Kapitel 32 – Nun da sich der Vorhang der Nacht von der Bühne hebt…

Heute…
…spricht Ricky undeutlich…
… Chris wird nass…

…und Timo muss umziehen!

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„…möge das Spiel beginnen, das uns vom Drama einer Kultur berichtet.“ Mit diesem Satz eröffnete ich nach dem Aufstehen sehr, sehr früh am Montag die Woche. Zwar hatte ich bis heute nicht herausgefunden, von wem dieser Text war, aber hatte den Verdacht, dass es nicht die Fantastischen Vier selbst gedichtet hatten sondern es sich auch irgendwo ausgeliehen hatten.
Chris sah mich schräg an. „Keine düsteren Prophezeiungen.“ „Ein Drama werden wir am Donnerstag auf jeden Fall erleben.“ Gemeint war die Stadt, denn die war Teil unserer Route und nur deshalb hatte ich den Spruch gebracht.

Theaterreif war auch Julians Auftritt in der chronisch nie abgeschlossenen Badezimmertür – in vielen Gegenden Europas begegneten wir auf Rasthöfen immer noch Duschräumen ohne Zwischenwände, warum sollten wir uns in unserer WG dann einschließen? „Draußen hat eben unser Freund von Sachsentrans geparkt, inzwischen fährt er übrigens Scania.“ „Fann frab ihn mhl, of er auf einen Haffee hof hommen bill.“ nuschelte ich durch eine Menge Zahnpastaschaum.

Der erste, der die Treppe rauf kam, war allerdings Timo, der natürlich auch bei uns mit frühstückte, sofern man Schoko-Butter-Spritzgebäckringe aus dem Supermarkt und Kaffee oder Tee so nennen wollte. Aber dann mussten wir nur ein paar Tassen abspülen, bevor wir uns vom Acker machten. Schließlich kam auch Julian mit unserem Gast rauf, der noch schnell eine Zigarette vor seinem Truck geraucht hatte. Er stellte sich als Patrick vor, wir machten auch die Vorstellungsrunde durch.

Ich gab mal den Gastgeber: „Was magst Du trinken?“ „Ein Kaffee wäre super.“ Chris stellte ihm eine Tasse seines ziemlich kräftigen Wachmachers hin. „Gut zum Einschlafen, vor allem Chris Kohlehändler-Suppe.“ „Wenn du nur wässrigen Tee verträgst kann ich nichts dafür.“

Patrick schien sich über unsere Sticheleien ganz gut zu amüsieren: „Der Morgen beginnt schon mit guter Laune. Sehr schön.“
Wobei das für mich fast schon eine Beleidigung war, was Chris da gesagt hatte. Mir waren schon Kaffees begegnet, die heller waren als der English Breakfast Tea, den ich Julian und mir in die Tassen goss.

Julian begann den Smalltalk: „Von wo bist du die Nacht durch gekommen?“ „Nur von Leipzig gekommen. Hab hier morgen früh den ersten Kunden. Dann weiter nach Liverpool.“ „Guten Appetit…“ Ich überhörte nonchalant Chris Bemerkung über englische Küche. „Haha Danke.“

„Und wo geht es dann noch alles hin?“ „In Liverpool lade ich 6 Ameisen aus, und dann die restlichen 8 in Lüttich. Und dann mit Leerpaletten nach Hause.“
„Nette kleine Tour. Wir fahren mit kleinem Umweg über Dresden und Mailand nach Griechenland und sind am nächsten Wochenende in Athen.“ Timo wirkte über Patricks kleinen Ausflug überrascht: „Da schaffe sogar ich alleine mehr in einer Woche. Diese Woche fahre ich bis Florenz und dann über Bratislava zurück nach Hause.“
„Griechenland wäre auch nett. Aber lange Touren kann ich mir nicht erlauben. Ich habe Frau, und bald Kind zu Hause. Wetten das schaffst du nicht, mehr zu fahren als ich? Aber gut. Würde ich mit einen der DAF Kühler fahren hätte ich auch mehr Programm.“
Timo ging auf die Wette nicht weiter ein, aber sollte ich auf jemanden setzen, würde es Timo sein. Unser Programm bestand aus mehr Fernstrecken auf Autobahnen mit höherem Schnitt. Patrick verbrachte zu viel Zeit auf Landstraßen, im Stadtverkehr, beim Laden oder in den Büros seiner Kunden, um Timos Werte da zu gefährden.
Timo fuhr nur 3 bis 4 Aufträge in der ganzen Woche, womit der Autobahnanteil viel höher war. Und da wir Kundentrailer zogen, war er beim Kunden auch noch deutlich schneller wieder unterwegs. Wahrscheinlich wollte Patrick nur nicht zugeben, dass er von einem Anfänger in einem Renault Premium 460 ausgestochen wurde.

