Kapitel 56 – Das Kartenspiel

September / Oktober 2020

Das letzte Septemberwochenende hatten wir wirklich einen kleinen Aktionsradius. Die meiste Zeit verbrachten wir zu zweit bei mir im Haus. Nach 4 Wochen und 3 Wochenenden alleine außer Haus mit Kettenrestaurant- oder Dosenfutter war es eine Wohltat, zu Hause kochen zu können, in den Garten zu gehen oder einfach herumzusitzen wann man wollte. Und am Ende des Tages war es natürlich auch schön, nicht alleine einschlafen müssen.

Nachdem sich unsere Beziehung gefestigt hatte, hielt ich es an der Zeit, mal meine Mutter zu informieren. Randy wusste es schon seit meinem ersten Außenwochenende während der Waldbrandtour, aber den hatte ich zum Stillschweigen verdonnert. Da ich nicht wusste, wie sie reagieren würde, wollte ich sie dazu nicht alleine von einem Truck Stop in Arkansas anrufen.
Die Skype-Anrufmusik ertönte, Alex saß zwar mit am Tisch, aber außerhalb des Kamerabereichs. „Hallo Mum!“ „Hallo Brandon. Ich sehe, Du bist wieder zu Hause. Geht es Dir gut?“ „Ja, sehr gut. Und ich muss Dir was sagen, ich habe einen Freund.“ Sie sah freudig überrascht aus. „Das freut mich für Dich. Seit wann?“ „Schon ein paar Wochen vor der Ochsentour über den halben Kontinent. Wenn ich früher zu Hause gewesen wäre, dann hätte ich Dir das bestimmt schon in den letzten Wochen gesagt. Aber Du kannst Ihn zumindest jetzt über Video kennen lernen.“
Alex rutschte zu mir aufs Sofa und in den Erfassungsbereich der Kamera. „Alex, meine Mutter Diana. Mum, mein Freund Alex.“ „In der Langform dann wohl Alexander?“ Bei Randy hatte sie sich an den Rufnamen irgendwann gewöhnt, aber bei neuen Bekanntschaften fremdelte sich wohl immer noch mit verkürzten Formen. „Nein, Alexej, aber ich möchte bitte Alex genannt werden. Ich bin in Moskau geboren, als Kleinkind zu Verwandten nach Washington State gekommen und dort aufgewachsen. Mit der Volljährigkeit habe ich mich dann entschieden, US-Amerikaner zu werden.“
Ich bewunderte Alex. Vor ein paar Wochen war er noch dabei, an seiner Herkunft zu verzweifeln. Jetzt erklärte er meiner Mutter ganz selbstverständlich seinen Lebenslauf, bat höflich um seinen Rufnamen als Anrede und hatte das ganze trotz der Höflichkeit auch noch so bestimmt gesagt, dass sogar die unterschwellige Botschaft angekommen war, nicht weiter über das Warum und Wieso dieser weiten Reise nachzufragen.
„Schade, dass ich Euch wegen diesem Virus nicht hier runter einladen kann. Aber San Diego ist in der zweithöchsten Stufe und stark eingeschränkt. Ich nehme an, dass Ihr nicht sofort zusammengezogen seid und ich kann nur einen fremden Haushalt empfangen.“
„De facto sind wir nur ein Haushalt, da wir ohnehin nur am Wochenende zusammen sein können wegen meinem Beruf und es dann auch sind. De jure nein, jeder von uns hat eine eigene Adresse und wir sind auch mal hier und mal in Alex Wohnung.“ „Kann ich Euch besuchen?“ „Theoretisch ja, wir haben keine Beschränkungen über Haushalte, nur insgesamt nicht mehr als 10 Personen. Praktisch nein, es wird davon abgeraten, in der Öffentlichkeit müssten wir 6 Fuß Abstand halten und Besuch von außerhalb wird gerade generell nicht so gerne gesehen.“
„Dann werden wir uns weiterhin nur online treffen können. Aber es ist schön, dass Ihr Euch gefunden habt.“
Und so hielten wir noch etwas Smalltalk. Auch meine Mutter hatte mich überrascht. Obwohl sie meine Homosexualität ja mit der Geschichte von David und Jonathan sogar religiös legitimiert hatte, musste ich mich immer noch dran gewöhnen, mit welcher Natürlichkeit sie sich seit meinem Umzug an die Westküste schon einen Schwiegersohn in Spe gewünscht hatte.
Und nachdem ich nun einen Einwanderer gefunden hatte, schien das auch für sie keine Rolle zu spielen. Würde mein Vater damit klar kommen, dass es ein Freund und keine Freundin war – oder wäre ich Hetero und hätte mich mit einer Russin angefreundet – würde er vermutlich gleich die Bespitzelung durch den russischen Geheimdienst wittern und mir vorschreiben, mich amerikanisch zu verpartnern oder so. Da war er noch komplett ein Kind des Kalten Krieges.

Die kommenden Wochen waren alle mit Wochenende zu Hause, denn in Oregon war heißester Wahlkampf. Hier herrschte Briefwahlpflicht, also würde die Messe am Wahldienstag schon längst gelesen sein. Ich war Parteimitglied – in der anderen als mein Boss, aber er berücksichtigte Caseys und meinen Wunsch als Wahlkämpfer aktiv zu sein dennoch.
Wobei er das wahrscheinlich nicht ganz uneigennützig machte. Brian und einige andere Unternehmer der Region waren nämlich ihrer Partei untreu geworden. Wie zum Beispiel auch Alex oberster Boss, der Inhaber von Deepgrove Forest Products, hatte auch Brians Foto einen Artikel in der lokalen Zeitung dekoriert, der unter der Überschrift: „Republikanische Unternehmer aus Medford und Umgebung unterstützen Demokrat Biden für bessere Wirtschaft“ stand.
An den Wochenenden war ich unterwegs, um Handzettel in Briefkästen zu stecken oder sie vor Geschäften zu verteilen – eher auszulegen und danebenzustehen. Wirkliche Gespräche mit Wählern fanden unter den aktuellen Bedingungen natürlich nicht statt. Auch Casey war im Dienste der Demokraten an seinen Wochenenden unterwegs.
Einen Samstag hatte ich den persönlichen Freund und politischen Gegner Isaac im Blick, der ein paar Yards weiter unterm roten Schirm Zettel verteilte. Da war er trotz seiner nicht eben guten Meinung über den Spitzenkandidaten unerschütterlich: „Die Republikanische Partei hat mehr zu bieten als Trump!“ So waren mir die letzten 4 Jahre aber nicht gerade vorgekommen.
Wenn ich dann abends von meinen Zetteltouren oder einem Tag im Stehen nach Hause kam, ließ ich mich von Alex verwöhnen.

