vor dem Abendessen noch was mit Tim spielen?“ „Dann spielen wir was. Geduscht habe ich schon in meiner Mittagspause.“ „Ich schalte nur vorher noch schnell eine Maschine mit deiner Wäsche ein. Wenn du Freitag schon wieder für eine Woche rausfährst.“ „Okay.“ Während Pam sich um die Wäsche kümmerte, suchte ich mit Tim schon ein Spiel aus. Das bauten wir schon auf. Als wir fertig waren, war Pam auch wieder da und wir konnten beginnen.

Die Zeit verging wie im Flug. Wir hatten Spaß und dann lief die Uhr ja sowieso gefühlt doppelt so schnell, wie sonst. Zum Abendessen hatte Pam bereits eine Suppe vorbereitet, die sie jetzt nur noch warmmachen brauchte. Nach dem Essen spielte ich noch ein Stündchen mit Tim, danach brachte ich ihn ins Bett.

Nachdem Tim eingeschlafen war, ging ich wieder zu Pam ins Wohnzimmer. Sie stand auf, als sie mich sah. Sie kam auf mich zu und schlang ihre Arme um meinen Hals. Dann küsste sie mich lange und zärtlich. „Wie habe ich mir das denn verdient?“, fragte ich im Anschluss. „Einfach, weil du da bist.“ Sie schmiegte sich an mich und fuhr mir mit den Händen durch mein Haar. „Dein Job ist auch Fluch und Segen zugleich.“, sagte sie dann. „Einerseits bin ich dir sehr dankbar, dass du das für mich gemacht hast. Also den Dienst bei den Marines quittiert. Andererseits fehlst du mir in der Woche unglaublich.“ „Wir telefonieren doch jeden Abend. Manchmal sogar eine Stunde lang.“ „Ja schon. Das Telefon ist aber nicht warm, riecht nicht nach dir und küssen und streicheln kann es auch nicht.“ „Was können wir da machen?“ „Keine Ahnung. Wenn du nicht die weiten Touren machst?“ „Sei froh, dass ich nicht so weit wegfahre, wie Marc. Der ist nur jedes zweite Wochenende bei Keela.“ „Und Regionalverkehr?“ „Bitte nicht. Wenn ich nur im Radius von 500 Meilen um Sacramento fahre, werde ich verrückt. Ich will auch mal aus Kalifornien raus. Wenn ich maximal bis Bend oder Eugene komme, und ich Richtung Osten und Süden nur Wüste und verbrannte Erde habe, bin ich den Job schnell leid.“ „Hmm.“, Pam schaute mich nachdenklich an. „Irgendwie verstehe ich das. Trotzdem ist das schade.“ „Vielleicht sollten wir so alle ein, zwei Monate ein Kinderloses Wochenende machen, wo wir nur für uns sind.“ „Was wäre denn da anders, als mit Tim?“ „Ich meine ein Wochenende mit Romantik und Zweisamkeit.“ „Das ist einerseits eine gute Idee, andererseits vermisst dich Tim ja auch. Ab mittwochs fragt er schon immer, wann du nach Hause kommst.“ „Okay. Aber so einmal im Vierteljahr wäre das schon schön. Außerdem war das jetzt das erste Jahr. Da hab ich noch keinen Urlaub genommen. Ich habe ja 21 PTO Tage im Jahr. Wenn ich die geschickt verteile, haben wir auch etwas mehr voneinander.“ „Du hast recht. Die sozialen Leistungen sind ja die positiven Sachen an deinem Job.“ „Ich würde dich ja auch gerne mal mitnehmen. Aber zu dritt würde uns das auf die Dauer zu eng im Truck.“ „Dann müsste Tim mal eine Woche zu deinen oder meinen Eltern.“ Pam küsste mich nochmal lang und zärtlich. „Weißt du, was ich jetzt gerne möchte?“ „Was denn?“ „Das ausnutzen, was mit sonst immer fehlt.“ „Du meinst?“ „Ich will dich spüren. Deine Wärme, deine Hände auf meinem Körper, deine Lippen. Muss ich noch weiterreden?“ „Ich liebe dich, Sweetheart. Lass uns ins Bett gehen. Da kannst du mir dann ganz genau sagen, was du von mir willst. Ich werde dir gehorchen.“ „Du sagst mir dann aber auch, was ich mit dir machen soll.“ „Da wird mir schon was einfallen, meine Süße.“

Donnerstag, den 26. November 2020 (Thanksgiving), 7:30 am, PST, Sacramento, CA:

„Daddy, wach werden.“, hörte ich an dem Morgen wieder als erstes. So wirklich ausgeschlafen war ich noch nicht, da es schon recht spät war, als Pam und ich wirklich geschlafen hatten. Davor war es aber sehr schön und romantisch gewesen. Nach diesem traumhaften Abend wäre ich nicht böse gewesen, wenn unser Sohn mal etwas länger geschlafen hätte. Da Tim aber zwischen Acht und halb Neun eingeschlafen war, war er jetzt natürlich putzmunter. „Darf Daddy nicht noch ein bisschen schlafen?“ „Nein. Daddy soll aufstehen.“ „Nur noch ein Bisschen.“ Tim blieb stur. „Nein. Wach werden.“ „Was ist denn los?“, murmelte jetzt auch Pam. „Unser Quälgeist ist schon wieder wach.“ „Geh du zu Tim. Ich brauche noch eine Stunde.“, murmelte Pam verschlafen. „Ihr beide macht mich fertig.“, sagte ich seufzend. „Okay mein Großer. Ich komme gleich.“ „Nicht gleich. Jetzt aufstehen.“, sagte Tim trotzig. „Merkst du, wer hier den Boss ist?“, murmelte Pam. „Offensichtlich dein Sohn.“, antwortete ich. „Nicht mein Sohn, das ist sicher deiner.“, murmelte Pam. „Okay. Ich gebe auf.“, sagte ich. Ich stand auf, dann zog mich Tim ins Kinderzimmer.

