Meine Arbeitswoche begann unüblich Spät, am Montag war ich erst um 9 Uhr in der Firma. Ich musste ja 45 Stunden Pause machen und die waren eben um 10.15 Uhr erst um, so war das wenn man erst Samstag rein kam.
Im Büro begrüßte ich Bernd, der wieder aus seinem Urlaub da war, vielleicht hatte er sich ja etwas geändert, deshalb trat ich ihm erst mal neutral gegenüber.
„Moin, Bernd, wie war der Urlaub?“
„Moin, sehr gut, waren an der Ostsee.“
„Das klingt doch schön.“
„Ja, aber sag mal, ich gucke hier grade, warum machst du eigentlich immer so lange Pause, meist zwei mal eine Stunde?“
„Erstens, dann sind sie in Frankreich gnädiger und zweitens kann ich ohne Probleme eine 10er machen, falls kein Parkplatz zu finden ist.“
„Naja, seh mal zu das du mit einer Pause auskommst!“
Es kam von mit ein skeptisches „Okee.“
Ging ja gut los, aber egal ich ließ mich davon nicht ärgern. Mein LKW war noch nicht da, Ole war noch in Hamburg meine Sachen abladen und für mich vorladen.
Ich redete derweil mit den Leuten aus der Werkstatt. Um 9.45 Uhr hörte ich dann einen unverkennbaren Reihensechszylinder Sound, das konnte nur „mein“ D38 sein. So war es auch, schwungvoll fuhr Ole auf den Hof und bremste bei mir ab, ich stieg auf den untersten Tritt und Ole nahm mich mit hinter die Halle. Parken war unnötig, Ole packte seine 7 Sachen aus und ich packte meine Sachen schnell ein. Noch eine kurze „Übergabe“ und um 10:15 fuhr ich wieder vom Hof.
Geladen hatte ich für England mit zwei Abladestellen, einmal im Norden und einmal im Süden.
Ich schlengelte mich durch den Verkehr, kurze Pause an der Grenze zu den Niederlanden und weiter Feuer zur Fähre in Rotterdam. Dort kam ich um 18.30 an und machte begann meine Pause, diese unterbrach ich kurz um auf die Fähre zu fahren.
Um 5.30 lief der Dampfer in Harwich ein, eine knappe Stunde später berührten meine Reifen dann Englisches Festland. Es ging direkt ins Gewusel rund um London, auf dem Weg in die Stadt rief mich dann mein Vater an.
„Moin Hannes, wo bist?“ „Kurz vor London, aber deswegen rufst du doch nicht an oder?“ „Ne, der Besitzer vom 1632 hat sich gemeldet, der Wagen ist leider nicht zu verkaufen. Dafür kennt er aber einen, der einen kennt, der einen Bekannten hat, der hat einen NG mit V8 stehen.“ „Klingt interessant, welche Motorisierung denn?“ „Das konnte er mir nicht sagen, er will sich mit ihm in Kontakt setzen, der ruft mich dann heute noch an oder soll ich dir die Nummer geben?“ „Ne, mach du man, du bist da jetzt schon drin, ich kann von hier aus eh nichts machen.“ „Ja ok, mehr wollte ich auch nicht, dann fahr Vorsichtig und komm heil wieder.“ „Jaha, mache ich.“ Wie das so war wenn die Eltern einen zur Vorsicht ermahnten.

Meine erste Abladestelle lag schon sehr weit im Stadtgebiet, jedenfalls war hier ordentlich Verkehr. Um 8.50 erreichte ich dann schließlich die erste Ladestelle, direkt gegenüber der goldenen Möwe. Darauf konnte ich aber um 9 Uhr morgens dankend Verzichten, stattdessen tat ich etwas für mein Fitness Programm und schob 15 Paletten Tiefkühlware vom Auflieger, den Rest machte das Lagerpersonal. Noch eben die Papiere unterschreiben lassen und weiter, trotz dem hier jeder englisch sprach, war die Verständigung nicht einfach, wenn ein Muttersprachler loslegte, dann war das eben doch was anderes.
Nun sollte es noch tiefer ins Zentrum gehen und ich durfte mich erst mal wieder in die Schlange der PKW Fahrer einreihen, mein Navi war der Meinung die Strecke sei für LKW geeignet, da ich es selbst auch nicht besser wusste verließ ich mich darauf.

Meine Bendenken waren aber unnötig, ich kam unversehrt durchs Zentrum. Quasi eine Sightseeing Tour während der Arbeitszeit.

Um 11 Uhr erreichte ich meine zweite Abladestelle, ich ging ins Büro.
„Hello, Hovstra, I want to unload 17 Pallets, here the papers!“
„Thanks, today its a little bit bizzy, you had to wait, someone will call you if you can unload.“
„Ok, can you say how long?“
„No, round about two or three hours.“
„Oh, that sounds not good, but ok“
„Sorry.“
Ich ging zurück zum LKW und machte es mir gemütlich, eigentlich konnte ich wohl noch etwas schlummern, bei 2 Stunden Wartezeit.