Apropos Alex Boss – Deepgrove ging es wirtschaftlich gar nicht gut. Das Unternehmen hatte sein Konzept auf vertikaler Integration aufgebaut und seine eigenen Wälder waren Teil des Erfolges gewesen. Nun gab es davon viele nicht mehr, manche standen immer noch in Flammen und das Unternehmen würde Holz zukaufen müssen, was entweder die Gewinne zunichtemachen oder die Preise deutlich anheben und Kunden abspringen lassen würde.
Als dann Deepgrove am 22.10. Gläubigerschutz nach Chapter 11 beantragte, war Alex natürlich in höchster Aufregung. Zum Glück war ich am Wochenende danach nicht eingeteilt, meine Schuldigkeit gegenüber der Partei war nach drei Wochenenden am Stück erledigt. So konnte und musste ich mich nun bei Alex revanchieren und war dieses Wochenende ganz für ihn da. In den Arm nehmen, gut zureden, Leckereien kochen.

Chapter 11 war erst einmal nichts Schlechtes. Es war ein Verfahren, in dem ein Insolvenzverwalter versuchte, das Unternehmen wieder zu retten. Anders als in vielen europäischen Ländern war es jedoch so, dass der Verwalter nicht wirklich das Unternehmen aktiv leitete, sondern der Unternehmensführung als Berater beigestellt wurde.
Mit GM hatte einer der „Big Three“ dieses Verfahren bereits durchlaufen und mit einer erfolgreichen Restrukturierung wieder verlassen, auch wenn im Hintergrund ein neues Unternehmen gegründet worden war, das die profitablen Bereiche wie Chevrolet, GMC, Buick und damals auch noch das Europageschäft unter Opel gekauft hatte. Ein Bisschen Tafelsilber in Form von diversen Immobilien, konzerneigenen Zulieferfirmen wie Delphi und der Markenname Saab konnte gegen Geld an den Mann gebracht werden. Die nicht profitablen Überreste mit der vom Zeitgeist überholten Marke Hummer, der nie wirklich erfolgreichen Discountmarke Saturn und auch der Traditionsmarke Oldsmobile wurden unter der unscheinbar in Motors Liquidation Company umbenannten „alten“ GM in einer „echten“ Insolvenz nach Chapter 7 aufgelöst.
Chrysler war zwar auch durch Chapter 11 gegangen und hatte überlebt, gehörte aber seitdem erst teilweise und mittlerweile komplett zum Fiat-Konzern.
Sauber aus der Nummer raus gekommen war aber als großer Name Delta Airlines, die sich in der Folge von 9-11 ohne eine Neugründung oder Ausgliederungen in eine „Bad Company“ neu aufgestellt hatten und so stark waren, dass sie ein Jahr nach Abschluss des Verfahrens mit Northwest einen großen Wettbewerber kaufen konnten. Insofern konnte es auch gut enden.
Die Liste von Unternehmen, die aber auch so nicht mehr auf Kurs gebracht werden konnten und am Ende unter Chapter 7 liquidiert wurden, war leider ebenfalls lang, nach Abschreibungsmasse angeführt von einem gewissen Finanzdienstleister namens Lehman Brothers.

Montag, 26.10.2020

Erst einmal bedeutete aber Chapter 11, dass alles weiter ging wie bisher und Alex einen Arbeitsplatz hatte. Er hatte aber immer noch kein Geld für seinen Jetta von der Versicherung bekommen, also fuhr er mich wieder zur Firma und dann mit meinem Chevy Silverado zu seiner Arbeitsstätte.
Casey und Evan waren auch da. Brian hatte zur Betriebsversammlung eingeladen, die in Ermangelung einer Driver Lounge oder eines großen Besprechungsraumes im Dispatch Office über alle 4 Ecken des Raumes stattfand.

„So ich habe eine schlechte Nachricht für Euch. Ab November wird das Kreditlimit Eurer Firmenkreditkarten von 6,000 auf 2,500 Dollar gekürzt.“ Er genoss unsere dummen Gesichter einen Moment lang, denn das würde unmöglich für die regulären Ausgaben eines Monats reichen, von einer Ausgabe außer der Reihe wie einem Reifendefekt mal ganz abgesehen. Wir jagten alleine knapp 4,000 Dollar Diesel im Monat durch die Einspritzdüsen. Dazu kamen Truckwäsche, eventuell Reparaturen und Motels beim Außen-Reset, wenn wir sie in Anspruch nahmen.
„Dafür gibt es ein paar neue Karten. Leider muss ich mir noch ein paar tausend ziehende Einheiten und exklusive Subunternehmer zulegen, bevor ich mir erlauben kann, was Brandon schon kennt und eine Konzernkarte herstellen lasse, die alle Rabatte bei allen Mineralölkonzernen einprogrammiert hat und dort erkannt wird.
Fangen wir also mit meiner liebsten an, die ist grün und gar keine Karte, sondern die müsst Ihr als App auf Eure Handys laden und Euch mit diesen Daten von den immerhin grünen Pappkarten dort anmelden. Bei BPme Rewards bekommt Ihr 5 Cent je Gallone Rabatt bei BP und Amoco, sobald Ihr über 100 Dollar im Monat ausgebt, was mit einer einzelnen Tankfüllung ja mehr als erledigt ist. Leider weiß ich auch, dass das Tankstellennetz von den beiden nicht gerade engmaschig ist.