Zweieinhalb Stunden später hatte Pam schließlich ausgeschlafen. Sie kam zum Kinderzimmer, lehnte sich an den Türrahmen und schaute uns beim Spielen zu. „Guten Morgen, Boys.“, sagte sie zur Begrüßung. „Guten Morgen, Mami.“, antwortete Tim und spielte weiter. Ich hingegen stand auf und ging zu Pam. „Guten Morgen, Sweetheart.“ Dann folgte ein langer Kuss. „Gut geschlafen?“ „Sehr gut. Nach dem schönen Abend gestern.“ „Das freut mich.“ „Wollt ihr beiden was Bestimmtes zum Frühstück?“, fragte sie dann. „Cheerios.“, rief Tim. „Rührei mit Bacon, wenn du hast.“, antwortete ich. „Okay. Ich rufe euch dann.“

Eine halbe Stunde später saßen wir zusammen am Frühstückstisch. Tim löffelte seine Cheerios mit Milch und trank einen Kakao. Pam und ich genossen Rührei mit Bacon und Kaffee. „Wann sollen wir denn bei meinen Eltern sein?“ „Deine Mom sagte was von Nachmittag. Wenn wir nur zum Dinner kommen würden wäre ihr das zu kurz, weil wir ja wegen Tim wieder früh nach Hause müssten.“ „Wahrscheinlich weniger wegen Tim. Der hat letzten Samstag bei Keela und Marc doch auch gut geschlafen. Wird eher wegen mir sein, da ich ja morgen früh um Fünf wieder anfangen muss.“ „Oder so. Vielleicht bekommst du ja von Jessy heraus, was du für eine Tour kriegst.“ „Ich glaube, die plant Charlie erst in der Nachtschicht.“ „Charlie disponiert selbst?“, wunderte sich Pam. „Er macht immer noch Urlaubsvertretung. Warum auch nicht?“ „Kann er das?“ „Natürlich kann er das. Charlie hat das früher tagtäglich gemacht. Bevor Jessy bei Walmart angefangen hat, war er noch Dispatcher im Dreierteam mit Keela und Danny.“ „Ach so.“

Nach dem Frühstück räumten wir zusammen ab. Danach ging Pam ins Bad und machte sich fertig. Ich ging wieder mit Tim ins Kinderzimmer und wir spielten noch etwas.
Als Pam wieder ins Kinderzimmer kam, sah sie umwerfend aus. Sie trug ein schickes Cocktailkleid, schwarze Nylons und Heels. Die Haare hatte sie noch mit einem Lockenstab bearbeitet und dezentes Makeup aufgelegt. „Wow.“, entfuhr es mir. „Du siehst absolut umwerfend aus. Wenn ich dich nicht schon längst lieben würde, heute hätte ich mich sicher in dich verliebt.“ „Mami ist richtig schick.“, sagte auch Tim. „Danke ihr beiden.“, antwortete Pam. „Ich hatte übrigens eine Nachricht von Keela und Marc auf dem Handy. Die beiden wünschen uns einen schönen Thanksgiving Day.“ „Dann sind sie inzwischen sicherlich in Minnesota.“ „Haben sie zwar nicht geschrieben, ich gehe aber davon aus.“ Ich nickte. „Dann gehe ich jetzt eben mit Tim ins Bad. Anschließend kannst du dich fertigmachen. Oder willst du noch laufen?“ „Schaffe ich das noch?“ „Wenn du jetzt direkt losläufst, sollte das noch klappen.“ „Dann mache ich das.“
Ich ging ins Schlafzimmer und schlüpfte schnell in meine Sportsachen. Anschließend lief ich eine gute Runde durch Lemon Hills.

Eine knappe Stunde später war ich zurück. „Ich bin wieder da.“, sagte ich schnell zu Pam. „Okay, Darling. Ich habe dir was zum Anziehen rausgelegt.“ „Danke, Sweetheart.“ Ich ging duschen und rasierte mich anschließend. Dann zog ich mich im Schlafzimmer an. Dort sah ich dann auch, dass auch auf meinem Handy Nachrichten eingegangen waren. Als erstes fand ich folgende Nachricht:

„Wir wünschen euch einen schönen Thanksgiving Day. Keela und Marc.“ Das war wohl die Nachricht, die Pam auch bekommen hatte. Vermutlich hatten die Beiden diese Nachricht an einige Leute geschickt. Es war ja sehr einfach, die Nachricht mehrfach zu versenden. Ich hatte aber noch eine weitere Nachricht von Marc:

„Hallo, viele Grüße aus Minnesota. Die neuen Trucks sind Anfang der Woche gekommen, wie ich heute früh auf dem Platz von Ryan Constructions festgestellt habe. Vielleicht werde ich in den Tagen, die ich hier im Regionalverkehr fahre, mal einen von den Neuen zum Test nehmen und meinen Kenworth stehenlassen.“

Es folgten zwei Bilder, die er wohl auf dem Platz von Ryan Constructions gemacht hatte. „Das ist der eigentliche Einsatzzweck der Zugmaschinen. Du wolltest aber auch Bilder mit Walmart Trailern. Wenn ich tatsächlich in den nächsten Tagen einen Western Star nehme, schicke weitere Bilder.“

