Diese Woche…
…wagt sich Timo in die Höhle des Löwen…
… Ricky bekommt ein Bild, das er nicht haben wollte…
…und Ilarion hat einen Schal vorm Gesicht!
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Samstag, 25.04.2015
Als Timo Samstagnacht nach Hause gekommen war, hatte ich tief geschlafen. Als er dann wach wurde, war ich schon eine Zeit lang auf den Beinen und machte für den Wochenendeinkauf Inventur im Kühlschrank. Er nahm an mir vorbei Butter und Marmelade raus. Ich drehte mich um und sah ihn erwartungsvoll an. „Kühlschrank zu, es zieht!“ Er stellte die Sachen auf den Esstisch und grinste blöd. Ich machte den Kühlschrank dann mal wirklich zu.
Er setzte sich auf die Eckbank und fing an, sich ein Brötchen zu schmieren. Ich setzte mich auf das kurze Stück der Bank. „Wo soll ich anfangen?“ „Wie wäre es mit vorne?“ „Die Entscheidung kommt zwar hinten, aber gut. Ich werde Dich unterwegs ein paar Sachen fragen, aber entscheidend dürfte das nicht mehr werden, wenn Du nicht komplett überraschend antwortest.“ Nette Nichts-Aussage über die Tendenz…
Er wirkte gelöst, aber wenn man eine schwerwiegende Entscheidung getroffen hatte, war das so. Ich kam mir dafür jetzt vor wie ein Kandidat bei DSDS. „Du… bist… … … … …raus!“ Aber verdient hatte ich die Hängepartie – hatte ich mit ihm ja auch bis zum Fahrtraining gemacht.
„Es fing damit an, dass mich Patrick auf der A2 bei Dortmund überholt hat. Wir sind dann einfach hintereinander in Richtung Hannover gefahren. Ich musste schon 88 auf dem Tempomat einstellen, um mit ihm mitzuhalten. Da habe ich mir aber nicht viel bei gedacht, war ja auch nur mit Wasserglas unterwegs.
Als er sich dann vor Hannover bergab über den Begrenzer schieben ließ, hat mein Verstand ausgesetzt und ich habe mich noch schneller schieben lassen als er. Einmal wollte ich ihn versenken, ich bin wohl doch nicht immer reif genug für diesen Job.“ Dachte ich es mir doch. „Wer seine Fehler als Fehler erkennt, ist reif genug dafür, worum auch immer es gerade geht.“
„Patrick fing dann gleich an mit schlechtem Gewissen an. Das bleibt aber unser Geheimnis und so.“ Na wenn er mir das erzählte, wollte er wohl hoffentlich bleiben. „Und ich hab gedacht, so schlimm kann es ja nicht gewesen sein. Julian und Du habt ja oft genug von den Aktionen mit Euren R365 und TurboStar erzählt. Da wollte ich auch noch nicht weg und habe ihm erst mal abgesagt.“ Oha, „noch nicht“ und „erst mal“! Das Pendel ging in die andere Richtung.
„Ich bin mal so neugierig zu fragen, wie Du auf die Idee kommst, die GPS-Pfade von 11.000 Kilometern, die die ganze Firma so in der Woche zusammenkriegen dürfte, zu prüfen, um die 105 zu finden.“ „Mir war langweilig und ich habe mal geschaut, was Ihr den einen Tag gemacht habt. An fast jedem anderen Tag wäre das im Leben nicht aufgefallen, aber ich saß am frühen Abend ohne Lenkzeit in einer Bauernhofzufahrt am Stadtrand von Padova fest. Ich habe da keine automatische Warnung drin und suche auch nicht systematisch in Euren Fahrwegen rum. Wie Ihr fahrt ist Eure Verantwortung.“ „Okay.“ Bisher ließ er nicht durchblicken, was er nun vorhatte.
„Die Einladung für den Abend kam kurz nachdem wir uns bei Hannover getrennt hatten. Habe ich mir auch noch nichts bei gedacht. Aber da hattest Du ihn mit Deinen Bemerkungen beim Abholen schon angespitzt. Ob wir da drüber gesprochen hätten, war so ziemlich das erste, wonach er mich gefragt hatte.