Dann hätten wir da vermutlich sofort Eure Lieblingskarte, die Pilot Flying J myRewards Pro, sowohl in Plastik als auch mit einer App verknüpfbar. Mit 3 Cent je Gallone leider der schlechteste Rabatt für mich auf den Diesel. Dafür gibt es für Euch auf jede Gallone einen Punkt im Wert von einem Cent, einlösbar für Restaurants, Läden, Wäscherei oder Internetzugang. Je Tankvorgang über 50 Gallonen gibt es außerdem eine Dusche gratis, den Punkt kennt Ihr ja schon von einzelnen Tankvorgängen mit der normalen Kreditkarte.
Neu ist für Euch jedoch, dass es mit der Kundenkarte ab 1,000 Gallonen auch ohne zu tanken für den Rest des Monats und den Folgemonat kostenlose Duschen bei der Kette gibt. Und falls mal wieder einer von Euch auf das schmale Brett kommt, einen litauischen Anhalter aufzusammeln – der hier übrigens anders als bei erloschenen Owner-Operator-Companies aus Philadelphia nicht automatisch mit versichert ist sondern bei mir angemeldet werden muss…“
Brian guckte mich schelmisch an „…gibt es auf die zweite Dusche auch Rabatt.“ „Meistens haben wir uns eine geteilt!“ Nun war es an mir, schelmisch zu grinsen. Brian betrachtete sehr genau die myRewards-Karte in seiner Hand: „So genau wollte ich es nun auch nicht unbedingt wissen.“ Casey, der den bewussten Litauer ja persönlich von meinem Umzug kannte, grinste auch. Evan lachte sich vermutlich eher über Brians rot leuchtenden Kopf kaputt.
„Gerade rechtzeitig für Brandon bekommt Ihr in Eurem Geburtstagsmonat einmal ein kostenloses Dessert im Restaurant und wo wir beim Restaurant sind, gibt es mit der Karte bei Denny’s 10% Rabatt, egal ob auf einem Pilot Flying J oder anderswo.
Auch wenn es für die Firma die schlechteste Wahl ist, wird das wohl alleine von der Netzdichte an den Interstates Eure wichtigste Karte werden. Ihr könnt alles bei Pilot Flying J mit der Karte bezahlen. Aber alles was nicht für Betrieb, Wartung und Pflege des Trucks oder Kontrollwaage ist, werde ich Euch vom Gehalt abziehen.“

„Und den Abschluss macht dann die 76 Universal Card. Die bietet 4 Cent je Gallone bei 76, Phillips 66 und Conoco, sonst nichts. Allerdings wird sie als reguläre Tankkarte zum angezeigten Säulenpreis bei allen Tankstellen akzeptiert, die über WEX abrechnen.“
Das waren in den USA bis auf ein paar Dorfschmieden mit Zapfsäule neben dem Schuppen eigentlich alle, in Kanada wohl drei Viertel aller Tankstellen. „Außerdem habe ich diese Karten bei Isaac registriert, weil der natürlich auch WEX anerkennt. Dort tankt Ihr bitte grundsätzlich voll, wenn Ihr hier ankommt oder abfahrt, denn der hat den drei Kartennummern individuell mit mir ausgehandelte Sonderpreise zugewiesen.
Also logischerweise ist mir am liebsten, wenn Ihr bei den Konzernmarken von BP tankt, ansonsten Conoco-Phillips und erst dann Pilot Flying J. Auch wenn mir klar ist, dass die Reihenfolge von der Lage der Tankstellen entlang der Interstates genau anders rum ist. Wenigstens wenn Ihr über Land oder in der Stadt irgendwo eine besser rabattierte Tankstelle seht und ein Bisschen Luft im Tank habt, fahrt bitte da hin und nicht zu Pilot Flying J. Rein theoretisch solltet Ihr es in den USA und südlichem Kanada mit den drei Karten vermeiden können, überhaupt jemals zum Normalpreis über WEX tanken zu müssen. Ausnahme ist natürlich, wenn die letzte Tankstelle vor der Grenze eine Texaco oder so ist. Denn dann ist es dort zum Normalpreis immer noch besser zu tanken als in Kalifornien bei BP.“


Dann bekamen wir nicht nur die Karten sondern auch unsere Unterlagen. Haushaltsgeräte vom Home Depot Großlager zum Best Buy in Butte/MT. Was würde der Empfänger da froh sein, dass wir den Auftrag mit eigenem Trailer fuhren und nicht irgendwer per Drop & Hook Fremdwerbung an der Rampe parkte. Evan hatte den gleichen Weg. Er sollte mit dem Flatbed los und auch bei Home Depot laden, aber Holz für ihren Baumarkt in Olympia/WA. Casey hingegen fing die Woche mit dem Reefer in Richtung Nevada an.
Ich ließ Evan den Vortritt vom Hof runter und bekam die Quittung an der Kreuzung, wo die Ampel uns auseinander riss. Ich musste also erst mal den Querverkehr durchlassen, bevor ich über die rechts-bei-rot-Regel abbiegen konnte auf die Hauptstraße.

Bei Home Depot hatte ich dann das Vergnügen, mich beladen zu lassen und konnte aufs Lenkrad aufgestützt und breit grinsend Evan beim Sichern seiner Ladung zugucken. Dafür musste ich hinterher erst mal meinen Achsschlitten am Trailer verschieben.
Ich war mir nicht sicher über die genaue Stellung der Achsen, weil Waschmaschinen dabei waren, die alle zusammen verladen den Schwerpunkt so verschieben konnten, dass eine Achsgruppe überladen war. Also fuhr ich zum Pilot Truck Stop in Central Point, verknüpfte die ohnehin schon installierte App mit meiner neuen Kundenkarte und meldete mich für die Cat-Scale an.
Die Achsen waren okay, also nahm ich die I-5 North und rief Evan über CB-Funk. Er stellte seinen Tempomaten auf 55 mph und ließ mich so mit 62 aufschließen. Wir rasteten uns einen freien Kanal und sprachen über allerlei unverbindlichen Kram. Wo wir in den letzten Wochen gewesen waren, unsere Trucks, meine Erfahrungen im Osten, wo er noch nie mit dem Truck gewesen war. Er konnte dafür aus British Columbia und Alberta erzählen, wo ich nach anderthalb Jahren hier dafür immer noch weiße Flecken auf der Landkarte hatte.
Eine kurze Unterbrechung gab es: „Myrtle Creek will mich wiegen.“ In dem Moment kam auch bei mir die rote LED und das schnelle Tonsignal: „Macht nichts, mich auch.“ Evan fuhr wieder von der Waage runter und auf die Interstate. Ich hatte irgendwas über 77,000 Pfund gesehen. Mein Gespann wog nur 61,241 und durfte auch gleich wieder raus.

Kurz vor Eugene setzte Regen ein. Hinter der Stadt meldete sich Evan zur Tagesplanung: „Mittagspause bei Petro oder bei Jack in Albany? Oder würdest Du durchziehen bis Salem und die neue Karte beim Pilot einweihen?“ „Ich habe meine zwar schon wegen der Waage in Central Point eingeweiht, aber von mir aus gerne bis Salem.“
Dort ging es zuerst einmal in die Sanitärabteilung, um Platz für neue Getränke zu schaffen. Leider hatte das Pilot Travel Center Salem kein Denny’s, so dass es bei Kaffee bleiben musste, den man auf die Kundenkarte vergünstigt bekommen konnte. Ich nahm einen Cappuccino, damit irgendwie mehr Milch als Kaffee in den Becher kam. Evan trank normalen Kaffee, schwarz, mit Zucker. Bei Cinnabon holte er sich ein Classic Roll dazu und ich mir einen Vierer CinnaSweeties.