Ich ging zu Pam und Tim. „Hast du von Marc auch weitere Nachrichten bekommen?“ „Nein. Du etwa?“ „Ja. Die neuen Trucks sind in Saint Paul geliefert worden. Er hat mir auch Bilder geschickt.“ Ich zeigte sie Pam. „Ich dachte, Marc wollte damit für Walmart, Minneapolis fahren und nicht für seinen Schwiegervater.“ „Eigentlich will er ja beides. Im Sommer fahren die Maschinen für seinen Schwiegervater und im Winter, wenn die Baustellen stillgelegt sind, für Walmart, damit die Fahrzeuge das ganze Jahr im Einsatz sind.“ „Ist denn im Minnesota noch kein Winter?“, wunderte sich Pam. „Auf den Bildern sieht es nicht nach Winter aus. Vielleicht fahren sie deswegen noch im Baubetrieb.“ Pam nickte. „Ich will auch Bilder gucken.“, beschwerte sich Tim nun. Pam und ich mussten lachen. „Natürlich.“, sagte ich dann und zeigte Tim die Bilder. „Das sind die Trucks, die Onkel Marc in Minnesota hat.“ Tim staunte nicht schlecht. „Boah.“, sagte er begeistert. „Und Bagger auch?“ „Nein. Der Bagger gehört dem Papa von Tante Keela.“ „Wann können wir die angucken?“ „Hast du doch jetzt.“ „Ich meine in echt.“ „Das geht nicht.“ „Warum nicht?“ „Weil die in Minnesota stehen.“ „Dann will ich nach Min… ähm… Minisoda?“ „Das ist aber ganz weit weg.“, erklärte Pam. „Wie weit?“ Pam zuckte mit den Schultern. „Ganz weit.“ „Weiter als San Diego?“ „Ja.“ „So weit wie Mexico?“ „Noch weiter.“ Tim zog eine Schnute. Er war eingeschnappt.

Schließlich war es an der Zeit, dass wir zu meinen Eltern fahren mussten. Pam setzte sich auf den Beifahrersitz und ich machte Tim im Kindersitz fest. „Wohin fahren wir jetzt?“, fragte er. „Zu Grandpa Frank und Granny Mary.“ „Ich will aber lieber nach Minisoda.“, sagte er trotzig. „Mami hat dir doch gesagt, dass das zu weit ist.“ „Ich will da aber hin.“ „Das geht aber nicht.“ Tim begann zu weinen. Er hoffte wohl, dass das helfen würde. Ich stieg schließlich auf der Fahrerseite ein und wir fuhren los. „Meinst du, Tim beruhigt sich gleich wieder?“ „Wenn er gleich seine Granny sieht, geht das wieder. Du weißt, er liebt deine Mom.“ „Na hoffentlich. Sag ihm aber noch, dass er heute bloß kein Spanisch spricht.“ „Ich versuche es.“ Während der Fahrt versuchte Pam dann, Tim zu beruhigen und ihm zu erklären, dass er heute kein spanisch sprechen soll.
Schließlich erreichten wir unser Ziel. Da wir heute wohl die einzigen Besucher waren, stellte ich den Edge noch vor die Doppelgarage meiner Eltern. Vor Moms Seite stand noch Jessys Kleinwagen, ich parkte vor Dads Seite. Wir stiegen aus und Pam wischte Tim noch die restlichen Tränen aus dem Gesicht. Anschließend gingen wir zur Haustür.
Nachdem wir geklingelt hatten, dauerte es nicht lange, bis Dad die Tür öffnete. „Ah, ihr seid schon da. Das ist gut. Kommt rein.“ Er umarmte erst Pam, dann mich. Als er Tim hochnehmen wollte, weigerte sich der Kleine. „Nein. Ich will nicht.“, sagte er. „Sorry.“, sagte Pam. „Tim ist heute etwas schwierig. Er hat seinen Willen nicht bekommen und nun ist er trotzig.“ „Was wollte er denn?“, fragte Dad. Pam schaute hilfesuchend zu mir. „Ich hab den Fehler gemacht und ihm Bilder gezeigt, die mir Marc heute geschickt hat. Jetzt will er unbedingt nach Minnesota.“ „Wir haben keine Bilder bekommen.“, sagte Dad überrascht. Wir haben zwar Grüße von den beiden bekommen, mehr aber nicht.“ „Ich hatte letzten Samstagabend ein Gespräch mit Marc, wo wir über seine Niederlassung gesprochen haben. Jetzt hat er heute Morgen gesehen, dass die neuen Zugmaschinen da waren und hat mir zwei Bilder geschickt.“ „Ach so. Was ist denn so besonders an den Trucks?“ „Auf einem der Bilder war ein Lowboy mit einem Raupenbagger als Ladung angesattelt. Jetzt wollte Tim Trucks und Bagger gucken.“ „Ich dachte er fährt dort für Keelas ehemaligen Kollegen.“ „Im Winter schon. Sonst laufen die bei Ryan Constructions.“ Dad nickte. Er hatte keine guten Erinnerungen an Angus Ryan. Das letzte Treffen der beiden war auf Keelas und Marcs Hochzeit. Dort wurde er zwar von Angus nicht rausgeworfen, viel hatte dazu aber nicht mehr gefehlt. Seitdem herrschte Funkstille zwischen Dad und den Ryans. Wir waren zwar wieder im Reinen, er hatte sich für sein Benehmen auf der Hochzeit aber nie bei den Ryans entschuldigt. Daher hatte Marc mit Dad auch nie über die Pläne gesprochen, die er mit Keelas Eltern gemacht hatte.