In seiner Halle hat er mich dann am Ende im Stand an seinem schwedischen Spielzeug Marke Scania rumspielen lassen. Fahren ging nach den Getränken eh nicht mehr. Da wollte ich nur noch so einen geilen Truck.“ Den er ja bei ihm auch nicht kriegen würde. Stattdessen würde er an Actrose erkranken.
„Und der Traum vom MAN, der kurz vorher in Erfüllung gegangen war?“ „Der hat eben auch seine Nachteile, die Patrick gut kannte. Besonders weil es nicht das neue Modell ist und MAN bis zum Modellwechsel ein paar Sachen verschlafen hat, was ich vorher nicht wusste. Ich hatte doch gar keine Ahnung von Trucks. Ich war MAN-Fan, weil mich mein Onkel mit einem mitgenommen hat und das das tollste Erlebnis in meiner Jugend war. So wie Du Iveco-Fan bist, weil Dein erster persönlich zugeteilter Truck einer war und der Dir gefallen hat.“
Was kostet die Welt? Der Herr Schütz will sie kaufen, um Fahrer damit abzuwerben. Das war doch, wenigstens an dem Abend schon, alles von langer Hand geplant gewesen. Die Einladung vielleicht noch nicht, aber hier vor gefahren war er in meinen Augen schon mit Absichten im Hinterkopf.
„Den Montag danach hast Du mit jemandem telefoniert, von dem ich nur wusste, dass er extern sein musste. Und ich weiß, dass Du über mich telefoniert hast. Denn so wie ich konnte es ja kein zweiter übertrieben haben. In meinen schlimmsten Alpträumen telefoniertest Du gerade mit dem Anwalt, um meinen Rausschmiss einzufädeln.“
Ich nickte. Dieser eine Moment war mein Fehler gewesen. Den wollte ich jetzt nicht zu ausführlich kommentieren, wenn er nicht drauf einstieg. Solange er nicht endlich sagte, was er am Ende vorhatte, wollte ich mein Verhalten nicht rechtfertigen oder schön reden. In dem Moment sofort das offene Wort, wie wir es hier sonst immer hatten, wäre die einzig vernünftige Lösung gewesen. Und ich fange an, mit ihm zu spielen. War wirklich ich hier in dem Laden der richtige als Personalchef?
„Das tut mir inzwischen ziemlich leid. Ich hätte mit Dir reden sollen.“ „Oh ja.“ Das war eine Feststellung, kein Vorwurf.
„Danach hatte ich natürlich die Hosen voll. Und da kam es mir gerade recht, dass Patrick mir das Angebot gemacht hatte. Der war selber wohl am meisten überrascht, dass ich wirklich angerufen habe, aber dann ging das ganze Geschiebe los. Was für Strecken fahren, damit ich jedes Wochenende zu Hause bin, großzügige Nachtzuschläge, moderner Truck, 520 PS. Da hatte er mich dann eigentlich schon so weit.“ Eigentlich? Mach es doch kurz, Junge! Aus und vorbei! Du bist weg! Lass mich nicht so leiden. Du weißt doch, wie unerträglich das ist. Oder ist Rache so süß?
„Aber weil Du nicht mit mir geredet hast und Julian die letzten Wochenenden dauernd unterwegs war, habe ich mit Ilarion gesprochen. Und der hat mir noch mal richtig zu denken gegeben. Er war ja schon mal Stückgutfahrer am Anfang der Ausbildung.“
Der Junge wurde immer mehr zum Überraschungspaket, in jeder Hinsicht. Machte meinen Job, um Timo hier zu halten.
Wie er nachher beim Fußballspiel ausrasten würde, wollte ich erst gar nicht wissen. Bis letzte Woche war er ein unscheinbarer Junge gewesen, der einfach zum Arbeiten kam, nichts Außergewöhnliches machte, selten den Mund auf bekam und sein Privatleben nach dem Motto „Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps“ strikt von hier trennte.
„Patrick erzählte mir dann natürlich, dass das alles nicht so schlimm wäre, wie ich da gehört hatte.“ Okay, Ilarion hatte bei seinem Ausbildungsbetrieb auch so richtig tief in den Gülletank gegriffen. „Gemütliche 87 würde er zwar fahren, aber das fand ich da ja noch nicht so schlimm.“ Der immer mit seinen gemütlich selbstmörderischen 87. Und wie wenigstens ich jetzt erkannt hatte, ging es auch ohne. Dachser war groß genug, um seriöse Zeiten zu kalkulieren. Auch wenn sich das in der Dispo noch nicht ans Ende vom Alphabet rum gesprochen hatte. Wie konnte ich nur so blöd sein, zu glauben, dass das nicht aufgeht? Es war knapp, aber machbar kalkuliert.