„Und mit den DAF auch mehr Schwung.“ Timo streckte einen Sekundenbruchteil die Zunge raus. Unser Nesthäkchen war inzwischen erfrischend frech. Und mit dem ersten Automatenfoto in der Akte auch keine leichte Beute mehr für Überholer.
„Mehr Schwung auf jeden Fall. Hat mich in Beernem schon ein paar Euros gekostet die Kiste. Euer Ortseingang hat mich auch erwischt bevor ich hier war.“

„Aber ernsthaft. für mich ist das Fernfahrerleben was mit Ferne. Ich war alleine in den 5 Wochen anlernen hier schon von Aberdeen bis Casablanca und von La Rochelle bis Ostrava.“
„So richtig in der Ferne bin ich noch nie gewesen. Vor ungefähr ’nem halben Jahr war ich noch Rappelkistendompteur bei Böttcher Transporte. Und da hieß es entweder Tagsüber in Sachsen um den Kirchturm fahren, oder Nachts nach Hannover, Berlin, Nürnberg etc. pp.“
„Ich habe damals für einen kleinen Betrieb angefangen, da ging es schon Großbritannien von Aberdeen bis Plymouth und dann viel Skandinavien. Ich war für die in Oulu, Kiruna, Umea, Narvik, Tromsö. Das ist Fernfahrerleben. Und das ganze damals noch mit einem alten Iveco Turbostar V8.“

„Das ist auch schön. Vor allem V8 klingt gut. V8 am morgen vertreibt Kummer und Sorgen. Aber nein, meine kleine Runde für Jungheinrich oder die Dachser Food Logistic reicht mir. Sonntag raus, Freitag oder Samstag rein.“
Wenn er meinte. Solche Routen hatte ich bei BP und Talke gefahren. Es war nicht meins, aber da hatte mich bei beiden Arbeitgebern die Liebe und bei BP dazu die Größe der Insel kurz gehalten.

„Und das mit dem 730 PS Monster da unten? Vielleicht sollten wir in BP-Aktien investieren. So oft wie du den in dem Kurzstreckenverkehr unter Teillast tanken musst?“ „Ich sage nur 28 Liter auf 100 Kilometer.“ „Hast du ein rohes Ei hinters Gaspedal gebunden?“ „Nein, das ist doch alles Flachland ohne Maut. In Frankreich oder Italien ist Schluss mit lustig. In der Gegend wo er fährt bräuchten unsere maximal 25.“
„Julian war das, genau. Rohes Ei? Euer Timo hat schon Erfahrung mit meinem Ziegelstein gemacht. Wenn schon LKW, dann auch voll durchtreten. Aber mit dem Trailer darf ich eh nur noch mit 85 durch die Gegend fahren.“ „Okay, das erklärt ein bisschen. denn sonst hätte ich dir die 28 nie geglaubt. bessere Drehmomentkurve hin oder her.“ „Ja auf dem Trailer sind Reifen für Schwerlastauflieger drauf. Also eher kleinere, deshalb läuft der auch langsamer.“
„Trotzdem eine Menge. Wir haben um die 500 PS und Tanker sind auch nicht leicht. Habe auch mal in Wales gearbeitet, da bin ich einen 440 PS MAN TGA gefahren und die durften 44 Tonnen wiegen. 730 PS brauchst du doch trotzdem nie im leben…“
Mit ERF ECT hätte er sicherlich nichts anfangen können, also hatte ich meinen damaligen Dienstwagen mal eingedeutscht.