Hier drehte sich dann das Gespräch plötzlich um Sachen, die auf dem Funk nichts zu suchen hatten: „Kommt Alex eigentlich gut mit Deinem Job klar und dass Du so viel weg bist?“ „Mehr Zeit wäre uns beiden auch manchmal lieber. Aber er hat eigentlich sofort akzeptiert, dass ich nicht nur ihn liebe, sondern auch meinen Job. Und das bedeutet eben, dass man nur die Wochenenden hat und manchmal nicht mal die, wenn ich den Reset außen mache. Hat Danny da so große Probleme mit?“ „Irgendwie haben wir die beide so ein Bisschen. Ich will auch keinen anderen Job haben und einmal im Quartal hätte ich auch nichts gegen einen Dreiwochentrip nach Neuengland, Florida oder in die kanadischen Territorien einzuwenden. Aber wenn wir zusammen sind, dann hängt entweder der ganze Freundeskreis wieder um uns rum. Oder wir sind zu Hause und so sehr wir uns nahe sein wollen, ist Schmusen auf dem Sofa auch irgendwann nicht mehr die Erfüllung.“
„Da haben wir Glück, dass wir auch sonst viel zusammen machen können. Alex und ich sind beide Freerunner, Urban Explorer und Motorradfahrer. Außerdem kochen wir beide gerne. Da sind wir zusammen. Die Beziehung hat ja mehr als nur eine erotische Ebene.“ „Schon richtig. Da haben wir aber keinen gemeinsamen Nenner. Aber beim Motorradfahren seid Ihr doch auch nicht wirklich zusammen?“ „Wenn Du 250 Meilen abballerst und dabei nur zweimal zum Pinkeln und Getränke Nachschütten anhältst bestimmt nicht. Aber wenn es eine Haltebucht mit Panorama gibt, man dann nebeneinander im Gras sitzt und eine Zeit lang den Ausblick über den Lost Creek Lake zusammen genießt, ist das anders als auf dem Sofa zu Hause zu sitzen. Und an der Hand halten kann man sich dabei auch gut.“
Dann sprach er erst einmal aus, was ich auch gerade dachte: „Das ist doch verrückt. Vor 3 Monaten haben wir uns um Danny gezofft, jetzt lasse ich mir von Dir Beziehungstipps geben.“ Es schien aber auch nötig zu sein. Danny war nicht einfach und hatte, was seinen Willen anging, aus meinen Verflossenen auch eine gehörige Portion Javier-Style an sich Hauptsache es ging nach seiner Nase. „Ja, verrückt ist es. Aber das macht doch nichts. Ist mir zehnmal lieber als wenn wir uns angiften wie vor drei Monaten.“
„Er fährt halt Motorrad, ich habe nicht mal den Schein. Ich wandere, da ist er nicht sonderlich begeistert von. Und Kochen macht auch immer er.“
„Jedenfalls solltet Ihr Euch einen gemeinsamen Nenner suchen. Koch doch mit, das ist doch erst mal das einfachste.“ „Ich weiß nicht, ob ich das kann. Ich habe da keine Erfahrung. Und mein Vater hat mich immer, wenn ich irgendwas verbockt habe, mit seinem Anspruch runtergeputzt. Ich…”
Er stockte, scheinbar war er dabei, zu weit zu gehen, brachte es aber dann doch raus: „Ich… ich… habe Versagensängste. Bei so was Banalem wie Kochen. Ich habe Angst, was dabei zu verbocken und vor Dannys Reaktion. Obwohl mir klar ist, dass er eine ganz andere Persönlichkeit ist als mein Vater.“ Das war mal ein Eingeständnis. Unsere familiären Bedingungen waren offenbar nicht so verschieden gewesen, aber unser Umgang damit. Ich hatte mich schon als Teenager widersetzt und mit der Volljährigkeit an der anderen Küste durchgeschlagen. Evan war scheinbar lange ausgewichen und hatte versucht sich anzupassen, bevor es dann mit Mitte 20 zum Knall mit Wechsel der Küste gekommen war.
„Wie hat Du Dich denn dann ernährt, bevor Danny in Dein Leben gekommen ist?“ „In Boston Hotel Mama, hier von Dosenfutter in der Mikrowelle aufgewärmt und unterwegs im Restaurant.“ „Und bei der Ernährung bist Du so gut gebaut?“ „Viel Skaten, Wandern und Joggen – sonst könnte ich mir das Linienmuster von einem Basketball auf den Bauch malen.“ „Erster Ansatz wäre natürlich, Danny einzubeziehen. Soll er mal was Einfaches einplanen und Dir dabei was zeigen. Pasta Napoli oder Bolognese und das mit Dir zusammen kochen. Zusätzlich versuch es doch mal alleine mit einer Kochplatte im Truck. Wenn Du gar nichts kannst, dann sind doch schon weiße Bohnen mit Speck ein Erfolgserlebnis. Einfach anfangen und sich dann steigern. So habe ich auch Kochen gelernt und offen solltest Du damit innerhalb der Beziehung zu ihm auch umgehen. Als Dein Freund ist er auch dazu da, Dir solche Ängste zu nehmen.“

„Und mit der sonstigen Zeit?“ „Würdest Du den Motorradführerschein machen?“ „Ja, ich denke schon.“ „Dann lass es doch auf Gegenseitigkeit beruhen. Schlag vor, dass Ihr im Winter zusammen wandert und Du dann den Motorradschein machst, wenn es wärmer wird.“ „Und wenn Danny da nicht drauf eingeht?“ „Möchtest Du meine Antwort wirklich hören?“ „Nein, eigentlich nicht. Aber ich befürchte, dann wäre sie richtig.“
„Sie kann aber auch Teil der Lösung sein. Ich kenne Danny ja nun auch etwas besser als der Rest. Ja, er bekommt gerne, was er will – wahrscheinlich weil er angefangen mit dem Teddybär als Kleinkind über die Berufspilotenausbildung bis heute zum Dodge Charger Hellcat von seinen Eltern alles bekommen oder zumindest bezuschusst bekommen hat, was er wollte. Aber als wir ihm beide die Pistole auf die Brust gesetzt haben, sich zu entscheiden, habe ich seine Schwäche gefunden – Verlustangst. Vermutlich haben es in der Vergangenheit nicht viele mit seinem Wesen ausgehalten und er fürchtet, wieder einen Freund zu verlieren.“