„Als Du den Vertrag gefunden hattest, was so natürlich nicht geplant war, erlebte ich meine dreifache Überraschung. Ihr hattet in der Zwischenzeit auch noch jemanden eingestellt, für den es keinen Truck gab. Also dachte ich, der wäre für meinen. Willst Du mir sagen, was Ihr mit dem neuen Fahrer vorhabt?“
Wenn er es denn wissen wollte. Wenn er ging, konnte es egal sein, wenn er blieb, musstr er es sowieso wissen. Und wenn er es wusste, blieb er ja vielleicht. „Ursprünglich drei Möglichkeiten. Erstens wir kaufen, nachdem Dominik angelernt ist, einen neuen Fernverkehrs-Truck für ihn oder wenn das Geld nicht reicht einen Stralis Hi-Street für Marlons zukünftige Tortour de Ruhr und er kriegt erst mal eine Weile den Premium. Zweitens Marlon fährt so lange wieder bei Julian mit, bis wir den Truck für Dominik kaufen können und der bekommt auch wieder den Premium. Drittens Marlon fährt so lange gar nicht und hütet das Büro, bis wir einen Truck für ihn kaufen können und Dominik fährt so lange den Premium. Neu wäre viertens, wenn Du mir hier gleich die Kündigung auf den Tisch legen solltest, dass er wirklich Deinen bekommt. Vorgesehen war das aber eigentlich nicht so.“ „Ach so.“ Ja, ach so. Reden soll helfen – beiden…
„Und dann erzähltest Du mir, dass ich da nicht unterschreiben sollte, sondern ich hier bleiben sollte. Das blieb trotz dem Vertrag von Patrick so, wo wohl so ziemlich jeder andere Chef gesagt hätte, dass ich doch gehen soll.
Und die mysteriöse Veranstaltung war einfach nur ein Fahrsicherheitstraining. Und bei der letzten Übung mit Bremsen ohne Gang war mir, auch wenn Du es mir bis heute nicht gesagt hast, klar, dass Dein Anruf beim ADAC wegen dem Training gewesen sein wird.“
„Ja, war er. Seit Du hier angefangen hast, haben wir eine Menge Zeit und Geld in Deine Ausbildung investiert. Das hat damit angefangen, dass wir Dich 6 Wochen lang begleitet haben. Das Fahrsicherheitstraining jetzt hat auch pro Nase einen ziemlich salzigen Betrag gekostet. Und dass der Bänker, den bestimmt kein anderer Unternehmer als Fernfahrer eingestellt hätte, sich in einem halben Jahr zu einem so guten Trucker entwickelt hat, haben wir dann mit einem Braunschweiger Burglöwen belohnt, der auch einen hübschen Betrag mit 6 Stellen auf dem Preisschild hatte. Da wollen wir Dich natürlich gerne weiter hier haben.“
Damit war ich jetzt doch ein Stück von meinem Vorsatz abgewichen, ihn nicht mit Lockmitteln wie Geld zu beeinflussen, bevor ich seine Entscheidung kannte. Wir wollten keine gekauften Fahrer. Aber es war die Wahrheit und jemand mit einem kaufmännischen Hintergrund sollte sowieso selber da drauf kommen.
„Anfang der Woche lag mir dann noch unser doch nicht so toll beendetes Gespräch von letzten Donnerstag im Magen. Als ich die Dispo bekam, war mir klar, dass Du mich zwei Wochen auf den Dachser-Umlauf schicken wolltest. Oder so dicht, wie der sich bei Talke eben abbilden ließ. Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Wahrscheinlich sollte es mir nicht gefallen.“ Ja, sollte es. Lange musste ich wenigstens nicht mehr leiden. Gleich war er in der Gegenwart.
„Anfang der Woche rief Patrick dann noch mal an und hatte sein ohnehin schon gutes Angebot nachgebessert.“ „Gib mir endlich den Todesstoß!“ dachte ich mir. Sah er nicht, wie ich leiden musste? Oder sah er das? „Learning by Fingernägelkauing“, der war hier weg, aber so was von.