„Also gut, manchmal bist du froh z.B. durch die Kasseler Berge zu fliegen. Aber es gibt auch Tage, da trete ich voll durch und mache mir meine Gedanken. Ich muss mal sehen, wie das wird und weiter geht.“

Es war ja sein Geld und ging uns nichts an, aber um 40 Tonnen durch die Walachei zu ziehen brauchte man die 730 PS garantiert nicht und auch ein Pferd, das nicht geritten wird, will Futter. Timo beendete die Runde mit einem Hinweis auf die Uhr. Marlon war bestimmt schon unten in der Garage und wartete auf seinen Bruder.
Wir verabschiedeten uns von Patrick, der mit Julian runter ging, während Timo, Chris und ich noch schnell die Tassen abspülten und dann auch ausrückten.

Ich hatte nur eine Vermutung, dass Timo mal schnell zur Kette für die Zusatzfanfaren gegriffen hatte, ohne dran zu ziehen. Jedenfalls ließ Patricks Bemerkung im Funk das vermuten: „Wag es Dir und Du hast ’ne Hand weniger. Nee, Spaß. Gute Fahrt!“ Ich griff auch zum Funk: „Lass ihm die Hand bloß dran, wenn er das macht. Sonst genießt er besonderen Kündigungsschutz und ich kann ihn nicht feuern, sondern muss ihm einen Bürojob geben! Bis Dienstag, Timo. Wir werden uns vielleicht nicht sehen, aber könnten uns mit gutem Timing bei Bologna über Funk hören.“

Ruhrgebiet bei Nacht war ohne Schrecken und nach einer halben Stunde waren wir mit Tanktainer am Haken bei ENI in Essen vom Hof runter.

Bei Siegburg war der letzte Dunst der Nacht verzogen und kurz danach kam die Sonne raus. Chris fuhr bis Erfurt, dann übernahm ich nach Dresden. Wenn man sich überlegte, dass wir jetzt noch fast den halben Tag vor uns hatten, aber trotzdem schon weiter gekommen waren als Patrick in einer Schicht, dann waren Zweimannbesatzungen auch in Europa irgendwie zu rechtfertigen.

Auch ohne Dolmetscher Rheinisch-Sächsisch ging sowohl bei Bosch als auch bei ADM der Papierkram schnell und gerade bevor der Regen anfing, waren wir wieder unterwegs. An der Grenze von Sachsen nach Bayern hörte der Regen auf, hinter Nürnberg unser Arbeitstag.

Am Dienstag ging es problemlos in die Schweiz und über den Gotthard. Mit einem Mittagessen in Norditalien waren wir unseren Phosphatdünger (in den Mengen Gefahrgut, da brandfördernd) in Mailand los und mit zwei Tanktainern voll Chemie auf dem Weg nach Griechenland.

„Hier Pause und Abendessen?“ Chris fuhr auf das Hinweisschild für einen Rasthof zu. Er hatte noch eine Stunde auf der Uhr, das reichte noch bis Bologna. „Nein, lass mal. Wir können dann in Ruhe im Hotel in Ancona essen.“ „Na gut.“

In der Tat hatten wir auf der A1 bei Modena eine brauchbare Funkverbindung zu Timo, der über den Brenner herunter auf dem Weg nach Florenz war. Wir legten sogar auf dem Parkplatz Castelfranco eine gemeinsame Pause ein, da Chris und ich sowieso noch einen Fahrerwechsel brauchten. Bei Timo war auch alles glatt gelaufen, morgen musste er dann von Florenz nach Bratislava weiter.

Wir kamen kurz nach neun in Ancona an. Das Schiff legte bekanntlich immer mittags ab, also hatten wir für die Nacht ein Zimmer in dem recht einfachen Hotel neben dem Fährterminal. Allerdings gab es dort gutes Trucker-Essen, besonders die überbackenen Gerichte waren empfehlenswert. Chris nahm trotzdem eine Pizza, aber ich erlag mal wieder Cannelloni Bolognese al Forno. Weder Julian noch ich bekamen die so gut hin wie die Italiener. Immerhin bei Lasagne war unsere heimische Kopie inzwischen ans italienische Original heran perfektioniert.

Am Donnerstag ging es in aller Frühe von Bord der Fähre. Natürlich war die Hafeneinfahrt von Igoumenitsa immer noch die gleiche Schotterpiste.

Wir hatten es erfolgreich vermieden in Italien zu tanken. Die Griechen hatten, nachdem wohl immer mehr Leute sich kein Auto leisten konnten, die Preise wieder gesenkt, weil niedrige Steuereinnahmen auf Benzin und Diesel immer noch besser waren als gar keine tankenden Autos. Also füllten wir die Tanks im Gewerbepark hinter der Stadt wieder auf.