„Das ist doch krank. Seinen Freund mit seiner Schwäche unter Druck zu setzen.“ „Macht er ja nicht anders. Es ist ihm nur bestimmt nicht bewusst. Du bist bereit, Deine Wünsche hinter seine zurückzustellen, um ihn nicht zu verlieren. Kann auf drei Arten enden. Entweder Du kommst damit klar und gibst Dich für ihn auf. Das nehme ich Dir nicht ab. Du bist in vielen Dingen wie ich. Wer seinem Vater den vorgefertigten Lebensentwurf vor die Füße schmeißt und einmal quer über den Kontinent umzieht, um sich von dessen Einfluss zu lösen, wird am Ende nicht den vorgefertigten Lebensentwurf seines Partners bedingungslos annehmen. Oder Du hast von seiner Art irgendwann die Nase voll und es ist Schluss, ein bedauerliches, aber wahrscheinliches Ende. Haben meine Eltern fast 30 Jahre für gebraucht, um an den Punkt zu kommen, dafür war der Scherbenhaufen danach auch entsprechend groß. Oder Du machst Dich auf den harten Weg, den verwöhnten Prinzen ein Stück weit aus seinem Käfig zu holen, damit Ihr beide mit der Beziehung langfristig glücklich werden könnt.“
„Hm. Du bist natürlich in Sachen Danny auch nicht ganz neutral.“
„Warum nicht? Ich habe meinen Alex, den gebe ich nicht mehr her.“ Und in diesem Moment wurde mir auch mal wieder bewusst, dass das wohl eindeutig der bessere Ausgang der ganzen Geschichte gewesen war, als Danny zu haben. „Insofern ist mir für mich persönlich egal, ob Du mit Danny zusammen bist oder nicht. Und wer ist ‚auch‘?“ „Brian. Der hat sich zu CAT-Zeiten mal mit einem Kollegen aus der Equipment Logistic in Sacramento privat angefreundet, weil die gemeinsam ein unmögliches Ding gerade gebogen und so eine Kundenbaustelle gerettet haben. Inzwischen kennen sie sich auch persönlich und offensichtlich hat Brian da als Kummerkasten herhalten müssen und kannte eine Geschichte. Dieser Freund hat jedenfalls irgendwann dieses Jahr seine Freundin noch nach Jahren rausgeschmissen, weil die im Leben und der Beziehung auch immer nur die große Torte mit den Glitzerperlen essen wollte und er es leid war, ihr die jeden Tag aufs Neue zu servieren. Und da hat Brian mir den Tipp gegeben, Danny lieber jetzt dran zu gewöhnen, dass es in einer Beziehung zwei Pfeifen gibt, nach denen getanzt wird, bevor es auch so endet. Ich dachte nur, dass Brian vielleicht voreingenommen ist. Dass er während dem Dreieckskrach nicht gut auf Danny zu sprechen war, ist ja kein Geheimnis.“ „Ich glaube nicht, dass das noch eine Rolle spielt. Brian und Isaac waren angefressen wegen der Lage als solcher, nicht wegen Danny oder einem von uns beiden als Personen. Ich habe das mit dem Freund, dem es nur nach seiner Nase gehen muss, auch schon mal durch mit meinem ersten Freund im Osten.“ Ich erzählte den groben Rahmen meiner Beziehung zu Javier. Danach gingen wir zu den Trucks, Evan war ziemlich nachdenklich.

So blieb es auch im Funk bis in Portland nach der Marquam Bridge still. Weil wir dennoch auf unserem Privatkanal geblieben waren, hatten wir die Verkehrsmeldungen der Kollegen nicht gehört. Ich hatte mich nach rechts für die I-84 eingeordnet, als vor mir die Bremslichter kamen. Evan meldete sich von weiter vorne: „Zieh auf die 5 zurück, die Abfahrt auf die 84 ist gesperrt!“ Also wechselte ich nach Norden zurück.

Die Rampe in Gegenrichtung war auch zu, scheinbar musste etwas auf der eigentlichen Interstate passiert sein und nicht nur auf der Verbindungsrampe. Wir wechselten also doch mal auf Kanal 19, den Truckerkanal. Den naheliegenden Gedanken WA-14 und I-205 konnte ich daraufhin gleich verwerfen. Diesen Gedanken hatten vor mir schon andere und die standen jetzt auf der hoffnungslos überlasteten Glenn L. Jackson Bridge.
Also ignorierte ich mein Navi tapfer 36 Meilen, bis es mir vor Longview endlich den Gefallen tat, vom Versuch zu wenden umsprang. Nun wollte es zu meiner Überraschung über Tacoma und den Snoqualmie Pass. Da hatte ich aber keine Lust drauf und fuhr ab auf die US-12, was am Ende 3 Minuten länger war. Evan verabschiedete sich mit einem „Danke für vorhin!“
Fairerweise hätte ich mir diese Strecke auch fast sparen können, denn als die spektakulären Blicke auf den Mount Rainier möglich gewesen wären, war es schon zu dunkel.

Erst um 08.47 PM erreichte ich mein improvisiertes Tagesziel, den Flying J in Ellensburg (WA). Das Abendessen holte ich mir im Restaurant des Travel Centers, hier war das ein Broadway und es hatte einen guten Ruf.
Weil ich heute irgendwie keine Lust hatte, im Restaurant zu sitzen, entschied ich mich aber für den Appetizer Sampler als Takeaway Box, eine ordentliche Auswahl an Fingerfood mit einem Dip. Zum Glück gab es Pepsi im Ausschank. Ich mochte zwar deren Cola nicht, aber zu dem Konzern gehörte auch Mountain Dew. Also musste ich nicht zweimal überlegen, was in den Becher sollte.


Dienstag, 27.10.2020

Ich durfte erst relativ spät losfahren, insbesondere wegen der Ansprache von Brian und der Ladezeit gestern. Ansonsten würde ich meine 24-Stunden-Zeit überschreiten. Nach einem kurzen Blick in Google Maps beschloss ich, mich mit Inlinern auszutoben. Eine knappe Meile die Canyon Road hoch und an der Kreuzung in die Umptanum Road ging es in ein neu erschlossenes Gebiet mit zwei Straßen namens Lakeshore Way und für diese Zeit wohl etwas zu optimistisch in die South Opportunity Street. Inzwischen standen dort, auch wenn auf dem Luftbild und im Streetview alles frei war, zwar zwei Häuser, aber ich erwartete keinen nennenswerten Verkehr und tobte mich auf den Rollschuhen erst mal so richtig aus.
Anschließend nahm ich mir im Truckstop eine Dusche und packte im Broadway Restaurant mit Eggs Benedict, einem Pancake mit Sirup und einem Becher Orangensaft die Kalorien gleich wieder teilweise drauf.