„Zumindest bei den Zeiten halt. Beim Geld war es eine Sache der Schichten. Tags gibt es hier mehr, nachts bei ihm.“ „Wenn ich mal neugierig fragen darf, warum bist Du so scharf auf Kohle? Du schwimmst doch dank dem WG-Zimmer hier bei regulärem Gehalt eh im Geld.“ Auch nicht gerade eine geschickte Frage, aber meine Nerven lagen inzwischen so blank wie seine in den letzten Wochen.
„Ich will mir auch mal ein schönes Auto kaufen. Kostet aber leider über 30.000 Euro.“ Ordentlicher Betrag für ein normales Auto. Entweder stattliche Mittelklasse oder was ausgefallenes Kompaktes. „Was wird das denn?“ „Muss ich Dir das verraten?“ „Nein.“ Hatte ich ja auch nicht.
„Na ja. Deine Entscheidungshilfewoche hatte ja erst angefangen. Apropos Entscheidungshilfe. Patrick hat mir angeboten, eine Woche bei ihm mitzufahren, aber das ging ja nicht, ich war für beide Wochen schon disponiert.“ Also ließ der auch nichts aus, um Timo zu beeinflussen.
„Die Dänemark-Runde lief flüssig. Obwohl mir die Lust auf systematisch mehr als 80 fahren beim Training vergangen war, kam ich gut rum. Zu dem Zeitpunkt war ich mir noch 100% sicher, dass ich zu Patrick gehe. Aber Dienstagabend bekam ich erste Zweifel. Ich habe von einem anderen Trucker mitbekommen, dass Patrick den auch abwerben wollte. Einfach so aus heiterem Himmel.“ Noch einen, oder auch den?
„Fährt der zufällig auch hier und hat gerade Wochenende in Belgrad?“ „Du weißt davon?“ „Klar. Ilarion hat es mir gleich am nächsten Morgen brühwarm erzählt.“ „Warum macht Patrick das? Kriegt er sonst keine Leute? Oder hat er den Vertrag nach Schweden schneller angenommen als er Leute kriegen kann?“ „Warum fragst Du das nicht ihn?“ Bei solchen kritischen Fragen bestand ja doch noch Hoffnung.
„Und dann kam sein Anruf am Donnerstag.“ Aha, jetzt kamen wir wohl zum Punkt. „Da hatte er wohl kurz vorher mit Dir gesprochen und war gut geladen.“ Konnte ich mir vorstellen.
„Am Anfang ging es darum, dass Du mich hast zappeln lassen und man so was nicht machen könnte. Wo er ja Recht hat. Du hättest ihm unterstellt, die Leute danach auszusuchen, ob sie zu schnell fahren und ich wäre nach dem Fahrertraining wertlos für ihn.“ Hatte ich das? Ja, ich hatte. Im Streit schießt man auch mal übers Ziel.
„Aber wenn man sauer ist, redet man sich schnell in Rage, auch er. „Du fährst gemütliche 87 Sachen“, einen Satz danach heißt es „egal wie Du fährst“. Und dann kam der Schluss. Ich halte mich da raus, das ist Deine Entscheidung. Entweder weiter bei Ricky zappeln und unterbezahlt durch die Nacht fahren, oder bei mir mehr als angemessene Bezahlung und den neusten Truck. Deine Entscheidung.