Mario, der Iveco-Händler meines Vertrauens meldete sich. Ein Motor für unseren alten Stralis war gefunden. Wenn wir demnächst dann vier Trucks in Einsatz hatten, sollten wir mal über einen Umbau der Halle nachdenken. Mindestens bessere Zufahrt von hinten und Hofbeleuchtung.
Ich bat Judith, uns in der kommenden Woche nach Hause zu holen und rief Danjel an, um einen Termin für eine Baubesprechung zu bekommen.

Trotzdem dauerte es natürlich seine Zeit, bis wir im Hochland angekommen waren, aber dann fuhren wir durch eine beeindruckende Landschaft.

Es war später Nachmittag, als wir Drama erreichten und unsere Chemie los wurden. Daneben stand bereits der Trailer voll Milchpulver, der unseren Wochenabschluss bilden würde. Der einzige Auftrag, den wir noch vorm Wochenende von hier aus schaffen würden.
Ich war Beifahrer und machte die Papiere, Chris durfte nun als Ende seiner Fahrzeit umspannen vor den anderen Trailer, bei ordentlichem Regen. Wurde er wenigstens auch mal nass, meistens hatte ja ich das „Vergnügen“.

Da es mit den Papieren schnell gegangen war, hatte ich das Vergnügen, Chris nackten Oberkörper bewundern zu können, während er das Shirt wechselte.

Wir waren noch nicht lange aus Drama weg, als der Regen aufhörte und wir bei Sonnenschein durch den Norden Griechenlands fuhren.


Wir übernachteten auf einem einfachen Parkplatz vor Thessaloniki und setzten unsere Fahrt Freitag früh fort in Richtung Athen.

Auf dem Weg kamen wir durch ein Fördergeldergrab. Der Ausbau der Autobahn war vor der Krise begonnen worden. Ohne Geld für den Weiterbau gammelten nun Material und Maschinen auf dem Mittelstreifen vor sich hin, während sich der Verkehr durch die ewige Engstelle wälzen musste.

Endlich waren wir im Landeanflug auf Athen. Das war eine spannende Sache, da die Autobahn den Landeanflug der echten Flugzeuge kreuzte.

Nachdem wir die Fracht los waren, fuhren wir zum Hotel. Ein Wochenende in einer der interessantesten Städte Europas wartete auf uns. Ich konnte es kaum erwarten, mit Chris die antiken Gebäude und Ruinen zu erkunden.
Wir checkten nach einem Wochenende in der antiken Metropole aus dem Hotel aus, ich startete unseren Truck und fuhr in den Stau. Athen am Morgen war der blanke Horror. Wir brauchten 42 Minuten für eine Strecke, die uns das Navi in unter 10 zugetraut hatte und dadurch bekamen wir, zusammen mit den schlafmützigen Leuten beim Kunden, später wohl ein Problem mit der Fähre.

Endlich war unser Fässchen am Haken, der Papierkrieg vollständig und wir fuhren den Berg aus Athen hoch. Auch mit 500 PS noch eine Herausforderung, die im 7. Gang und bei 18 km/h endete. Das waren immerhin bei 6 Tonnen mehr Ladung noch 2 Gänge und einige km/h mehr als mit dem alten Stralis.
„Erschreck Dich nicht! Gleich wird es laut, da kommt ein Flieger.“ Chris Warnung war hilfreich, auch wenn es nicht so wild war. Ich hatte ihn aber wirklich nicht kommen sehen.

Ein untermotorisierter Kollege bergauf im LKW-Überholverbot und ein paar andere Ereignisse kosteten uns Zeit, dafür fuhren wir teilweise schneller als die erlaubten 70. Es wurde sehr eng, als wir nach Patras rein kamen. Da Chris fuhr, konnte ich mir im Hinterkopf notieren, dass die Agios-Andreas-Kirche mal was für mein Interesse an historischen Gemäuern wäre.
Am Hafen war die Einschreibezeit zur Fähre gerade seit 3 Minuten rum. Ich rannte trotzdem zum Büro und die freundliche Mitarbeiterin der Fährgesellschaft checkte uns noch für diesen Tag ein. Nachmittags legte die Fähre ab in Richtung Igoumenitsa, wo sie noch mal Fahrgäste aufnahm und fuhr dann über Nacht nach Italien.