So tat ich dann auch um 14.00 Uhr wachte ich wieder auf, ich war etwas verwirrt und angespannt, nicht das mich jetzt jemand gerufen hatte und ich das im wahrsten Sinne des Wortes verpennt hatte, also ging ich noch mal zum Büro.
„Hi, Hovstra, I wait for three hours, had someone called me, because i felt asleep.“
Er lachte nur
„No, no one called you, you still have to wait, sorry!“
„Ok no problem, I am glad I did not fail.“
„ok, I think one hour.“
„Ok, thanks!“
Zurück am LKW hörte ich mein Privat Handy klingeln, ich öffnete schnell die Tür und suchte es aus der Ablage. Es war meine Mutter.
„Hallo Hannes.“
„Hallo Mama, was gibt’s?“
man hörte das sie aufgeregt war.
„Ich bin mit Silke auf dem Weg ins Krankenhaus, dein Vater hatte einen Autounfall, er liegt im Koma“
„Im Koma sagst du, wie steht es denn um ihn?“
„Die Ärzte sagen es geht ihm den Umständen entsprechend, aber vielleicht kannst du ja früher nach Hause kommen, ich würde mich freuen und Papa sicherlich auch.“
„Ich gucke was sich da machen lässt, ich versuche es auf jeden Fall.“
ich rief sofort in der Dispo an.
„Hov….“
„Moin Hannes hier, mein Vater hatte einen Autounfall er liegt im Koma, es geht im zwar einigermaßen, aber ich würde trotzdem gerne so schnell wie möglich nach Hause“
stürmte es nur so aus mir heraus.
„Äh, klar, ja, ähm willst jetzt direkt nach Hause?“
„Naja ich kann hier ja nun nicht weg, aber wäre schön wenn du was nach Hause findest.“
„Ich melde mich gleich wieder.“
Ich war aufgeregt, über Whattsapp stand ich mit meiner Schwester Silke in regen Kontakt, bisher hatte sich aber nichts getan. Auf der einen Seite beruhigend das es nicht schlechter wurde, auf der anderen Seite wiederum auch nicht.
Da kam es mir gelegen das ich nun auch abladen konnte. Ich fuhr an die Rampe, ich versuchte so professionell wie möglich meinen Job zu machen, aber natürlich waren meine Gedanken woanders.
Bernd schrieb mir während ich ablud das er für mich etwas in Canterbury hatte, von dort aus dann über die Fähre nach Calais und geradewegs nach Hause.
Ich fuhr also nach Canterbury, dort wurde ich am Abend nichts mehr, so übernachtete ich bei einem Lidl gegenüber, Lenkzeittechnisch hätte ich es eh nicht mehr nach Hause geschafft, und von hier aus war es in einem Rutsch möglich nach Hamburg zu kommen, von dem her war es Ok.
Ich rief noch mal zuhause an, sein Zustand war stabil, das ließ mich immerhin einigermaßen schlafen. Im Krankenhaus konnte ich, realistisch gesehen, auch nichts für ihn tun, trotzdem fühlte ich mich soweit weg besonders hilflos.
Ich schlief natürlich sehr unruhig, um 6 Uhr fuhr ich zur Ladestelle die direkt gegenüber lag. Nach 45 Minuten hatte ich die 23 Paletten für Kiel geladen, weiter ging es nach Dover zur Fähre. Dort musste ich eine knappe Stunde warten und konnte dann übersetzen.
Von Calais aus ging es über Antwerpen und Eindhoven in Richtung Heimat, meine Schwester hatte ich gebeten nicht mehr zu schreiben. So konnte ich mich auch auf den Verkehr konzentrieren, half ja nichts wenn ich den nächsten Unfall hatte.
Meine Pausenzeiten musste ich natürlich auch im Auge behalten. Da ich in 9 Stunden nicht nach Hamburg kam musste ich 2 Pausen von 45 Minuten machen. Um 21 Uhr erreichte ich dann den Hof in Hamburg, mein Schwager wartete dort auf mich um mich ins Krankenhaus zu fahren, dort kamen wir um 21.30 auf die Station. Meine Familie erwartete mich auf dem Flur, meine Mutter lag weinend in den Armen meiner Schwester. Das sie auf dem Flur saßen machte mir schon Angst, warum waren sie nicht bei ihm auf dem Zimmer.
„Hallo Hannes!“ meine Schwester war sichtlich mitgenommen und schluckte, „Papa ist eben verstorben.“
„Was, Papa ist Tot? Nein das….“ mir fehlte die Worte. Mein Vater war immer mein Vorbild und eine Art Idol gewesen, ich konnte das ganze gar nicht fassen.