Du hast mir auch gesagt, dass es meine Entscheidung ist, aber sie mich selber suchen lassen und mir weder gesagt, wie toll es hier ist, noch wie blöd bei Patrick. Du hast mir sogar die Möglichkeit gegeben, herauszufinden, ob mir der Dienst bei Patrick gefallen würde oder nicht. Ganz unverbindlich und für Dich mit hohem Risiko. Patrick widerspricht sich ja dauernd selbst, sogar wenn er mir erklärt, dass er sich nicht einmischt, mischt er sich sofort mit seiner Meinungsmache ein.“
Mir blieb der Mund offen stehen. „Und da habe ich gemerkt, was Ihr hier für Chefs seid und was Patrick wahrscheinlich für einer ist. Ihr meint ehrlich, was Ihr hier macht. Patrick macht das in meinen Augen nur, damit seine Leute zufrieden sind und besser für ihn arbeiten. Personalführung ist die Kunst, seine Angestellten genauso schnell über den Tisch zu ziehen, dass sie die Reibungshitze für Nestwärme halten.“
„Versprichst Du mir, dass diese blöde Nummer keine negativen Folgen für mich hat?“ „Versprochen. Wie gesagt, wir wollen Dich behalten. So lange Du auch uns behalten willst, bleibt alles wie vorher.“
Er hatte, was ich gar nicht bemerkt hatte, Patricks Vertrag mitgebracht und neben sich liegen. Jetzt nahm er den in die Hand und steckte ihn in den Reißwolf. Nicht so ein tolles Ding wie nebenan im Büro, der daraus Konfetti nach Datenschutznorm DIN-ISO Irgendwas machte, sondern so ein 12-Euro-Ding für private Schreiben, die wir nicht aufheben mussten, aber die auch nicht unbedingt am Stück in den Papiercontainer sollten. Mit einem jaulenden Geräusch verwandelte das Ding den Vertrag in 8 mm breite Streifen.
Endlich hatte ich realisiert, was hier in den letzten Sekunden passiert war. „Danke!“ Mehr bekam ich nicht raus. „Wofür? Ich muss mich bedanken. Bei den meisten anderen Speditionen fliegen Leute, die 105 fahren, raus. Und wenn nicht dafür, dann wenn sie einen Vertrag von einer anderen Firma beim Chef rum liegen lassen. Und ich darf hier bleiben, nach allem, was ich angestellt habe.“
„So einen Mist machen wir aber beide nicht mehr. Wenn es Probleme gibt, wird bitte miteinander geredet. Sofort.“ „Ja, auf jeden Fall.“
„Zuerst gefiel mir die Fahrerei im Patrick-Stil auch. Aber auf den Nachtschichten konnte ich nachdenken. Und mein DRD4-7R-Gen wird hier schon strapaziert, seit ich mich auf Wochenumläufe habe setzen lassen. Aber wenigstens komme ich immer wo anders in halb Europa vorbei.“ Ja, dieses Gen kannte dank Land Rover wohl mittlerweile jeder.
„Jede zweite Woche Dänemark-Schweden-Holland? Dazwischen abwechselnd eine Woche Frankfurt zum Umbrücken nachts und nur noch einmal im Monat Überraschung und das nur innerhalb Deutschlands? Ohne mich!“
„Willst Du nächste Woche die Nachtschicht fahren oder soll ich? Ich bin noch nicht disponiert.“ „Den Scheiß bringe ich jetzt noch zu Ende. Dann weiß ich wenigstens zu würdigen, wie gut ich es hier habe und auf welches Selbstmord-durch-Langeweile-Kommando ich mich da bei Patrick fast eingelassen hätte.“ Ich hatte derweil mal schnell in das System von Talke geschaut. „Wollen wir zusammen fahren?“ „Wie zusammen?“ „Es gehen jede Nacht etliche Trucks in die Richtung. Ich kann zum Beispiel den Dr. Oetker und Revell Umlauf bekommen, weil der Sub die Linie heute Nacht für die Woche kurzfristig zurückgegeben hat. Wahrscheinlich Fahrzeugausfall. Wenn ich jetzt auf das grüne Häkchen klicke, sinkt bei irgendwem in Hürth der Puls ein Bisschen. Auf Montag und Donnerstag mit Natriumcarbonat nach Bielefeld, auf Dienstag und Mittwoch mit Polyamid- oder Polystyrolgranulat nach Bünde. Dann ist es nicht so langweilig, wenn wir hintereinander fahren und über dPRM quatschen können.“
Die dPRM-Geräte und Fensterklemmantennen hatten wir auf jedem Truck, damit wir, wenn wir warum auch immer mal zusammen fuhren, uns unterhalten konnten, ohne dass gleich die ganze Welt des CB-Funks mithören konnte. „Gerne, klick drauf!“
„Ab und zu mal eine Woche Nachtschicht macht aber auch Spaß, geht das auch hier?“ „Sprich einfach nach Lust und Laune eine Woche vorher mit Judith. Die wird Dich dann entsprechend einteilen. Nachtschichten gibt es genug.“
„Und wie sieht es mit einem richtigen Nachtzuschlag aus?“ „War bisher kein Thema, weil keiner Nachtschicht fahren wollte und die Aufträge auch nicht nachts geplant waren. Wir haben bei den Aufträgen, die wir bisher gefahren sind, keinen Cent von den Auftraggebern dazu bekommen, weil das keine deklarierten Nachtaufträge waren. Ihr musstet nicht nachts fahren und wir mussten dafür nichts extra zahlen.