Dad nahm uns die Jacken ab und wir gingen weiter ins Haus. Mom war noch in der Küche zugange, daher begrüßten wir zuerst Jessy. Meine Schwester gab gerade ein merkwürdiges Bild ab. Sie saß aufgedonnert und ebenfalls mit einem Cocktailkleid bekleidet am Tisch in der Leseecke des Wohnzimmers und hatte den Laptop vor sich, auf dem sie gerade etwas tippte. „Hallo Jessy. Bist du am Arbeiten?“, fragte Pam dann. „Ja, leider. Ich habe Dienst. Irgendeiner muss es ja machen.“ „Ich dachte, du hast Frühschicht.“, wunderte ich mich ebenfalls. „Tja.“, sagte Jessy etwas genervt. „Dank meiner Kollegen habe ich langen Dienst. Das heißt heute und morgen jeweils zwölf Stunden von Sechs bis Sechs und am Wochenende komplette Bereitschaft.“ „Wieso Dank deiner Kollegen?“, wunderte ich mich. „Weil es ja nicht reicht, dass Keela zwei Wochen Urlaub hat, Danny muss ja auch noch ein langes Wochenende nehmen. Da wir jetzt nur noch zwei Leute im Team sind, haben Charlie und ich nun jeweils zwölf Stunden Dienst.“ „Aber so viele sind doch gar nicht unterwegs.“ „Heute vielleicht nicht. Aber ich habe das große Los gezogen, am Black Friday zwölf Stunden Tagschicht zu haben.“ Pam sagte das, was Jessy jetzt am liebsten hören wollte. „Du Ärmste. Das ist sicher nicht einfach.“ „Ist ja nur das eineinhalbfache vom üblichen Pensum und das am heftigsten Tag des Jahres.“ „Das meiste für den Black Friday ist aber schon in den letzten Tagen und Wochen raus.“, sagte ich jetzt. „Und was ist mit dem Regionalverkehr für morgen?“, fragte Jessy schnippisch. „Den teilt Charlie heute Nacht ein.“ „Ja, ja. Du mich auch.“, sagte Jessy und schaute mich giftig an. „Okay. Ich sage nichts mehr. Sonst bereue ich das in den nächsten Tagen.“ „Dein Glück, dass dich Charlie heute Nacht einteilt. Ich würde dir eine ganz blöde Tour verpassen.“ „Was habe ich da gerade gehört?“, fragte Dad leicht ungehalten. „Du nutzt hier nicht deine Position aus, um Kollegen eins auszuwischen. Ich dulde keine Bevorzugungen, also auch nicht das Gegenteil.“ Jessy nickte kleinlaut und wandte sich wieder dem Laptop zu.

In dem Moment kam Mom ins Wohnzimmer. Sie brachte nun wieder etwas Ruhe und Wärme in die angespannte, unterkühlte Stimmung. „Schön, dass ihr alle da seid. Steven, Pamela. Lasst euch ansehen. Ihr seht wunderbar aus.“ Sie kam zu uns und umarmte uns beide. Danach wandte sie sich an Tim: „Hallo Timothy. Du bist ja schon wieder gewachsen. Kommst du zu Granny auf den Arm?“ Unter Dads überraschtem Blick ließ sich Tim nun bereitwillig auf den Arm nehmen und weigerte sich nicht. „Du bist aber schwer geworden. Bald kann dich Granny gar nicht mehr hochheben.“ „Hallo Granny.“, sagte Tim zum Glück auf Englisch und gab Mom einen feuchten Schmatzer. „Ich habe für jetzt etwas Kuchen besorgt. Die Kaffeetafel ist gedeckt. Esst euch aber nicht zu satt. Wir haben zum Dinner einen richtig großen Truthahn bekommen.“ Wir gingen in Richtung Esszimmer. Nur Jessy machte keine Anstalten zu gehen. Sie arbeitete immer noch am Laptop. „Jessica. Lass jetzt den albernen Computer in Ruhe und komm an den Tisch.“, sagte Mom nun. „Mann. Ich muss arbeiten.“, sagte Jessy zickig. „Dad sag auch mal was.“ „Da hat Jessica recht.“, sagte Dad ruhig. „Dann müssen die Fahrer eben mal ein paar Minuten Pause machen.“, sagte Mom entschieden. „Jetzt wird erst Kaffee getrunken, dann kannst du weiterarbeiten.“ Dad verdrehte die Augen, wollte aber die Stimmung nicht wieder kippen lassen. „Jessica, komm wenigstens für zehn Minuten rüber. Wenn du Toilettenpause machen würdest, wärest du auch nicht erreichbar.“ Jessys Augen funkelten wütend, sie riss sich aber dann zusammen und kam an den Tisch. „Nächstes Jahr will ich endlich mal Urlaub an Thanksgiving haben. Nicht immer nur Keela und Danny.“ „War Keela nicht an Thanksgiving auch schon mal hier?“, wunderte sich Mom. „Da hatte sie aber trotzdem Urlaub.“, zischte Jessy sauer. „Nur weil ich keinen Anhang habe, der Ryan oder Lion heißt.“ „Was willst du damit sagen?“, fragte Dad. „Vergiss es.“, sagte Jessy. Wir tranken dann schweigend Kaffee und ließen uns den Kuchen schmecken. Insgeheim war ich froh, dass gerade mal keiner was sagte. Seit wir hier angekommen waren, war es wieder mal an allen Ecken am brodeln und ein kleiner Funke konnte die angespannte Stimmung explodieren lassen. Pam saß auch schon verkrampft da und blickte immer wieder von Tim zu mir und wieder zu Tim. Wenigstens hatten wir bisher nicht viel falsch gemacht. Ich wusste vorher nicht, dass Dad nichts davon zu wissen schien, dass Marcs Firma auch für Angus fuhr. Außerdem fand ich das nicht weiter schlimm. Schließlich war er sein Schwiegervater. Für Jessys Laune konnten wir alle nichts. Es nagte halt immer noch an ihr, dass sie Single war und Dave eben wieder liiert. Seitdem war sie ja reizbarer als sonst. In den vergangenen Jahren hatte ihr das auch nie was ausgemacht, dass sie an Thanksgiving gearbeitet hatte. Wobei ich das auch nur vom Hörensagen wusste, da wir in den letzten Jahren immer bei Pams Eltern Thanksgiving gefeiert hatten. Jessy blieb dann tatsächlich eine Viertelstunde am Tisch. Dann stand sie abrupt auf. „Ich muss jetzt wieder arbeiten.“ Mom wollte gerade was sagen, Dad deutete ihr aber an, dass sie recht hatte. „Der Laden muss halt laufen.“, sagte er nur ruhig. Wir aßen dann schweigend weiter.