Kurz nach 9 AM fing ich mit meiner PTI an und fuhr danach auf die I-90 East. Die teilweise schon ziemlich nackten Bäume am Moses Lake erinnerten mich daran, dass dieses Jahr kein so richtiger Urlaub gewesen war. Okay, das mit dem Urlaub war ja sowieso so eine Sache.
Wir hatten per Arbeitsvertrag 12 Tage Anspruch auf nach einer aus dem durchschnittlichen Wochenlohn abgeleiteten Pauschale bezahlte Urlaubstage im Jahr, wovon auch kein einziger gesetzlicher Feiertag abgezogen wurde. Das waren 12 mehr als gesetzlich vorgeschrieben, denn es gab hier anders als in Deutschland und vielen anderen Ländern überhaupt keinen solchen Anspruch. Und es waren 4 mehr als der Durchschnittliche Amerikaner so hatte, denn das waren nicht mal 2 Wochen. Die Zahl 12 kam daher, dass Brians Großvater in einer Woche 6 Tage abgezogen hatte und so auf 2 volle Wochen kam.
Brian ließ uns zwar meistens 6 Tage in der Woche draußen, aber hatte beschlossen, uns nur 5 Urlaubstage für eine Woche und Samstage generell nicht vom bezahlten Urlaub abzuziehen. Also hatte er uns quasi zwei Tage geschenkt. Darüber hinaus konnten wir natürlich mehr Urlaub nehmen, der dann aber unbezahlt war.
Dennoch wäre ich im Spätsommer gerne mit Alex irgendwo hin gefahren, aber es hatte sich durch eine Mischung aus den auch während der niedrigen Zahlen im Sommer immer noch vorhandenen und den Tourismus behindernden Auflagen wegen Corona und danach der Waldbrände nicht ergeben.

Um 12:20 PM erreichte ich dann Idaho, hier oben ein schnell zu passierender Staat. Deshalb machte ich eine Staatsgrenze und eine Zeitzone später auf der Dena Mora Rest Area in Montana gegen halb 3 MDT meine Mittagspause. Parallel zur Autobahn zu laufen wollte ich nicht, also legte ich mir auf dem Parkplatz neben mir ein paar Zielstreifen aus meinen Gurtstücken aus und machte ein paar Sprungübungen, bewundert von den Kindern einer Familie auf den PKW-Plätzen.
Die weitere Fahrt war auch nicht sonderlich zu erwähnen, auch wenn mich der eine oder andere Kollege bestimmt um das Panorama im bergigen Westen von Montana beneiden würde. Gegen 6:30 PM kam ich beim Best Buy in Butte (MT) an und war nach knapp 50 Minuten entladen und bereit für die Nacht, auch wenn noch 3 Stunden Fahrzeit blieben. Schon nach 7 PM Ortszeit war es bestimmt daran gescheitert, noch eine offene Ladestelle zu finden.

LOCATION: MTBTE
ACTION: 12H BREAK
DISPATCH: ORMFR-PCT-BRW

Also ging es nur noch aus der Stadt raus zum Town Pump Flying J, wo ich volltankte, dankbar nach meinem Mittagssport den Duschgutschein schon heute Abend verbrauchte und mir dann einen großen Salat aus der Frischetheke mit in den Truck nahm.



Mittwoch, 28.10.2020

Auch das Frühstück fand heute Morgen im Truck statt, ich hatte einfach keine Lust auf ein gekochtes sondern mir war der Sinn nach Mini-Wheats. Für Frühsport war es zu früh. Ich begann meine PTI kurz vor Ablauf der 12 Stunden seit der Meldung und war genau 12:03 Stunden nach der Meldung bereit.

PICKUP: MTBTE-EPM
DESTIN: COBUR-NAQ
TRAILER: BOX48
LOAD: DYNAMITE
WEIGHT: 33,912
REMARKS: HAZMAT 324/UN1-0081
PRIORITY: IMMEDIATE

Noch immer im Büchsenlicht tastete ich mich über teils unbefestigte Straßen zu EP Minerals. Fast eine Stunde dauerte die Fahrt von Butte ins nordöstliche Umland. Damit stand fest, dass das Wochenende zwar immer noch so ziemlich überall sein konnte, aber weder zu Hause oder in Washington, noch nennenswert über den Mississipi – allenfalls Indianapolis oder Louisville könnten noch was werden.

Ein großer Vorteil bei Bergbauunternehmen war, dass üblicherweise eine Waage da war, um die Achsen vor Ort richtig einstellen zu können. Hier musste ich sowieso drauf, um das Bruttoladegewicht genauestens zu ermitteln, wo bei Sprengstoff verständlicherweise immer ein riesiger Aufwand betrieben wurde.
Um halb 10 MDT war ich dann unterwegs in Richtung Colorado, also nach Osten, denn ich musste erst mal nach Billings zur besten Verbindung nach Süden. Dabei kam ich auch wieder an einer Stadt vorbei, wo ich heute auf die Mittagspause verzichten konnte, so hungrig war ich ohne Sport sowieso noch nicht.

Am Stadtrand von Billings war eine Waage, wo ich raus musste, mit 69,472 Pfund aber gleich weiter durfte. Am anderen Ende der Stadt war dann ein Flying J, wo ich meine Pause machte, die Toilette benutzte und mir ein Sandwich an der Deli-Theke kaufte.
Der Pilot auf der anderen Seite der Interstate war attraktiver, aber deshalb war ich genau nicht dahin gefahren. Ich legte mir für den Pausensport auf einem der hier zahlreichen freien Plätze ein paar Gurtstreifen aus und machte Sprungübungen.
Nach der Pause folgten noch mal 4 Stunden Fahrt auf I-90 und I-25 bis Casper (WY), wo ich am nächsten Flying J Travel Center duschen ging, aber das lokale Gastro-Angebot links liegen ließ, denn hier gab es nur wieder belegte Brötchen, nur jetzt unter dem Namen Subway. Das Rennen machte Homestretch Grill & Bar, wo ich mir eine Pizza Supreme gönnte.
Alex war am Telefon nicht wirklich überrascht, dass ich nach so vielen Wochen zu Hause mal wieder draußen bleiben musste.