Das muss ich zwar der Form halber mit Marlon besprechen, aber wenn Du systematisch Nachtschicht fahren willst mit Aufträgen, für die wir auch selber Nachtzuschlag von Talke kriegen, dann kriegst Du natürlich einen vollen Zuschlag von uns. Übrigens auch noch rückwirkend für diese und kommende Woche.“ „Klasse, dann fahre ich demnächst ab und zu mal nachts.“
„Ich hätte dann noch ein Geschenk für Dich, Du kannst meinen alten C4 überschrieben kriegen und wenn es so weit ist in Zahlung geben.“ „Danke. Aber der ist doch leider nix wert, wenn dauernd die Elektronik spinnt.“ „Dann frag demnächst Dominik, ob er mal drauf schaut. Der ist Fahrzeugelektroniker. Ohne Kupferwurm im Kabelstrang dürfte so ein C4 mit Vollausstattung nach Schwacke noch um 2.500 bringen. Und apropos Dominik, wenn Du unbedingt Musik vom USB-Stick willst, bestelle ich noch ein Nachrüst-Radio mit USB-Port für den TGX.“
Wir waren beide erleichtert, das konnte man merken. Timo mampfte sein Brötchen weiter, ich verarbeitete einfach nur, was hier passiert war. Schließlich grinste Timo teuflisch.
„Was ist?“ „Ich habe noch eine Einladung von Patrick zum Grillen heute. Ich überlege gerade, ob ich mal aus Spaß hin fahren soll.“ „Wieso?“ „Einfach nur mal umhören, was seine Truppe so zu sagen hat. Es kann nie schaden, wenn man was weiß, was man sonst nicht wüsste.“ „Du musst es wissen. Ist Dein Spiel mit dem Feuer.“ „Och, kann auch lustig sein. Ich glaube ich mache es.“
„Na dann viel Spaß und viel Glück. Nimmst Du dann den Citroen, stellst ihn in Dormagen am LKW-Warteplatz Alte Heerstraße ab und kommst mit der Bahn heim? Dann müssen wir nachts nicht mit den Trucks nach Hause.“ Julian war jetzt im Urlaub in Italien, wenn wir ein Auto brauchten, hatten wir immer noch den Opel Astra. „Kann ich machen.“ Damit düste Geheimagent Null-Null-Timo später ab nach Neuss.
Abends, als ich noch alleine war, bekam ich eine Whatsapp-Nachricht, von der ich ja eigentlich nichts wissen wollte. „Stimmung in der Bude!“ Das Bild dazu zeigte Ilarion, aufgenommen hatte es wohl einer seiner Cousins mit seinem Handy, denn er selbst hatte beide Hände voll damit zu tun, das Stadion Rajko Mitic mit zwei Bengalos rot auszuleuchten. Um ihn herum war ein Meer aus Bengalos und Rauchbomben zu sehen. Auch Silvesterraketen starteten mitten aus dem Block.
Er trug den schwarzen Hoodie mit roter Schrift, den er wohl auch am Autohof Berg an hatte. Unter der Kapuze schauten nur ein paar Haarsträhnen raus, der Schal war bis über die Nasenspitze hochgezogen. „…RAD BO…“ auf dem sichtbaren Teil vom Schal outete ihn also als einen der Beograd Boys, der größten Ultragruppe.
Fotos und Videos im Internet hatten mir gezeigt, dass es da immer so ab ging. Außerdem hatte Luke damals davon geschwärmt, wie sie auf dem Balkan Pyrotechnik einsetzten. In Großbritannien war das, wie auch in Deutschland, aus guten Gründen scharf kontrolliert. Ich musste zugeben, dass es genial aussah. Aber 2000 Grad heißes, mit Wasser oder Schaum so gut wie gar nicht löschbares Magnesiumfeuer in einer Menschenmenge war trotzdem keine gute Idee.