In Ancona tauschten wir nur bei Bayer den Trailer und waren kurz danach mit einem Lüftungsrohr auf der wahnsinnig weiten Tour nach Pescara. Ich weiß nicht, wann wir die letzte Fracht hatten, die ein Fahrer alleine und ohne Pause gefahren war.

In Pescara ging es mit Käse weiter nach Livorno, eine unspektakuläre Fahrt. In Livorno wartete noch eine Ladung Tiefkühlessen auf uns, mal wieder Dachser Food. Drei Frachten an einem Tag waren kein schlechter Schnitt.

Um 22:40 Uhr sagte ich bei Fercam Genua zu Chris: „Park mal ein!“ griff nach den Papieren und verließ den Fahrersitz mitten auf dem Hof. „Hä? Was?“ Rache ist süß. „Parli Italiano? No? Che peccato!“ Wie seinerzeit er in Danzig, machte ich mich also auf den Weg ins Büro und ließ ihn die Drecksarbeit machen.
Er musste nur abkuppeln, aber dafür auch die Lücke auf dem schlecht beleuchteten Hof treffen, eingewiesen von ein paar winkenden Reflektorstreifen auf einer schäbigen Warnjacke.

Wir hatten für die Nacht einen fragwürdigen Stellplatz in Hafennähe und der Mittwoch sollte uns nach Hause bringen. Mal wieder mit Phosphatdünger in Bigpacks nahmen wir die Alpen in Angriff.
Um die Mittagszeit hatten wir den Gotthardtunnel verlassen.

Auf dem Rastplatz in Frankreich, wo wir unseren zweiten Fahrerwechsel für heute machten, streifte Chris über den Parkplatz und sah sich die drei Scanias an, die dort so herumstanden. Neben uns der kleine 360er interessierte ihn nicht, aber die beiden großen Hütten fand er interessant. In dem einen werkelte ein 730er V8 und Chris strolchte einige Zeit um das Fahrzeug, der 490er Streamline war ziviler motorisiert und erregte weniger Aufmerksamkeit.

Wir fuhren aber schließlich logischerweise mit unserem Stralis Hi-Way weiter. Unspektakulär, mit einem Regenschauer im Rheintal kamen wir nach Wuppertal und waren kurz vor 1 nachts zu Hause, als erste aus dem Team.

Als wir am nächsten Morgen den Truck sauber machten, fuhren auch Marlon und Julian auf den Hof. Sie hatten es gestern wegen dichtem Verkehr nur noch bis Belgien geschafft.

Als ich wieder rauf wollte ins Büro, fing mich Benny, unser Mieter für das Erdgeschoss, ab: „Hallo Ricky, ich müsste mal mit Dir sprechen.“ Der Besprechungsraum war sowieso eingedeckt, ich sagte Judith, dass sie gleich noch mal die gebrauchten Tassen auswechseln und die Kekse auffüllen sollte, wenn wir fertig waren.

„Es sieht so aus, als würden wir demnächst hier ausziehen.“ „Warum das?“ Die sichere Einnahmequelle eines Mieters war gut und da wir seine Software nutzten, war es auch praktisch, die Firma im Haus zu haben. „Die Büros werden insgesamt zu klein und sind einzeln zu groß. Wir brauchen zwei Mann mehr und würden die einzelnen Büros gerne mit weniger Leuten besetzen. Hier wird inzwischen gegeneinander telefoniert.“
„Ich will sowieso umbauen lassen. An sich nur die Halle erweitern, aber dann spreche ich auch über das Verwaltungsgebäude. Unsere Büros werden auch langsam zu klein.“ Timo musste sich schon immer an einen unserer PCs setzen, um seine Abrechnung zu machen und wenn wir nun noch einen Fahrer mehr bekämen, reichte das wirklich nicht mehr. Ich machte eine Aufstellung mit Bennys Wünschen für die Büros und seinen speziell dafür eingerichteten Serverraum.