Donnerstag, 29.10.2020

Heute beschloss ich, was ich bisher irgendwie immer umschifft hatte, tatsächlich mal das Frühstück bei Subway zu probieren. Es waren natürlich auch Sandwiches, aber mit typischen Frühstücksfüllungen wie Bacon und Rührei. Okay, man könnte demnächst auch wieder eine Schüssel Mini-Wheats futtern, wenn es sonst keine brauchbaren Alternativen gab.
Es sollte ein Meilentag werden, zum Abend hin dann der Abladetermin. Fast genau um 8 AM machte ich mich auf den Weg nach Süden. Cheyenne (WY) passierte ich am Vormittag, wechselte auf die I-80 und somit in Richtung Osten. Um genau 11:20 AM passierte ich die Grenze nach Nebraska. Hier zog sich die Fahrt bei eintöniger Landschaft in die Länge und so kam es mir gefühlt schon vor wie Abend, als ich meine Mittagspause kurz nach 1 PM in Julesburg am Colorado Welcome Center verbrachte. Auf dem Programm standen Freerunning und ein Sandwich aus dem Vorrat.
Nun ging es auf der US-385 wieder nach Süden. Die Landschaft war immer noch nicht sonderlich abwechslungsreich, aber ein Single Lane Highway bot wenigstens fahrerisch etwas. Kurven waren auch hier Mangelware, aber es gab nun Gegenverkehr, der etwas Konzentration verlangte sowie Ortsdurchfahrten und auch mal eine Baustelle.

Auch ein Anruf von Brian sorgte für Beschäftigung. „Zentrum der Arbeit?“ „Kann gar nicht sein, ich habe Dich seit Montag halb neun nicht mehr im Zentrum der Arbeit gesehen! Ich habe drei Optionen fürs Wochenende. Als erstes Nogales in Arizona.“ „Ich nehme 2 oder 3.“ „Da wären Grand Canyon Junction und Minneapolis im Angebot.“ „Ich melde mich gleich wieder bei Dir.“
Grand Canyon Junction war zwar im Nichts, aber man konnte nach Grand Canyon Village direkt am Naturdenkmal fahren. Weil ich das letzte Mal als Teenager da war, eine ernsthafte Option. Ich rief aber erst mal bei Kyle an, den ich nun seit fast 5 Jahren nicht mehr persönlich getroffen hatte. Die Regelungen in Minnesota erlaubten einen Besuch, also rief ich Brian zurück und ließ mir die Fracht nach Minneapolis geben. Um 4:40 PM erreichte ich Namiq in Burlington (CO).
Sehr weit östlich in der Zeitzone war es schon dämmrig und so gelang mir ein schönes Stimmungsfoto für die sozialen Medien.

Der neue Auftrag war dann deutlich ungefährlicher.

PICKUP: COBUR-KRH
DESTIN: MNMIN-WAL-NM
TRAILER: BOX48
LOAD: PACKED FOOD
WEIGHT: 41,314
DISPATCH: ORMFR-PCT-BRW

Den eigentlich obligatorischen Hinweis, den Trailer beim Wechsel von Chemikalien auf Lebensmittel professionell zu reinigen hatte sich Brian erspart, denn das machten die Empfänger von Sprengstoffen grundsätzlich. Anschließend musste ich noch auf die Waage, um nachzuweisen, dass kein Sprengstoff abhandengekommen war und dann konnte ich einmal durch die Stadt zu Kraft Heinz, um meine Fertiggerichte für Minneapolis zu holen. Es war ein großer Betrieb, wo auch nach 6 PM noch geladen wurde.

Um 7 PM verließ ich als einer der letzten Trucks das Gelände. Mir blieben noch 2 Stunden Fahrzeit, genug bis ans Tagesziel. Das lag am Pilot Travel Center in Colby (KS), wo ich um 9:35 PM, inzwischen CDT, an die Zapfsäule rollte, um den Truck zu füllen und mir den Gutschein für eine Dusche zu sichern.
Leider hatte ich das Pech, wieder einen Subway als Restaurant zu erwischen. Die Dinger liefen bei mir aber nicht unter warmer Küche und hier gab es auch keine Möglichkeit, wo anders einzukehren, ohne auf dem Weg totgefahren zu werden. Also baute ich meinen Gaskocher auf und beschloss mit Blick auf den Kalender mal so langsam abzugrillen.
Für diesen Winter wollte ich mir dann lieber mal eine Elektrokochplatte kaufen, die ich auch in der Kabine betreiben konnte, anstatt mich erst 0am Gasbrenner im Freien totzufrieren und dann bei Eintopf in der Kabine wieder aufzuwärmen. Mikrowelle hatte ich als Option bei Brian abgelehnt, weil die Dinger nur warm machen von Fertiggerichten so wirklich konnten. Wenn ich mir schon selbst was machen musste, wollte ich wenigstens etwas Besseres haben als „vor dem Erhitzen den Deckel einstechen“ aus der Plastikschale. Zwar waren Bohnen mit Speck, Erbsen- oder Linseneintopf deutscher Art, Pasta mit Tomatensoße oder so auch keine tollen Gerichte, aber hatten deutlich mehr Nährwert als der Glibber aus der Portionsschale.


Freitag, 30.10.2020

Heute drohte ein langweiliger Tag zu werden. Nach dem einschneidenden Erlebnis mit Subway Breakfast gestern begann er mit einer Schüssel Mini-Wheats. Und weil es regnete, beschloss ich, aufs geplante Abtrainieren zu verzichten und ging nur ins Gebäude, um den Gutschein für die Dusche zu verbraten. Um kurz nach halb 9 Ortszeit durfte ich los. Die Landschaft des mittleren Westens war bei schlechtem Wetter noch schwerere Kost als sonst schon.

Gegen 12 Uhr bei Salinas hatte sich immerhin das Wetter gebessert. Von der Landschaft ließ sich das hingegen nicht sagen.

Apropos „Kost“, die gewisse Sandwichkette schien mich zu verfolgen. Jedenfalls gab es auch am On The Go in Kansas City (KS) wieder nur Subway. Und Platz zum Trainieren auch wieder keinen. Und Regen auch wieder. Also verbrachte ich die sowieso schon recht späte Pause im Truck und versorgte mich aus dem Vorrat, während ich mal die Schneidesoftware für den Truckerkanal anwarf.

Es war schon nach halb vier, als ich wieder losfuhr. Anschließend gab es im benachbarten Kansas City (MO) die größte Abwechslung auf diesem Trip. Ich wechselte von der I-70 auf die I-35 und somit von Osten nach Norden. Um 6:20 PM erreichte ich den letzten Transitstaat, Iowa.