Am Abend kam Timo wieder zurück. „Und, wie war’s? nicht aufgeflogen?“ „Scheiß-Party. Aufgesetzt gute Laune, aber eigentlich war jeder irgendwie nur da, um sich auf Patricks Kosten den Wanst vollzuschlagen und sich zulaufen zu lassen hatte ich den Eindruck. Und ich will nicht wissen, was passiert wäre, wenn ich mich verplapptert hätte. Hinterher ist mir aufgegangen, dass das echt ein Spiel mit dem Feuer war. Als ich fahren wollte, wurde es besonders hart.“ „Wieso?“
„Er hat einen Azubi, der im Sommer anfängt. Und der ist richtig nett, fühlt sich aber zwischen den 10 Jahre älteren und in der Freizeit ziemlich trinkfesten Fahrern und ihrem derben Humor wohl doch nicht so wohl. Ich habe keine Ahnung, wo der her kommt. Da haben wir nicht drüber gesprochen. Aber dessen Eltern sind bestimmt auch eher Oberklasse. Und der hat mich dann ganz lieb und treu angebettelt, dass ich doch wechseln soll, damit er einen gleichaltrigen dabei hat. Da musste ich echt einen Moment lang nach einer unverbindlichen Ausrede suchen.“
„Ich hoffe ja, dass da irgendwann Gras drüber wächst, zwischen Patrick und mir. Dann kannst Du mit dem auch so Kontakt halten. Kannst Du eigentlich sowieso, ich kann Dir ja nicht verbieten, mit wem Du in Deiner Freizeit sprichst und Patrick seinem Azubi auch nicht.“
Montag, 27.04.2015
Der Montag begann schon am Sonntag, weil die Nachtschicht jeweils schon am Vortag losging. Abends machten wir uns also mit den Zugmaschinen auf den Weg. Solo durften wir ja auch fahren, während das Sonntagsfahrverbot noch in Kraft war.
Ich fuhr nach Leverkusen, Timo nach Dormagen. Pünktlich um 22 Uhr rollte Timo los, ich ließ mir noch ein Bisschen Zeit, weil der Weg kürzer war. So verpassten wir uns mit ein Bisschen Koordination über Funk um unter 90 Sekunden am Kreuz Wuppertal und waren schnell direkt hintereinander.
Ereignislos fuhren wir die A1 und A2, quatschten dabei ein Bisschen über dies und das. Bielefeld musste ich abfahren zu Dr. Oetker, Timo fuhr weiter zu Sulo nach Herford.
Auf dem Rückweg trafen wir uns wieder kurz nach der Autobahnauffahrt und fuhren die Strecke zurück.
Ich stellte den Trailer in Leverkusen ab und fuhr noch Solo nach Dormagen. Dank der Brückensperrung mit Stadtrundfahrt durch den Norden Kölns.
Am Tor parkte ich hinter Timo auf dem LKW-Parkplatz und wir fuhren mit dem Auto nach Hause.
Dienstag, 28.04.2015
Die Nacht auf Dienstag hatten wir beide Fracht ab Dormagen. Jetzt war mein Weg bis Bünde länger, also wartete Timo einfach ein Bisschen, bis ich wieder in der Nähe war.
Auch hier trafen wir uns auf dem Rückweg deshalb mit ein Bisschen Planung an der Autobahnauffahrt.
Als ich Dienstagmittag aufstand, hatte ich eine Nachricht von meinem Autohändler. Das Fahrzeug war geliefert worden. Sie würden am Mittwoch den Wagen fertig machen und ich könnte ihn Donnerstag abholen. Ich könnte aber zum Bezahlen schon vorbei kommen und dann die Papiere mitnehmen zum Anmelden, wenn ich wollte. Ich wollte natürlich und fuhr noch am gleichen Nachmittag hin.
Mittwoch, 29.04.2015
Die Nacht verlief wie die vorherige auch. Für die kommende Nacht musste ich aber meine Zugmaschine noch nach Leverkusen bringen, denn es ging auf Donnerstag wieder von da nach Bielefeld für mich. Timo holte mich mit dem Auto vorm Bayer-Tor ab.
Als ich mit Timo nach getaner Arbeit und einem verschlafenen Vormittag gegen halb 3 nachmittags am Frühstückstisch saß, klingelte sein Handy.