Nach dem Kaffeetrinken teilten wir uns auf. Dad ging ebenfalls noch in sein Arbeitszimmer, um zu arbeiten. Pam setzte sich zu Jessy. Die beiden waren ja miteinander befreundet und Pam hörte sich an, was sich Jessy von der Seele reden musste. Dabei tröstete sie Jessy etwas und versuchte, meine Schwester wieder aufzubauen. Mom und ich spielten dann mit Tim. „Was ist denn schon wieder los heute?“, fragte sie mich. „So eine angespannte Stimmung hatten wir ja lange nicht mehr an Thanksgiving.“Da kann ich nicht mitreden. Mein letztes Thanksgiving in diesem Haus war 2008.“, sagte ich. „Ja, das ist lange her.“, sagte Mom. „Ich habe übrigens letztens Ashley Chamberlain getroffen. Sie ist inzwischen Anwältin.“ „Ich weiß. Wir sind ja immer noch mit Ashleys Eltern befreundet. Sie war auch so ein nettes Mädchen.“ „Meine Frau ist mir trotzdem lieber.“ „Das wollte ich damit auch nicht sagen. Ich weiß, dass du Pamela liebst. Auch, wenn sie nicht aus einem so guten Hause wie…“ „Nein.“, sagte ich entschieden. „Sag das bitte nicht.“ „Du hast ja recht. Aber als Timothy letztens spanisch gesprochen hat, ist mir das wieder bewusst geworden.“ „Was? Dass Pams Vater ein Migrant und einfacher Arbeiter ist? Mir ist egal, wo Pam herkommt. Ich liebe diese Frau, seit ich sie das erste Mal gesehen habe. Ähnlich wie es bei Keela und Marc auch war.“ Mom nickte und streichelte Tim gedankenverloren über den Kopf. „Unsere Familien sind schließlich auch irgendwann zugewandert. Das war zwar ein Jahrhundert früher, aber trotzdem. In unserem Land dürfte es alleine schon aus diesen Gründen keine Vorurteile gegen Rassen geben. Ich habe bis vor einem Jahr Rekruten aus sämtlichen Bevölkerungsgruppen ausgebildet. Zwar nicht aus sämtlichen Schichten, da reiche Kinder, wenn sie im Militärdienst sind, eher eine Offizierslaufbahn einschlagen. Aber immerhin.“ Mom nickte. „Leider vergessen wir das immer wieder.“ „Das ist wohl so. Mir war bei Pam aber völlig egal, wer sie ist und wo sie herkommt. Und das ist bis heute so. Und unser kleiner Tim wäre nicht so süß, wenn er nicht so viel von seiner Mutter hätte.“ „Du warst auch ein süßes Kind.“, meinte Mom. „Außerdem warst du mein erstes Kind. Das werde ich niemals vergessen. Ich habe ja auch häufig an dich gedacht, während wir neun Jahre lang keinen Kontakt hatten. Verstanden habe ich das alles aber erst viel später. Erst, als Jessica ebenfalls mit 18 ausgezogen ist, habe ich begonnen darüber nachzudenken, ob wir vielleicht doch was falsch machen. Als Marc später ebenfalls gedroht hat, uns zu verlassen, wenn wir ihn nicht seinen Traum leben lassen, ist mir erst klargeworden, dass es nicht richtig war, euch unsere Träume aufzwingen zu wollen. Dabei haben wir es immer nur gut gemeint. Trotzdem machen wir immer noch was falsch, wenn wir euch nicht so akzeptieren, wie ihr seid. Das gilt auch für die Kinder, die wir dazu bekommen haben, wie Keela und Pamela oder eben David bis vor einem halben Jahr.“ Ich nahm Mom in den Arm. „Manchmal wollt ihr einfach zu viel des Guten. Das ist alles. Mit Ashley wäre ich auch sicher nicht mehr zusammen, wenn ich seinerzeit nicht alles hinter mir gelassen hätte. Ich wäre sicher nicht mit ihr nach Boston gegangen.“ „Ich glaube, Ashley liebt dich immer noch. Sie sieht uns immer so komisch an, wenn wir bei ihren Eltern sind uns Ashley zufällig auch da ist.“ „Das könnte aber auch sein, weil Dad sie seinerzeit beinahe verprügelt hätte, weil er nicht glauben wollte, dass sie nicht wusste, wo ich war.“ „Woher weißt du das denn?“, fragte Mom entsetzt. „Stimmt es etwa nicht?“ „Doch. Leider. Dein Vater war damals völlig außer sich.“ „Ashley hat mir das letztens erzählt, nachdem ich eine Ohrfeige von ihr bekommen habe.“ Mom schaute mich groß an. „Das hat sie getan?“ Ich nickte. „Mitten im Walmart, in der Schlange an der Kasse.“ „Kannte dich dort jemand?“ „Vermutlich. War im Supercenter an der Florin. Außerdem trug ich die Fahreruniform.“ „Wie unangenehm. Dann habe ich mich vielleicht geirrt.“ „Womit?“ „Damit, dass sie dich noch liebt.“ „Nein.“ Ich blickte zu Tim. Dann flüsterte ich Mom ins Ohr: „Auch damit hattest du recht. Das hat sie gesagt. Davon weiß Pam aber nichts und ich möchte, dass es so bleibt.“ Mom nickte. „Ist sicher besser.“ Sie schaute dann auf die Uhr. „Wie lange hat Jessica dieses Ding heute vor der Nase?“ „Wenn du den Firmenlaptop meinst, bis Sechs.“ „Wir sollten auch nicht viel später essen. Einerseits wegen Timothy und auch wegen dir und deiner Schwester, die beide wieder früh aufstehen müssen.“ „Dann schon eher wegen mir. Mein Wecker klingelt um halb Vier in der Nacht. Da kann sich Jessy noch zwei Stunden umdrehen.“