„Warum, es schien ihm doch gut zu gehen.“
„Mama befand es für das beste dich in dem glauben zu lassen, sie hatte Angst um dich.“
„Aber ihr…. ihr habt mich angelogen?“
„Wenn du es so willst ja, aber Mama…!“
„Ach….. ist auch egal, darüber will ich jetzt nicht diskutieren, kann ich ihn noch einmal sehen?“
„Im Moment geht das nicht.“
Ich ging wortlos zum Treppenhaus und die Treppe hinab. Ich wollte alleine sein, und setzte mich im Erdgeschoss auf die letzten Stufen. Irgendwann kam mein Neffe Henrik hinterher, er fragte dann
„Bist du gar nicht traurig? Du weinst gar nicht.“
„Doch, ich bin sehr traurig, so traurig das ich im Moment gar nicht weinen kann.“ gab ich ihm als Antwort, lächelte gequält und strich ihm übers Haar.
Nach weiteren Minuten kam dann meine Familie.
„Komm,“ meine Schwester strich mir über die Schulter, „wir wollen nach Hause, morgen kommen wir wieder.“
Ich ließ sie vorbei gehen, Henrik wartete an meiner Seite. Ich folgte ihnen dann mit etwas Abstand, Henrik nahm meine Hand.
Meine Schwester nahm mit ihren Kindern und ihrem Mann den VW Bus, ich fuhr mit meiner Mutter im Auto meiner Eltern.
Als wir alleine im Auto waren sprach meine Mutter.
„Es tut mir Leid das ich dich angelogen habe.“
„Ach Mama, das war schon richtig so, sonst wäre ich noch abgelenkter gewesen und würde jetzt auch nach einem Unfall im Krankenhaus liegen. Ich hätte es an deiner Stelle wahrscheinlich auch so gemacht.“
„Aber vielleicht wärst du schneller da gewesen wenn du gewusst hättest wie es um ihn steht.“
„Nein, ich war so schnell wie möglich, mach dir keine Vorwürfe, es war nun mal eben ein paar Minuten zu spät.“
„Tja, nur ein paar Minuten!“ den Rest der fahrt verbrachten wir schweigend, ich wollte sie jetzt auch nicht mit weiteren Details nerven, auch wenn ich gerne gewusst hätte wie es genau passiert war.
Während der Fahrt kam eine Nachricht von Bernd auf mein Handy.
„Na wie geht es deinem Vater?“
Ich las sie, antwortete aber nicht. Wir fuhren alle gemeinsam zum Haus meiner Eltern, meine Mutter machte uns noch ein Abendbrot. Ich war allein in der Stube mit meiner Schwester.
„Weißt du wie es passiert ist, ich würde das gerne erfahren.“
„Papa war unterwegs und hatte sich ein Auto angeguckt, was weiß ich aber nicht, ihm kam dann ein LKW entgegen der wohl auf seine Spur geriet, es kam zu einer leichten Berührung und das Auto von Papa brach aus und krachte unter den LKW. Der LKW Fahrer versuchte ihm dann sofort aus dem Auto zu helfen, er kam dann mit dem Hubschrauber direkt nach Hamburg.“
„Da fährt er jahrelang LKW, ist dann in Rente und ausgerechnet ein LKW Unfall kostet ihn das Leben.“
„Schicksal.“
„Wahrscheinlich.“
„Kommt ihr essen!“ kam es aus der Küche
Wir standen auf und setzten uns an den Küchentisch.
„Das wäre doch nicht nötig gewesen.“
„Na, doch!“
Es war schweigsam am Tisch. Nachdem wir gegessen hatten, wollte mein Schwager mit den Kindern nach Hause.
„Ach lass sie doch hier.“
„Ach Mama, es ist besser wenn sie zuhause schlafen.“
Mein Schwager war sich nicht sicher, nach einem wilden zucken meiner Schwester nahm er die Kinder dann aber mit nach Hause. Ich und meine Schwester schliefen die Nacht hier.
Bevor ich schlafen ging antwortete ich nun endlich auf Bernds Nachricht
„Er ist kurz bevor ich da war verstorben.“
kurz danach kam eine Nachricht von ihm
„Mein Beileid, bleib den Rest der Woche zuhause, ich kläre das mit Frank.“
„Danke“
Am nächsten Morgen fuhren wir, meine Schwester und ich, noch mal ins Krankenhaus, ich wollte ihn noch einmal sehen und Abschied nehmen.
„Na Papa!“ nuschelte ich mir in den Bart als ich bei ihm am Bett stand. Aber selbst jetzt, wo er vor mir lag, wollten mir keine Tränen kommen, ich konnte einfach nicht. Ich weiß auch gar nicht, ich war zwar traurig, aber richtig zeigen aber auch fühlen konnte ich es nicht. Am liebsten hätte ich einfach so weiter gemacht wie vorher.
Nach dem Krankenhaus fuhren wir wieder zu meiner Mutter. Es musste nun natürlich einiges geklärt werden und wir wollten unsere Mutter damit nicht alleine lassen. Im laufe des Tages bekam ich noch einen Anruf von Frank, der ebenfalls sein Beileid bekundete, er gab mir so viel Zeit wie ich benötigte, ich sollte mir keine Gedanken machen. Aber die machte ich mir, ich machte mir Gedanken darüber ob ich wirklich noch weiter fahren wollte.

Gut geschriebenes Kapitel. Auch wenn die Thematik leider sehr traurig und bedrückend ist. Aber auch das gehört nun mal zum Leben.
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