Mein Ziel war das Pilot Travel Center in Des Moines (IA). Und natürlich gab es wieder einen Subway. Nebenan waren allerdings zwei Restaurants. Da ich immer weniger Lust auf Essen unter Hygienemaßnahmen hatte, gab es mal wieder Takeaway. Ich entschied mich für den Cancun Grill und dort für die Tacos al Pastor, was Tortilla-Wraps mit mariniertem Schweinefleisch, Ananas und Zwiebeln waren, dazu die üblichen Beilagen Reis und Bohnen. Das ließ sich ganz gut und ohne nennenswerten Qualitätsverlust über den Parkplatz tragen und im Truck essen. Anschließend telefonierte ich noch wie fast jeden Tag mit Alex.


Samstag, 31.10.2020

Es ging nun merklich auf den Winter zu. Das hieß abends im Dunkeln ankommen und morgens im Dunkeln anfangen. Immerhin waren noch vor 6 AM die Gehwege leer und so beschloss ich, auf den gut ausgebauten Wegen in den Parks genannten Grünstreifen hinter den Häusern der angrenzenden Wohngebiete mal eine kleine Runde zu speedskaten.
Durch den Days Run Park und an der Northwest 128th Street entlang ging es zum Meredith Drive und hier nach Osten bis zum North Walnut Creek. Hier entschied ich mich für die Version vor dem Gewässer durch den Golfview Park und den Ashleaf Park zurück zur Douglas Avenue. Krönender Abschluss war eine Achterbahn unter den Rampen von der Avenue auf die I-35 hindurch, aber dazwischen oben über die Brücke auf die andere Seite der Interstate. Ein leichtes Summen auf den letzten Metern von den Schuhen zeigte allerdings Ersatzteilbedarf an.
Nach 7 Meilen auf meinen Hochleistungs-Inlinern, die auch noch Allrounder waren, war ich entsprechend fertig. Speedskates würden aber nicht aushalten, wenn ich in eine Pipe oder einen Hindernispark ging oder aus Mangel an anderen Möglichkeiten Urban Freestyle skaten wollte. Die dafür besser geeigneten Freeskates waren dagegen zu langsam für so eine Nummer wie heute. Also hatte ich mir, als sich im Frühling zeigte, dass ich dieses Jahr viel Individualsport machen würde und die alten langsam durch waren, einen paar der neuen und trendigen Triskates mit mittleren Rollen gekauft. Ich ging nun in den Truckstop zum Duschen und verzichtete lieber wieder zu Gunsten meiner Mini-Wheats aufs Subway-Frühstück.
Kurz vor halb 8 durfte ich wieder los und nahm einen der drei mir noch unbekannten Mainland 48 in Angriff. Um halb 10 passierte ich die Grenze. Nun fehlten nur noch die beiden Dakotas, mit guten Chancen, mindestens eins davon am Montag abhaken zu können.

Etwas über eine Stunde später erreichte ich die Ausläufer der Twin Cities. Bis ich dann aber von der Insterstate, beim Walmart Neighborhood Market und auf dem engen Parkplatz in die Anlieferung zurückgestoßen und ums Eck die Rampe getroffen hatte, vergingen noch mal 40 Minuten. Ich rief Kyle an, als ich entladen war und vom Platz rollte. Brian hatte mich bis Montag um 7 Uhr Ortszeit entlassen. Das hieß vermutlich, er hatte schon was für mich, denn sonst müsste er vor 5 Uhr aufstehen und was finden.

Mein Ziel war nun noch einmal eine halbe Stunde entfernt der Stockmen’s Truck Stop in St. Paul. Ich sah mir meine Statistik an.

WEEK START: MO:08:23 AM ±0
WEEK END: SA:10:43 PM +2
WEEK DRIVE: 54:23 HRS
WEEK WORK: 56:22 HRS
WEEK FRAME: 5D:02H:20M
WEEK MILES: 2,829
REVENUE MILES: 2,766
PERFORMANCE: 97.8 %
WEEK PAYLOAD: 100,876
SH TON MILES: 27,902
WEEK FUEL ECO: 6.3 MPG
WEEK AVG SPEED: 52.0 MPH

Das war eine quasi ideale Woche. Wenn die Firma mir gehören würde, ein Grund zur Freude. So knapp an 98% Effizienz war ich selten gescheitert. Dazu mit 52 Meilen ein passabler Geschwindigkeitsschnitt und mit 6.3 mpg ein in der Realität ganz ordentlicher Verbrauch. Aber alleine die Tatsache, dass ich morgen fürs Warten auf die zurückgesetzte Lenkzeit eine Pauschale ausbezahlt bekam, war wieder ein Argument fürs Angestelltenverhältnis.

Ich war noch am Packen, als mein Handy klingelte. „Hallo Brandon, ich bin in ein paar Minuten am Truck Stop. Wo finde ich Dich?“ „In der Reihe an der Straße. Habe einen blau-roten International LoneStar. Einfach erkennbar am 40es Retrodesign mit abgerundeter Haube, ein ziemlich seltenes Modell. Außerdem dürften hier eh nicht viele aus Oregon stehen.“ „Okay, bis gleich. Wenn Du einen blauen Mitsubishi Lancer herumirren siehst, mach Dich bemerkbar.“
Wir fanden uns auf Anhieb und ich packte meine Sachen und die Inliner in den Kofferraum. „Ich bräuchte neue Rollen für die Skates.“ „Dann fahren wir am besten gleich noch mal auf der Arbeit vorbei. Ich habe seit Oktober wieder einen Job.“ „Gratuliere.“

Das Sportgeschäft lag in Roseville, einer Stadt zwischen Minneapolis und St. Paul, etwas nördlich der Zentren. Schnell hatte ich neue Rollen und ließ sie auch gleich einbauen. An der Kasse saß laut Kyle der Juniorchef. Er traute sich wohl nicht, aber sein Vorgesetzter ließ mir dann doch Rabatt zukommen: „Willst Du für Deinen Freund die Mitarbeiterkarte durchziehen, Kyle?“ „Habe mich nicht getraut zu fragen, weil es ja nicht für mich oder direkte Angehörige ist.“ „Hast ja Recht. Aber gerade bei Dir, der hier keine Familie vor Ort hat, die dauernd mit auf die Karte kauft, können wir mal eine Ausnahme machen.“ Da schien er ja einen guten Laden mit freundlicher Leitung als Arbeitgeber gefunden zu haben.

Anschließend fuhren wir zu Kyles Wohnung in Minneapolis. Er lebte immer noch in dem Hochhaus im Riverside Plaza Komplex, wollte sich aber was Neues suchen, wenn er durch die Probezeit war.

Ein Kommentar zu “Kapitel 56 – Das Kartenspiel

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