Wir spielten noch eine Weile gemeinsam mit Tim. Dabei verschwand Mom aber immer wieder zwischendurch in der Küche und schaute nach dem Truthahn. Später musste sie dann ganz in die Küche, weil sie langsam auch die Beilagen machen musste. Stattdessen kam Pam wieder zu uns. „Wie geht es Jessy denn jetzt?“ „Es geht wieder. Du kennst sie ja selbst. In mancher Hinsicht ist sie fast noch wie Tim. Vor allem wenn es nicht nach ihrem Kopf geht.“ „So war die Kleine immer schon. Sie war die verwöhnte Prinzessin. Mom und Dad wollten eben damals unbedingt noch ein kleines Mädchen haben. Sie waren schon etwas enttäuscht, als sich herausstellte, dass Marc ein Junge wurde. Sonst wären wir sicher auch keine drei Kinder gewesen. Sie war dann das verhätschelte Wunschkind und das Nesthäkchen.“ Pam verdrehte die Augen. „Ich dachte, als Einzelkind wäre ich verwöhnt gewesen. Aber so war es bei mir nicht.“ „Was wurmt meine Schwester denn so?“ „Das ist momentan wohl in erster Linie Neid.“ „Neid? Auf wen denn?“ „Ich weiß nicht so genau. Auf ihre Brüder, vielleicht auch auf ihren Kollegen Danny oder auch auf Dave.“ „Verstehe ich nicht.“ „Na ja. Du und Marc seid beide in einer glücklichen Beziehung, wohnt in den eigenen vier Wänden und sie eben nicht. Sie ist unglücklicher Single und wohnt wieder bei den Eltern. Dazu Corona, wo man ja keinen kennen lernt.“ „Was war denn mit den Typen, mit denen sie chattet?“ „Das reicht ihr nicht. Sie will mehr. Vor allem will sie hier wieder raus. Das kann ich übrigens ganz gut verstehen, nachdem ich die Szene vorhin mitbekommen habe.“ „Ist das alles?“ „Dazu kommt noch, dass die Eltern von Keela und auch von Dannys Freundin Geld haben. Da ist auch wieder Neid im Spiel.“ „Moment. Aber weder Keela noch Gina lassen das irgendwie raushängen, dass die Eltern reich sind.“ „Es reicht wohl die Tatsache.“ „Haben die Eltern von Daves neuer Freundin etwa auch Geld?“ „Das hat sie nicht so direkt gesagt, könnte aber sein.“ „Wenn meine Eltern bei der Erziehung irgendwas völlig falsch gemacht haben, dann war es wohl Jessys Erziehung. Gut. Marc und mir wollten sie erst ihre Träume aufdrängen, aber Jessy haben sie regelrecht verkorkst.“ Pam begann jetzt herzlich zu lachen. „Da hast du recht.“, meinte sie dann. „Das kann man auch, glaube ich nicht mehr geradebiegen.“ Ich musste nun auch lachen. „Wir sollten auf jeden Fall verhindern, dass Tim auch so wird.“ Ich hörte auf zu lachen. „Wie willst du das anstellen?“ „Vielleicht sollten wir dafür sorgen, dass Tim kein Einzelkind bleibt.“ Ich schaute Pam groß an. „Ist das dein Ernst?“ Pam schaute nachdenklich. „Ist mir schonmal durch den Kopf gegangen. Sicher bin ich aber auch nicht.“ „Das sollten wir aber nochmal in Ruhe besprechen.“ „Wieso? Willst du kein zweites Kind?“ „In der momentanen Situation eher nicht. Wenn sich das Leben irgendwann wieder normalisiert, wäre das was anderes. Es sei denn, es würde wieder so passieren, wie uns Tim passiert ist.“ „Du weißt schon, dass ich, seit Tims Geburt die Pille nehme. Einfach ein Kondom vergessen ist nicht mehr.“ „Natürlich weiß ich das. Schließlich nehmen wir seitdem auch keine Kondome mehr. Lass uns aber wenigstens noch etwas warten, wie sich das 2021 weiter entwickelt. Wir haben schonmal das Glück, dass der richtige Mann zum Präsidenten gewählt wurde. Wenn es mit dem Rest auch aufwärts geht, sehen wir weiter.“ „In Ordnung, Darling. Wir sind ja noch jung.“