Es dauerte dann nicht mehr lange und ein Peugeot 508 Kombi mit gelben Kennzeichen rollte vor. Chris und ich unterhielten uns erst einmal im Büro mit Danjel. Dann fingen wir in der Halle an.
„Die Halle kann auf diesem Parzeele maximaal 6 Plaatsen krijgen.“ Das wären, selbst wenn wir wieder eine Bahn für Autos und Motorräder abzogen noch 10 Trucks, die hier stehen konnten, ohne sich gegenseitig zu behindern. Stellten wir die Autos raus und die Motorräder in die Zwischenräume der Bahnen, passten bis zu 12 Zugmaschinen rein.

Als nächstes war das Bürogebäude dran, mit dem Danjel an sich gar nichts vor gehabt hatte. Er dachte kurz nach: „Es gibt ein anderes Gebouwde. Aber dieses Design gibt et niet voor das en het hat nur twee Stockwerken. Dann moeten we die Wande van het Gebouwde en de Halle gegen nieuwe austauschen.“
Er erklärte uns, dass die Treppen bleiben würden, wo sie waren, das andere Gebäude von der Grundfläche genauso groß war, aber einige Meter von der Halle abrückte. Im Zwischenbau war dann neben dem Treppenhaus Platz für Abstellräume, Toiletten und auf der Wohnebene Duschen. Dadurch bekam das eigentliche Gebäude mehr Nutzfläche, weil diese Räume dort wegfielen. Im Erdgeschoss würde wieder Benny die Büros haben, ins Obergeschoss kam unsere Wohnung. Für unsere Büroräume würde eine Etage auf die Halle aufgesattelt. Die Fläche, die wir nicht brauchten, konnten wir als Lager nutzen, für Lasten zugänglich mit einer Deckenwinde und Kranöffnung im Fußboden.

„Da wurde ik een Tankstation opstellen.“
Das war auch eine gute Idee. So konnten wir Kraftstoff zu Großabnehmerpreisen einkaufen und würden einiges an Kosten einsparen.

Und auf dem Weg um die Halle tauchte dann ein kleines Problem auf und das war wieder bewohnt: „De Container mussen nu aber echt weg.“ Das ließ die Frage offen, was mit dem Bewohner der Container passieren sollte.

Er ließ uns den Kostenvoranschlag und die Gebäudedaten da. Ich berechnete mit Chris schnell die Miete, die sich dadurch für Benny ergeben würde und ging dann zu ihm runter, während Marlon und Chris zur Bank fuhren.

Anfang der Woche hatte Judith auch die neue Stelle für einen weiteren Fahrer ausgeschrieben. Also sah ich in der Zwischenzeit mit Julian die bereits aufgrund der Internet-Anzeigen eingegangenen Bewerbungen kurz durch. Wir wollten aber noch auf weitere Bewerber warten. Judith sollte uns die weiteren Kandidaten dann in der Software hoch laden, so dass Julian und ich sie uns von unterwegs anschauen konnten und sie dann rechtzeitig die Kandidaten einladen konnte.

„Was machen wir denn mit Timo, wenn die Container weg müssen?“ „Der schläft und duscht da doch nur noch drin. Essen, Fernsehen, mit uns Kartenspielen und so weiter findet eh hier statt. Von mir aus kann er den Rest auch noch hier oben machen.“ Da hatte Julian Recht und Timo war ein angenehmer Zeitgenosse, der sich gut in unsere WG einfügte.
„Mir ist es egal.“ Auch das war klar, denn Marlon hatte sich hier ziemlich ausgeklinkt. Er hatte noch ein Bett, aber das Zimmer, das er sich einst mit Julian geteilt hatte, war bis auf besagtes, selten genutztes Bett inzwischen quasi komplett in dessen Besitz übergegangen.
„Ja, ich denke auch, dass das so passt.“ Chris Teilnahmslosigkeit ging mir schon seit Athen ein Bisschen auf die Nerven, langsam machte ich mir aber eher Sorgen. „Was ist mir Dir? Dir ist alles egal in den letzten Tagen.“ Er antwortete nicht. „Bist Du krank?“ „Ja, ich befürchte. Habe mir wohl eine Erkältung geholt in Drama beim Umsatteln im Regen.“ Damit verkroch er sich die zweite Treppe nach oben und ins Bett.