„Hallo Patrick!“ Ach, der wusste wohl noch nichts von seinem Unglück. „War nie besser. Ich wollte Dich auch noch gleich anrufen.“ Jetzt wäre ich gerne Mäuschen unter Patricks Schreibtisch. „Der liegt in 8 Millimeter breiten Streifen in einem blauen Eimer neben mir.“ Und jetzt wäre ich es erst recht gerne.
„Na das wäre eine Herausforderung. Alleine um gleich zu ziehen, musst Du noch mal zusätzlich 4% aufs Grundgehalt packen.“ Inzwischen kannte ich auch die Konditionen etwas besser. Und die 4% mehr hatte er. Wir mussten ja auch höher qualifizierte Fahrer haben, weil wir alle Gefahrgutscheine außer Nummer 7 brauchten. Und die kriegen eben mehr als wenn man sich wie Patrick hinter der Punkteregel verstecken und die Tafeln zu lassen konnte. Er zahlte allerdings auch nicht schlecht. „Zuschläge passen. Ricky zahlt außerdem 2.500 Euro Halteprämie. Da müsstest Du auf die 2.000 also auch noch mal mindestens ein rosa Scheinchen drauflegen.“ Timo zwinkerte mir zu, als wollte er sagen „Keine Angst, ich will nur spielen.“ Die Halteprämie hatte wohl 4 Räder und einen Doppelwinkel im Kühlergrill. „Und fürs gleich ziehen tue ich mir weder einen Daimler an, noch Linienverkehr.“ Na damit war die Nummer wohl durch. Wer was gegen Mercedes sagte, hatte bei Patrick verschissen. Entsprechend lang war die Pause.
„Und denk dran, hier wohne ich zum geldwerten Vorteil auf Firmengelände. Also wenn Du überbieten willst, musst Du die Mehrkosten für eine Wohnung im Großraum Düsseldorf mitrechnen und auch noch mal zusätzlich nachlegen. 300 im Monat wird das schon ausmachen.“ Wollte ich eben Mäuschen unter Patricks Schreibtisch sein? Jetzt wollte ich das erst recht.
„Vergiss es. Das ist unterm Strich weniger als ich hier mit der Wohnung auf dem Firmengelände habe. Die Bude in oder um Düsseldorf würde ja ordentlich was kosten. Ist nicht billig, Deine Gegend. Und hier habe ich einen MAN dazu, Zubehörradio mit USB-Port hat Ricky mir auch bestellt.“ Dass Patrick mal erleben müsste, dass ihn einer von oben herab nieder machte wegen Geld, hätte er nach seinem Lottogewinn wohl auch nicht mehr erwartet.
„Brutto gibst Du jetzt natürlich mehr. Aber es rechnet sich Netto Wohnung mieten gegen geldwerten Vorteil für Firmenwohnung nicht. Und wie gesagt. Fürs gleiche fahre ich keinen Benz und keine Linie.“ „Nein, sollte wohl nicht sein.“ Tja, Herr Schütz. Jeder ist käuflich, aber man muss auch den korrekten Preis zahlen wollen. „Okay, ciao! Halt die Stoßstange sauber.“ Timo grinste von einem Ohr zum anderen. „Das war lustig.“
Donnerstag, 30.04.2015
Die letzte Tour für diese Woche war dann schon nichts besonderes mehr. Sowohl Timo als auch ich waren eher langsam gelangweilt vom immer gleichen Ablauf. Wir waren eben beide keine Linienfahrer. Mal eine Woche war okay, aber ein Leben lang?
Und am Mittag fuhr ich mit Timo nach dem Aufstehen zur Zulassungsstelle. Am letzten Werktag vorm Feiertag war es kein Problem, um die Zeit dort hin zu fahren. Die meisten Leute hatten da andere Sachen vor, als Autos anzumelden. Also waren wir schnell fertig.
Timo hatte sich nicht viel Mühe gegeben, das Auto auf sich zu personalisieren und einfach meine Kennzeichen [BO-EK 407] behalten. Ich wollte die auch nicht übernehmen.
Mit meinen frischen Kennzeichen [BO-AB 410] unterm Arm ging ich hinter Timo her zu dem Auto, das jetzt nicht mehr meins war. „Einmal kurz nach Hause, Papiere in den Tresor und dann fahr mich mal bitte zu meinem neuen Auto nach Siegen, danach kannst Du mit dem hier machen, was Du willst.“