Langsam gingen wir ins Wohnzimmer. Tim wollte zwar noch etwas spielen, wir wollten aber erstmal sehen, wie es mit dem Dinner aussah. Jessy saß vor dem Laptop und machte wohl gerade die Übergabe mit Charlie. Dabei wurde sie teilweise schon wieder laut. „Wieso denn nicht so?… ich habe aber gedacht… das schafft der schon… ist mir egal, dass Ben für die Tour besser wäre… aber…“ „So sollte Jessy besser nicht mit ihrem Vorgesetzten sprechen.“, sagte ich leise zu Pam. Sie zuckte aber nur mit den Schultern. „Vielleicht bin ich sogar schuld.“, meinte Pam leise zu mir. „Falls ich sie vorhin zu sehr abgelenkt habe.“ „Wenn Jessy mit etwas Ablenkung nicht klarkommt, ist sie die Falsche für den Job. Das Problem ist, dass sie sich schon öfter Fehler erlaubt hat. Irgendwann wird sie nicht mehr geschont, weil sie Frank Murdocks Tochter ist.“ „Wenn sie rausfliegt, ist sie völlig am Boden. Das geht momentan gar nicht.“ „Es ist schon gut, dass Dad nicht alles weiß, was sich Jessy schon geleistet hat. Sonst hätte sie schon keinen Job mehr. Dafür ist Dad zu professionell. Es gibt da keinen Sonderbonus für verwöhnte Kinder.“ Pam nickte.
Wir gingen weiter ins Esszimmer, wo Mom schon dabei war, den Tisch zu decken. „Ich helfe dir, Mary.“, sagte Pam sofort. „Es geht schon. Sonst bin ich damit ja auch alleine.“ Pam ging ihr trotzdem zur Hand. „Du kannst schonmal deinem Vater sagen, dass wir gleich essen können.“, meinte Mom zu mir. Ich nahm Tim an die Hand und wir gingen zu Dads Arbeitszimmer. Als wir eintraten, saß er vor seinem Computer und betrachtete einige Statistiken. Dabei hatte er ein Glas Bourbon in der Hand. „Dad, wir können gleich essen.“, sagte ich. Er nickte und trank einen Schluck. „Dieses Jahr ist verrückt.“, sagte er dann. „So schlechte Zahlen hatten wir lange nicht mehr. Dabei sind die Verkäufe nur in einigen Abteilungen zurückgegangen.“ „Woran liegt es dann?“ „Weil irgendwie alles auf einmal kam. Corona hat zwar den Absatz in bestimmten Abteilungen einbrechen lassen, dafür sind die Lebensmittelverkäufe und Hygieneartikel auf dem Höchststand. Dann die vielen ungeplanten Ausgaben. Die Maschinen, die vorzeitig wegmussten, dazu noch die Brände im Spätsommer und Herbst. Das alles in einem Jahr war bisher einfach zu viel. Ich habe mit der ganzen Westküste ein sehr großes Gebiet. Aber gerade in diesem Gebiet ist auch richtig viel schiefgelaufen.“ „Das kannst du heute sowieso nicht ändern. Lass uns essen gehen.“ Dad nickte. „Ändern kann man das im Nachhinein sowieso nicht. Wenn ich aber daran denke, wie ich das dem Vorstand erklären soll, wird mir schlecht.“ „Das wird dem Vorstand doch wohl auch klar sein.“ „Aber irgendwer wird da wohl den Kopf für hinhalten müssen.“ „Und du glaubst, das bist du?“ „Ich weiß es nicht.“ „Hast du denn was falsch gemacht?“ „Nein. Aber durch die Zusammenlegungen ist auch der innerbetriebliche Konkurrenzkampf um die Posten größer geworden. Und gerade in dem Zusammenhang beneide ich Leute, wie Angus Ryan. Er ist der CEO in seinem Unternehmen, nicht nur irgendein Angestellter. Mich kann man feuern. Ihn nicht.“ „Hast du wirklich Angst, gefeuert zu werden?“ „Lange arbeitslos wäre ich sicher nicht. Dann würde ich eben bei Kroger, Costco, oder Safeway anfangen. Aber eigentlich ist Walmart mein Leben. Dort bin ich direkt nach der Schule angefangen und habe dort mein ganzes Leben gearbeitet. Es würde mir wiederstreben, für den Wettbewerb zu arbeiten, auch wenn ich gute Kontakte in der ganzen Branche habe. Über Sam’s Club haben wir ja sogar mit vielen davon zusammengearbeitet. Bei Walmart bin ich wer. Außerdem habe ich hier sogar Sam Walton persönlich gekannt. Den Mann, der das alles selbst aufgebaut hat. Ich wollte nirgendwo anders hin.“ Ich nickte. „Mir ist vorhin klargeworden, dass sogar Marc in der Hinsicht besser dran ist als ich. Irgendwie dachte ich, dass er sich auch komplett auf Walmart eingelassen hat. Dann hast du mir bestätigt, was ich geahnt habe, dass Marc auch ein zweites Standbein bei Ryan Constructions hat.“ „Ist das falsch?“, fragte ich. „Ganz im Gegenteil. Er macht damit alles richtig. Ich habe das immer vermutet, seit damals seine Halle eingestürzt ist und Keela zur Teilhaberin wurde. Man sollte sich aber eben nicht nur von einem großen Kunden abhängig machen. Das kann einem sonst den Hals brechen.“ „Und ich habe gedacht, dass du deswegen sauer auf ihn wärst.“ „Nein. Ich bin stolz auf ihn. Außerdem weiß ich, dass er Keela wirklich liebt und sie nicht wegen des Geldes ihrer Eltern genommen hat.“ „Da wusste er ja anfangs gar nicht von.“ „Wir wussten zwar, dass die Ryans ein Bauunternehmen haben, aber nicht wie groß die Firma ist. Sie gehört zu den Top Ten im mittleren Westen.“ „Nicht schlecht.“ „Ich bewundere Angus Ryan. Er ist ein richtiger Selfmade Man. Wie Sam Walton auch.“ „Das würdest du Angus aber vermutlich nie sagen.“ Dad schüttelte den Kopf. „Ich glaube, Angus mag mich auch nicht sonderlich. Ich bin aber froh, dass er Marc gut leiden kann. Das ist mit wichtiger.“ „Komm jetzt, Dad. Lass uns essen gehen.“ Wir gingen ins Esszimmer, wo alle anderen bereits warteten.