Nachdem Timo Donnerstag spät nach Hause gekommen war, kam er am Freitag mal rauf, um seine Spesen zu machen. Julian und ich empfingen ihn: „Hallo Timo. Kommst Du mal bitte in den Besprechungsraum?“
Er war sichtlich nervös, als wir uns an den Tisch setzten, auf dem wir die Reste der Kekse von gestern aufgefahren hatten. „Nur die Ruhe, wir beißen nicht. Das weißt Du doch.“ „Du bist jetzt schon einige Zeit bei uns und in Deinem damaligen Traumberuf. Wie sieht es denn aus? Immer noch Traumberuf?“ „Ähm, ja. Habe ich ja auch gesagt als Patrick hier war. Ich liebe es, unterwegs zu sein und jede Woche was anderes zu sehen.“
„Bei uns stehen ein paar Veränderungen an. Wir wollen die Halle vergrößern, das Gebäude umbauen, eine Haustankstelle einbauen. Da stehen Deine Container leider im Weg.“ „Das heißt ich muss mir eine Wohnung suchen?“
„Das wäre eine Version. Aber du bist doch sowieso schon fast bei uns eingezogen. Das neue Gebäude wird größer, wir hätten ein Zimmer mehr. Könntest Du also auch ganz in unserer WG bleiben, wo Du zum Essen, Fernsehen, Zocken und so eh schon die ganze Zeit rum hängst.“ Jetzt war er endgültig locker, aber es war ja immer so eine Sache, wenn einen die Chefs überraschend zum Personalgespräch reinholten. Wir sprachen mal eben den Rest auch durch, selbst wenn es noch nicht so wirklich Halbzeit der Probezeit war.
Ich zog die Kündigung des Mietvertrags für die Containerbude hervor, die Timo noch unterschreiben musste, damit das auch seine Ordnung hatte. Bei uns einziehen konnte er dann jetzt auch auf mündliche Vereinbarung. Es wäre albern, wenn wir da einen neuen Papierkrieg führten.
„Und dann haben wir noch was. Wir suchen einen weiteren Fahrer und lassen unseren letzten Truck reparieren. Das ist ein alter Iveco Stralis, hat auch 460 PS. Willst Du dann den haben oder Deinen Renault behalten?“ „Was kann der Iveco denn?“ „Die Kabine ist ein Bisschen breiter und hinten auch höher. Aber ehrlich gesagt sind dafür die Ablagen kleiner. Du fährst sowieso zwei Wochen bei Chris mit im neuen Iveco, so lange hier alles unbewohnbar ist. Dann wirst Du es ja sehen und kannst es Dir überlegen. Die neue Kabine ist von den Abmessungen ziemlich ähnlich.“
Wir hatten aus praktischen Überlegungen die Teams und Trucks für 2 Wochen umgestellt. Chris und Timo würden mit dem Iveco zwei Wochen am Stück zusammen fahren. Julian und ich wollten mit dem Magnum fahren und zumindest kurz hier sein, um irgendwie ein paar Bewerbergespräche zu führen. Marlon fuhr Solo mit dem Premium und war das Wochenende normal bei Judith. Die würde in der Zeit, wo wir unterwegs waren, hier die Bauleiterin spielen.

Am Mittag fuhr ich mit Marlon nach Recklinghausen und wir sahen uns bei Mario den Spendertruck an. Irgendeine Eifersuchtskiste oder so was war wohl der Hintergrund. Der Stralis Active 460 war technisch jedenfalls einwandfrei, hatte in 16 Monaten knapp 120.000 Kilometer gelaufen.
Irgendjemand hatte das Beifahrerfenster eingeworfen und Buttersäure in den Innenraum gespritzt. Alles, was in der Kabine gewesen war – und auch die unmittelbare Umgebung des in der hinterletzten Ecke geparkten und mit Klebeband vergeblich abgedichteten Trucks – stank im wahrsten Sinne des Wortes zum Kotzen. Denn der Geruch von Erbrochenem kam de facto von Buttersäure.

Wir handelten einen Preis mit Mario aus und er war genauso froh, diese Stinkmorchel ausgeweidet und vom Hof zu bekommen, wie wir es waren, dass unser letzter Truck wieder auf die Straße kam.

Damit war die Woche beendet. Danjel bekam seinen Auftrag, Benny den neuen Mietvertrag und wir durften zumindest die Dinge, die Danjels Bauarbeiter nicht in die Finger bekommen sollten, in Kisten packen. Zumindest am Samstag keine Hilfe war Chris, der den Tag weitestgehend im Bett verbrachte.

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