„Nett, dass du auch mal kommst.“, sagte Jessy schnippisch. „Jessica, lass es bitte.“, sagte Mom ruhig aber eindringlich. Ich nickte zustimmend, was Jessy offensichtlich wichtiger war, als Moms Weisung. Nun konnte Dad endlich das Geflügel tranchieren. Das hatte er aber auch gut raus. Er machte das schließlich seit Jahren. Anschließend aßen wir ruhig und schweigsam. Tim war es zwar zu ruhig. So kannte er das von zu Hause nicht. Er saß zwischen Pam und Mom, die ihn immer, wenn er was anstellen wollte, sofort stoppten. Für den Kleinen war das Dinner so richtig anstrengend. Der Rest am Tisch war aber froh, dass keiner irgendwelche diskussionsbedürftigen Themen zu Tage förderte. Der Tag war für alle schon anstrengend genug gewesen. Wir lobten zwar Mom für das gelungene Essen, sonst hing aber jeder irgendwie seinen Gedanken nach. Irgendwie war dann auch jeder erleichtert, als das Dinner beendet war, ohne dass es noch irgendwas gegeben hatte, was den Tag noch schlimmer hätte machen können.

Nach dem Dinner blieben wir dann auch nicht mehr lange bei meinen Eltern. Schließlich verabschiedeten wir uns. Beim Abschied hatte ich dann auch für jeden noch einen versöhnlichen Satz: „Auf Wiedersehn, Jessy. Mach dir keine Sorgen. Du wirst auch bald wieder einen Freund haben. So hübsch wie du heute ausgesehen hast, müssen sich die Männer einfach in dich verlieben.“ „Danke, Steve. Ich hoffe es. Ich wünsche dir eine schöne Arbeitswoche.“ „Auf Wiedersehn, Dad. Du bist doch einer der Besten bei Walmart. Wenn man dich feuern sollte, dann haben sie es auch nicht besser verdient.“ „Danke, Steve. Wir sind auch froh, dass du für uns fährst. Schlaf gleich gut.“ „Auf Wiedersehen, Mom. Das Essen war richtig lecker. Außerdem hat es Tim gefallen, mal wieder mit dir zu spielen.“ „Danke, Steven. Ich denke mal, dass ich Timothy und Pamela bald mal wieder besuchen werde.“

Als die Haustür geschlossen war, atmeten Pam und ich einmal durch. „Ist das bei deiner Familie immer so anstrengend an Thanksgiving?“, fragte Pam dann. „Das fragst du mich? Ich war auch seit 2008 das erste mal wieder an Thanksgiving hier.“ „Vielleicht sollten wir für nächstes Jahr schonmal San Diego einplanen.“ „Dafür hast du dann Weihnachten hier. Das ist auch nicht besser. Außerdem wären wir hier Weihnachten die einzigen, die in die Kirche wollen. Außer vielleicht noch Keela. Das weiß ich nicht.“ „Kommt Keelas Familie eigentlich Weihnachten hier hin?“ „Ich meine nicht. Keela hat mal erzählt, dass ihre Mutter in der Zeit sehr viel mit der Ryan Foundation zu tun hat.“ „Ach ja. Da macht sie viel im Karitativen Bereich.“ „Das finde ich gut, dass die Ryans anderen helfen, denen es nicht so gut geht.“

Wir fuhren nach Hause, wo ich dann Tim ins Bett brachte. Der Kleine schlief heute aber auch schnell ein. Tim hatte zwar nicht verstanden, was heute los war, er hatte aber wohl irgendwie gespürt, dass nicht alles in Ordnung war.

Anschließend ging ich nochmal zu Pam ins Wohnzimmer. „Müssen wir noch was besprechen?“, fragte ich vorsichtig. Pam sah mich aus ihren dunklen Augen an. „Nein, du hast recht. Lass uns erstmal sehen, wie es weitergeht. Ich habe auch keine Lust, momentan mehr als Nötig zu Ärzten zu gehen. Das wäre in einer Schwangerschaft aber sicher nötig. Wir warten noch.“ „Das hat nichts damit zu tun, dass ich dich nicht liebe.“ „Das weiß ich, Darling.“ Sie stand auf und kam zu mir. Da sie die Heels ausgezogen hatte, musste sie auf die Zehenspitzen um mich zu küssen. „Ich liebe dich auch. Egal wie viele Kinder wir haben. Solange Tim auch ständig zu Hause ist und er in keinen Kindergarten oder später in die Schule geht, könnte mir das hier auch alleine zu viel werden.“ Sie schlang mir die Arme um den Hals und küsste mich abermals. „Habe ich dir eigentlich schon gesagt, dass ich jede andere Frau töten würde, die versucht, dich mir wegzunehmen?“ „Ich wusste nicht, dass du so brutal sein kannst.“ „Nur, wenn es um dich oder Tim geht.“ „Du scheinst also eifersüchtig zu sein.“ „Aber nur im normalen Maß. Das ist halt mein Temperament.“ „Wenigstens nicht krankhaft eifersüchtig.“ „Wieso? Gibt es einen Grund dafür?“ Mir kam ganz kurz Ashley in den Sinn, die mir gesagt hatte, dass sie mich immer noch lieben würde. „Es gibt keinen Grund. Ich liebe dich und ich bin dir treu.“ „Das will ich dir auch geraten haben.“ „Natürlich, Sweetheart. Ich muss jetzt auch ins Bett. Kommst du mit?“ „Das lasse ich mir nicht entgehen. So können wir wenigstens noch etwas kuscheln.“ Wir gingen ins Schlafzimmer und ließen der Tag dort schön ausklingen.

3 Kommentare zu „33. Regendusche – Fehlende Nähe – Thanksgiving

  1. Bei den Murdocks scheint ja jede Familienfeier ein wahres Pulverfass zu sein.

    P.S. Der Sternekoch, oder besser die Sterneköche heißen bei den Lions Mom und Gandma.

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